Baurecht

Nachbarklage gegen Freischankfläche, Nähere Umgebung, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Unzumutbare Lärmimmissionen, Zwischenwertbildung

Aktenzeichen  RO 7 K 19.388

Datum:
20.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13359
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauGB § 15 Abs. 1 S. 2
BauNVO § 4
TA Lärm Nr. 6.1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamtes N* … a. d. W* … vom 28.1.2019 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.8.2019 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A. Die Klage hat Erfolg, da sie zulässig und begründet ist.
I. Die Klage ist zulässig, insbesondere fehlt dem Kläger nicht das Rechtschutzbedürfnis wegen eines Verzichts auf seine Nachbarrechte.
Grundsätzlich bedeutet die Leistung einer Unterschrift auf den Bauvorlagen einen Verzicht des Nachbarn auf die materiellen Abwehrrechte und hat die Unzulässigkeit der Klage zur Folge (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2007 – 1 ZB 06.1180, BeckRS 2010, 45285, beck-online).
Der Kläger selbst hat die Bauvorlagen jedoch nicht unterzeichnet und er wurde insoweit auch nicht von seiner Ehefrau und Miteigentümerin des Grundstücks Fl. Nr. 112 vertreten, welche auf den Bauvorlagen ihre Unterschrift geleistet und damit ihre Zustimmung i.S.d. Art. 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayBO zu dem streitgegenständlichen Vorhaben erklärt hat. Steht ein Nachbargrundstück im Miteigentum, müssen sämtliche Miteigentümer die Bauvorlagen unterschreiben, falls nicht eine wirksame Vertretung nach allgemeinen Grundsätzen vorliegt. Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte grundsätzlich berechtigt ist, den anderen Ehegatten als Grundstücksmiteigentümer zu vertreten, gibt es nicht. Die Ehegatten vertreten sich vielmehr grundsätzlich nicht gegenseitig bei der Nachbarunterschrift (vgl. Busse/Kraus/Dirnberger, 144. EL September 2021, BayBO Art. 66 Rn. 145).
Für eine wirksame Vertretung von Ehegatten bedarf es grundsätzlich einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht, regelmäßig in Schriftform. Sie kann aber auch mündlich erteilt werden oder kann stillschweigend in Form einer sog. Anscheins- oder Duldungsvollmacht gegenüber der Behörde vorliegen. Auf Grund seines Verhaltens oder gegebener Umstände kann ein Ehegatte das Handeln des anderen Ehegatten kennen und konkludent nach außen billigen oder dulden (Busse/Kraus/Dirnberger, 144. EL September 2021, BayBO Art. 66 Rn. 146). Stimmt in einem solchen Fall z. B. die Ehefrau dem Bauvorhaben zu, kann eine Anscheinsvollmacht nur angenommen werden, wenn das Verhalten des Ehemannes eine Bevollmächtigung erkennen lässt. Für ein Verschulden der Ehefrau hat der Ehemann nicht einzutreten (Busse/Kraus/Dirnberger, 144. EL September 2021, BayBO Art. 66 Rn. 147).
Hier liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine Bevollmächtigung der Ehefrau des Klägers erkennen lassen. Vielmehr hat die Ehefrau des Klägers am 4.5.2018 – noch vor Eingang der Antragsunterlagen bei der Baugenehmigungsbehörde (vgl. Eingangsstempel vom 7.5.2018) – fernmündlich gegenüber der Baugenehmigungsbehörde ihr Bedauern betreffend die Leistung der Nachbarunterschrift ausgedrückt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur sie, nicht aber ihr Ehemann, unterschrieben habe (vgl. Bl. 7 d. Schriftverkehrsakte B 608/18).
II. Die Klage ist begründet, da der Bescheid des Landratsamtes N* … a. d. W* … vom 28.1.2019 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.8.2019 den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Im Rahmen einer Nachbarklage kommt es nicht darauf an, ob eine erteilte Baugenehmigung in objektiver Hinsicht umfassend rechtmäßig ist. Ein Nachbar kann eine Genehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn die Genehmigung ihm zustehende subjektiv-öffentliche Rechte verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblich ist daher, ob der Nachbar in subjektiven Rechten verletzt wird, d.h. ob die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch seinem Schutz dienen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – juris). Eine Rechtsverletzung kommt nur insoweit in Betracht, als die Baugenehmigung überhaupt Regelungs- bzw. Feststellungswirkung entfaltet, d.h. soweit die ggf. verletzte drittschützende Rechtsvorschrift überhaupt zum Prüfgegenstand im Genehmigungsverfahren gehört.
1. Das genehmigte Vorhaben verletzt den bauplanungsrechtlichen, drittschützenden Gebietserhaltungsanspruch des Klägers.
Der Gebietserhaltungsanspruch räumt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht ein, sich – auch ohne konkrete Beeinträchtigung – gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Diese weitreichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Grundstücke in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Aufgrund der Gleichstellung von geplanten und faktischen Baugebieten im Sinne der Baunutzungsordnung durch § 34 Abs. 2 BauGB gilt der Gebietserhaltungsanspruch nicht nur innerhalb eines durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiets (§ 30 BauGB), sondern auch im unbeplanten Innenbereich innerhalb eines faktischen Baugebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101; B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.12061 – jeweils juris).
Da die Eigenart der näheren Umgebung jedenfalls einem faktischen allgemeinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO entspricht, kann sich der Kläger auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen. Dieser Gebietserhaltungsanspruch ist verletzt, da das streitgegenständliche Vorhaben weder gem. § 4 Abs. 2 BauNVO regelzulässig noch gem. § 4 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig ist.
a) Welcher Bereich als nähere Umgebung im Sinn des § 34 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebend ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits die Ausführung des geplanten Vorhabens auf die benachbarte Bebauung und andererseits diese Bebauung auf den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägend auswirken. Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen (stRspr, vgl. statt vieler BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 -, Rn. 7, juris).
Der räumliche Umkreis, innerhalb dessen die tatsächlich vorhandene, städtebauliche Situation für die „nähere Umgebung“ i.S.d. Norm zu bewerten ist, lässt sich nicht schematisch beurteilen. Es ist daher die gesamte städtebauliche Situation zu würdigen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist.
Nach den im Ortstermin gewonnenen Eindrücken und unter Berücksichtigung der im Ortstermin angefertigten Lichtbilder sowie der Luftbilder und des topographischen Kartenmaterials aus dem Bayern Atlas ist für die räumliche Reichweite der näheren Umgebung auf die Bebauung innerhalb der A* … Straße im Osten, der Kreuzung M* …-Z* … Weg/G* … Straße/A* … Straße im Norden, entlang der östlichen Grundstücksgrenzen der Grundstücke Fl. Nrn. 486, 487 und 104/2 im Westen und der B* … im Süden abzustellen.
Bei der A* … Straße handelt es sich ausweislich der Straßennetzkarte M 1:100.000 des Bayern Atlas um eine Kreisstraße („K NEW 45“), die gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayStrWG dem überörtlichen Verkehr innerhalb eines Landkreises, dem Verkehr zwischen benachbarten Landkreisen und kreisfreien Gemeinden oder dem erforderlichen Anschluss von Gemeinden an das überörtliche Verkehrsnetz dient oder zu dienen bestimmt ist. Aufgrund dessen und ihrer Breite und Frequentierung kommt ihr trennende Wirkung zu. Ebenso verhält es sich mit den Freiflächen Fl. Nrn. 486 und 487 sowie dem Wegegrundstück Fl. Nr. 104/2 im Westen und der B* … im Süden. Der Bereich jenseits der A* … Straße/Kreuzungsbereich G* … Straße ist nicht mehr in den Umgriff mit einzubeziehen, da sich aufgrund der Entfernung weder das Vorhaben – insbesondere hinsichtlich seiner Lärmimmissionen – prägend auf die außerhalb des vorgenannten Umgriffs liegende, benachbarte Bebauung (vgl. Lagepläne der schalltechnischen Untersuchen, Bl. 51 ff. d. Bauakte B 608/18) noch die außerhalb des vorgenannten Umgriffs liegende, benachbarte Bebauung prägend auf das Vorhabengrundstück auswirken. Zudem wird das Ende der wechselseitigen Prägung auch durch die topographische Zäsur in Form einer Anhöhe Richtung G* … Straße sowie den kurvigen Straßenverlauf der A* … Straße Richtung Marktplatz im Norden deutlich. Abgesehen davon führt allein die – aufgrund der vorgenannten Anhöhe bestehende – Sichtbeziehung zwischen dem Vorhabengrundstück und der Schank- und Speisewirtschaft „Gaststätte A1* … F* …“ auf dem Grundstück Fl. Nr. 135 nicht dazu, dass sich diese Grundstücke noch bodenrechtlich wechselseitig prägen.
b) Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht jedenfalls der eines allgemeinen Wohngebiets, das vorwiegend dem Wohnen dient, § 4 Abs. 1 BauNVO.
Die Eigenart der näheren Umgebung, in der das Grundstück des Klägers und das Vorhabengrundstück eingebettet sind, ist vorwiegend von im allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauGB regelzulässigen Wohnnutzungen mit zugehörigen, untergeordneten Nebenanlagen i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO geprägt (Fl. Nrn. 493, 489, 102, 104, 105, 109, 112, 118, 119) und entspricht damit der Zweckbestimmung des § 4 Abs. 1 BauNVO. Das auf dem Vorhabengrundstück befindliche Brauereimuseum ist als Anlage für kulturelle Zwecke gem. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauGB ebenso regelzulässig.
Ob die übrigen, auf dem Vorhabengrundstück Fl. Nr. 114 befindlichen Nutzungen (Gaststätte mit Biergarten sowie Brauerei mit Direktverkauf) im allgemeinen Wohngebiet als der Versorgung des Gebiets dienender Laden, als die Versorgung des Gebiets dienende Schank- und Speisewirtschaft i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO regelzulässig und als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb i.S.d. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zulässig sind oder ob es sich vielmehr in der Gesamtheit um im allgemeinen Wohngebiet unzulässige Nutzungen (Schank- und Speisewirtschaft gem. § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauGB sowie sonstiger Gewerbebetrieb gem. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauGB bzw. Betrieb zur Be- und Verarbeitung und Sammlung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse gem. § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauGB) handelt, kann an dieser Stelle noch dahinstehen. Denn selbst wenn es sich um im allgemeinen Wohngebiet unzulässige Bestandsnutzungen handeln sollte, so sind diese in der Gesamtschau jedenfalls „Ausreißer“, die bei der Bestimmung des Gebietscharakters außer Acht zu lassen sind (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – juris).
Bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB sind singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden, im wesentlichen homogenen Bebauung stehen, regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden. Derartige „Ausreißer“ sind aufgrund ihrer Singularität bei der Bestimmung des Gebietscharakters gem. § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 1 Abs. 2, §§ 2 ff. BauNVO sowie bei der Abgrenzung eines faktischen Gebietscharakters der vorgenannten Art von sog. Gemengelagen außer Acht zu lassen (BayVGH, B.v. 24.2.2020 – 15 ZB 19.1505 -, Rn. 9, juris).
Die auf dem Vorhabengrundstück befindliche Anlage steht im Vergleich zur in der Umgebung dominanten und im wesentlichen homogenen Wohnnutzung in einem auffälligen Kontrast und ist daher als Fremdkörper zu bewerten. Die vorhandenen Umgebungsnutzungen weisen im Gegensatz zum „H* …“ als Gast- und Veranstaltungsstätte mit einer regulären Aufnahmekapazität von über 100 Gästen im Innen- und Außenbereich (vgl. Bl. 7 und 31 d. Bauakte B 608/18) und einer Frequentierung mit bis zu 100 Personen im Freischankbereich anlässlich Musikantentreffen, Brauerei- und Kirchweihfesten (vgl. Bl. 31 d. Bauakte B 608/18) keinen bzw. keinen vergleichbaren überregionalen Bezug und insoweit im Gegensatz zum „H* …“ kein relevantes Störpotenzial auf. Das „H* …“ erscheint daher insbesondere hinsichtlich des Lärms durch die Gäste und durch den Zu- und Abfahrtsverkehr als Fremdkörper und muss bei der Frage des „Prägens“ der Eigenart der näheren Umgebung außer Acht gelassen werden.
Ebenso kann dahinstehen, ob das Grundstück Fl. Nr. 107 als Veranstaltungsort für bspw. Erntedankfeste, Hochzeiten, Familienfeiern oder „Bulldogtreffen“ genutzt wird, was angesichts der Tatsache, dass dem Landratsamt weder einschlägige baurechtliche Genehmigungen noch Gewerbeanmeldungen vorliegen, eher unwahrscheinlich erscheint. Denn selbst wenn ein derartiger Betrieb nach seiner typischen Nutzungsweise nicht gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb ausnahmsweise zulässig sein sollte, so kommt ihm jedenfalls hinsichtlich seiner geringen gewerblichen Nutzungsfrequentierung kein hinreichend prägendes städtebauliches Gewicht zu. Nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, die weder von der Beklagten- noch der Beigeladenenseite substantiiert in Zweifel gezogen wurden, finden auf dem Grundstück Fl. Nr. 107 nur etwa drei bis vier Mal im Jahr Veranstaltungen statt.
Zusammenfassend führen weder eine gebietsunverträgliche Nutzung auf dem Vorhabengrundstück Fl. Nr. 114 noch auf dem Grundstück Fl. Nr. 107 dazu, dass das qualitativ und quantitativ nahezu ausschließlich von Wohnnutzung geprägte Gebiet nach seiner Eigenart als faktisches Mischgebiet einzustufen wäre.
c) Der Gebietserhaltungsanspruch des Klägers ist verletzt, da das streitgegenständliche Vorhaben gem. § 4 BauNVO weder regelzulässig noch ausnahmsweise zulässig ist.
In einem allgemeinen Wohngebiet sind gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO Biergärten bzw. Freischankflächen als Schank- und Speisewirtschaften nur zulässig, wenn sie der Versorgung des Gebietes dienen. Dabei kommt es für die Beurteilung, ob der Gaststättenbetrieb des Beigeladenen eine der Gebietsversorgung dienende Schank- und Speisewirtschaft ist, auf objektive Kriterien an. Der von der Norm geforderte Gebietsbezug liegt nur dann vor, wenn die Schank- und Speisewirtschaft dem Gebiet funktionell zugeordnet ist. Durch die Ausrichtung einer Schank- und Speisewirtschaft auf die Gebietsversorgung soll sichergestellt werden, dass diese jedenfalls in einem bedeutsamen Umfang von einem Personenkreis aufgesucht wird, der die mit einem Gaststättenbetrieb ohnehin verknüpften nachteiligen Folgen für die Anwohner in der Umgebung der Betriebsstätte nicht noch dadurch erhöht, dass er durch An- und Abfahrtverkehr Unruhe erzeugt, die von einem Wohngebiet ferngehalten werden soll. Dieses Merkmal ist nicht erfüllt, wenn die Gebietsversorgung erkennbar nicht der eigentliche Betriebszweck ist, sondern allenfalls als Nebenzweck eine Rolle spielt und somit die Gaststätte nicht durch einen funktionalen Bezug zu dem nach diesem Kriterium abgrenzbaren Gebiet geprägt ist. Ist eine Gaststätte gebietsübergreifend auf einen Besucherkreis ausgerichtet, der nahezu zwangsläufig An- und Abfahrtverkehr mit den damit verbundenen gebietsinadäquaten Begleiterscheinungen verursacht, ist sie in einem allgemeinen Wohngebiet gebietsunverträglich und damit unzulässig (BayVGH, B.v. 24.2.2020 – 15 ZB 19.1505 -, Rn. 14, juris). Maßgebliche Beurteilungskriterien für den funktionalen Bezug können u.a. Lage, Größe, Zweckbestimmung, Raumaufteilung und Ausstattung des Betriebs sein. Weitere Beurteilungskriterien sind Größe, Einwohnerzahl, Dichte und seine Eigenart in sozialer und demographischer Hinsicht des Gebiets (vgl. BeckOK BauNVO/Hornmann, 27. Ed. 15.10.2021, BauNVO § 4 Rn. 47).
Hiervon ausgehend betrifft die streitgegenständliche Baugenehmigung keinen gebietsversorgenden Schank- und Speisebetrieb. Die zur Genehmigung gestellte Freischankfläche steht in untrennbar funktionalem Zusammenhang mit der Bestandsgaststätte „H* …“ und liegt örtlich unmittelbar auf dem Betriebsgelände. Die Freischankfläche, für welche die Genehmigung beantragt wurde, soll nach dem Betriebskonzept des Beigeladenen nicht eigenständig betrieben werden, sondern ist vielmehr Teil eines einheitlichen baugenehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens.
Es mag zwar sein, dass der Betrieb noch nicht alleine wegen seiner insgesamt 142 Gastplätzen (Innen- und Außengastronomie, vgl. Bl. 31 d. Bauakte B 608/18) als nicht mehr gebietsversorgend in dem Wohngebiet angesehen werden kann. Der fehlende gebietsversorgende Charakter ergibt sich jedoch in der Gesamtschau mit den 142 Gastplätzen aus dem erkennbaren Betriebskonzept des Beigeladenen, der in erheblichem Umfang Personen außerhalb der näheren Umgebung erreichen will. Zum einen wirbt er (auch) überregional für seinen Gastronomiebetrieb und für musikalische Veranstaltungen im größeren Stil (Homepage und Facebook) und zielt erkennbar insbesondere anlässlich der zahlreichen Musikveranstaltungen auf eine überregionale Kundschaft – auch in Form von Wanderern oder Radfahrern – ab (vgl. Auszüge aus Homepage und Facebook, Bl. 198 ff. der Gerichtsakte). Zum anderen wird der Gaststättenbetrieb in erheblichem Umfang von Personenkreisen außerhalb des Gebiets besucht (z.B. Team vom Gasthaus „Zur frischen Quelle“ aus A2* … i. d. OPf., Musikanten aus B1* …, M* …, M1* …, G1* …, aus dem Fichtelgebirge und Nürnberger Land, Weinwallfahrer, Gäste aus dem Allgäu, „Steinwaldia“ Verein aus P* …; vgl. Auszüge aus Homepage und Facebook, Bl. 198 ff. der Gerichtsakte). Des Weiteren spricht auch die Lage des Vorhabens unweit der B 470 an der frequentierten Kreisstraße „A* … Straße“ in Zusammenschau mit der exponiert angebrachten, großen Fahne vor dem Gebäude dafür, dass die Gaststätte gebietsübergreifend auf einen Besucherkreis ausgerichtet ist. Zuletzt deuten auch die amtlichen Kennzeichen der entlang der A* … Straße parkenden Pkw (W1* … und B2* …; vgl. die vom Kläger eingereichten Lichtbilder, Bl. 90 ff. und Bl. 175 ff. d. Gerichtsakte) auf den gebietsübergreifenden Bezug der Gaststätte und die durch An- und Abfahrtsverkehr verbundenen gebietsinadäquaten Begleiterscheinungen hin.
In der Gesamtschau handelt es sich damit um ein allgemeinen Wohngebiet gebietsunverträgliches und damit unzulässiges Vorhaben.
Die zur Genehmigung gestellte Freischankfläche kann in Zusammenschau mit dem Bestandsbetrieb auch nicht ausnahmsweise als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden. Denn Schank- und Speisewirtschaften, die nicht der Versorgung des Gebiets dienen, werden von § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nicht erfasst, da diese speziellere Nutzungsart abschließend in § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO geregelt ist (vgl. EZBK/Stock, 142. EL Mai 2021, BauNVO § 4 Rn. 118 m.w.N.). Aber selbst wenn man dies nicht so sehen sollte, würde eine ausnahmsweise Zulassung bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise (vgl. BVerwG Urt. v. 21.3.2002 – 4 C 1.02 – juris) daran scheitern, dass eine Gaststätte mit Freischankflächen unzweifelhaft im Hinblick auf Lärm sowie An- und Abfahrtsverkehr abstrakt störend und nicht verträglich in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet ist (vgl. VG Regensburg, U.v. 13.5.2019 – RO 7 K 17.1158 – nicht veröffentlicht).
2. Abgesehen davon verletzt das genehmigte Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme, da nicht sichergestellt ist, dass von der genehmigten Freischankfläche unter Berücksichtigung des bestehenden Betriebs als Vorbelastung keine unzumutbaren Lärmbelästigungen ausgehen.
Das Gebot der Rücksichtnahme findet über § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO Einzug in die bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsprüfung.
Dem eingangs erwähnten Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 = juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 26; B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.1890 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 9).
Soweit – wie hier – u.a. ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S.v. § 3 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 15 CS 19.1906 -, Rn. 56, juris). Bei der Erteilung einer Baugenehmigung ist deshalb sicherzustellen, dass bei der Nutzung des genehmigten Vorhabens keine schädlichen Umwelteinwirkungen entstehen. Für die Beurteilung von betriebsbedingten Lärmimmissionen des zugelassenen Vorhabens sind die Vorgaben der TA Lärm maßgeblich. Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich zu beachtende Bindungswirkung zu (vgl. BVerwG, U. v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 18 m.w.N.; BayVGH, B. v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – juris Rn. 23).
In Nr. 6.1 TA Lärm werden nach Baugebietstypen differenzierte Immissionsrichtwerte festgelegt. Die Zuordnung des Immissionsortes richtet sich gem. Nr. 6.6 TA Lärm in erster Linie nach den Festsetzungen des Bebauungsplans. Soweit für ein Gebiet keine planerischen Festsetzungen existieren, ist es nach Nr. 6.1 TA Lärm entsprechend der Schutzbedürftigkeit zu beurteilen, d.h. es sind die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 TA Lärm heranzuziehen, die der Schutzwürdigkeit des Gebiets anhand der im Rahmen des § 34 BauGB heranzuziehenden Kriterien am ehesten entsprechen. Der bauplanungsrechtliche Charakter des Gebiets – und damit im Ergebnis dessen Schutzwürdigkeit – sind entsprechend der Maßgaben des § 34 Abs. 1 BauGB zu bestimmen.
a) Die Schutzwürdigkeit des Gebiets, in dem das klägerische Grundstück und das Vorhabengrundstück situiert sind, entspricht der eines allgemeinen Wohngebiets (s.o.), so dass als maßgebliche Immissionsrichtwerte die eines allgemeinen Wohngebiets nach Nr. 6.1 Abs. 1 lit. e TA Lärm von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts heranzuziehen sind.
Selbst wenn man davon ausginge, dass die in der näheren Umgebung befindlichen „Ausreißer“ (Fl. Nrn. 112 und 107) den Gebietstypus dahingehend prägen, dass eine Einstufung als faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO nicht (mehr) in Betracht kommt, so führt dies betreffend die Schutzwürdigkeit zu keinem anderen Ergebnis. Eine für ein Mischgebiet typische, annähernde Gleichrangigkeit von Wohnen und Gewerbe vermag das Gericht in jedem Fall nicht zu erkennen, so dass die Schutzwürdigkeit des Gebiets – unabhängig von der Frage, ob die Eigenart der näheren Umgebung nach der Art der baulichen Nutzung einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne der BauNVO entspricht – wegen der erheblichen und weit überwiegenden Wohnnutzung am ehesten einem allgemeinen Wohngebiet entspricht.
b) Eine ausnahmsweise Erhöhung der vorgenannten geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert nach Nr. 6.7 TA Lärm kommt nicht in Betracht.
Nach Nr. 6.7 Abs. 1 TA Lärm können bei Gemengelagen, bei welchen zum Wohnen dienende Gebiete an gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschentwicklung vergleichbar genutzte Gebiete angrenzen, die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert bis hin zu dem für Mischgebiete erhöht werden.
Eine Gemengelage i.S.d. Vorschrift ist nicht gegeben. Vorliegend grenzt das dem Wohnen dienende Gebiet, in dem das klägerische Grundstück situiert ist, nicht an ein gewerblich, industriell oder hinsichtlich der Geräuschentwicklung vergleichbar genutztes Gebiet an. Vielmehr handelt es sich um konfligierende Grundstücksnutzungen innerhalb desselben Gebiets (sog. Kleingemengelage, vgl. EZBK/Söfker, 142. EL Mai 2021, BauGB § 34 Rn. 52), für welche die Regelung der Nr. 6.7 Abs. 1 TA Lärm nicht anwendbar ist. Würde man eine Zwischenwertbildung auch bei Kleingemengelagen in Betracht ziehen, würde die Regelung in Nr. 6.1 TA Lärm, nach der innerhalb bestimmter Gebiete bestimmte Immissionsrichtwerte gelten, faktisch leerlaufen (vgl. VGH BW, B.v. 25.3.2014 – 3 S 183/14 -, Rn. 22, juris; a.A. VG Würzburg, U.v. 8.7.2021 – W 5 K 19.1379 -, juris).
c) Abweichende Immissionsrichtwerte ergeben sich auch nicht aus der Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO.
Den Vorgaben der TA Lärm kommt im gerichtlichen Verfahren eine zu beachtende Bindungswirkung zu, so dass diese grundsätzlich die Grenzen des dem Kläger Zumutbaren bestimmen (s.o.). Eine Handhabung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO dergestalt, dass im Falle des unmittelbaren Aufeinandertreffens von Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung für die Zumutbarkeitsschwelle ein geeigneter Zwischenwert entsprechend Nr. 6.7 TA Lärm zu bilden ist, verbietet sich daher aus den vorgenannten Gründen.
d) Nach den schalltechnischen Untersuchungen der IBAS Ingenieurgesellschaft mbH vom 21.9.2018 ist zwar nicht zu erwarten, dass die Beurteilungspegel von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts im regulären Betrieb überschritten werden (vgl. Bl. 45 d. Bauakte B 608/18). Im Bescheid vom 28.1.2019 wurde jedoch in Ziffer 8 beauflagt, dass die Beurteilungspegel des Gesamtbetriebs den Richtwert von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts am klägerischen Grundstück Fl. Nr. 112 nicht überschreiten dürfen. Folglich ist nicht sichergestellt, das vom streitgegenständliche Vorhaben unter Berücksichtigung der Vorbelastung des Gesamtbetriebs keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, da ausweislich der in Bezug genommenen und somit zum Gegenstand der streitgegenständlichen Genehmigung gewordenen Nebenbestimmungen die Anlage am klägerischen Anwesen Fl. Nr. 112 Beurteilungspegel bis zu 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts hervorrufen darf, mithin eine Überschreitung der zulässigen Richtwerte um 5 dB(A) tags und 5 dB(A) nachts vom Genehmigungsumfang gedeckt ist. Diese Überschreitung liegt auch nicht innerhalb der die Zumutbarkeitsgrenze modifizierenden sog. Irrelevanzschwelle von max. 1 dB(A) (vgl. Nr. 3.2.1 Abs. 3 TA Lärm).
Nach alledem war der Klage stattzugeben und der Bescheid vom 28.1.2019 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.8.2019 war aufzuheben.
B. Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat einen Sachantrag auf Klageabweisung gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt, das sich nach der hiesigen Entscheidung realisiert hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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