Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Vierfamilienhäuser

Aktenzeichen  M 1 K 15.3220

Datum:
26.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 917
BayBO BayBO Art. 66 Abs. 1 S. 6, Art. 68 Abs. 4, Art. 71 S. 4
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
GG GG Art. 14

 

Leitsatz

Bei einer Entfernung des Wohnhauses eines Nachbarn von den geplanten Baukörpern von mehr als 40 Metern ist es ausgeschlossen, dass von den geplanten Gebäuden mit einer dem Grundstück des Nachbarn zugewandten Hausbreite von ca. 10,5 bzw. 11,5 m und einer Firsthöhe von ca. 7,30 m eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung ausgeht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Durch die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 1. Juli 2015 werden keine den Kläger schützenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Eine Verletzung von Rechten des Klägers durch die von ihm angefochtene Baugenehmigung scheidet schon deshalb aus, weil der dem Beigeladenen erteilte Vorbescheid vom 24. März 2015 ihm gegenüber bestandskräftig geworden ist. Dem Kläger war nach Art. 71 Satz 4 i. V. m. Art. 66 Abs. 1 Satz 6 Bayerische Bauordnung (BayBO) eine Ausfertigung des Vorbescheids zugestellt worden, da er dem Vorbescheidsantrag nicht schriftlich zugestimmt hatte. Gegen diesen Vorbescheid hat er nicht fristgerecht Klage erhoben, weshalb Bestandskraft eingetreten ist. Gegenstand der behördlichen Prüfung waren nach Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO insbesondere die bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 29 bis 38 BauGB. Deshalb war zur Begründung des Vorbescheids u. a. auf die Vereinbarkeit des Vorhabens mit § 34 BauGB hingewiesen worden.
Klagt ein Dritter gegen eine einem Nachbarn erteilte Baugenehmigung, obwohl ein bestandskräftiger Vorbescheid vorliegt, so ist, soweit er seine Klage auf Feststellungen stützt, die ihm gegenüber durch diesen Vorbescheid bestandskräftig geworden sind, diese Klage zwar nicht unzulässig, aber in diesem Umfang unbegründet (BVerwG, U. v. 17.3.1989 – 4 C 14.85 – BauR 1989, 454 – juris Rn.15; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand: 1.9.2015, Art. 71 Rn. 98). Deshalb kann der Kläger eine Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorschriften, die auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind, durch die angefochtene Baugenehmigung nicht mehr einwenden. Das betrifft insbesondere die von ihm geltend gemachte Verletzung des Rücksichtnahmegebots in Verbindung mit § 34 BauGB.
2. Abgesehen von der gegenüber dem Kläger bestandskräftigen Feststellung des bauplanungsrechtlichen Prüfprogramms zum Vorbescheid vom 24. März 2015 scheidet eine Rechtsverletzung des Klägers auch aus materiell-rechtlichen Gründen aus, da die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung keine ihn schützenden Drittrechte verletzt.
Ein Nachbar hat nicht schon bei objektiver Rechtswidrigkeit einer erteilten Baugenehmigung einen Rechtsanspruch auf ihre Aufhebung. Er muss vielmehr durch sie in eigenen Rechten verletzt sein, was nur dann der Fall sein kann, wenn die verletzte Norm zumindest auch seinen Schutz zu dienen bestimmt ist, sie also drittschützende Wirkung hat (BayVGH, B. v. 2.9.2013 – 14.ZB 13.1193 – juris Rn.11).
2.1 Auf das Fehlen einer Erschließung des Vorhabengrundstücks kann der Kläger seine Klage nicht erfolgreich stützen. Das Erfordernis der gesicherten planungsrechtlichen Erschließung eines Baugrundstücks dient grundsätzlich nur den öffentlichen Interessen und hat keine nachbarschützende Funktion. Deshalb kann der Kläger, abgesehen von der auch hinsichtlich der Erschließung des Vorhabengrundstücks bestandskräftigen Feststellung im Vorbescheid, diesen Umstand nicht mit Erfolg geltend machen (BayVGH, B. v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn.17).
