Baurecht

Nachträgliche Verpflichtung zur Installierung einer Entrauchungseinrichtung

Aktenzeichen  M 9 K 16.1026

Datum:
29.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 33 Abs. 1, Abs. 8, Art. 54 Abs. 4

 

Leitsatz

Eine erhebliche Gefahr, die nachträgliche Anordnungen der Bauaufsichtsbehörde rechtfertigt, liegt vor, wenn die Anforderungen an den Brandschutz nicht erfüllt werden, da mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss. Dies ist der Fall, wenn der zweite Rettungsweg im Brand- und Katastrophenfall nicht gesichert ist (BayVGH BeckRS 2003, 27635; BeckRS 2015, 41446), etwa weil das Treppenhaus zur Personenrettung aufgrund einer mangelnden Entrauchungsmöglichkeit nicht gefahrlos benutzbar ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts Pfaffenhofen vom … Januar 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Anordnung in Nr. 1. des streitgegenständlichen Bescheids beruht in nicht zu beanstandender Weise auf Art. 54 Abs. 4 BayBO.
Nach Art. 54 Abs. 4 BayBO können bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen durch die Bauaufsichtsbehörde Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist. Diese Voraussetzungen sind für die streitgegenständliche Anordnung gegeben.
Es kann dahinstehen, ob das streitgegenständliche Gebäude als bestandsgeschützt i.S.v. Art. 54 Abs. 4 BayBO angesehen werden kann, nachdem es nur im vereinfachten Verfahren ohne Prüfung des Brandschutzes genehmigt wurde. Die Befugnis des Art. 54 Abs. 4 BayBO zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leben und Gesundheit besteht erst recht, wenn das betroffene Gebäude nicht bestandsgeschützt ist (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 122. Ergänzungslieferung, Januar 2016, Art. 54 Rdnr.165). Ein Vorrang einer Beseitigungsanordnung bzw. Nutzungsuntersagung gemäß Art. 76 BayBO besteht im vorliegenden Fall nicht, da der baurechtliche Missstand durch nachträgliche Maßnahmen als milderes Mittel zur Nutzungsuntersagung oder Beseitigungsanordnung behoben werden kann.
Die Anordnung in Nr. 1. des Bescheids ist i.S.v. Art. 54 Abs. 4 BayBO notwendig, um erhebliche Gefahren für Leben und Gesundheit abzuwehren.
Von einer erheblichen Gefahr i.S.v. Art. 54 Abs. 4 BayBO ist auszugehen, wenn die Gefahr oder der Nachteil schwerwiegend oder nachhaltig ist, wobei auf objektive Gegebenheiten abzustellen ist. Eine erhebliche Gefahr i.S. der Vorschrift ist nur dann gegeben, wenn es sich um eine konkrete Gefahr handelt (BayVGH, B.v. 20.5.2009 – 14 CS 09.478 – juris). Bei der Gefährdung von Leben und Gesundheit ist zu berücksichtigen, dass an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen sind. Es ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Gefährdung von Leben und Gesundheit der Personen zu rechnen, die sich im streitgegenständlichen Gebäude aufhalten, wenn die Anforderungen an den Brandschutz nicht erfüllt werden, da mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss. Eine erhebliche konkrete Gefahr liegt deshalb regelmäßig vor, wenn der zweite Rettungs Weg im Brand- und Katastrophenfall nicht gesichert ist (BayVGH, B.v. 27.1.2003 – 2 CS 02.2438 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 5.2.2015 – 2 BV 14.1202 – juris Rn. 23).
Eine solche Situation ist hier gegeben, da das Treppenhaus zur Personenrettung aufgrund der mangelnden Entrauchungsmöglichkeit nicht gefahrlos benutzbar ist.
