Aktenzeichen 9 ZB 17.1284
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4
Leitsatz
Ein Bauvorbescheid darf eine Frage in zulässiger Weise nur soweit beantworten, als sie nach den vorgelegten Antragsunterlagen beantwortet werden sollte bzw. konnte, ohne jedoch dabei sämtliche nachbarrelevanten Auswirkungen des in einem späteren Bauantrag tatsächlich zur Genehmigung anstehenden Bauvorhabens im Detail zu „regeln“ oder „gänzlich vorbehaltlos“ die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens zu bejahen (vgl. VGH München, BeckRS 2019, 251 Rn. 8). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 9 K 16.1416, AN 9 K 16.1417 2017-04-26 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kläger sind Eigentümer der Grundstücke FlNr. … und … (H…-Straße …, N…) sowie Miteigentümer der Grundstücke … und …, jeweils Gemarkung Z… Sie wenden sich als Nachbarn gegen den von der Beklagten an sich selbst erteilten Bauvorbescheid vom 23. Juni 2016 für den Neubau eines aus vier Gebäuden bestehenden Wohnkomplexes mit 74 Wohneinheiten mit Tiefgarage und einem dreigruppigen Kinderhort auf den Grundstücken FlNr. … … und … Gemarkung Z… Dieser stellt in Beantwortung der Frage 1 die planungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung der im Lageplan M 1:500 dargestellten Gebäude nach Art und Maß der baulichen Nutzung sowie nach der überbaubaren Grundstücksfläche fest. Die Belange der gesicherten Erschließung, ausgenommen der wegerechtlichen Erschließung (Frage 5), sowie die Prüfung von Störungen und Belästigungen nach § 15 BauNVO, insbesondere durch die geplante Tiefgaragenzufahrt, wurden dabei von der Beklagten ausdrücklich nicht als Gegenstand der Prüfung im Vorbescheid und als im künftigen Bauantragsverfahren nachweispflichtig angesehen. Außerdem wurde u.a. noch die Frage 5 nach der ausreichenden wegerechtlichen Erschließung von Hort und Wohnbebauung grundsätzlich positiv beantwortet, wobei die abschließende Beurteilung der verkehrlichen Situation und etwaige Auflagen dem Genehmigungsverfahren vorbehalten wurden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. April 2017 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung der Kläger.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht wegen Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und hierauf die Entscheidung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 5). Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsbegründung nicht.
Die Kläger bringen vor, dass das Verwaltungsgericht es als zulässig erachtet habe, dass die Beklagte die Prüfung des Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme hinsichtlich des Verkehrs aus der Prüfung des Vorbescheids ausgeklammert habe. Dagegen sei die Frage, ob die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB ohne Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme erfolgen könne, vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 18. August 2016 (15 B 14.1623 – juris) verneint worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe im Urteil vom 27. August 1998 (4 C 5.98 – juris) den Rechtssatz aufgestellt, dass sich die Frage nach der Zumutbarkeit vorhabenbedingten Verkehrslärms in der Nachbarschaft bei der baurechtlichen Genehmigungsentscheidung schon deshalb nicht zurückstellen lasse, weil sie im Tatbestandsmerkmal des Einfügens zu den unverzichtbaren Elementen gehöre, ohne die sich nicht beurteilen lasse, ob ein Vorhaben auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB zulässig sei (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.1998 a.a.O. Rn. 34). Damit wird keine Divergenz des angefochtenen Urteils zu den genannten Entscheidungen dargelegt.
a) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 1998 (4 C 5.98 – juris) verhält sich zwar zu der Frage, inwieweit in einem baurechtlichen Genehmigungsverfahren im Rahmen der Anwendung des § 34 BauGB auf die Prüfung der Anforderungen des Gebots der Rücksichtnahme verzichtet werden kann bzw. ob die Lösung von ggf. auftretenden Problemen durch einer baulichen Anlage zuzurechnenden Zu- und Abfahrtsverkehr einem nachfolgenden gaststätten- oder immissionsschutzrechtlichen Verfahren vorbehalten bleiben darf, und verneint beides. Es enthält aber keine Aussage zum Verhältnis des Prüfrahmens von Vorbescheid und Baugenehmigung. Dies gilt auch in Bezug auf das Gebot der Rücksichtnahme.
