Baurecht

Negativzeugnis über Vorkaufsrecht im Naturschutzrecht

Aktenzeichen  M 19 K 17.4841

Datum:
18.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49972
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG Art. 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BayVwVfG Art. 28, Art. 35 S. 1, Art. 44, Art. 48
BauGB § 28

 

Leitsatz

1. Ein Negativzeugnis über ein Vorkaufsrecht gemäß Art. 39 BayNatSchG stellt einen feststellenden Verwaltungsakt dar. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht ist strukturgleich zum baurechtlichen Vorkaufsrecht, welches ebenfalls als feststellender Verwaltungsakt eingeordnet wird (ebenso OVG Münster NJW 1980, 1067, VG Sigmaringen BeckRS 2016, 129228). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Negativzeugnis als feststellender Verwaltungsakt findet seine Rechtsgrundlage in Art. 39 BayNatSchG. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
I.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2017 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Der Bescheid der Beklagten erweist sich zwar insoweit als rechtmäßig, als die in Art. 39 BayNatSchG genannten Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich zu bejahen sind.
Das streitgegenständliche Grundstück grenzt im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG an ein oberirdisches Gewässer, die Schutter, an. Der zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) geschlossene Kaufvertrag ist auch wirksam, insbesondere notariell beurkundet. Die von der Beklagten vorgetragene naturschutzfachliche Rechtfertigung genügt den Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG. Dass ausnahmsweise – entgegen dem Gewässerpflegeplan – nicht nur ein 10 m, sondern ein 20 m breiter Streifen im Wege des Vorkaufsrechts erworben werden soll, hat die Beklagte nachvollziehbar begründet. Zutreffend ist auch die Ansicht der Beklagten, dass die Frist zur Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts, die Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG in der zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 15. September 2017 geltenden und daher maßgeblichen Fassung auf „zwei Monate nach der Mitteilung der in Abs. 1 Sätze 1 und 2 genannten Verträge“ festsetzte (nunmehr inhaltsgleich geregelt durch den Verweis des Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG auf § 469 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB, vgl. § 2 Gesetz v. 21.2.2018, GVBl. 48), eingehalten wurde. Der Fristbeginn setzt eine Übersendung des vollständigen Kaufvertrages voraus (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.205 – juris Rn. 29; VG München, U.v. 26.9.2017 – M 1 K 16.4356 – juris Rn. 16). Die Frist begann demnach am 22. Juli und endete am 21. September 2017. Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgte durch Bescheid vom 15. September 2017, der der Verpflichteten – das ist die Beigeladene zu 1) als Verkäuferin (Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG i.V.m. § 464 Abs. 1 BGB) – am 18. September 2017 zugestellt wurde. Die Ausübung erfolgte damit fristgerecht.
2. Der Bescheid der Beklagten erweist sich allerdings deshalb als rechtswidrig, weil das Negativzeugnis vom 14. Juni 2017 für die Beklagte verbindlich feststellt, dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks ein Vorkaufsrecht nach Art. 39 BayNatSchG nicht besteht. Das Negativzeugnis wurde bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht bzw. nicht in rechtmäßiger Form aufgehoben und steht daher einer Anwendung des Art. 39 BayNatSchG durch die Beklagte entgegen.
a) Das Negativzeugnis vom 14. Juni 2017, das die Beklagte an den Kläger und in zweifacher Ausfertigung an das Notariat übersandt hat, stellt einen feststellenden Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar. Zwar hat sich die Beklagte nicht ausdrücklich des Mittels des feststellenden Verwaltungsakts bedient. Die Analyse der konkreten Bescheinigung zeigt jedoch, dass die Beklagte verbindlich festgestellt hat, dass für das verkaufte Grundstück kein Vorkaufsrecht besteht. Damit ist eine Regelungswirkung gegeben und wurde nicht etwa nur ein bloßer Hinweis auf die Rechtslage erteilt oder eine unverbindliche Absichtserklärung zum Ausdruck gebracht.
