Aktenzeichen Au 5 K 15.1551
Leitsatz
Bei einem „Hammerstiel“ eines sogenannten Hammergrundstücks, welcher ein Hinterliegergrundstück wegemäßig erschließt, ist aus rechtlichen Gründen gesichert, dass dieser Teil des klägerischen Grundstücks nicht überbaut werden kann (Art. 6 Abs. 2 S. 3 BayBO). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III.
Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Gegenständlich ist das Grundstück mit der Fl.Nr. … der Gemarkung …. Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus sowie mit einem bisher als Werkstatt genutzten Nebengebäude bebaut.
Die Klägerin ist Eigentümerin des angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung ….
Mit Bescheid vom 14. September 2015 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung zum Einbau einer Wohneinheit in ein bestehendes Nebengebäude, den Anbau eines Windfangs und eines Balkons sowie die Errichtung von zwei Stellplätzen. Es wurden weiterhin folgende Abweichungen von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts erteilt:
„Die Tiefe der Abstandsfläche vor der nördlichen Außenwand des Gebäudes mit einer Länge von 7,30 m darf auf dem Baugrundstück auf 0,20 m – 0,90 m anstelle der erforderlichen 5,54 m – 7,18 m reduziert werden.“
„Die Tiefe der Abstandsfläche vor der nördlichen Außenwand des Windfangs mit einer Länge von 2,24 m darf auf dem Baugrundstück auf 0,20 m – 0,40 m anstelle der erforderlichen 3,35 m – 3,87 m reduziert werden.“
In den Bescheidsgründen ist ausgeführt, dass das verfahrensgegenständliche Nebengebäude seit 1923 bestehe. Die Nordwand werde im Rahmen der Baumaßnahme als Brandwand ausgebildet. Die beantragte und erteilte Abweichung sei mit den öffentlichen und nachbarlichen Belangen vereinbar. Bei dem Grundstück Fl.Nr. … handele es sich um ein sogenanntes „Hammergrundstück“. Die anfallenden Abstandsflächen befänden sich im Zufahrtsbereich des Grundstückes. Nach einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei bei einem Hammergrundstück im Bereich des „Hammerstiels“ mit einer Breite von ca. 3 m, welcher ein hinten liegendes Grundstück wegemäßig erschließe, gesichert, dass es tatsächlich nicht bebaut werden könne. Für den Teilbereich der Abstandsflächen, der bis ins übernächste Nachbargrundstück Fl.Nr. … falle, könne eine Abweichung erteilt werden. Auf diesem Nachbargrundstück befinde sich im relevanten Bereich eine Garage. Die Eigentümer hätten die Eingabepläne unterschrieben und der Abweichung zugestimmt. Durch die Ausbildung einer Brandwand an der Nordfassade des bestehenden Gebäudes sowie im Bereich des Windfangs seien die Belange des Brandschutzes gewahrt. Das Nachbargrundstück werde durch die erteilte Abweichung nicht in den geschützten Belangen der Belichtung, Besonnung und Belüftung oder des Wohnfriedens beeinträchtigt.
Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2015, eingegangen bei Gericht per Telefax am 16. Oktober 2015, hat die Klägerin gegen vorbenannten Bescheid Klage erhoben und beantragt,
den Baugenehmigungsbescheid des Beklagten vom 14.9.2015 – Einbau einer Wohneinheit in ein bestehendes Nebengebäude, Anbau eines Windfangs und eines Balkons sowie die Errichtung von zwei Stellplätzen auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung …, Bauherr: …, aufzuheben.
Zur Begründung ist mit Schreiben vom 3. Juni 2016 ausgeführt, dass das Gebäude einschließlich der von der Nutzungsänderung erfassten Räume grenzständig zum klägerischen Grundstück liege. Auf der maßgeblichen Nordseite zum Grundstück der Klägerin hin befinde sich ein Fenster, so dass nunmehr von dort eine erhöhte Einsichtsmöglichkeit in das klägerische Grundstück bestehe. Bei diesem Grundstück handele es sich um ein nach § 34 BauGB mit einem Wohnhaus bebaubaren Bauplatz. Insofern sei das Gebot der Rücksichtnahme tangiert.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 24. Juni 2016 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem Baugenehmigungsbescheid verwiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. In dem bestehenden Nebengebäude befänden sich in der nördlichen Giebelwand zum Grundstück der Klägerin hin bereits seit vielen Jahren Fenster. Eine bessere Einsichtsmöglichkeit in das klägerische Grundstück sei durch die genehmigte Umnutzung nicht gegeben. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liege nicht vor.
Mit Beschluss des Gerichts vom 20. Oktober 2015 wurde der Bauherr zum Verfahren notwendig beigeladen.
Der Beigeladene hat mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ist mit Schreiben vom 15. Juni 2016 ausgeführt, dass der Baugenehmigungsbescheid rechtmäßig sei und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze. Die erteilte Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts sei rechtmäßig, hierzu werde Bezug auf die Ausführungen in der Baugenehmigung genommen. Gemäß der mit der Baugenehmigung verbundenen Auflage in Ziffer 6.6 des Bescheids sei die nördliche Giebelwand als Brandwand gemäß Art. 28 BayBO herzustellen. Nach Art. 28 Abs. 8 Satz 1 BayBO seien Öffnungen in Brandwänden unzulässig. Das Fenster sei daher zu entfernen, so dass ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, das im Übrigen grundsätzlich nicht auf die Einsichtsmöglichkeit anwendbar sei, ausscheide.
Zudem regte der Beigeladene an, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.
Mit richterlichem Schreiben vom 21. Juni 2016 wurden die Beteiligten zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheids angehört.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 erwiderte die Klägerin, dass zwar nach Ziffer 6.6 des Bescheids die nördliche Giebelwand als Brandwand herzustellen sei. Ein entsprechender Vermerk befinde sich auch auf den mit Genehmigungsstempel versehenen Plänen. Allerdings seien die dort auf die grenzständige Giebelwand eingetragenen Fenster nicht mit Roteintrag gestrichen. Damit seien sie formal genehmigt. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen genehmigten Plänen und brandschutzrechtlichen Auflagen.
Mit Schreiben vom 21. Juli 2016 entgegnete der Beigeladene, dass die Bauvorlagen gegenüber dem Genehmigungsbescheid nur eine konkretisierende und erläuternde Funktion besäßen. Sofern Darstellungen in den Bauvorlagen vom Bescheid abwichen, gehe der Bescheid vor. Gemäß der mit der Baugenehmigung verbundenen Auflage in Ziffer 6.6 des Bescheids sei die nördliche Giebelwand als Brandwand gemäß Art. 28 BayBO herzustellen. Nach Art. 28 Abs. 8 Satz 1 BayBO seien Öffnungen in Brandwänden unzulässig. Die Auflage zur Baugenehmigung gehe den Bauvorlagen vor. Die Fenster könnten in den Bauvorlagen zur Klarstellung noch mit Roteintrag gestrichen werden. Die Klägerin könne hieraus keine Rechtsverletzung herleiten.
Mit Schreiben vom 11. August 2016 entgegnete der Beklagte, dass die Auflage in Ziffer 6.6. der Baugenehmigung und der Roteintrag in den Plänen als ausreichend angesehen werde. Durch welche konkreten baulichen Ausführungen die Beschaffenheit als Brandwand gewährleistet werde, bleibe dem Bauherrn überlassen.
Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Sache ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren angehört worden (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Die Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin ist insbesondere klagebefugt. Sie kann sich als Nachbarin im baurechtlichen Sinn auf die Möglichkeit der Verletzung in drittschützenden Normen stützen. Der Nachbarbegriff hat eine rechtliche und eine räumliche Komponente. Nachbarn sind zum einen die Grundstückseigentümer, sowie die Inhaber eigentumsähnlicher Rechtspositionen (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 42 Rn. 97). Räumlich sind die unmittelbar angrenzenden Nachbarn solche im baurechtlichen Sinn, sowie Betroffene im weiteren Umkreis, die von der jeweiligen nachbarschützenden Norm in den Kreis der Berechtigten gezogen werden (Kopp/Schenke, a. a. O., § 42 Rn. 97). Als unmittelbar angrenzende Grundstückseigentümerin ist die Klägerin Nachbarin im baurechtlichen Sinn. Als möglicherweise verletzte drittschützende Normen kommen insbesondere die Regelungen zum Abstandsflächenrecht in Betracht.
2. Die Klage ist in der Sache nicht begründet.
Der angefochtene Baugenehmigungsbescheid verletzt die Klägerin nicht in nachbarschützenden Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung hat der anfechtende Nachbar nur, wenn das Bauvorhaben im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung – BayBO i. V. m. Art. 55 ff. BayBO) und die verletzte Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, ihr also drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14/87, BVerwGE 82, 343). Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte können durch eine Baugenehmigung nur dann verletzt werden, wenn diese bauordnungsrechtlichen Vorschriften im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Weiterhin muss der Nachbar durch den Verstoß gegen diese Norm in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen sein. Eine objektive Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung reicht dabei nicht aus, denn der Nachbar muss in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein.
a) Durch die Erteilung der beantragten Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von den nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO notwendigen Abstandsflächen ist die Klägerin nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt.
Die Baugenehmigung ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO erteilt worden. Es ist weiterhin eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO durch den Beigeladenen gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO beantragt worden. Damit sind die Regelungen zu den Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO Teil des Prüfprogrammes geworden. Durch die Erteilung der beantragten Abweichung nehmen sie auch an der Regelungswirkung der Baugenehmigung teil.
Die Vorschriften des Abstandsflächenrechts dienen in ihrer Gesamtheit dem Nachbarschutz (BayVGH, U.v. 25.5.1998 – 2 B 94.2682, BayVBl 1999, 246). Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen zu den Abstandsflächen ist es, ausreichend Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Sicherung des sozialen Wohnfriedens zu gewährleisten. Damit ist der drittschützende Charakter der Regelungen allgemein gegeben.
b) Im vorliegenden Fall scheidet trotz Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen eine Verletzung in drittgeschützten Nachbarrechten aufgrund der Grundstückssituation aus.
Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Ausnahmen sind in den Art. 6 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BayBO geregelt. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO müssen die Abstandsflächen grundsätzlich auf dem Grundstück selbst liegen und dürfen sich nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO nicht überdecken.
Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO dürfen sich Abstandsflächen ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden.
Die Frage der Beurteilung von Abstandsflächen ergibt sich nicht nur bei Neubauten, sondern kann auch bei Nutzungsänderungen oder baulichen Veränderungen neu aufgeworfen werden (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Jan. 2016, Art 6 Rn. 14). Eine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung ist bei der Änderung eines Gebäudes immer dann veranlasst, wenn sich entweder die für die Ermittlung der Abstandsflächentiefe relevanten Merkmale ändern oder wenn die Änderung für sich betrachtet zwar keine abstandsflächenrelevanten Merkmale betrifft, das bestehende Gebäude aber die nach dem geltenden Recht maßgeblichen Abstandsflächen nicht einhält und die Änderung zu nicht nur unerheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange wie Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden führen kann (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2003 – 25 CS 03.897 – BayVBl. 2004, 149). In diesem Fall ist über die geplante bauliche Änderung hinaus auch der geschützte Bestand einzubeziehen und das neue Gesamtvorhaben auf seine Übereinstimmung mit den Abstandsflächenvorschriften hin zu überprüfen. Ist dagegen eine Verschlechterung der abstandsflächenrechtlichen Situation nicht ersichtlich, so bedarf die Änderung keiner abstandsflächenrechtlichen Gesamtbeurteilung (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Jan. 2016, Art 6 Rn. 17). Vorliegend ist durch die Nutzungsänderung in eine Wohnnutzung die abstandsflächenrechtliche Beurteilung neu aufgeworfen. Es stellt sich die Frage der Auswirkung der nunmehr andersartigen Nutzung auf den Wohnfrieden. Daher ist eine Neubeurteilung der notwendigen Abstandsflächen erforderlich.
c) Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO). Das sich hieraus ergebend Maß ist H (Art. 6 Abs. 4 Satz 6 Bay-BO). Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt dabei 1 H, mindestens 3 m (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO). Vorliegend wäre eine Abstandsflächentiefe von 5,54 – 7,18 m bzw. 3,35 – 3,87 m im Bereich des Windfangs erforderlich, die vom Bauvorhaben des Beigeladenen nicht eingehalten wird.
Die Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsfläche auf dem Baugrundstück selbst führt in der gegenständlichen Situation jedoch nicht zu einer Verletzung von drittgeschützten Nachbarrechten, da sich die Abstandsfläche gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO auf das benachbarte Grundstück erstrecken darf. Es ist aus rechtlichen Gründen gesichert, dass dieser Teil des klägerischen Grundstücks nicht überbaut werden kann. Dies ist der Fall, wenn aufgrund besonderer rechtlicher Umstände anzunehmen ist, dass auf dem Grundstück nicht nur gegenwärtig, sondern auf nicht absehbare Zeit – auf Dauer – abstandsflächenpflichtige Anlagen nicht errichtet werden dürfen (BayVGH, B.v. 29.9.2004 – 1 CS 04.340 – BauR 2005, 1148 Rn. 18). Um eine solche Situation handelt es sich bei einem „Hammerstiel“ eines sogenannten Hammergrundstücks, welcher ein Hinterliegergrundstück wegemäßig erschließt (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Jan. 2016, Art 6 Rn. 100 m. w. N.). Bei der betroffenen Teilfläche des klägerischen Grundstücks handelt es sich um einen ca. 21 m langen und zwischen ca. 2,60 m und 3,60 m breiten Teil der Zufahrt zu dem klägerischen Grundstück. Dieser steht aus tatsächlichen sowie rechtlichen Gründen nicht als überbaubare Grundstücksfläche zur Verfügung. Damit dürfen sich die Abstandsflächen des benachbarten Gebäudes im Interesse eines sparsamen Umgangs mit Grund und Boden im Sinne des § 1 a Abs. 2 Satz 1 BauGB auf diesen Teilbereich erstrecken (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2004 a. a. O. Rn. 19). Diese Regelung ist auch mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar, da die Bebaubarkeit des benachbarten Grundstücks nicht betroffen wird. Dem Nachbarn ist es zuzumuten, die Erstreckung von Abstandsflächen hinzunehmen, wenn die Bebaubarkeit dieser Teilfläche auf Dauer ausgeschlossen ist und demzufolge nicht weiter eingeschränkt werden kann.
Die Klägerin wird demnach durch die Nichteinhaltung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück nicht in ihren nachbarlichen Belangen beeinträchtigt. Eine Verletzung von drittschützenden Normen bezüglich des Abstandsflächenrechts liegt nicht vor.
d) Das genehmigte Bauvorhaben verstößt auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt im Einzelfall nachbarschützende Wirkung insoweit zu, als in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Insoweit müssen die Umstände des Einzelfalles eindeutig ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen und inwieweit eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist (BVerwG, U.v. 5.8.1983 – 4 C 96/79 – BVerwGE 67, 334). Ist ein Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 bzw. 2 BauGB zu beurteilen, so ist das Gebot der Rücksichtnahme in dem in dieser Bestimmung genannten Begriff des Einfügens bzw. in einer unmittelbaren Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthalten.
Das Gebot der Rücksichtnahme kann zu einer Unzulässigkeit des Bauvorhabens im Einzelfall führen, wenn von dem konkreten Vorhaben Beeinträchtigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart der Umgebung unzulässig sind. Dabei müssen die Interessen im Einzelfall abgewogen werden. Der Umfang der dem Nachbarn des Bauvorhabens aufgrund der Eigenart der näheren Umgebung zuzumutenden Beeinträchtigungen und Störungen bestimmt sich unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Umgebung und ihrer bebauungsrechtlichen Prägung sowie den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen (vgl. BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19/90 – DVBl 1993, 652).
Eine im Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme zu beachtende Riegelwirkung oder erdrückende Wirkung eines Bauvorhabens kommt bei übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – BauR 1981, 354: zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zu zweigeschossigem Nachbarwohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – BauR 1986, 542: 11,5 m hohe und 13 m lange Siloanlage in einem Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnhaus). Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme wegen einer erdrückenden oder einmauernden Wirkung des Bauvorhabens kommt im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht. Das bereits vorhandene Gebäude, nur bestehend aus Erdgeschoss und Dachgeschoss, weist eine geringere Höhe als ein reguläres Wohnhaus auf. Gesteigerte Einsichtsmöglichkeiten auf den bebaubaren hinteren Teil des klägerischen Grundstücks sind – entgegen der klägerischen Ansicht – aufgrund der Situierung über Eck nicht gegeben. Diese würden im Übrigen nicht zur Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen, da sie den Schwellenwert einer unzulässigen Beeinträchtigung nicht erreichen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da der Beigeladene einen Antrag auf Klageabweisung gestellt und sich somit dem prozessualen Risiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass seine außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt werden (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).