Baurecht

Nutzungsänderung eines Ladens in ein Wettbüro

Aktenzeichen  M 8 K 15.1211

Datum:
18.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30 Abs. 3, § 34
BauNVO BauNVO § 4a Abs. 3 Nr. 2, § 6 Abs. 2 Nr. 8, § 7 Abs. 2 Nr. 2
BayBO BayBO Art. 59

 

Leitsatz

Wettbüros sind jedenfalls dann Vergnügungsstätten, wenn sie nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen, sondern zu einem wesentlichen Teil auch zur Unterhaltung und zum Spiel in der Zeit bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses aktueller Wetten bieten. Ein Wettbüro ist als Vergnügungsstätte zu werten, wenn die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung der Räumlichkeiten animiert werden, sich dort länger aufzuhalten und in geselligem Beisammensein Wetten abzuschließen. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Vergnügungsstätte ist als städtebaulich bedeutsamer eigenständiger Nutzungstyp zu betrachten, der nicht mit sonstigen gewerblichen Nutzungen mehr oder weniger störender Art gleichgesetzt werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
Die Überschreitung des durch die Umgebung gesetzten Rahmens führt im Regelfall zur Unzulässigkeit eines Vorhabens, denn diese zieht in der Regel die Gefahr nach sich, dass der gegebene Zustand in negativer Hinsicht in Bewegung und damit in Unordnung gebracht wird. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, weil sein Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu prüfen sind (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Das streitgegenständliche Vorhaben ist planungsrechtlich unzulässig, da es sich nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, § 34 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch – BauGB.
Das Vorhaben soll in einem Bereich verwirklicht werden, für den ein einfacher Bebauungsplan lediglich eine vordere (straßenseitige) Baulinie festsetzt, § 30 Abs.3 BauGB. Die Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich daher hinsichtlich der allein streitigen Art der Nutzung gemäß § 30 Abs. 3 BauGB nach § 34 BauGB.
1.1 Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einer Gebietskategorie der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art dagegen allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 Halbsatz 1 BauGB).
1.2 Die maßgebende nähere Umgebung reicht soweit, wie einerseits die Umgebung den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst und andererseits die Ausführung des Vorhabens sich auf die Umgebung auswirken kann (BVerwG, B.v. 11.2.2000 – 4 B 1/00 – juris). Die Grenze der näheren Umgebung lässt sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern ist nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris). Zur maßstabsbildenden vorhandenen Bebauung kann dabei auch ein qualifiziert beplantes Gebiet gehören (BVerwG, B.v. 24.11.2009 – 4 B 1/09 – juris). Ob eine Straße insoweit eine trennende oder verbindende Wirkung hat, ist eine Frage des Einzelfalls (BayVGH, B.v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris, m. w. N.).
Gemessen an diesen Vorgaben und nach dem Ergebnis des Augenscheins gehört zur hier maßgeblichen näheren Umgebung die Bebauung auf der Südseite der … Straße bis zur … Straße im Osten und zum Gebäudekomplex … Str. 59 a im Westen. Dieser Bereich zeichnet sich durch eine relativ homogene Bebauungsstruktur mit in geschlossener Bauweise errichteten Gebäuden, die zwischen 4 – 6 Geschossen aufweisen und einer ebenso homogenen Nutzungsstruktur mit gewerblicher Nutzung in den Erdgeschossbereichen und nahezu ausschließlicher Wohnnutzung in den Obergeschossbereichen aus.
