Aktenzeichen AN 3 K 17.01026
Leitsatz
1 Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) haben grundsätzlich keine drittschützende Funktion im Rahmen eines nachbarlichen Gegenseitigkeits- und Austauschverhältnisses. Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus in Gebieten der offenen Bauweise setzt den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Überlässt der Bebauungsplan den beteiligten Grundstückseigentümern, in welche Weise sie ihr Grundstück unter Ausnutzung der festgesetzten überbaubaren Fläche bebauen, so ist die Errichtung eines Doppelhauses oder einer Hausgruppe im Sinne des § 22 Abs. 2 S. 1 BauNVO nur möglich, wenn sich die betroffenen Grundstückseigentümer über eine solche Bebauung einigen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid der Stadt Erlangen vom 16. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch auf Aufhebung der zugunsten der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung.
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung einer Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (BVerwG U.v. 6.10.1989 – 4 C 40.87 – juris). Eine Verletzung derartiger Normen liegt vorliegend nicht vor.
Eine Nachbarrechtsverletzung zulasten des Klägers ergibt sich weder aus der für das streitgegenständliche Bauvorhaben erteilten Befreiung für die straßenseitigen Baugrenzen (1.) noch daraus, dass die Baugenehmigung für ein Einzelhaus erteilt wurde (2.). Das Bauvorhaben der Beigeladenen erweist sich auch nicht aus sonstigen Gründen dem Kläger gegenüber als rücksichtslos (3.).
1. Die Festsetzung zu den überbaubaren Grundstücksflächen gewährt dem Kläger kein Abwehrrecht gegen das streitgegenständliche Bauvorhaben, da ihr keine drittschützende Funktion zukommt. Dies gilt auch für die Festsetzung der Dachneigung. Auf eine Rechtsverletzung durch die hierzu erteilte Befreiung hat sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht mehr berufen.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von welchen die Befreiung erteilt wird, Nachbarschutz vermitteln oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 -, juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 -, juris Rn. 3).
Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen lediglich nach dem im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebot. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 a.a.O., Rn. 25 m.w.N.).
Nach der hier maßgeblichen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofes haben dabei Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) grundsätzlich keine drittschützende Funktion im Rahmen eines nachbarlichen Gegenseitigkeits- und Austauschverhältnisses (BayVGH, B.v. 8.11.2016 – 1 CS 16.1864 – juris Rn. 3 f.; Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Oktober 2017, § 23 BauNVO Rn. 59, König in König/Roeser/Stock, BauNVO, Stand 2014, § 23 BauNVO Rn. 36). Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus.
Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche können dann ausnahmsweise drittschützende Wirkung entfalten, wenn sich aus dem im Einzelfall zu ermittelnden Willen der Gemeinde als Planungsträger ergibt, dass diese Festsetzungen auch dem Schutz der Nachbarn dienen (BayVGH, B.v. 8.11.2016, a.a.O.; Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Oktober 2017, § 23 BauNVO Rn. 56; BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris).
Für einen derartigen Planungswillen der Beklagten bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
Die straßenseitige Baugrenze auf dem Grundstück der Beigeladenen verläuft abweichend von den Baugrenzen der im selben Straßenzug liegenden Grundstücke nach Süden eingerückt, nachdem dort zum Zeitpunkt der Erstellung des Bebauungsplans schützenswerter Baumbestand vorhanden war. Daraus wird unzweifelhaft ersichtlich, dass die Festsetzung der Baugrenzen zur Straßenseite ausschließlich städteplanerische Bedeutung hatte und zugunsten des Klägers keine Abwehrpositionen begründen sollte.
Für eine rücksichtslose Auswirkung der erteilten Befreiungen ergeben sich insbesondere deshalb keine Anhaltspunkte, weil der Verlauf der straßenseitigen Baugrenze auf dem Grundstück der Beigeladenen und die Veränderung der Dachneigung auf das Grundstück des Klägers keinen Einfluss hat (etwa zur Sicherstellung ausreichender Besonnung und ausreichenden Blickschutzes, vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O. § 23 BauNVO Rn. 59)
2. Die Festsetzungen des Bebauungsplans zur Bauweise gewähren dem Kläger keine abwehrfähige Rechtsposition dergestalt, dass die Beigeladenen ihr Grundstück nur mit einem Doppelhaus bebauen dürfen.