2.2 Das genehmigte Vorhaben verletzt ihm gegenüber auch nicht das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Es hat im Hinblick auf das Anwesen des Klägers keine erdrückende oder abriegelnde Wirkung. Dabei kann es auf sich beruhen, ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 BauGB), denn ein Nicht-Einfügen hat nicht automatisch die Rücksichtslosigkeit des Vorhabens zu Folge. Die Bestimmungen über das Maß der baulichen Nutzung sind grundsätzlich nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Vorhaben infolge seines Nutzungsmaßes den Nachbarn durch eine „abriegelnde“ oder „erdrückende Wirkung“ unzumutbar beeinträchtigt. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B. v. 20.7.2010 – 15 CS 10.1151 – juris Rn. 18). Als Beispiele sind zu nennen ein zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zum zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl 1981, 928 – juris Rn. 33 f.) oder eine 11,5 m hohe Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (BVerwG, U. v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl 1986, 1271 – juris Rn. 2 und 15). Bei gleicher Geschoßhöhe wird eine erdrückende Wirkung grundsätzlich nicht in Betracht kommen (BayVGH, B. v. 20.7.2010 a. a. O.; BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 18.80 – NJW 1984, 250 – juris Rn. 11).
Nach diesen Maßstäben ist ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aufgrund einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung des Vorhabens zu verneinen. Das Wohnhaus des Klägers liegt von den geplanten Baukörpern über 40 m entfernt. Bei einer solchen Entfernung ist es unter Berücksichtigung der oben genannten Rechtsprechung ausgeschlossen, dass von den geplanten Gebäuden mit einer dem Grundstück des Klägers zugewandten Hausbreite von ca. 10,5 bzw. 11,5 m und einer Firsthöhe von ca. 7,30 m eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung im oben genannten Sinn ausgeht. Das Wohnbauvorhaben des Beigeladenen entspricht ferner auch der Art der baulichen Nutzung in der näheren Umgebung, nicht zuletzt in Anbetracht der Wohnnutzung auch des klägerischen Grundstücks.
3. Soweit sich der Kläger wegen der Erschließung des Vorhabengrundstücks über den Zufahrtsweg FlNr. 201/2 aufgrund des Geh- und Fahrtrechts in seinem Miteigentum an dieser Zufahrt beeinträchtigt sieht, muss er sich auf den Zivilrechtsweg verweisen lassen. Nach Art. 68 Abs. 4 BayBO wird die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Das bedeutet, dass über die Vereinbarkeit privater Rechte Dritter mit dem Bauvorhaben im Baugenehmigungsverfahren nicht entschieden wird. Die Baugenehmigung sagt über solche Rechte nichts aus und wirkt sich demnach auf sie nicht aus. Daher begründet ein privates Recht grundsätzlich auch kein öffentlich-rechtliches Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung, sondern muss vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. Etwas anderes kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall eine (wegen des Fehlens der Erschließung des Baugrundstücks rechtswidrige) Baugenehmigung dadurch in ein durch Art. 14 Grundgesetz (GG) geschütztes Eigentumsrecht des Nachbarn eingreift, dass sie – wie bei der Entstehung eines Notwegerechts (§ 917 Abs. 1 BGB) über das Grundstück des Nachbarn – eine unmittelbare Verschlechterung seiner Rechte bewirkt und effektiver Rechtsschutz vor den Zivilgerichten nicht mehr erreicht werden kann, weil die Baugenehmigung zuvor in Bestandskraft erwächst und damit auch für die Zivilgerichte bindende Wirkung entfaltet (vgl. BVerwG, U. v. 4.6.1996 – 4 C 15/95 – BauR 1996, 841 juris Rn. 22; BayVGH, B. v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 18). Ein solcher Fall liegt hier schon deshalb nicht vor, weil das Vorhabengrundstück unmittelbar an die … Straße grenzt und deshalb seine Erschließung nicht zwingend über den genannten Zufahrtsweg erfolgen muss. Im Übrigen ist nicht einmal im vom Kläger vorgelegten Vertrag vom … Juni 1936 zur Einräumung eines Geh- und Fahrtrechts für das Vorhabengrundstück eine ausdrückliche Beschränkung auf nur eine Wohneinheit enthalten, ebenso wenig in der Eintragung dieses Geh- und Fahrtrechts im Grundbuch.
4. Aus diesen Gründen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass der Kläger auch dessen außergerichtliche Kosten zu tragen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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