Entgegen der von der Klagepartei und der Beklagten vertretenen Auffassung gehört nach Überzeugung des Gerichts die Bebauung an der nördlichen Straßenseite der … Straße nicht zur maßgeblichen Umgebung. Bei der … Straße handelt es sich um eine im Minimum 18 m breite Ein- und Ausfallstraße mit sehr hohem Verkehrsaufkommen, die sich nach Osten hin auf 28 m aufweitet und schon per se kein verbindendes Element darstellt. Ausschlaggebend für die Bewertung, dass die gegenüberliegende Straßenseite nicht zur maßgeblichen Umgebung des Vorhabens zählt, ist die hier vorzufindende, im Vergleich zur Südseite der … Straße andere Bebauungs- und Nutzungsstruktur. Die Nordseite der … Straße ist im Wesentlichen in offener Bauweise bebaut; die einzige Ausnahme stellt der 52 m lange Gebäudekomplex … Str. 60 – 64 dar, der allerdings in einer Entfernung von über 100 m vom Vorhaben liegt. Abgesehen von dem genannten Gebäudekomplex weisen die Gebäude auf der Nordseite der … Straße gegenüber dem Vorhaben auch eine deutlich unterschiedliche – weil niedrigere – Höhenentwicklung auf und sind klar gewerblich geprägt.
Aufgrund dieser wesentlichen Strukturunterschiede der Bebauung auf der Nordseite der … Straße und der der Südseite ist eine wechselseitige Prägung auszuschließen.
1.3 In dieser maßgeblichen näheren Umgebung des Vorhabens auf der Südseite der … Straße findet sich zwar in den Erdgeschossbereichen im Wesentlichen gewerbliche Nutzung, die hier vorhandenen 3 – 5 Obergeschosse sind allerdings nahezu ausschließlich wohngenutzt. Aufgrund dessen kann dieser Bereich nicht als faktisches Mischgebiet in entsprechender Anwendung von § 6 Baunutzungsverordnung (BauNVO) qualifiziert werden. Ein Mischgebiet dient dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Diese allgemeine Zweckbestimmung verlangt, dass die beiden in dem Gebiet zulässigen Hauptnutzungsarten im Sinne einer etwa gleichgewichtigen und gleichwertigen Durchmischung vorhanden sind. Wohnen und nicht wesentlich störendes Gewerbe müssen sich zwar nicht – etwa bezogen auf die Geschossflächen oder die Zahl der Betriebe im Verhältnis zu den Wohngebäuden – „die Waage halten“. Jedoch darf keine der beiden Hauptnutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere haben bzw. optisch eindeutig dominieren (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 28.4.1972 – IV C 11.69, BVerwGE 40, 94 und U.v. 25.11.1983 – 4 C 21/83, BVerwGE 68, 207 und BVerwG, U.v. 11.4.1996 – 4 B 51/96 – juris, m. w. N.).
Vorliegend ergibt sich eine deutliche Dominanz der Wohnnutzung, wie sich bereits an dem Verhältnis erdgeschossige gewerbliche Nutzung und Wohnnutzung in 3 bis 5 Obergeschossen zeigt; das Verhältnis Wohnnutzung zu Gewerbenutzung wird durch die reine Wohnnutzung in den Rückgebäuden der maßgeblichen Umgebung – … Str. 51 c, 53, 55 – 57 a – noch zusätzlich zugunsten der Wohnnutzung verschoben, so dass das hier vorgefundene Verhältnis Wohnnutzung/Gewerbenutzung weit von dem, von der Rechtsprechung maximal anerkannten Mischungsverhältnis von 70:30 entfernt ist.
Trotz dieses deutlichen Überwiegens der Wohnnutzung liegt wohl – noch – kein faktisches allgemeines Wohngebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 4 BauNVO) vor, da aufgrund der festgestellten gewerblichen Nutzungen in der … Str. 51 a (Reinigung im Erdgeschoss sowie vier gewerbliche und drei freiberufliche Nutzungen in den Obergeschossen) dem Fitness-/Sportstudio in der … Str. 59 sowie einer sozialen Einrichtung und drei gewerblichen, tendenziell freiberuflichen Nutzungen und in der … Str. 59 a mit einer Gaststätte, einem Getränkemarkt und einer Änderungsschneiderei wohl einige nicht im Sinn von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO gebietsversorgende Läden bzw. nur ausnahmsweise gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO gewerbliche Nutzungen vorhanden sind. Allerdings kommt diese Umgebung mit einem hohen Anteil von der Versorgung des Gebiets dienenden Läden und Gaststätten an den gewerblichen Nutzungen einem faktischen Wohngebiet relativ nahe.