b) Eine Abweichung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO lässt sich auch nicht in Bezug auf den hierzu von den Klägern angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. August 2016 (15 B 14.1623 – juris) ableiten. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das Gebot der Rücksichtnahme im Rahmen der Prüfung der bauplanungsrechtlichem Zulässigkeit im Rahmen eines Vorbescheids jedenfalls dann nicht ausgeklammert werden dürfe, wenn ein endgültig konkretisiertes Vorhaben abschließend bauplanungsrechtlich beurteilt werden soll. Insoweit hat es sich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 1999 (1 B 96.347 – juris) gestützt, auf das auch in der von den Klägern als divergierend benannten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Bezug genommen wird und aus dem dort für den Fall, dass „die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens und damit auch Lärmbelastungen nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots grundsätzlich im ganzen“ als Gegenstand des Vorbescheidsverfahrens anzusehen sind, wohl der Schluss gezogen wurde, dass „ein Offenlassen oder ein ‚Verschieben‘ auf das Baugenehmigungsverfahren (…) also grundsätzlich nicht zulässig“ ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2016 – 15 B 14.1623 – juris Rn. 14).
Einen solchen Sachverhalt hat das Verwaltungsgericht hier aber nicht angenommen. Vielmehr hat es im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein beantragter Vorbescheid über die „grundsätzliche Bebaubarkeit des Grundstücks in der vorgesehenen Form“ zu erteilen ist, wenn das Vorhaben durch die Art der baulichen Gestaltung und durch technische Vorkehrungen im Einklang mit den Vorgaben des Gebots der Rücksichtnahme ausgeführt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.1987 – 4 C 41.84 – NVwZ 1987, 884 ff. = juris Rn. 24; Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 71 Rn. 75; vgl. auch BayVGH, B.v. 7.1.2019 – 15 ZB 18.947 – juris Rn. 8; B.v. 15.2.2017 – 9 ZB 14.2230 – juris Rn. 14; B.v. 18.8.2016 – 15 B 14.1623 – juris Rn. 15; U.v. 14.10.2008 – 2 BV 04.863 – juris Rn. 23), darauf abgestellt, dass noch nicht die komplette bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens vorbehaltlos geklärt werden sollte, sondern nach den vorgelegten Bauakten hinsichtlich der vorgelegten Pläne noch Konkretisierungsbedarf bestand.
2. Aus dem Vorstehenden ergeben sich, ebenso wie aus dem weiteren Zulassungsvorbringen, auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Dem Verwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass der angefochtene Vorbescheid die Frage 1 in zulässiger Weise nur soweit beantwortet, als sie nach den vorgelegten Antragsunterlagen beantwortet werden sollte bzw. konnte, ohne jedoch dabei sämtliche nachbarrelevanten Auswirkungen des in einem späteren Bauantrag tatsächlich zur Genehmigung anstehenden Bauvorhabens im Detail zu „regeln“ oder „gänzlich vorbehaltlos“ die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens zu bejahen (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2019 – 15 ZB 18.947 – juris Rn. 8; B.v. 18.8.2016 – 15 B 14.1623 – juris Rn. 15). Vielmehr enthält der Vorbescheid im Zusammenhang mit der Beantwortung der betreffenden Frage, die (nur) auf die Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit der im vorgelegten Lageplan „dargestellten Gebäude“ nach Art und Maß der baulichen Nutzung sowie der überbaubaren Grundstücksfläche abzielt, die ausdrückliche Klarstellung, dass die Belange der gesicherten Erschließung, ausgenommen der wegerechtlichen Erschließung (Frage 5), sowie die Prüfung von Störungen und Belästigungen nach § 15 BauNVO, insbesondere durch die geplante Tiefgaragenzufahrt, nicht Gegenstand der Prüfung im Vorbescheid und in dem künftigen Bauantragsverfahren nachzuweisen sind. Nur eingeschränkt erfolgte im Zusammenhang mit der Vorbescheidfrage 1 demzufolge die Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme durch die Baugenehmigungsbehörde im Hinblick auf eine etwaige Belastung der südlich gelegenen Wohngebäude durch die geplanten Baukörper. In Konsequenz ist zudem die Frage 5, ob mit der dargestellten Erschließung aus wegerechtlicher Sicht Einverständnis besteht, nicht unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme auf nachbarliche Belange, sondern nur insoweit positiv beantwortet worden, als die wegerechtliche Erschließung „grundsätzlich“ über die H…-Straße gesichert sei, zur Vermeidung von Parkproblemen und Einschränkungen im Begegnungsverkehr aber ausreichend öffentlich nutzbare Stellplätze auf dem Baugrundstück vorzusehen sowie ein entsprechendes Konzept, insbesondere auch für den Hol- und Bringverkehr des Hortes, im Baugenehmigungsverfahren vorzulegen sei. Die abschließende Beurteilung der verkehrlichen Situation und etwaige Auflagen wurden ausdrücklich dem künftigen Genehmigungsverfahren vorbehalten, sodass der Beklagten die Berufung auf die Bindungswirkung nach Art. 71 Satz 1 BayBO insoweit von vornherein abgeschnitten ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2016 – 15 B 14.1623 – juris Rn. 15).