Für die Annahme, dass es sich bei einem Negativzeugnis um einen feststellenden Verwaltungsakt handelt, spricht bereits, dass dieses im Zusammenhang mit dem baurechtlichen Vorkaufsrecht nach § 28 BauGB allgemein so eingeordnet wird (vgl. OVG NW, U.v. 24.4.1979 – VII A 2294/78 – juris Rn. 22; VG Berlin, U.v. 17.5.2018 – 13 K 724.17 – juris Rn. 35; VG Ansbach, U.v. 31.1.2018 – AN 9 K 16.02001 – juris Rn. 14; VG München, U.v. 13.5.2013 – M 8 K 12.3486 – juris Rn. 74; Grziwotz in Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, § 28 Rn. 8). Das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht ist strukturgleich zum baurechtlichen Vorkaufsrecht und eine anderslautende rechtliche Qualifizierung daher nicht angezeigt (im Ergebnis ebenso VG Sigmaringen, U.v. 18.11.2016 – 6 K 2177/14 – juris Rn. 18). Dass es sich vorliegend um einen bloßen Hinweis auf die Rechtslage handelt, kann auch deshalb nicht angenommen werden, weil in dem Schreiben der Stadt vom 14. Juni 2017 das Ergebnis eines behördlichen Subsumtionsvorgangs dokumentiert wird, der sich nicht in der Mitteilung eindeutiger tatsächlicher Vorgänge erschöpft (vgl. insoweit BVerwG, U.v. 14.11.1985 – 2 C 35/84 – juris Rn. 9 und 11). Die Erklärung der Beklagten, dass weder ein baurechtliches noch ein naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht bestehe, kann vom Kläger daher nur als verbindliche Feststellung verstanden werden (zu diesem subjektiven Kriterium vgl. BVerwG, U.v. 29.12.1969 – VI C 4.65 – juris Rn. 24). Ferner wird die Regelungswirkung dadurch erkennbar, dass die Bescheinigung den Betroffenen Rechtssicherheit vermittelt und diesen ermöglicht, schon vor Ablauf der Frist das Rechtsgeschäft zu vollziehen. Schließlich zeigt gerade der Umstand, dass Art. 39 BayNatSchG anders als § 28 BauGB kein Negativzeugnis kennt, dass das vorliegende Negativzeugnis nicht nur eine gesetzlich eintretende Rechtsfolge ohne Regelungswirkung wiederholt, sondern konstitutiv wirkt.
Das Negativzeugnis als feststellender Verwaltungsakt findet seine Rechtsgrundlage, sofern man eine solche angesichts der begünstigenden Wirkung für den Kläger überhaupt für erforderlich hält (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 83a m.w.N), in Art. 39 BayNatSchG. Das vorliegende Negativzeugnis ist allerdings rechtswidrig, weil es entgegen der unter Nr. 1 dargestellten Rechtslage feststellt, dass ein Vorkaufsrecht nach Art. 39 BayNatSchG nicht besteht, mithin das Grundstück die Voraussetzungen des Art. 39 BayNatSchG nicht erfüllt. Dieser Fehler führt allerdings lediglich zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Unwirksamkeit. Ein Nichtigkeitsgrund nach Art. 44 BayVwVfG ist nicht ersichtlich.
Rechtsfolge des feststellenden rechtswidrigen Verwaltungsakts ist es, der Beklagten eine Anwendung der Art. 39 BayNatSchG „abzuschneiden“ (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 219; kein „Durchgriff“ auf das materielle Recht).
b) Eine rechtlich zulässige Anwendung des Art. 39 BayNatSchG ist demnach erst dann (wieder) möglich, wenn das Negativzeugnis unter Beachtung des Art. 48 BayVwVfG aufgehoben wird. Eine Aufhebung könnte vorliegend allenfalls konkludent durch den Bescheid der Beklagten vom 5. September 2017 erfolgt sein. Jedoch lässt sich diesem keine bzw. jedenfalls keine rechtmäßige Aufhebung des Negativzeugnisses entnehmen.
Art. 48 BayVwVfG lässt eine Aufhebung eines rechtswidrigen Bescheids, der – wie hier – keine Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt, mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit grundsätzlich ohne weitere materiell einschränkende Tatbestandsmerkmale zu; gegebenenfalls ist nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG auf Antrag des Betroffenen ein Vermögensnachteil auszugleichen. Die Aufhebung eines solchen Verwaltungsakts steht gleichwohl im Ermessen der Behörde. Für die Ermessensausübung maßgebliche Gesichtspunkte sind dabei die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einerseits, Rechtssicherheit und Vertrauensschutz des Adressaten andererseits (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 77). Folgerichtig hat die Behörde im Rahmen der Ermessensausübung alle relevanten Gesichtspunkte zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen, insbesondere zu prüfen, ob und in welcher Hinsicht möglicherweise das Vertrauen des Klägers als Käufer einer Aufhebung entgegensteht.
Verwaltungsakte sind verwaltungsrechtliche Willenserklärungen. Sie setzen daher eine Willensäußerung voraus, die final auf eine Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. von Alemann/Scheffczyk in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 35 Rn. 118). Dem Ausübungsbescheid der Beklagten lässt sich ein Willensentschluss zur Aufhebung eines rechtswidrigen Bescheids aber weder ausdrücklich noch konkludent entnehmen. Eine ausdrückliche auf die Beseitigung des Negativzeugnisses gerichtete Äußerung der Beklagten ist darin nicht enthalten. Auch eine konkludente Willensäußerung der Beklagten lässt sich dem Bescheid nicht entnehmen (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 246; § 38 Rn. 91). Allein eine dem Erlass des Negativzeugnisses entgegengesetzte Entscheidung kann für die Annahme einer Aufhebungsabsicht nur genügen, wenn dennoch der Wille, die vorherige Entscheidung – hier das Negativzeugnis – aufzuheben, erkennbar wird (vgl. BayVGH, U.v. 5.11.2013 – 19 B 09.1559 – juris Rn. 19: „Die Aufhebungsabsicht ergibt sich auch daraus, dass die Bescheidsbegründung mehrfach Bezug auf Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten nimmt“). Hieran fehlt es gänzlich. Zwar drückt die Beklagte ihr Bedauern über das fälschlicherweise ausgestellte Negativzeugnis aus; diesem lässt sich aber nicht entnehmen, dass ihr überhaupt bewusst war, dass das Negativzeugnis zu beseitigen ist. Die diffuse Distanzierung lässt vielmehr nur erkennen, dass sie der Meinung ist, an das Negativzeugnis nicht gebunden zu sein; eine Aufhebung oder Beseitigung wird nicht thematisiert.
Selbst wenn hier ein großzügigerer Maßstab angelegt und dementsprechend ein Aufhebungswille bejaht würde, fehlte es an einer rechtmäßigen Ermessensausübung. Das Ermessen wird allenfalls insoweit ausgeübt, als die Beklagte in einem Satz andeutet, dass der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, weil die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts mangels Übersendung eines vollständigen Kaufvertrags noch nicht angelaufen sei. In diesem Argumentationsansatz liegt allerdings keine Ausübung sachgerechten Rücknahmeermessens (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 48 Rn. 79). Dass ausnahmsweise das Naturschutzrecht als Fachrecht dem Rücknahmeermessen vorgibt, dass es nur zugunsten einer Rücknahme ausgeübt werden könne, und dementsprechend die Anforderungen an die Ermessensausübung und ihre Darstellung abgesenkt wären, ist nicht ersichtlich. Insgesamt liegt somit ein Ermessensausfall vor, der auch nicht im gerichtlichen Verfahren durch eine Ermessensergänzung heilbar ist (§ 114 Satz 2 VwGO).
Hinzu kommt, dass es hinsichtlich der notwendigen Aufhebung des Negativzeugnisses an einer Anhörung des Klägers nach Art. 28 BayVwVfG fehlt und diese auch nicht nachgeholt wurde.
II. Die Beklagte hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben, entspricht der Billigkeit; sie haben keinen Sachantrag gestellt und sich mithin keinem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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