Aktenzeichen M 11 K 16.5153
Leitsatz
Die für den Außenbereich maßgeblichen Regelungen zur Zulässigkeit von Vorhaben zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden in § 246 Abs. 9 und 13 BauGB dienen ausschließlich öffentlichen Interessen und vermitteln keinen über die Regelungen des § 35 BauGB hinausgehenden Nachbarschutz. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Kläger werden durch die angefochtene Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nachbarn können eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Hinzukommen muss, dass die Baugenehmigung gerade deshalb rechtswidrig ist, weil Rechte, die dem individuellen Schutz Dritter, d.h. gerade dem Schutz des Klage führenden Nachbarn dienen, verletzt sind.
Hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers wegen einer institutionellen Befangenheit des Landratsamtes und einem nicht ordnungsgemäße Verfahren im Hinblick auf das Fairnessgebot ist bereits nicht erkennbar, welche Rechtsvorschrift insoweit verletzt sein soll. Die insoweit maßgeblichen Art. 20, 21 BayVwVfG enthalten nur ein auf das Handeln bestimmter natürlicher Personen oder Amtsträger abzielendes individuelles Mitwirkungs- und Betätigungsverbot. Eine institutionelle Befangenheit einer Behörde kennt die Rechtsordnung nicht. Dass eine Behörde im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit auch in eigenen Angelegenheiten entscheidet, ist demnach nicht zu beanstanden. Die Zuständigkeitsordnung darf zwar nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Gebot des fairen Verfahrens verstoßen. Betroffene sind aber durch die Möglichkeit der Nachprüfung der nach außen wirksamen Behördenentscheidungen in aller Regel hinreichend dagegen geschützt, ob Behörde und öffentliche Rechtsträger ihren „Eigeninteressen“ rechtswidrig den Vorzug gegeben haben oder eine rechtserhebliche Interessenkollision bestanden hat (vgl. zu einer Planfeststellung BVerwG, U.v. 16.6.2016 – 9 A 4/15 – juris Rn. 29; allgemein Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 20 Rn. 8). Das gilt in besonderer Weise für eine gerichtlich vollständig nachprüfbare gebundene Entscheidung wie eine Baugenehmigung.
Die angefochtene Baugenehmigung verstößt nicht gegen nachbarschützende Rechtsvorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Nach Maßgabe der Klagebegründung streitig ist allein die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens, das sich bei der Erteilung der Baugenehmigung im Außenbereich befand, richtet sich nach § 35 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 246 Abs. 13 BauGB.
Die Rügen zum Inhalt der Baugenehmigung greifen nicht durch.
Genehmigt wurde nach Maßgabe der im Bescheid ausdrücklich in Bezug genommenen Bauvorlagen sowie der Gründe eine zeitlich befristete Containeranlage für 96 Asylbewerber. Eine Genehmigung für sonstige Personen wurde nicht erteilt, die erteilte Genehmigung ist insoweit auch ausreichend bestimmt. Der Inhalt einer Baugenehmigung ist durch Auslegung nach den auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen entsprechend anzuwendenden Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Maßgebend ist der erklärte Wille der Behörde, wie er bei objektiver Würdigung vom Standpunkt des Adressaten (bzw. der betroffenen Nachbarn) zu verstehen ist. Bei der Ermittlung des objektiven Erklärungswerts der Baugenehmigung sind in erster Linie die Bezeichnung und die Regelungen im Baugenehmigungsbescheid einschließlich der in Bezug genommenen Bauvorlagen und weiteren Unterlagen, aber auch sonstige den Beteiligten bekannte oder erkennbare Umstände heranzuziehen (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2016 – 8 ZB 15.50 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die für den Außenbereich maßgeblichen Regelungen zur Zulässigkeit von Vorhaben zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden in § 246 Abs. 9 und 13 BauGB ausschließlich öffentlichen Interessen dienen und keinen über die Regelungen des § 35 BauGB hinausgehenden Nachbarschutz vermitteln. Eine vom Klägervertreter im Zusammenhang mit dem Inhalt der Baugenehmigung in Bezug genommene Entscheidung der 8. Kammer des Verwaltungsgerichts München (U.v. 19.12.2016 – M 8 K 15.5442) ist mit der vorliegenden Fallkonstellation erkennbar nicht vergleichbar.
Die Kläger werden durch die Baugenehmigung nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Der – über das Rücksichtnahmegebot hinausgehende – Gebietserhaltungsanspruch knüpft an die Gebietsverträglichkeit von Vorhaben an und beruht auf der rechtlichen Schicksalsgemeinschaft und dem sich daraus ergebenden wechselseitigen Austauschverhältnis der in einem festgesetzten oder faktischen Baugebiet befindlichen Grundstücke. Er ist im Ergebnis darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in diesem Gebiet zulässig sind und setzt voraus, dass die Grundstücke im selben Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung liegen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris Rn. 13 und 23).
Da sich das streitige Vorhaben im Zeitpunkt der Genehmigung im Außenbereich befand, eine Prüfung der Gebietsverträglichkeit daher bereits denklogisch nicht erfolgen konnte, fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für eine Verletzung von Regelungen zur gebietsverträglichen Nutzungsart.
Ob und in welchen Konstellationen eine Vorwirkung des Gebietserhaltungsanspruchs auf Außenbereichsvorhaben im Ortsrandbereich aufgrund ihrer möglichen Prägung auf und durch den angrenzenden Bebauungszusammenhang nach ihrer Verwirklichung in Betracht zu ziehen ist, kann dahinstehen. Auch wenn man hiervon zugunsten der Kläger ausgehen würde, ergäbe sich nichts anderes. Das Vorhaben befindet sich auch nach der Errichtung im Außenbereich, da es keinem Bebauungszusammenhang angehört. Nördlich, westlich und südlich der Anlage befindet sich keinerlei Bebauung. Des Weiteren ist das zeitlich befristet genehmigte Vorhaben schon nach seiner Containerbauweise nicht geeignet, den Eindruck einer dauerhaften Prägung der näheren Umgebung zu vermitteln und Teil des Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 BauGB zu werden. Im Übrigen hebt sich das Vorhaben aufgrund seiner abgesetzten Lage und nach dem äußeren Erscheinungsbild, insbesondere seiner Containerbauweise, deutlich von der Wohnbebauung östlich der … Straße ab. Selbst wenn man es in den Bebauungszusammenhang einbeziehen würde, könnte man es nicht als Teil eines faktischen Baugebiets östlich der … Straße ansehen.
Das Vorhaben verletzt auch nicht das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot und lässt keine schädlichen Umwelteinwirkungen erwarten.
Maßgeblich sind ausschließlich solche Störungen und Belästigungen, die nach Maßgabe der erteilten Baugenehmigung vorhabensbezogen zu erwarten sind. Mögliche verhaltensbezogene Konflikte mit den Bewohnern der Unterkunft sind nicht Gegenstand der baurechtlichen Prüfung – das Bauplanungsrecht gewährleistet keinen allgemeinen „Milieuschutz“ vor abweichenden Lebensgewohnheiten von Asylbewerbern (BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13/94 – juris Rn. 72). Das Vorhaben lässt dementsprechend keine unzumutbaren Störungen oder Belästigungen erwarten. Gegen etwaige Störungen dieser Art kann im öffentlich-rechtlichen Bereich nur auf sicherheitsrechtlicher Grundlage eingeschritten werden.
Die von den Klägern geltend gemachte unzureichende Wege- und Abwassererschließung verletzt keine Nachbarrechte. Die nach § 35 BauGB für Außenbereichsvorhaben gesicherte Erschließung dient ausschließlich öffentlichen Interessen und hat – abgesehen vom Rücksichtnahmegebot – keine nachbarschützende Wirkung. Für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch eine nicht ausreichende Erschließung ist nichts ersichtlich. Das Vorhaben ist wegemäßig ausreichend erschlossen. Die Erschließung erfolgt über die angrenzende … Straße, die ohne weiteres in der Lage ist, den allenfalls geringen zusätzlichen Verkehr mit Kraftfahrzeugen aufzunehmen. Die Herstellung eines Anschlusses an einen benutzbaren Abwasserkanal und die Abnahme durch den Eigentümer des Kanals wurde in dem angefochtenen Bescheid als Bedingung für den Gebäudebezug aufgenommen. Anhaltspunkte für eine unzureichende Abwasserentsorgung der bereits im Jahr 2016 bezogenen Unterkunft bestehen nicht.
Schließlich ist es unerheblich, ob das Grundstück der Kläger infolge der zugelassenen Nutzung des Nachbargrundstücks eine Wertminderung erfahren hat. Die im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebotes gebotene Interessenabwägung hat sich am Kriterium der Unzumutbarkeit auszurichten. Zu fragen ist, ob die zugelassene Nutzung zu einer – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen – unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des anderen Grundstücks führt. Da sich jede – auch eine legale – Nachbarbebauung auf den Wert der umliegenden Grundstücke auswirken kann, kommt einer Wertminderung allenfalls eine Indizwirkung für die Interessenabwägung zu. Ein Abwehranspruch kann jedoch nur gegeben sein, wenn die Wertminderung die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ist. Das ist hier nicht der Fall. Da insoweit mit dem drittschützenden Rücksichtnahmegebot auch eine den Inhalt des Eigentums bestimmende gesetzliche Regelung vorhanden ist, besteht ein Abwehranspruch unmittelbar aus Art. 14 GG ebenfalls nicht (BVerwG, U.v. 23.8.1996 a.a.O. – juris Rn.73).
Die von den Klägern beanstandete Standortentscheidung ist für die bauplanungsrechtliche Beurteilung nicht erheblich, die in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Regelung des § 246 Abs. 14 BauGB findet wegen der Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 246 Abs. 13 BauGB keine Anwendung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.