b) Die Kläger können auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass vom Verwaltungsgericht hinsichtlich der Beantwortung der Frage 2, ob die Abstandsflächen des Hortgebäudes nach Westen eingehalten sind, der Frage 3, ob die baulichen Anlagen und Außenanlagen aus Sicht der Baumschutzverordnung umgesetzt werden, und der Frage 4, ob mit der dargestellten eingefriedeten Außenfläche des Kinderhorts aus umweltrechtlicher Sicht Einverständnis besteht, keine Prüfung einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch das Verwaltungsgericht erfolgt ist. Denn sie können jeweils schon nicht in wehrfähigen Positionen betroffen sein (vgl. BayVGH, B.v. 23.12.2016 – 9 CS 16.1672 – juris Rn. 16). Die Grundstücke der Kläger liegen südlich des Baugrundstücks und die Unterschutzstellung von Bäumen bzw. die Baumschutzverordnung der Beklagten dient allein dem öffentlichen Interesse (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 9 ZB 18.912 – juris Rn. 8 m.w.N.).
c) Der Einwand, das Baugrundstück liege entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB), sondern im Außenbereich (§ 35 BauGB), was einen Unterschied hinsichtlich der durch den Bauherrn beanspruchbaren Erschließung bewirke, begründet ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des klageabweisenden Urteils, weil sich allein aus einer fehlerhaften Gebietseinstufung kein Drittschutz ableiten lässt. Der Nachbarschutz ergibt sich vielmehr sowohl im Fall des § 34 Abs. 1 BauGB als auch im Fall des § 35 BauGB nur aus dem Gebot der Rücksichtnahme (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2016 – 9 ZB 13.1877 – juris Rn. 5 m.w.N.), nicht jedoch unmittelbar aus dem Merkmal der gesicherten Erschließung (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 20).
3. Die Berufung ist schließlich nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 9 ZB 19.34121 – juris Rn. 4). Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
Die Kläger werfen die Fragen auf, ob und in welchem Umfang über Teilbereiche des Gebots der Rücksichtnahme in einem Vorbescheidsverfahren zu entscheiden ist, welches sich mit der grundsätzlichen baurechtlichen Zulässigkeit eines Bauvorhabens nach Art und Maß der baulichen Nutzung beschäftigt und die Prüfung des Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme aus planungsrechtlicher Sicht beinhaltet, bzw. ob es zulässig ist, Teile des Gebots der Rücksichtnahme der bauplanungsrechtlichen Beurteilung für die Zulässigkeit einer Bebauung gemäß der Frage im Vorbescheid Nr. 1 und der Antwort hierauf im Vorbescheid entsprechend auszuklammern. Beide Fragen sind jedoch, soweit ihnen im vorliegenden Fall Entscheidungserheblichkeit und allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommen kann, nicht klärungsbedürftig, weil sie – wie sich aus den Ausführungen zu Nr. 1 und 2 der Gründe ergibt – auf der Grundlage der bestehenden ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung beantwortet werden können.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).