In diese als Gemengelage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB zu qualifizierende maßgebliche Umgebung fügt sich das streitgegenständliche Wettbüro nicht ein.
2. Das streitgegenständliche Wettbüro ist bauplanungsrechtlich als Vergnügungsstätte zu klassifizieren.
Unter den Begriff „Wettbüro“ fallen Räumlichkeiten, in denen zwischen dem Kunden (Spieler), dem Wettbüro (Vermittler) und dem – meist im europäischen Ausland ansässigen – Wettunternehmen Transaktionen abgeschlossen werden, wobei es sich um Sportwetten bzw. um Wetten auf diverse sonstige Ereignisse handelt; hinzu kommt im Regelfall, dass die Räumlichkeiten – insbesondere durch die Anbringung von Bildschirmen – Gelegenheit bieten, die Wettangebote bzw. -ergebnisse live mit zu verfolgen, wobei dies alles das Wettbüro von einer bloßen Lotto-/Toto-Annahmestelle in einem Geschäftslokal unterscheidet (OVG NRW, B.v. 10.7.2012 – 2 A 1969/11 – juris). Wettbüros fallen unter den städtebaulichen Begriff der Vergnügungsstätte, da sie unter Ansprache des Spieltriebs ein bestimmtes gewinnbringendes Freizeitangebot vorhalten (HessVGH, B.v. 25.8.2008 – 3 UZ 2566/07 – juris; vgl. auch BayVGH, U.v. 6.7.2005 – 1 B 01.1513 – juris). Wettbüros sind jedenfalls dann Vergnügungsstätten, wenn sie nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen, sondern zu einem wesentlichen Teil auch zur Unterhaltung und zum Spiel in der Zeit bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses aktueller Wetten bieten (VGH BW, B.v. 1.2.2007 – 8 S 2606/06 – juris). Ein Wettbüro verliert also dann den Charakter einer bloßen Wettannahmestelle und ist als Vergnügungsstätte zu werten, wenn die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung der Räumlichkeiten animiert werden, sich dort länger aufzuhalten und in geselligem Beisammensein (gemeinschaftliches Verfolgen der Sportübertragungen) Wetten abzuschließen (OVG RP, B.v. 14.4.2011 – 8 B 10278/11 – juris; BayVGH, B.v. 9.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris, wonach bereits die Kombination von Wettangeboten und Monitoren und/oder Terminals mit Anzeigen von Quoten und Live-Ergebnissen genügt).
Gemessen an diesen Vorgaben handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben um eine Vergnügungsstätte. Nach der Betriebsbeschreibung sollen sowohl Sitzmöglichkeiten geschaffen als auch Bildschirme angebracht werden. Weiter ist die Ausgabe von alkoholfreien Getränken vorgesehen. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um die Spieler nach getätigter Wette zum weiteren Verbleiben in den gegenständlichen Räumen zu animieren und über die Bildschirme die bewetteten Ereignisse zu verfolgen. Das streitgegenständliche Vorhaben unterscheidet sich damit von einer „klassischen“ Lotto-/Toto-Annahmestelle, die regelmäßig nur zur Abgabe eines Spielscheins oder zur Abholung eines Gewinns aufgesucht wird und in der ein weiteres Verweilen der Kunden nicht stattfindet.
3. Die streitgegenständliche Vergnügungsstätte fügt sich ihrer Art nach nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
3.1 Bei der Frage, ob sich bei Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung im Rahmen der Umgebungsbebauung hält, ist hinsichtlich der Zuordnung und Bewertung der vorhandenen Nutzungen auf die Typisierung der Nutzungsarten in der Baunutzungsvorordnung abzustellen, unabhängig davon, dass keine Vergleichbarkeit der Umgebung mit einem der Baugebietstypen nach der Verordnung gegeben ist. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Begriff der „Art der baulichen Nutzung“ in § 34 Abs. 1 BauGB nicht identisch ist mit dem Baugebiet i. S.v. § 1 Abs. 2 BauNVO. Andernfalls wäre die Vorschrift des § 34 Abs. 2 BauGB sinnlos. Die „Art der baulichen Nutzung“ ist vielmehr grundsätzlich mit den Nutzungsarten gleichzusetzen, wie sie durch die Begriffe der Baunutzungsverordnung für die zulässigen Nutzungen in den einzelnen Baugebieten definiert werden (BVerwG, U.v. 3.4.1987 – 4 C 41/84, ZfBR 1987, 260).
Als solchen städtebaulich bedeutsamen Nutzungstyp nennt die Baunutzungsverordnung u. a. auch die Vergnügungsstätte (vgl. z. B. § 4 a Abs. 3 Nr. 2, § 6 Abs. 2 Nr. 8 und § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO), die daher hinsichtlich der Zuordnung und Bewertung nicht mit sonstigen gewerblichen Nutzungen mehr oder weniger störender Art gleichgesetzt werden kann, sondern als eigenständiger Nutzungstyp zu betrachten ist (BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13/93, DVBl. 1995, 515).
Das bedeutet für das streitgegenständliche Vorhaben, dass eine Rahmenverträglichkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung grundsätzlich nur dann anzunehmen wäre, wenn in der näheren Umgebung bereits Wettbüros oder sonstige Vergnügungsstätten vorhanden wären. Das ist indes nicht der Fall.
Soweit derzeit in den Räumlichkeiten der Erdgeschosse der … Str. 51 und 51 a sowie der … Str. 59 Wettbüros betrieben werden, sind diese nicht genehmigt und bereits Einschreitensverfügungen ergangen bzw. die entsprechenden Bauanträge abgelehnt worden; gegen diese Ablehnungen sind ebenfalls Verfahren beim erkennenden Gericht angestrengt worden (… Str. 51/51 a – M 8 K 15.2627 und … Str. 59 – M 8 K 15.4088). Insoweit können diese Betriebe nicht als Vorbild für die beantragte Nutzung herangezogen werden, weshalb in der maßgeblichen Umgebung der Nutzungstyp „Vergnügungsstätte“ nicht vorhanden ist.
Das streitgegenständliche Vorhaben überschreitet daher den vorgegebenen Rahmen.
3.2 Die Überschreitung des durch die Umgebung gesetzten Rahmens führt zwar nicht unbedingt, wohl aber im Regelfall zur Unzulässigkeit des Vorhabens. Denn eine Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens zieht in der Regel die Gefahr nach sich, dass der gegebene Zustand in negativer Hinsicht in Bewegung und damit in Unordnung gebracht wird (BVerwG, U.v. 15.12.1994 – a. a. O.). Allerdings kann die Frage, ob eine solche Entwicklung zu befürchten ist, nur unter Berücksichtigung der konkreten Eigenart der näheren Umgebung und der konkreten Umstände, die Spannungen hervorrufen können, beantwortet werden. Die abstrakte und nur entfernt gegebene Möglichkeit, dass ein Vorhaben Konflikte im Hinblick auf die Nutzung benachbarter Grundstücke auslöst, schließt die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht aus (BVerwG v. 15.12.1994 a. a. O.). Bei einer Überschreitung des Rahmens kommt es darauf an, ob die gegebene Situation verschlechtert, gestört, belastet oder in Bewegung gebracht wird (BVerwG v. 15.12.1994 a. a. O.). Solche städtebaulichen Spannungen können auch durch die (negative) Vorbildwirkung eines Vorhabens entstehen, die dann gegeben ist, wenn bei Zulassung des beantragten Vorhabens weitere ähnliche Vorhaben nicht verhindert werden könnten; diese weiteren Vorhaben müssen in diesem Fall nicht schon konkret projektiert sein, ihre Verwirklichung muss nach der Erfahrung lediglich als konkret möglich erscheinen (BVerwG, B.v. 28.11.1995 – 4 B 162/95 – juris).
Städtebauliche Spannungen aufgrund einer Vorbildwirkung des streitgegenständlichen Vorhabens im vorgenannten Sinn sind gegeben. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass in der näheren Umgebung aktuell zwei weitere ungenehmigte Wettbüros (… Str. 51/51 a und 59) betrieben werden, so dass konkret zu befürchten steht, dass die streitgegenständliche Vergnügungsstätte weitere Vergnügungsstätten nach sich ziehen würde.
4. Selbst wenn man – entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten – mit dem Kläger und der Beklagten eine wechselseitige Prägung der Bebauung auf der Süd- und Nordseite der … Straße annehmen würde und die so gefundene maßgebliche Umgebung als „Mischgebiet“ qualifizieren würde, wäre das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig.
4.1 In einem faktischen Mischgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO wären Vergnügungsstätten im Sinne des § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in den Teilen des Gebietes, die überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt sind, allgemein zulässig (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO).
Diese Voraussetzungen wären nicht gegeben.
Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob es sich um eine Vergnügungsstätte im Sinne des § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und damit um eine nicht kerngebiets-typische Vergnügungsstätte handelt. Zwar ist der Klagepartei zuzugeben, dass der zur Klassifizierung der Gebietstypik von Spielhallen angewandte Schwellenwert von 100 m² bei Wettbüros nicht ohne Weiteres gleichermaßen anzusetzen ist, da diese Größenzuordnung im Zusammenhang mit der Anzahl der Spielautomaten steht, die zulässigerweise auf einer solchen Fläche aufgestellt werden können (vgl. VGH BW, U.v. 22.2.2011 – 3 S 445/09 und BayVGH, B.v. 19.1.2012 – 15 ZB 09.3142 – beide juris).
Andererseits kann nicht außer Acht gelassen werden, dass ein Wettbüro mit über 100 m² und einer entsprechenden Ausstattung doch erheblich über dem Größenbedarf liegt, den auch ein als Vergnügungsstätte ausgestaltetes Wett-büro üblicherweise aufweist.
Es ist daher davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Wettbüro auch eine entsprechend überdurchschnittliche Anziehungskraft ausübt und der Kundenkreis nicht nur auf die unmittelbare oder mittelbare Umgebung beschränkt bleiben wird.
Abgesehen davon würde es sich vorliegend nicht um einen Bereich, der – wie § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO verlangt – überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt ist, handeln (s. oben 1.3). Eine andere rechtliche Beurteilung kann – entgegen der Auffassung der Klagepartei – auch nicht aus der Annahme einer vertikalen Gliederung abgeleitet werden.
Eine solche ist in faktischen Baugebieten gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. §§ 2 – 11 BauNVO nicht zulässig (BVerwG, B.v. 12.2.1990 – 4 B 240/89 – juris Rn. 6).
4.2 Auch eine ausnahmsweise Zulassung nach § 6 Abs. 3 BauNVO käme vorliegend nicht in Betracht.
Hiernach können Vergnügungsstätten im Sinne des § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO außerhalb der in § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO bezeichneten Teile des Gebietes zugelassen werden.
Eine solche Ausnahme schiede hier – unabhängig von der oben aufgeworfenen Frage der Kerngebietstypik der Vergnügungsstätte – aus, da die Zulassung der streitgegenständlichen Vergnügungsstätte insoweit gegenüber der überwiegend wohngenutzten Umgebung rücksichtslos wäre.
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, den die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vor-haben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m. w. N.). Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686 – juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98, BVerwGE 109, 314 – juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04, NVwZ 2005, 328 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11, BVerwGE 145, 145 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22).
Im Hinblick auf die Größe der streitgegenständlichen Vergnügungsstätte, deren Öffnungszeiten und die Tatsache, dass die nähere Umgebung auf der Südseite der … Straße einem faktischen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO sehr nahe kommt (vgl. 1.3), ist das streitgegenständliche Vorhaben der hier ansässigen Wohnbevölkerung nicht zumutbar.
4.3 Aus den gleichen Gründen käme auch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht in Betracht, ganz abgesehen davon, dass bei einer Befreiung von der Art der Nutzung – abgesehen von speziellen Ausnahmefällen – tendenziell die Grundzüge der Planung berührt sein dürften.
5. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen