Baurecht

Nachbarklage gegen Schlossereibetrieb – Wirksamkeit des Bebauungsplans

Aktenzeichen  9 ZB 16.554

Datum:
12.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11387
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 8
BImSchG § 50 S. 1

 

Leitsatz

1. Gewerbegebiete dienen nach § 8 Abs. 1 BauNVO “vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben”. In Bezug auf den zulässigen Störgrad ist damit zum Ausdruck gebracht, dass Gewerbebetriebe bis hin zum “nicht erheblich belästigenden” zum Gebietscharakter gehören, ohne dass aber die Gewerbebetriebe überwiegend oder in der Mehrzahl die Grenze des “nicht erheblich belästigend” erreichen müssten. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Nachbarschaft eines festgesetzten Gewerbegebiets im Anschluss an ein Wohngebiet führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Baugebietsfestsetzung. Der Trennungsgrundsatz (§ 50 S. 1 BImSchG) stellt eine Abwägungsdirektive dar, aber kein zwingendes Gebot; er kann im Rahmen der planerischen Abwägung vielmehr doch andere Belange von hohem Gewicht überwunden werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 15.964 2016-01-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 zu tragen. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Nachbarklage gegen die der Beigeladenen zu 1 vom Landratsamt S… erteilte bauaufsichtliche Genehmigung vom 3. September 2015 für den „Abbruch eines Werkstattgebäudes“, „den Neubau einer Lager- und Montagehalle“ und die „Nutzungsänderung der ehemaligen Kfz-Werkstatt zum Schlossereibetrieb“ (Vorhaben) auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung S… (Baugrundstück). Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. Januar 2016 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, beurteilt sich im Wesentlichen anhand dessen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
Der Kläger macht geltend, die Genehmigung des Vorhabens verletze seinen Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart und verstoße zu seinen Lasten gegen das Gebot der Rücksichtnahme sowie gegen das Abstandsflächenrecht, weil der Bebauungsplan der Beigeladenen zu 2, der im hier maßgeblichen Bereich als Baugebiet ein Gewerbegebiet festsetzt, unwirksam sei und das gewerbliche Vorhaben des Beigeladenen zu 1 in dem anzunehmenden faktischen Mischgebiet nicht zulassungsfähig sei. Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
a) Das Vorbringen des Klägers zu der seiner Ansicht nach eingetretenen Funktionslosigkeit des Bebauungsplans setzt sich nicht substanziiert mit der Begründung des angefochtenen Urteils auseinander und ist auch in der Sache unzutreffend.
Das Verwaltungsgericht hat auf Grundlage seiner Feststellungen im Ortstermin vom 22. Oktober 2015 ausgeführt, dass die im Bereich des festgesetzten Gewerbegebiets vorhandenen Nutzungen, die es im Einzelnen aufführt, allesamt im Gewerbegebiet zulässig sind (vgl. UA S. 10) und mit Ausnahme der klägerischen Wohnung keine betriebsfremde Wohnnutzung im festgesetzten Gewerbegebiet vorhanden ist (vgl. UA S. 11). Auch wenn man berücksichtige, dass der Maler- und Verputzerbetrieb (FlNr. ……) nicht mehr bestehe und dort nur mehr gewohnt werde, ergebe sich kein anderes Ergebnis, vielmehr überwiege die gewerbliche Nutzung bei weitem (UA S. 11). Da die tatsächlich vorhandene Nutzung der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart „Gewerbegebiet“ entspreche, seien die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung nicht funktionslos geworden (UA S. 10). Gegen diese Bewertung ist nichts zu erinnern.
Auch der Kläger geht im Zulassungsvorbringen davon aus, dass im festgesetzten Gewerbegebiet lediglich auf zwei Grundstücken eine Wohnbebauung vorhanden sei. Er ist aber der Auffassung, die vorhandenen Nutzungen würden für eine Charakterisierung als Mischgebiet sprechen, weil die meisten vorhandenen gewerblichen Nutzungen das Wohnen nicht wesentlich stören würden, also auch für ein Mischgebiet charakteristisch seien und demnach eine Gleichgewichtigkeit von Wohnen und nicht störendem Gewerbe vorhanden sei. Dieses Vorbringen lässt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aufkommen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine im Bebauungsplan getroffene Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung wird nicht schon dann funktionslos wird, wenn die Planungskonzeption nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (stRspr., vgl. z.B. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 12.03 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Hiervon ausgehend stellt die – zugunsten des Klägers unterstellt berücksichtigungsfähige – Wohnnutzung auf nur zwei Grundstücken im maßgeblichen Gewerbegebiet die städtebauliche Gestaltungsfunktion der Gewerbegebietsfestsetzung nicht infrage. Die Annahme des Klägers, die vorhandenen gewerblichen Nutzungen könnten auch in einem Mischgebiet zugelassen werden, führt ebenso wenig auf die Funktionslosigkeit der Gewerbegebietsfestsetzung hin, weil insoweit schon keine planabweichende Entwicklung vorliegt. Gewerbegebiete dienen nach § 8 Abs. 1 BauNVO „vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben“. In Bezug auf den zulässigen Störgrad ist damit zum Ausdruck gebracht, dass Gewerbebetriebe bis hin zum „nicht erheblich belästigenden“ zum Gebietscharakter gehören, ohne dass aber die Gewerbebetriebe überwiegend oder in der Mehrzahl die Grenze des „nicht erheblich belästigend“ erreichen müssten. Der Zweck des Gewerbegebiets wird nicht nur von dem zulässigen Störgrad, sondern auch seinem Zweck, nämlich der Unterbringung von bestimmten Arten von Nutzungen mitbestimmt, wie sie insbesondere ihren Ausdruck findet im Katalog der im Gewerbegebiet allgemein zulässigen Arten von Nutzungen nach § 8 Abs. 2 BauNVO (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2018, § 8 BauNVO Rn. 8 m.w.N.). Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus, wenn es ausführt, die vorhandenen gewerblichen Nutzungen seien allesamt nach § 8 Abs. 2 BauNVO im Gewerbegebiet allgemein zulässig (UA S. 10).
Die klägerseits eingewandte Betriebsaufgabe der Druckerei weicht, solange keine anderweitige gewerbegebietsunverträgliche Nutzung zugelassen wird, nicht von der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets ab. Auch soweit der Kläger auf das dem festgesetzten Gewerbegebiet angrenzende Mischgebiet bzw. den dem Gewerbegebiet angrenzenden Bereich Bezug nimmt, der zumeist nur eine reine Wohnbebauung aufweisen würde, wird keine Abweichung von der Festsetzung des Gewerbegebiets geltend gemacht.
b) Das Zulassungsvorbringen, der Bebauungsplan sei wegen Verstoßes gegen den Trennungsgrundsatz unwirksam, weil das Planungsgebiet „nach Kenntnis des Klägers“ im Norden und Nordwesten an ein Wohngebiet grenze, das auch als solches ausgewiesen sei, genügt nicht den Darlegungsanforderungen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), weil sich die Darlegungen des Klägers nicht substanziiert mit den gegenteiligen Feststellungen des Verwaltungsgerichts und der Begründung des angefochtenen Urteils auseinandersetzen.
In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils wird dieser bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Einwand zu Recht als nicht nachvollziehbar bewertet. In nördlicher Richtung des gegenständlichen Gewerbegebiets liegt nach den tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ein festgesetztes Mischgebiet (anschließend ein MD, daran anschließend ein WA), im Westen des maßgeblichen Gewerbegebiets grenzt ebenfalls ein Gewerbegebiet an, das im Geltungsbereich des Bebauungsplans „A…“ liegt. Dass diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend sein sollen, wird mit dem Vorbringen, „nach Kenntnis des Klägers“ grenze ein ausgewiesenes Wohngebiet an, nicht hinreichend dargelegt. Die in Luftbildern vonseiten des Klägers markierten Wohnhäuser im Bereich des festgesetzten Mischgebiets widersprechen dieser Festsetzung nicht (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO).
Von Vorstehendem abgesehen wird auch nicht dargelegt, weshalb der Bebauungsplan unwirksam sein sollte, falls das Gewerbegebiet tatsächlich neben einem Wohngebiet geplant worden wäre. Anders als der Kläger offenbar meint, führt die Nachbarschaft eines festgesetzten Gewerbegebiets im Anschluss an ein Wohngebiet nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Baugebietsfestsetzung. Der für die Rechtsauffassung des Klägers angeführte Trennungsgrundsatz (§ 50 Satz 1 BImSchG) stellt eine Abwägungsdirektive dar, aber kein zwingendes Gebot; er kann im Rahmen der planerischen Abwägung vielmehr durch andere Belange von hohem Gewicht überwunden werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 CN 3.11 – BVerwGE 143, 24 = juris Rn. 28 f. m.w.N.). Da der Trennungsgrundsatz im Rahmen der bauplanerischen Abwägung zu beachten ist, kommt es überdies maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan an (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB bzw. § 155b Abs. 2 Satz 1 BauGB 1979). Schließlich werden beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs bzw. Mängel der Abwägung in der Regel unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb bestimmter Fristen seit Bekanntmachung des Bebauungsplans geltend gemacht worden sind (vgl. § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB bzw. § 244 Abs. 2 BauGB 1986). Auch hierzu fehlt es an Darlegungen im Zulassungsvorbringen.
c) Da der Bebauungsplan nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen und Bewertungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Festsetzung des maßgeblichen Gewerbegebiets nicht funktionslos geworden oder unwirksam ist, kann sich der Kläger mit Erfolg weder auf den geltend gemachten Gebietserhaltungsanspruch noch auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots „durch fehlerhafte Einordnung als Gewerbegebiet“ oder eine Verletzung des Abstandsflächenrechts (vgl. Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO) berufen.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Der Kläger hat hierzu nichts über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Ausgeführte hinaus vorgetragen. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten haben sich nicht ergeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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