Die bestehende Treppenanlage erfüllt im Bereich des Dachgeschosses weder die zum Zeitpunkt der Erstellung des Gebäudes nach Art. 36 Abs. 1 und Abs. 7 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. August 1997 (GVBl. 1997, 433; im Folgenden: BayBO 1998) geltenden Anforderungen an einen notwendigen Treppenraum, noch die Anforderungen gem. Art. 33 Abs. 1 und 8 BayBO in der derzeit gültigen Fassung. Zur Beurteilung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen kann deshalb die derzeit geltende Rechtslage herangezogen werden.
Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BayBO 1998 waren notwendige Treppen so anzuordnen und auszubilden, dass sie gefahrlos als Rettungs Weg benutzt werden können. Nach Art. 36 Abs. 7 Satz 1 BayBO 1998 mussten die Treppenräume lüftbar und beleuchtbar sein. Sie mussten in der Außenwand Fenster erhalten, die geöffnet werden können. Die mittlerweile hierzu geltenden Anforderungen des Art. 33 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 8 BayBO stellen inhaltlich keine anderen Anforderungen. Die Änderung des Wortlauts durch die BayBO 2008 diente im Wesentlichen der Klarstellung (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf für die BayBO 2008 vom 15.1.2007, LT-Drs. 15/7161, S. 51, 52). Auch die zuletzt erfolgte Änderung von Art. 33 Abs. 8 Satz 1 BayBO durch das Gesetz vom 11. Dezember 2012 (GVBl. S. 633) diente nur der Ergänzung der bereits bestehenden Grundanforderungen. Neben der bisher bereits gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 2 BayBO geforderten Nutzbarkeit des Treppenraums wird klargestellt, dass im Brandfall auch zur Unterstützung wirksamer Löscharbeiten eine Entrauchung erforderlich ist. Die bereits davor geforderte Funktion als Rettungs Weg wird lediglich ergänzt (vgl. Gesetzentwurf vom 10.9.2012, LT.Drs. 16/13683, S. 13).
Der im streitgegenständlichen Gebäude bestehende Zustand des Treppenhauses ist mit Art. 33 Abs. 1 Satz 2 BayBO und Art. 33 Abs. 8 BayBO nicht vereinbar.
Aus der nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 BayBO geforderten Nutzbarkeit des Treppenraums im Brandfall und Art. 38 Satz 1 und Satz 2 BayBO ergibt sich, dass die Fensteröffnungen in jedem oberirdischen Geschoss so beschaffen sein müssen, dass ein Rauchabzug im Brandfall möglich ist. Das Fenster, das nach Art. 33 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 BayBO in jedem oberirdischen Geschoss vorhanden sein muss, ist stets so zu situieren, dass in jedem Geschoss ein Abzug des entstandenen Rauchs erfolgen kann. Die Situierung des Fensters muss sicherstellen, dass Menschen auch den Treppenraum im obersten Bereich möglichst lange nutzen können. An welcher Stelle das Fenster im konkreten Gebäude zu situieren ist, um dieses Ziel zu erreichen, muss in jedem Einzelfall entschieden werden. Um eine Beeinträchtigung der im Treppenraum befindlichen Menschen möglichst gering zu halten, ist die Kammer der Auffassung, dass der durch das Fenster zu erzielende Entrauchungseffekt nur dann gewährleistet ist, wenn die oberste Fensteröffnung über der Stehhöhe auf dem letzten Treppenpodest liegt. Nur bei einer solchen Situierung besteht die Chance, dass der Rauch über dem Atembereich des Flüchtenden oder Rettenden abzieht und das Treppenhaus trotz Rauchentwicklung längere Zeit nutzbar bleibt. Das heißt, dass im streitgegenständlichen Gebäude im Dachgeschoss ein sog. Rauchsack vermieden werden muss. Das Fenster muss mindestens auf der Ebene des obersten Geschosses liegen und durch seine Öffnung den Rauch so entweichen lassen, dass das Treppenpodest nutzbar ist (Molodovsky/Farmers in: Molodovsky/Farmers, Bayerische Bauordnung, 31. Ergänzungslieferung, Art. 33 Rn. 170).
Aus der Art. 33 Abs. 8 Satz 3 BayBO kann nicht gefolgert werden, diese Anordnung des Fensters sei nur bei Gebäuden mit einer Höhe von mehr als 13 m erforderlich. Nach Art. 33 Abs. 8 Satz 3 BayBO ist bei Gebäuden mit einer Höhe von mehr als 13 m an der obersten Stelle eine Öffnung zur Rauchableitung erforderlich. Damit verlangt das Gesetz bei höheren Gebäuden allgemein über die Anforderungen des Art. 33 Abs. 8 Satz 1 und Satz 2 BayBO hinaus eine Öffnung zur Rauchableitung an der obersten Stelle. Das heißt, unabhängig vom Einzelfall, ist immer eine Rauchableitung an höchster Stelle erforderlich, auch wenn daneben Fenster im Treppenraum bestehen (Molodovsky/Farmers, Bayerische Bauordnung, 31. Ergänzungslieferung, Art. 33 Rn. 174). Daraus kann nicht gefolgert werden, dass für Gebäude mit einer geringeren Höhe eine Entrauchungsmöglichkeit für das Dachgeschoss nicht erforderlich sei. Bei kleineren Gebäuden hat der Gesetzgeber lediglich auf den Standard einer Rauchableitung an obersten Stelle verzichtet, ohne auf die Grundanforderung der Entrauchungsmöglichkeit des Treppenhauses zu verzichten. Je nach den baulichen Gegebenheiten im Einzelfall wird die Entrauchungsmöglichkeit auch hier an oberster Stelle vorzunehmen sein, wenn eine Benutzung des Treppenhauses ansonsten nicht möglich ist. Der Augenschein und insbesondere der im Jahr 2011 eingetretene Brandfall im streitgegenständlichen Gebäude haben im vorliegenden Fall ergeben, dass die Anforderung des Art. 33 Abs. 1 Satz 2 BayBO nicht erfüllt ist.
Im streitgegenständlichen Einzelfall war es deshalb erforderlich, die Anordnung in Nr. 1. des Bescheids vom … Januar 2016 zu treffen.
Indem das Landratsamt anordnet, ein Fenster an höchster Stelle des Treppenhaus zu installieren, gibt es der Klägerin die Möglichkeit, entsprechend Art. 33 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 BayBO eine ausreichende Entrauchung des Treppenhauses auch durch ein Fenster sicherzustellen. Eine Rauchableitung an oberster Stelle, wie sie die BayBO nach Art. 33 Abs. 8 Satz 3 BayBO nur für Gebäude von mehr als 13 m als Standard vorschreibt, wird nicht verlangt. Sofern aufgrund der baulichen Gegebenheiten im Einzelfall eine Entrauchung durch ein Fenster nicht gewährleistet werden kann, ist die erforderliche Entrauchung durch einen Rauchabzug sicher zu stellen. Der Bescheid lässt der Klägerin diese Möglichkeit zur Auswahl. Um eine Entrauchung über Stehhöhe auf dem Treppenpodest des Dachgeschosses zu ermöglichen, muss sich die Klägerin einer der vorgeschlagenen Maßnahmen bedienen. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten wird im vorliegenden Fall die Festeröffnung ebenso wie ein alternativ möglicher Rauchabzug an höchster Stelle im Treppenhaus eingebaut werden müssen, um einen ausreichenden Rauchabzug zu ermöglichen.
Die Ermessensausübung der Beklagten ist im Rahmen des gerichtlichen Prüfungsumfangs (§ 114 VwGO) nicht zu beanstanden. Angesichts des durch einen mangelhaften Rettungs Weg im Brandfall gefährdeten Rechtsguts in Gestalt von Leben und Gesundheit ist die Beklagte regelmäßig verpflichtet, Maßnahmen zu dessen Schutz zu ergreifen (VG München, B.v. 9.9.2014 – M 9 S. 14.2270 -). Sie hat hierbei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt, indem sie die Art der Maßnahme der Klägerin zur Auswahl belassen hat. Die mit den Maßnahmen einhergehende Kostenbelastung für die Beklagte steht keineswegs außer Verhältnis zu dem durch die Maßnahme verfolgten Schutzzweck.
Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3. des Bescheids beruht auf Art. 36, Art. 29, Art. 31 VwZVG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Beigeladene trägt gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie sich nicht in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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