Die Festsetzung der offenen Bauweise im Bebauungsplan in Verbindung mit der Festsetzung der zulässigen Hausformen nach § 22 Abs. 2 Satz 3 BauNVO (Einzel- oder Doppelhäuser) begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BayVGH, U.v. 22.6.2004 – 1 N 02/1684 – juris Rn. 34; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Blechschmidt, BauGB, Stand Oktober 2017, § 22 BauNVO Rn. 34). Dieser Festsetzung ist auch nachbarschützende Wirkung zuzuerkennen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Blechschmidt a.a.O. § 22 BauNVO Rn. 50).
Allerdings erfolgte die Genehmigung zur Errichtung eines Einzelhauses plankonform. Eine Rechtsverletzung des Klägers liegt deshalb nicht vor.
Die Festsetzung der Zulässigkeit von Einzel- und Doppelhäusern bedeutet in Kombination mit der als „Bebauungsvorschlag“ gekennzeichneten Möglichkeit, die Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen mit jeweils einer Doppelhaushälfte zu bebauen, nicht, dass eine Doppelhausbebauung festgesetzt und die Beigeladenen an der Errichtung des streitgegenständlichen Einzelhauses gehindert wären. Denn nach dem Bebauungsplan ist im streitgegenständlichen Bereich die Errichtung von Einzel- oder Doppelhäusern nach § 22 Abs. 2 Satz 3 BauNVO festgesetzt. Das geltend gemachte Abwehrrecht könnte dem Kläger nur zustehen, wenn im Bebauungsplan nur die Errichtung eines Doppelhauses als zulässig festgesetzt wäre. Davon ist jedoch ausweislich der insoweit eindeutigen Festsetzung nicht auszugehen.
3. Aus den dargestellten Gründen kann die Kammer dem Einwand des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung, aus der Kombination der Befreiungserteilung hinsichtlich der straßenseitigen Baugrenzen und der „Festlegung“ der Doppelhausbebauung ergebe sich eine Rücksichtslosigkeit dem Kläger gegenüber aus Vertrauensgesichtspunkten, nicht folgen.
Diese Argumentation ist bereits deshalb unschlüssig, weil ausweislich der vorliegenden Pläne die Errichtung eines Einzelhauses auch ohne die Erteilung einer Befreiung von der nördlichen Baugrenze auf dem Grundstück der Beigeladenen möglich gewesen wäre. Des Weiteren wurde auch nicht durch die Vornahme der Einzeichnung eines als solchen gekennzeichneten „Bebauungsvorschlags“ zugunsten der Beigeladenen ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass nur die Errichtung einer Doppelhaushälfte auf dem Beigeladenengrundstück möglich wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus in Gebieten der offenen Bauweise den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus (BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12/98 – juris Rn. 21). Überlässt der Bebauungsplan den beteiligten Grundstückseigentümern – wie hier -, in welche Weise sie ihr Grundstück unter Ausnutzung der festgesetzten überbaubaren Fläche bebauen, so ist die Errichtung eines Doppelhauses oder einer Hausgruppe im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO nur möglich, wenn sich die betroffenen Grundstückseigentümer über eine solche Bebauung einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, sind die Bauräume nur unter Einhaltung eines seitlichen Grenzabstandes – nach Maßgabe der landesrechtlichen Abstandsflächenregelungen – ausnutzbar (BVerwG, B.v. 1.2.2016 – 4 BN 26/15 – juris Rn. 3). Dies gilt auch für eine künftige Bebauung des klägerischen Grundstücks.
Auf das Einigungserfordernis wurde die bevollmächtigte Ehefrau des Klägers ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten vom 11. Mai 2017 hingewiesen. Damals gab die Ehefrau noch an, sie sei nicht zur Frage der Bebauung des Grundstücks mit einer Doppelhaushälfte – wie von der Beklagten gewünscht – befragt worden.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, durch die Aufstellung des Bebauungsplans und das jetzt auf dessen Grundlage genehmigte Bauvorhaben sei sein Grundstück unbebaubar geworden. Der Zuschnitt des klägerischen Grundstücks ist durch das Bebauungsplanverfahren nicht verändert worden. Vielmehr hat die Plangeberin diesen Grundstückszuschnitt vorgefunden und wegen des schmalen Zuschnitts der Flächen die Bebauung mit Doppelhäusern ermöglicht, um die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücksflächen durch die Möglichkeit des Grenzanbaus zu verbessern (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 24.2.2000, a.a.O. Rn. 21).
Eine Verpflichtung der Plangeberin, diese Nutzbarkeit durch Festsetzung der Bebauung mit Doppelhäusern nach § 22 Abs. 2 BauNVO wegen der Grundstückszuschnitte sicherzustellen, besteht aber nicht.
Für eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte, zumal die Abstandsflächen eingehalten werden.
Demnach war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.