Baurecht

Nachbarschutz bei Hochwassergefahren

Aktenzeichen  AN 17 K 19.00943, AN 17 K 20.00022

Datum:
12.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16136
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 3 Nr. 6
WHG § 76 Abs. 1 S. 1, § 77, § 78 Abs. 5 Nr. 1a
BayBO Art. 59 S. 1 Nr. 1a, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 71

 

Leitsatz

1. Ist eine Baugenehmigung noch nicht bestandskräftig, so ist die vom Vorbescheid ausgehende Bindungswirkung für die Baugenehmigung noch von Relevanz, da sich ein Anspruch auf die Baugenehmigung ansonsten aus dem Vorbescheid ergibt, so dass sich das Verfahren gegen den Vorbescheid mit der Erteilung der Baugenehmigung auch nicht erledigt hat. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn ein eigenständiges wasserrechtliches Verfahren nicht durchzuführen ist, ist der Hochwasserbelang nur im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme zu berücksichtigen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Verfahren einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Anfechtungsklagen des Klägers gegen die Bescheide vom 4. April 2019 und 25. November 2019 sind zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen.
1. Die vorliegende Nachbarklage gegen den Vorbescheid ist unbeschadet des zwischenzeitlich ergangenen Baugenehmigungsbescheids und ungeachtet seiner beschränkten Feststellungswirkung zulässig. Für die Anfechtung der Baugenehmigung ist die Zulässigkeit ohnehin und erst recht gegeben.
Ein Vorbescheid stellt einen feststellenden Verwaltungsakt mit befristeter Dauerwirkung dar, der Bindungswirkung für ein nachfolgendes Baugenehmigungsverfahren hat, soweit seine Feststellungswirkung reicht (Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand Dez. 2019, Art. 71 Rn. 10 und 20). Hiergegen ist, wie gegen die Baugenehmigung selbst, die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft.
Der Kläger ist als Eigentümer des dem Vorhabengrundstück schräg gegenüberliegenden Grundstücks nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Er beruft sich auf eine Verletzung einer nachbarschützenden Position aus § 35 Abs. 3 Nr. 6 BauGB, dessen Verletzung in Betracht kommt und der Nachbarschutz, jedenfalls über das Gebot der Rücksichtnahme, vermitteln kann. Eine Rechtsverletzung kommt für den Kläger durch die geltend gemachte verschärfte Hochwassersituation und die negativen Kanalauswirkungen aufgrund der Nähe der Grundstücke zueinander in Betracht und scheidet nicht von vorne herein ersichtlich aus. Im Hinblick auf die geltend gemachten Belange ist der Kläger auch ohne unmittelbares Aneinander-Angrenzen der Grundstücke als Nachbar im baurechtlichen Sinne anzusehen.
Die vom Kläger gerügten Verstöße wurden im Vorbescheidsverfahren von der Bauaufsichtsbehörde geprüft und berücksichtigt, so dass der Kläger sich zulässig gegen den Vorbescheid wenden kann und zur Verhinderung von Nachteilen auch muss. Der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde schließt eine Betroffenheit des Klägers hier nicht aus. Eine Nachbarbeteiligung ist im Vorbescheidsverfahren nicht zwingend erforderlich und der Prüfungsumfang der Baugenehmigungsbehörde und daraus folgend die Feststellungswirkung des Vorbescheids erstrecken sich, wenn keine Nachbarbeteiligung erfolgt, nicht auf dessen Rechte. In diesem Fall stünde dem Nachbarn eine Klagebefugnis gegen den Vorbescheid nicht zu. Hier hat der Beigeladene ein Absehen von der Nachbarbeteiligung nach Art. 71 Satz 4 Halbs. 2 BayBO tatsächlich auch beantragt. Die Bauaufsichtsbehörde hat hinsichtlich der Nachbarbeteiligung jedoch ein Ermessen (Simon/Busse, Art. 71 Rn. 56) und ist an den Nichtbeteiligungsantrag des Bauherrn nicht gebunden. Hier ist das Landratsamt … dem Antrag des Bauherrn nicht nachgekommen und hat die vom Nachbarn vorgetragenen wasserwirtschaftlichen Belange bereits im Vorbescheidsverfahren geprüft und den Vorbescheid dem Kläger auch zugestellt und ihn damit beteiligt. Dem Vorscheid kommt damit Feststellungswirkung zur Vereinbarkeit mit § 35 Abs. 3 Nr. 6 BauGB zugunsten des Beigeladenen und zu Lasten des Klägers zu. Die Anfechtung durch den Kläger war damit geboten und zulässig. In sachlicher Hinsicht war im Vorbescheidsverfahren die Frage der Bebaubarkeit des Grundstücks im geplanten Baufeld gestellt und damit auch die Frage der Vereinbarkeit des Vorhabens mit § 35 Abs. 3 Nr. 6 BauGB aufgeworfen. Auch insoweit kommt dem Vorbescheid Feststellungswirkung zu Lasten des Klägers zu und ermöglicht diesem die Klage dagegen.
