Baurecht

Nachbarklage gegen Unterkunft für Asylbewerber

Aktenzeichen  RN 6 K 15.1188

Datum:
27.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB §§ 34, 35 BauGB
BauNVO § 5 BauNVO

 

Leitsatz

1 Eine Nutzungsänderung, die mit der Erhöhung der Bewohnerzahl verbunden ist, stellt die Qualität eines faktischen Dorfgebiets nicht in Frage, da die bloße Anzahl der künftigen Bewohner keine geeignete Grundlage darstellt, die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens in Zweifel zu ziehen (ebenso VGH München BeckRS 2016, 40025). (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Zulässigkeit eines Vorhabens ist es im Rahmen des Baurechts unerheblich, ob in dem Vorhaben Hotelgäste oder Asylbewerber untergebracht werden, da das Bauplanungsrecht keinen „Milieuschutz“ gewährleistet.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei Lärm wie lautes Schreien, Singen und Musik, der von einem Asylheim ausgeht, liegen Immissionen durch Anlagen für soziale Zwecke vor.   (redaktioneller Leitsatz)
4 Regelungen über die Geeignetheit der hygienischen Verhältnisse und baulichen Gegebenheiten eines Pensionsbetriebs für die Nutzung als Asylunterkunft sind drittschützend.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Baugenehmigung des Landratsamts … vom 3.7.2015 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wer als Nachbar eine Baugenehmigung anficht, kann damit nur Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung gegen die zu prüfenden nachbarschützenden Vorschriften verstößt. Nachbar ist dabei nur derjenige, der ein eigenes dingliches Recht an einem Grundstück hat, das von dem Vorhaben tatsächlich und rechtlich betroffen sein kann, also insbesondere der Eigentümer des angrenzenden Grundstücks. Für den Anspruch eines Nachbarn ist es dagegen nicht maßgeblich, ob die Baugenehmigung in vollem Umfang und in allen Teilen rechtmäßig ist, insbesondere ob die Vorschriften über das Verfahren eingehalten wurden.
Gemessen an diesen Grundsätzen scheidet eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften im Fall der Klägerin aus.
1. Der Anspruch der Klägerin auf Gebietserhaltung ist nicht verletzt.
1.1 Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung im unbeplanten Innenbereich einem Baugebiet i. S. d. § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 1 Abs. 2, §§ 2 ff. BauNVO, so hat der mit seinem Grundstück im selben Baugebiet gelegene Nachbar einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht (BVerwG, B. v. 11.4.1996 – 4 B 51/96 – juris, Rn. 10; BVerwG, B. v. 22.12.2012 – 4 B 32/11 – juris, Rn. 5). Für diesen Fall ordnet § 34 Abs. 2 BauGB an, dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach beurteilt, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre (BVerwG, U. v. 16.9.2010 – 4 C 7/10 – juris, Rn. 15).
Das Gericht geht vorliegend jedoch nicht davon aus, dass sich das Vorhaben im unbeplanten Innenbereich befindet. Hierfür wäre Voraussetzung, dass ein im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB im Zusammenhang bebauter Ortsteil vorläge. Das ist nach ständiger Rechtsprechung der Fall, wenn ein Bebauungskomplex besteht, der Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist, eine tatsächlich aufeinander folgende, zusammenhängende Bebauung besteht und das betroffene Grundstück dieser Bebauung zuzurechnen ist. Maßgebend für diese Beurteilung ist die Verkehrsauffassung (BVerwGE 31, 20).
Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass zwar der Weiler 1… mit insgesamt elf Anwesen und einer gewachsenen dörflichen Struktur wohl das für einen Bebauungszusammenhang erforderliche Gewicht besitzt, das hiervon abgesetzte und durch eine Straße getrennte Vorhabengrundstück jedoch nach der Verkehrsauffassung nicht mehr diesem Bebauungszusammenhang zuzurechnen ist, sondern sich baurechtlich im Außenbereich befindet. Wie sich aus den Luftbildern ergibt, befindet sich die gesamte dörflich geprägte Bebauung des Weilers 1… nordöstlich der den Weiler erschließenden halbkreisförmig verlaufenden Straße. Dagegen ragt das Vorhabengrundstück – durch diese Erschließungsstraße bzw. einen in Richtung Südosten verlaufenden Weg getrennt – keilförmig nach Süden. Dem entspricht auch der im Rahmen der am 9.6.2016 durch den Berichterstatter durchgeführten Ortseinsicht gewonnene Eindruck, dass der Erschließungsstraße eine trennende Wirkung zukommt. Damit scheidet eine Beeinträchtigung des Gebietserhaltungsanspruchs der Klägerin schon deshalb aus, weil das Grundstück des Beigeladenen nicht mehr dem faktischen Dorfgebiet zuzurechnen ist.
1.2 Selbst wenn man dies anders beurteilen würde, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Denn auch unter der Prämisse, dass das Vorhabengrundstück dem unbeplanten Innenbereich zuzurechnen wäre, wäre der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin nicht verletzt. Denn in diesem Fall befände sich das Grundstück des Beigeladenen im faktischen Dorfgebiet. Insoweit ist zwischen den Beteiligten nicht ernstlich streitig, dass der Weiler 1… in Anbetracht der vorhandenen Nutzungen einem Dorfgebiet im Sinn von §§ 1 Abs.1 Nr. 5, 5 BauNVO entspricht. Dies entspricht auch der Überzeugung des Gerichts.
Eine Unterkunft für Asylbewerber dient in einem weiten Sinn der sozialen Fürsorge und der öffentlichen Wohlfahrt, sie ist regelmäßig als Anlage für soziale Zwecke anzusehen (BayVGH, U. v. 13.9.2012 – 2 B 12.109 – juris, Rn. 25 m. w. N.) und damit in einem (faktischen) Dorfgebiet nach der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO allgemein zu zulässig.
Ein anderes Ergebnis ließe sich vorliegend auch nicht aufgrund des Umfangs der genehmigten Nutzung begründen. Zwar bestimmt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, dass die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig sind, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Diese dem Nachbarschutz dienende Regelung findet auch im unbeplanten Innenbereich Anwendung und vermittelt – neben der Wahrung des Rücksichtnahmegebots – einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets (BayVGH, B. v. 9.12.2015 – 15 CS 15.1935 – juris, Rn. 20). Das Vorhaben des Beigeladenen widerspricht jedoch weder nach Anzahl noch nach Lage oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets. Auch hinsichtlich des Umfangs liegt kein Widerspruch zur Eigenart eines Dorfgebiets vor. Insoweit kann zwar im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen (BayVGH, B. v. 9.12.2015, a. a. O.), vorliegend bestehen hierfür jedoch keine zureichenden Anhaltspunkte. Das ergibt sich hinsichtlich des Umfangs der baulichen Anlage bereits daraus, dass diese baulich nicht erweitert wird, sondern nur in ihrer Nutzung eine Änderung erfährt. Zwar ist diese Nutzungsänderung mit einer Erhöhung der Zahl der Bewohner verbunden, auch diese Erhöhung führt aber nach der Überzeugung des Gerichts (noch) nicht dazu, dass hierdurch die Qualität eines faktischen Dorfgebiets in Frage gestellt würde. So entspricht es der in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vorherrschenden Auffassung, dass allein die Anzahl der künftigen Bewohner keine geeignete Grundlage darstellt, die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens in Zweifel zu ziehen (BayVGH, B. v. 9.12.2009, a. a. O.). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der frühere Hotelbetrieb in dem von der Nutzungsänderung betroffenen Teil des Gebäudes mit 80 Gästebetten genehmigt war, so dass eine Erhöhung auf 120 untergebrachte Personen nicht vollkommen aus dem Rahmen fällt.
Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang im Rahmen des Baurechts, ob es sich bei den untergebrachten Bewohnern um Hotelgäste oder Asylbewerber handelt. Denn insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass das allgemeine Bauplanungsrecht keinen „Milieuschutz“ gewährleisten kann und soll und Wohnimmissionen, die von einer Asylbewerberunterkunft ausgehen, in der Regel auch in solchen Wohngebieten hinzunehmen sind, die durch eine andere homogene Wohnbevölkerung geprägt sind (BayVGH, B. v. 9.12.2009, a. a. O.).
2. Das Vorhaben verletzt auch nicht das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
2.1 Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme konkret begründet, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, B. v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris). Bei der Interessenabwägung spielt es eine maßgebende Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig ist und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist oder ob es sich umgekehrt um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann (BayVGH, U. v. 13.9.2012, a. a. O., Rn. 36).
2.2 Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zulasten der Klägerin nicht vor.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das von der Klägerin bewohnte Anwesen 1…3 (Grundstück Fl.Nr. …89 der Gemarkung …) nicht unmittelbar an das Grundstück des Beigeladenen angrenzt, sondern von diesem durch das Grundstück Fl.Nr. …92 (Anwesen 1…2) getrennt ist, welches in Form eines Vierseithofes bebaut ist. Dass dieses Anwesen der Klägerin selbst Lärm- oder anderen Immissionen ausgesetzt sein könnte, ist weder ausdrücklich vorgetragen noch naheliegend. Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass lautes Schreien, Singen und Musik bis weit nach Mitternacht erfolge bzw. zu befürchten sei, ist festzustellen, dass die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm) nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut in Nr. 1 h nicht für Anlage für soziale Zwecke gilt und ihre Bewertungsmaßstäbe nur herangezogen werden können, wenn es um durch technische Anlagen hervorgerufene Geräusche geht (Jarass, BImSchG, § 48, Rn. 20). Soweit es aufgrund von verhaltensbedingtem Lärm zu Konfliktsituationen kommen sollte, sind diese mit Mitteln des Sicherheitsrechts zu lösen, indem Verhaltensstörer zur Verantwortung gezogen werden (BayVGH, U. v. 13.9.2012, a. a. O., Rn. 38).
Bei dem weiteren im Eigentum der Klägerin befindlichen Grundstück Fl.Nr. …14 der Gemarkung … handelt es sich um ein L-förmiges landwirtschaftlich genutztes Grundstück im Außenbereich. Die Klägerin ist mit diesem Grundstück Punktnachbarin des Grundstücks des Beigeladenen, als ihr Grundstück an seiner Nordostecke die Südspitze des Beigeladenengrundstücks berührt. Eine Beeinträchtigung der zulässigen landwirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks der Klägerin ist insoweit nicht denkbar.
3. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass die hygienischen Verhältnisse und baulichen Gegebenheiten für die geplante Nutzung nicht geeignet seien oder dass die geplante Nutzung von Kellerräumen im Sinne eines zeitgemäßen Wohnens nicht zulässig sei, betreffen diese Fragestellungen keine Vorschriften, die dem Nachbarschutz dienen, so dass eine nähere Prüfung nicht veranlasst war. Gleiches gilt für das im Hinblick auf das im Kellergeschoss befindliche Hotelbad bemängelte Brandschutzkonzept. Daher kann auch dahingestellt bleiben, ob die erforderlichen Brandschutzmaßnahmen – wie die Beklagtenseite vorträgt – bereits erledigt sind. Zwar sind die Vorschriften über den Brandschutz grundsätzlich nachbarschützend, weil durch sie die Ausbreitung von Feuer auf Nachbargebäude verhindert werden soll (vgl. Simon /Busse /Dirnberger, BayBO, Art. 66, Rn. 274). Vorliegend grenzt das Grundstück der Klägerin jedoch lediglich als Punktnachbarin mit einem unbebauten Grundstück an das Grundstück des Beigeladenen an, so dass schon insoweit eine Betroffenheit der Klägerin ausscheidet.
II.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entsprach nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils im Kostenpunkt findet seine Grundlage in § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen