Baurecht

Nachbarklage gegen eine erteilte Baugenehmigung für ein “halbes Doppelhaus” – hier: erfolglos

Aktenzeichen  Au 5 K 18.345

Datum:
4.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15998
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauNVO § 15
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

1 Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt im Einzelfall nachbarschützende Wirkung insoweit zu, als in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Inhaltlich zielt es darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. (Rn. 37) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Ein Vorhaben fügt sich nach der Bauweise dann nicht ein, wenn es unter Beseitigung eines bestehenden Doppelhauses grenzständig errichtet wird, ohne mit dem verbleibenden Gebäudeteil ein Doppelhaus zu bilden. (Rn. 39) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Ein Doppelhaus iSd § 22 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. (Rn. 39) (red. LS Alexander Tauchert)
4 Im System der offenen Bauweise ordnet sich ein aus mehreren Gebäuden zusammengefügter Baukörper nur dann ein, wenn das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Zu Gunsten der Erhöhung der baulichen Nutzbarkeit wird auf Grenzabstände verzichtet, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen. Diese enge Wechselbeziehung begründet ein nachbarliches Austauschverhältnis, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf. (Rn. 39) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger klagebefugt i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO. Er kann sich hinsichtlich des Vorhabens auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … als unmittelbar angrenzender Nachbar im baurechtlichen Sinn auf die Möglichkeit der Verletzung in drittschützenden Normen berufen.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in drittschützenden Rechten. Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung hat der anfechtende Nachbar nur, wenn das Bauvorhaben den im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden, öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 55 ff. BayBO) und die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, ihr also drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – BVerwGE 82, 343). Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Weiterhin muss der Nachbar durch den Verstoß gegen diese Norm in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen sein. Eine objektive Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung reicht dabei nicht aus, denn der Nachbar muss in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Nachbaranfechtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides. Da die Baugenehmigung vor Änderung der BayBO zum 1. September 2018 erteilt wurde und es sich vorliegend um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, hat die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO (a.F.) im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 ff. BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO), beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO), geprüft.
a) Ein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften gemäß §§ 29 ff. BauGB liegt jedoch nicht vor.
Für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit ist gesetzessystematisch vorab zu klären, ob das Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt. Ist dies der Fall, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 BauGB, andernfalls nach § 34 oder § 35 BauGB.
§ 30 BauGB regelt die Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der gewissen Mindestanforderungen entsprechen und Festsetzungen nach § 9 BauGB enthalten muss. Grundvoraussetzung ist das Vorliegen eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans, d.h. es muss ein von der Gemeinde nach § 10 BauGB als Satzung beschlossener, gegebenenfalls genehmigter oder angezeigter und durch Bekanntmachung nach § 10 Abs. 3 BauGB rechtsverbindlich gewordener Bebauungsplan vorliegen. Der Bebauungsplan und die einzelnen Festsetzungen müssen wirksam sein und dürfen auch nicht obsolet geworden sein (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 132. EL Februar 2019, § 30 Rn. 10). Das Gericht geht nach dem schlüssigen Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass es keinen rechtsverbindlichen Bebauungsplan für das maßgebliche Gebiet gibt. Zwar wird in der vom Bevollmächtigten des Klägers vorgelegten Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum der Siedlergemeinschaft der Eisenbahner in … und Umgebung ein am 10. Februar 1950 genehmigter „Bebauungsplan“ erwähnt (Bl. 43 der Gerichtsakte). Der Vertreter der Beklagten hat hierzu jedoch glaubwürdig ausgeführt, dass es auch nach nochmaliger Nachfrage keine Hinweise auf einen Bebauungsplan gegeben hätte. Bei derartigen Siedlungsgebieten sei es üblich gewesen, dass sie im Zuge eines sog. Rahmenplans entwickelt worden wären. Mittlerweile seien auch alle Bebauungspläne der Stadt digitalisiert worden. Dabei sei ein Bebauungsplan für das streitgegenständliche Gebiet nicht aufgetaucht. Auch seien in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Bauvorhaben im streitgegenständlichen Gebiet nach § 34 BauGB beurteilt worden. Anhaltspunkte dafür, dass es einen rechtsgültigen Bebauungsplan gibt, vermag das Gericht daher nicht zu erkennen.
Da es sich folglich um einen unbeplanten Innenbereich handelt, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB.
Nach § 34 BauGB ist ein Bauvorhaben bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Die nähere Umgebung bestimmt sich nach den umliegenden Grundstücken, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägen oder beeinflussen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 34 Rn. 36; BVerwG, B. v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 – NJW 2014, 1246). Die Grenzen sind nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu beurteilen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 3). Bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben gilt in der Regel als Bereich gegenseitiger Prägung, der die maßgebliche nähere Umgebung eingrenzt, das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (BayVGH, B.v. 1.12.2011 – 14 CS 11.2577 – juris Rn. 26; B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25).
Aufgrund des Lageplans und der Erkenntnisse des Augenscheinstermins besteht die nähere Umgebung, die den Rahmen für die Beurteilung des streitigen Vorhabens bildet, hier aus dem Bereich der … In diesem Bereich befindet sich nach den Feststellungen des Ortstermins reine Wohnbebauung. Das geplante Vorhaben fügt sich daher nach der Art der baulichen Nutzung als Wohnhaus unstreitig in die in der Umgebung vorhandene Wohnbebauung ein.
b) Ob sich das Bauvorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Umgebung einfügt, kann dahingestellt bleiben, da es der ganz herrschenden Meinung entspricht, dass die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht nachbarschützend sind (vgl. BVerwG, B. v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3).
c) Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt hinsichtlich der Bauweise nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Ist ein Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 bzw. 2 BauGB zu beurteilen, so ist das Gebot der Rücksichtnahme in dem in dieser Bestimmung genannten Begriff des Einfügens bzw. in einer unmittelbaren Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthalten.
Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt im Einzelfall nachbarschützende Wirkung insoweit zu, als in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Inhaltlich zielt es darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9). Insoweit müssen die Umstände des Einzelfalles eindeutig ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen und inwieweit eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist (BVerwG, U.v. 5.8.1983 – 4 C 96/79 – BVerwGE 67, 334).
Gemessen an diesen Vorgaben stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben weder unter Berücksichtigung der seitens des Klägers geltend gemachten Grundsätze der Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris) noch aus anderen Gründen dem Kläger gegenüber als rücksichtslos dar.
aa) Wird durch ein Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich das durch eine Doppelhausbebauung begründete nachbarschaftliche – durch den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an den gemeinsamen Grundstücksgrenzen hervorgerufene – Austauschverhältnis einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht, liegt darin ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf die offene Bauweise i.S.d. § 22 BauNVO (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 21). Ein Vorhaben fügt sich nach der Bauweise dann nicht ein, wenn es unter Beseitigung eines bestehenden Doppelhauses grenzständig errichtet wird, ohne mit dem verbleibenden Gebäudeteil ein Doppelhaus zu bilden. Ein Doppelhaus i.S.d. § 22 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 13). Die Qualifizierung zweier Gebäude als Doppelhaus hängt aber nicht allein davon ab, in welchem Umfang die beiden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinandergebaut sind (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12 – juris Rn. 16). Die beiden „Haushälften“ können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zumindest zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein (vgl. OVG NRW, U.v. 19.7.2010 – 7 A 44/09 – juris Rn. 38). Im System der offenen Bauweise ordnet sich ein aus mehreren Gebäuden zusammengefügter Baukörper nämlich nur dann ein, wenn das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Zu Gunsten der Erhöhung der baulichen Nutzbarkeit wird auf Grenzabstände verzichtet, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen. Diese enge Wechselbeziehung begründet ein nachbarliches Austauschverhältnis, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf. Es kommt also für die Frage, ob grenzständige Gebäude ein Doppelhaus bilden, auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude an. Hierbei bedarf es einer Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12 – juris Rn. 16). Quantitativ sind dabei insbesondere die Geschosszahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe und Bebauungsbreite sowie das durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen. Qualitativ kommt es unter anderem auch auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes an (BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12/98 – BVerwGE 110, 355; BayVGH, B.v. 15.9.2015 – 2 CS 15.1792 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen scheidet für den vorliegenden Fall ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aus. Der Rahmen der wechselseitigen Grenzbebauung wird durch das geplante Vorhaben nicht überschritten. Denn ein Austauschverhältnis besteht regelmäßig nur hinsichtlich der wechselseitigen Grenzbebauung, d.h. nur im Hinblick auf den unmittelbar grenzständigen und zusätzlich einen gewissen, nicht abstrakt bestimmbaren grenznahen Bereich auf den benachbarten Baugrundstücken (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2018 – 15 CS 17.2549 – juris Rn. 11; OVG NRW, U.v. 19.7.2010 – 7 A 44/09 – juris Rn. 44; VG Ansbach, U.v. 4.7.2018 – An 9 K 17.01623 – juris Rn. 26). Vorliegend ist jedoch der 5 m lange Anbau, der gegebenenfalls geeignet wäre, das Austauschverhältnis angesichts der Entstehung eines größeren Raumvolumens zu überschreiten, gerade nicht grenzständig bzw. grenznah geplant, sondern hält seinerseits die erforderlichen Abstandsflächen ein. Der Baukörper, der an der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet wird und Anlass für das nachbarliche Austauschverhältnis ist, ändert sich hingegen kaum. Er wird lediglich nach Westen, das heißt an der zum klägerischen Grundstück abgewandten Seite, um ca. 2 m verlängert. Dies stellt jedoch keine quantitative Abweichung dar, die den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreiten könnte. Der nach Südwesten orientierte Anbau erhöht zwar die Wohnfläche deutlich, wird aber nicht grenzständig errichtet und hält die zum klägerischen Grundstück erforderlichen Abstandsflächen unter Inanspruchnahme des 16-m-Privilegs des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO ein. Zwar kann auch ein nicht grenzständiger Anbau wegen seiner Abmessungen die bisherige Doppelhaushälfte so massiv verändern, dass die beiden Gebäude nicht mehr als eine bauliche Einheit erscheinen. Ein solcher Fall ist allerdings nur dann gegeben, wenn der im Verhältnis zur bisherigen Kubatur massive Anbau grenznah errichtet wird und – in seiner Wirkung einem grenzständigen Anbau vergleichbar – die Freiflächen auf dem Grundstück der anderen Doppelhaushälfte abriegelt (vgl. BVerwG, B.v. 10.4.2012 – 4 B 42.11 – juris Rn.9; B.v. 17.8.2011 – 4 B 25.11 – juris Rn. 5). Vorliegend scheidet bereits eine Vergleichbarkeit mit einem grenzständigen Anbau aus, da der geplante Anbau in einem Abstand von 4,84 m zur Grundstücksgrenze des Klägers errichtet werden soll. Hinzu kommt, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben die Vorgaben der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO unstrittig einhält. Zum klägerischen Grundstück hin wird im Hinblick auf den Anbau das 16-m-Privileg des Art. 6 Abs. 6 BayBO zulässigerweise in Anspruch genommen. Für den Fall, dass ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlich für eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung erforderlichen Abstand von den Nachbargrundstücken einhält, ist nämlich für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr und eine erdrückende bzw. abriegelnde Wirkung scheidet aus. Damit kann im vorliegenden Fall insgesamt von keinem derart massiven Anbau ausgegangen werden, der die bisherige bauliche Einheit der beiden Gebäude verändern würde und den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermitteln würde. Quantitativ und qualitativ erscheint die Hausgruppe nach Realisierung des Vorhabens der Beigeladenen nach wie vor als bauliche Einheit i.S. eines Gesamtbaukörpers (s. hierzu auch OVG NRW, U.v. 19.7.2010 – 7 A 44/09 – juris Rn. 50).
bb) Zudem scheidet die Annahme einer „erdrückenden“ Wirkung mangels einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Vorhaben der Beigeladenen und dem Haus des Klägers aus. Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die beiden Doppelhaushälften die gleiche Höhe aufweisen und andererseits der Anbau mit einer Höhe von ca. 6 m unter der Firsthöhe der beiden Haushälften bleibt. Soweit der Kläger hier eine Verschattung seines Grundstücks befürchtet, resultiert auch hieraus keine Rücksichtslosigkeit im Rechtssinne. In einem bebauten innerstädtischen Wohnbereich ist es grundsätzlich hinzunehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden können und es dadurch zu einer gewissen Verschattung des eigenen Grundstücks bzw. auch von einzelnen Wohnräumen kommt. Aufgrund der Lage vor allem des Anbaus dürfte es allenfalls am Abend zu einer Beeinträchtigung des Terrassenbereiches und Teilen des Gartens des Klägers kommen.
d) Neben dem Einfügen in die nähere Umgebung muss grundsätzlich auch gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Erschließung gesichert sein. Das Erfordernis der gesicherten Erschließung vermittelt aber insofern für den Kläger keinen Nachbarschutz (BayVGH, B. v. 29.6.1984 – 14 B 84.1629, BayVBl. 1985, 309; Urt. v. 22.3.1999 – 15 B 98.207, BayVBl. 1999, 662; VGH Mannheim, B. v. 26.2.1986, 8 S 3212/85, BRS 46 Nr. 180). Im Übrigen ist die Erschließung im Fall des Vorhabens der Beigeladenen ohne weiteres gesichert. Dass aufgrund des Bauvorhabens die Abwasserleitungen für das klägerische Grundstück neu verlegt werden müssen, spielt in diesem Zusammenhang daher keine Rolle.
e) Auch im Übrigen kann sich der Kläger nicht auf eine Verletzung seiner drittschützenden öffentlichen Rechte durch die Baugenehmigung berufen. Die für den Kläger durch das Bauvorhaben hervorgerufene Notwendigkeit, die bislang über das Grundstück der Beigeladenen verlaufende, gemeinsame Abwasserleitung auf das eigene Grundstück zu verlegen, ist rein privatrechtlicher Natur und kann im Baugenehmigungsverfahren grundsätzlich keine Berücksichtigung finden. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wird nur die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Rechtsvorschriften geprüft. Art. 68 Abs. 4 BayBO stellt dabei klar, dass die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird. Die Baugenehmigung trifft insofern keine Aussage über die privatrechtliche Realisierbarkeit des Bauvorhabens. Diese fällt in den Risikobereich des Bauherrn (BGH, U.v. 6.7.2000 – III ZR 340/98 – NJW 2000, 2996). Durch die Baugenehmigung wird nicht verbindlich festgestellt, ob ein Vorhaben auch privatrechtlich zulässig oder privatrechtlich zu dulden ist. Vor allem die Rechte auf Unterlassung, Beseitigung, Schadensersatz aus dem Eigentum nach § 906 BGB, aus Dienstbarkeiten und die Abwehrrechte nach § 1004 BGB sowie die Rechte aus § 823 BGB werden davon nicht erfasst. Das öffentliche Baurecht hat grundsätzlich keine unmittelbare Auswirkung auf die privaten Nachbarrechte (Simon/Busse, BayBO, Stand 132. EL Dezember 2018, Art. 68 Rn. 73 f.). Daher kann eine von der Behörde erteilte Baugenehmigung diese privaten Rechte auch nicht verletzen. Dies ist erst durch die Bauausführung durch den Bauherrn möglich. Die Rechtsbeziehung besteht insofern zwischen dem Bauherrn und dem Nachbarn. Den Rechtsschutz gewähren hierbei die Zivilgerichte (Simon/Busse, a.a.O., Art. 68 Rn. 76). Trotz der streitgegenständlichen Baugenehmigung bleibt es dem Kläger daher uneingeschränkt vorbehalten, seine privatrechtlichen Ansprüche aus § 1004, § 906, § 823 BGB gegen das Bauvorhaben, soweit er eine Rechtsverletzung in Bezug auf die Verlegung der Abwasserleitungen geltend macht, vor den ordentlichen Gerichten durchzusetzen. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, dass die Abwasserleitung des Klägers über das Grundstück der Beigeladenen mit der Baugenehmigung öffentlich-rechtlich genehmigt worden sei, ändert dies nichts an den vorgenannten Erwägungen. Gegenstand dieser Baugenehmigung konnte nicht sein, ob der Kläger das Nachbargrundstück für seine Abwasserleitung in Anspruch nehmen darf. Eine Baugenehmigung ergeht gerade, ohne dass sie sich auf die privaten Rechte Dritter auswirkt. Dies stellt Art. 68 Abs. 4 BayBO ausdrücklich klar. Was der Kläger mit dem vormaligen Eigentümer privatrechtlich vereinbart hat, ist daher ohne Belang. Die Baugenehmigung des Klägers konnte und kann die Verfügungsbefugnis über das Nachbargrundstück der Beigeladenen nicht ersetzen. Allein die Baugenehmigung berechtigt den Kläger nämlich nicht dazu, das Eigentum des Nachbarn für seine Abwasserleitung in Anspruch zu nehmen. Dies hätte der Kläger im Wege einer im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeit absichern müssen. Insofern kann er sich deshalb auch nicht auf eine Rechtsverletzung berufen, wenn er künftig aufgrund des Bauvorhabens das Nachbargrundstück für seine Abwasserleitung nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Er hat vielmehr, was technisch möglich ist, aber mit finanziellem Aufwand verbunden ist, für einen Anschluss an das öffentliche Abwassernetz über sein eigenes Grundstück zu sorgen.
3. Nach all dem ist die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen nachbarschützenden Rechten. Die Klage erweist sich als erfolglos.
4. Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da die Beigeladenen einen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, dass der Kläger als im Verfahren unterlegen die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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