Das Verfahren gegen den Vorbescheid hat sich mit der Erteilung der Baugenehmigung auch nicht erledigt. Für das Verfahren AN 17 K 19.00943 besteht neben dem AN 17 K 20.00022 weiterhin ein Rechtschutzbedürfnis. Dieses wäre nur dann nicht mehr gegeben, wenn eine nachfolgende Baugenehmigung bereits Bestandskraft erlangt hat, weil dann vom Vorbescheid faktisch keine eigenständige Wirkung mehr ausginge. Ist die Baugenehmigung wie hier noch nicht bestandskräftig, ist die vom Vorbescheid ausgehende Bindungswirkung für die Baugenehmigung noch von Relevanz, da sich ein Anspruch auf die Baugenehmigung ansonsten aus dem Vorbescheid ergibt. Die Klage gegen den Vorbescheid ist unbeschadet der Baugenehmigung weiter zulässig.
2. Die Klagen sind jedoch unbegründet, da der Vorbescheid vom 4. April 2019 und die Baugenehmigung vom 25. November 2020 den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die klagegegenständlichen Bescheide sind im Hinblick auf nachbarschützende Vorgaben vielmehr rechtmäßig, insbesondere ergingen sie ohne Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Nr. 6 BauGB, der vorliegend sowohl im Rahmen des Vorbescheids nach Art. 71 BayBO als auch im Rahmen der Baugenehmigung zu berücksichtigen ist, Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO.
Nach § 35 Abs. 2 BauGB können nicht privilegierte Vorhaben im Außenbereich im Einzelfall nur zugelassen werden, wenn ihre Ausführung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Ein privilegiertes Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB scheidet für ein Einfamilienhaus aus. Die Außenbereichslage des Vorhabens ist angesichts der deutlichen Bebauungsunterbrechung, in der das Vorhaben entstehen soll, bzw. angesichts der Grünfläche zwischen zwei Ortsteilen entlang des …bachs und des Weihers im Nord-Osten des Vorhabens nicht ernsthaft fraglich. Hieran ändert wohl auch das bereits realisierte Vorhaben auf dem Grundstück FlNr. 3…9/1 (Anwesen …) im Nordwesten des Vorhabens nichts, da dieses seinerseits im Außenbereich liegt.
Auf eine wegen der Außenbereichslage rechtswidrige Genehmigung im Außenbereich kann sich der Kläger aber nicht berufen (BayVGH, B.v. 29.11.2010 – 9 CS 10.2197 – juris). Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nämlich nicht schon dann Erfolg, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, sondern erst, wenn der Kläger dadurch zugleich in eigenen Rechten verletzt ist. Die Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung muss sich gerade aus einer Norm ergeben, die dem Schutz der Nachbarn dient (Schutznormtheorie, vgl. auch BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Das grundsätzliche Gebot der Freihaltung des Außenbereichs von Bebauung stellt keine Verpflichtung zum Schutz eines bestimmten Personenkreises dar, sondern liegt im allgemeinen öffentlichen Interesse. Im Fall einer Nachbarklage führt dieser Verstoß somit nicht zum Erfolg.
Als nachbarschützenden Belang hat die Rechtsprechung jedoch grundsätzlich den Belang des Hochwasserschutzes anerkannt (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2001 – 1 ZS 00.3650, B.v. 6.2.2019 – 15 CS 18.2459 – beide juris) und prüft diesen bei Außenbereichsgrundstücken im Rahmen des § 35 Abs. 3 Nr. 3 bzw. Nr. 6 BauGB bzw. Nach dem in dieser Vorschrift verankerten Gebot der Rücksichtnahme (BayVGH a.a.O.). Über das Gebot der Rücksichtnahme wären nach der Rechtsprechung Hochwasserbelange auch im Fall eines Innenbereichsvorhabens zu berücksichtigen. In diesem Fall findet die nachbarliche Rücksichtnahme im Einfügensgebot nach § 34 Abs. 1 BauGB seinen Niederschlag, so dass sich auch kein anderes Ergebnis ergäbe, wenn man keine Außenbereichslage des Vorhabens annähme.
Der Drittschutz des Hochwasserschutzes ergibt sich für festgesetzte Überschwemmungsgebiete auch aus § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WHG, wonach bei einer Ausnahmegenehmigung für eine Bebauung im Hochwassergebiet die Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu berücksichtigen sind (BayVGH, B.v. 6.2.2019 – 15 CS 18.2459 – juris, die Frage des Drittschutzes von § 78 WHG noch offengelassen, VG Ansbach B.v. 12.8.2015 – AN 9 S 15.01274 – juris Rn. 33 m.w.N.). Für vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiete folgt dies aus § 78 Abs. 8 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WHG. Da nach § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WHG bzw. nach § 78 Abs. 8 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WHG für die Errichtung von baulichen Anlagen in Überschwemmungsgebieten oder vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebieten neben der Baugenehmigung aber eine wasserrechtliche Genehmigung erforderlich ist, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Frage aufgeworfen, ob der Hochwasserschutz im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens überhaupt als Bestandteil des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zu prüfen ist oder eine Prüfung von Hochwasserbelangen ausschließlich im parallel erforderlichen wasserrechtlichen Verfahren zu erfolgen hat (BayVGH, B.v. 6.2.2019 – 15 CS 18.259 – juris) mit der Folge, dass Hochwassergesichtspunkte im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr relevant wären.
Da im vorliegenden Verfahren allenfalls ein faktisches, nicht aber ein festgesetztes oder vorläufig gesichertes Überschwemmungsgebiet tangiert ist, und damit ein eigenständiges wasserrechtliches Verfahren nicht durchzuführen ist, muss es nach Ansicht des Gerichts in diesem Fall bei der Prüfung des Hochwasserschutzes im Baugenehmigungsverfahren als einzig möglichen Verfahren jedoch verbleiben und ist der Hochwasserbelang nur im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme zu berücksichtigen. Ein zusätzliches wasserrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 78 Abs. 5, Abs. 8 WHG ist für Anlagen im faktischen Überschwemmungsgebiete nicht vorgesehen. Das grundsätzliche Verbot zur Errichtung von baulichen Anlagen im Überschwemmungsgebiet des § 78 Abs. 4 WHG gilt hier nicht. Die Voraussetzungen des § 78 Abs. 5 WHG für einen Dispens von diesem Verbot müssen beim faktischen Überschwemmungsgebiet dann aber auch nicht in Form einer Eins-zu-Eins-Übernahme durch analoge Anwendung im Baugenehmigungsverfahren geprüft werden. Dies würde die Unterscheidung zwischen festgesetzten, vorläufig gesicherten und nur faktischen Überschwemmungsgebieten letztlich aufgeben. § 78 Abs. 5 WHG kann im Rahmen der baurechtlichen Prüfsystematik allenfalls als Anhaltspunkt und Auslegungshilfe herangezogen werden, ohne dass aber von der baurechtlichen Prüfung von Hochwasseraspekten nur im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme abzugehen wäre.
Eine solche Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme liegt im Ergebnis nicht vor. Das Vorhaben beeinflusst weder den Hochwasserabfluss zu Lasten des Klägers nachteilig (a), noch ist mit einer nennenswerten Auswirkung auf das gemeindliche Entwässerungssystem und über diesen Weg auf das Grundstück des Klägers zu rechnen. Hinsichtlich der Entwässerung ist dabei fraglich, ob sich der Kläger hierauf im Rahmen des Rücksichtnahmegebots überhaupt berufen kann, da die Entwässerungsfrage eigentlich eine Frage der Erschließung des Baugrundstücks darstellt und die Erschließungsproblematik grundsätzlich kein Belang ist, auf den sich ein Nachbarn berufen kann (vgl. für den Fall unzulänglicher Versickerung von Niederschlagswasser BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – juris). Auch wenn man aufgrund der hier konkret geltend gemachten Zusammenhänge zwischen der Hochwasserproblematik und des Entwässerungssystems die Auswirkungen der Entwässerung des Vorhabens auf den Kläger in die Prüfung miteinschließt, ergibt sich kein Abwehranspruch für den Kläger, da eine ausreichende und den Kläger nicht belastende Entwässerung des Vorhabengrundstück gewährleistet ist (b).
a) Das Gebot der Rücksichtnahme fordert nicht, dass jegliche Auswirkung eines Vorhabens auf das Nachbargrundstück ausgeschlossen sein muss. Vielmehr verbietet dieses vermeidbare unangemessene und rücksichtslose Auswirkungen auf den baulichen Nachbarn. Im Einzelnen hängt das Maß der gebotenen Rücksichtnahme von den Umständen des Einzelfalles ab und ist individuell zu prüfen. Es ist eine Interessenbewertung dahin gehend anzustellen, was den Rücksichtnahmebegünstigten und den zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zumutbar ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind insbesondere die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten in billiger Weise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983 – 4 C 96.79 -; BVerwGE 67, 334; B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Betroffenen ist, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. BVerwG B.v. 10.1.2013, a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 40). Bloße Lästigkeiten reichen für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht aus (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 39).
Nach den gutachtlichen Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts … ist davon auszugehen, dass das klagegegenständliche Bauvorhaben keine negativen Auswirkungen auf das klägerische Grundstück hat. In den schriftlichen Ausführungen vom 7. November 2017 und 7. August 2019 führte das Wasserwirtschaftsamt aus, dass seiner Einschätzung nach weder der Hochwasserabfluss noch der Wasserstand oberhalb des Vorhabens nachteilig beeinflusst würden, da sich zwar der südliche Teil des Vorhabengrundstück im faktischen Überschwemmungsgebiet des …bachs befinde, das Bauvorhaben selbst aber nur zu einem geringen Teil und das klägerische Grundstück überhaupt nicht. Hierzu erläuterte das Wasserwirtschaftsamt in der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2020 zusätzlich, dass die Orts straße (FlNr.3…1/2) im Hochwasserfall vom … im Bereich unterhalb des Vorhabens, im südwestlichen Bereich des Vorhabengrundstücks, wo die Straße eine Senke bildet und der …bach unter der Straße beengt hindurchführt, immer wieder überschwemmt werde und das auf die Straße tretende Hochwasser in die Grundstücke westlich und östlich der Straße abfließe, dass aber nicht zu erwarten sei, dass das Wasser die …straße entlang bis zum höher gelegenen klägerischen Grundstück ansteige und das Bauvorhaben im Hochwasserfall Auswirkungen auf das klägerische Grundstück habe. Das Wasserwirtschaftsamt führte weiter aus, dass selbst ein – sehr unwahrscheinliches – Ansteigen des Hochwassers vom …bach her bis zur Kreuzung der beiden Ortstraßen keine zusätzliche Überschwemmung des klägerischen Grundstücks bedeuten würde, da das ansteigende Wasser zunächst auf das Vorhabengrundstück drängen würde und die …straße nach … nicht überschreiten würde, weil die Straßenkreuzung so ausgestaltet sei, dass die (südliche) Straße FlNr. 3…1/2 im Kreuzungsbereich ca. 25 cm, vom Höhenrücken der Straße nach … (FlNr. 3…4/2) aus gesehen, sogar ca. 35 cm niedriger liege und ein Überschreiten des Straßenrückens deshalb nicht zu erwarten sei.
Auch im Fall von Starkregen ist nach der Einschätzung des Wasserwirtschaftsamts das klägerische Anwesen vom Vorhaben nicht negativ beeinflusst. Da die …straße nach … von Nordwesten, d.h. von der Bahnlinie her kommend nach Südosten abfällt und das klägerische Grundstück nordwestlich des Vorhabens liegt, ist ein Niederschlagswassereintrag vom Vorhabengrundstück auf das Grundstück des Klägers ausgeschlossen. Das Wasser, das gegebenenfalls aus Richtung Bahn kommend die Straße entlang fließt, wird damit unabhängig vom klagegegenständlichen Vorhaben auf das Klägergrundstück schwappen, zumal die Straße ein Gefälle zum klägerischen Grundstück hin aufweist. Ein Abfluss von Straßenwasser auf das Vorhabengrundstück erfolgte schon vor der Bebauung nicht, so dass auch ein – vom Wasserwirtschaftsamt ohnehin als nur gering erachteter – Verlust von Retentionsraum auf dem Vorhabengrundstück für den Kläger keine Nachteile bringt.
Die Ausführungen des Wasserwirtschaftsamtes sind für das Gericht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und plausibel und haben die unstreitigen topografischen Verhältnisse zutreffend berücksichtigt. Der fachlichen Auskunft des Wasserwirtschaftsamtes kommt für die Beurteilung der Hochwasserproblematik nach der Rechtsprechung eine besondere Bedeutung zu, da sich die Bewertung der Fachbehörde aus jahrelanger fachlicher Erfahrung und der Kenntnisse der Verhältnisse vor Ort ergibt. Die Beurteilung des zuständigen Wasserwirtschaftsamtes kann sich nach der Rechtsprechung damit regelmäßig sogar gegen abweichende private Fach-Expertisen durchsetzen (BayVGH, B.v. 4.2.2014 – 8 CS 13.1848 – juris Rn. 21). Erst recht ist den fachlichen Ausführungen und Bewertungen des Wasserwirtschaftsamt Glauben zu schenken, wenn lediglich Bedenken von fachlichen Laien eingewendet werden und diesen mit konkreten Ausführungen seitens des Wasserwirtschaftsamtes entgegengetreten wird.
Letztlich hat auch der Kläger selbst eingeräumt, dass ihm bislang kein Fall bekannt ist, bei dem es zu einem Ansteigen des Hochwassers des …bachs bis zur Straßenkreuzung bzw. zu seinem Grundstück gekommen ist. Auch die von der Klägerseite vorgelegten Fotos zeigen, dass bei der größeren Überschwemmung im August 2019 der Kreuzungsbereich gerade frei von Wasser war.
Im Rahmen des Rücksichtnahmegebots ist außerdem noch zu berücksichtigen, dass seltene und extreme Regen- oder Überflutungsereignisse in die Bewertung nicht eingestellt werden müssen. Eine vorbeugende Berücksichtigung und ein Einkalkulieren von unwahrscheinlichen und extremen Wetterverhältnissen ist nicht geboten Dies stellt sich nicht als rücksichtslos gegenüber dem Nachbarn dar, sondern ist im nachbarlichen Verhältnis, das auf gegenseitige Rücksichtnahme ausgelegt ist, hinzunehmen.
b) Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ergibt sich auch nicht hinsichtlich der Entwässerung des Vorhabens. Die Entwässerung erfolgt nach der Aussage der Gemeinde …, des Wasserwirtschaftsamts, des Beigeladenen selbst und den im Baugenehmigungsverfahren vorgelegten Entwässerungsplänen im Trennsystem. Dabei wird das Regenwasser zunächst in einer Zisterne östlich des Hauses gesammelt und wird von dort entweder in den Weiher auf dem Vorhabengrundstück und von dort in einiger Entfernung vom Ort in die Niederschlagskanalisation eingeleitet oder aber es wird direkt in die Niederschlagskanalisation in die …straße von … deutlich östlich des klägerischen Grundstücks geführt. Die Regenwasserkanalisation führt das Wasser dann Richtung Osten ab. Die Schmutzwässer werden hingegen in die Kanalisation in der Straße FlNr. 3…1/2 eingeleitet, die die Wässer weiter nach Südwesten abführt. Weder hinsichtlich des Regenwassers noch hinsichtlich des Schmutzwassers erfolgt damit eine Vorbeileitung der Wässer am klägerischen Anwesen, so dass ein Einfluss auf das klägerische Anwesen von vorneherein nur ein mittelbarer sein kann, also nur durch einen Rückstau im Kanalnetz den Kläger überhaupt belasten kann. Ein solcher Rückstau ist aber nicht zu erwarten, weil das gemeindliche Kanalnetz noch ausreichende Kapazitäten besitzt. Dies ergibt sich klar aus dem von der Gemeinde eingeholten Gutachten des Ingenieurbüros … vom 23. September 2019, der die Auslastung der gemeindlichen Kanalisation nach Anschluss des Vorhabens mit 50% angibt und bestätigt, dass noch ausreichende Abflussreserven vorhanden sind (vgl. S. 9 des Gutachtens).
Das Gutachten geht dabei zwar von einer tatsächlich wohl nicht zutreffenden Einleitungsstelle der Abwässer in das Kanalsystem nördlich des Vorhabens aus, das Wasserwirtschaftsamt bestätigt in seiner Stellungnahme vom 5. Februar 2020 und in der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2020 aber klar, dass es aufgrund der deutlichen Reserven des gemeindlichen Kanalsystems keine Rolle spielt, wo das Abwasser eingeleitet wird. Das Wasserwirtschaftamt bestätigte auch die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der gutachtlichen Ausführungen des Ingenieurbüros … und korrigiert einen Übertragungsfehler bei Daten im Gutachten, stellt dessen Richtigkeit insgesamt aber nicht in Frage.
Die im Raum stehenden alternativen Einleitungsstellen für das Schmutz- und Regenwasser liegen allesamt in deutlich weiterer Entfernung vom klägerischen Anwesen, so dass sich bei diesen Einleitungsstellen allenfalls eine Entspannung für das Grundstück des Klägers ergibt, dem Gutachten also die Worst-case-Betrachtung für den Kläger zugrunde lag.
Davon, dass es bei extremen Wetterlagen oder in anderen unvorhersehbaren Situationen mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit zu einer Überlastung des Kanalsystems kommen kann und in dieser Situation die höhere Grundauslastung der Kanalisation zu einer Verschärfung der Situation für alle Nutzer führt, kann ausgegangen werden. Derartige Situationen sind bei der Prüfung des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots jedoch nicht zu betrachten, sie führen zu keiner Rechtsverletzung des Klägers. Auf die an vorheriger Stelle schon gemachten Ausführungen wird insoweit verwiesen.
3. Nach alledem waren die Klagen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene Anträge gestellt hat und sich somit dem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihm seine notwendigen außergerichtlichen Kosten ersetzt werden, §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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