Aktenzeichen 15 ZB 17.985
Leitsatz
Bei der Prüfung einer zur Unzulässigkeit führenden Überschreitung des aus der näheren Umgebung herzuleitenden Maßes verbietet sich eine Kombination der in der maßstabsbildenden Umgebung bei einzelnen Gebäuden separat jeweils größten vorzufindenden Faktoren wie Grundfläche, Geschosszahl und Höhe („Rosinentheorie“), weil dadurch Baulichkeiten entstehen, die in ihren Dimensionen kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 6 K 16.1447 2017-03-28 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Im vorliegenden Verfahren wendet sich die Klägerin gegen die Baugenehmigung der Beklagten vom 11. August 2016, mit welcher der Beigeladenen die Nutzungsänderung und Erweiterung eines Lebensmittelmarkts im südlichen Bereich der Stadt Bogen in direkter Nähe zum Bahnhof bzw. zur ehemaligen Bahnstrecke Straubing-Miltach zur Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber mit (nach den Bauvorlagen) maximal 189 Personen gestattet wurde. In einem vorangegangenen Verfahren (VG Regensburg, B.v. 14.6. 2016 – RN 6 E 16.722; BayVGH, B.v. 21.7.2016 – 15 CE 16.1279) hatte die Klägerin erfolglos versucht, als Standortgemeinde unter Hinweis auf ihre bauleitplanerischen Aktivitäten die vorläufige Zurückstellung des Baugesuchs der Beigeladenen zu erwirken. Mit Urteil vom 28. März 2017 (RN 6 K 16.1447) wies das Verwaltungsgericht die Klage gegen die Baugenehmigung ab. Nachdem es zunächst mit Beschluss vom 2. November 2016 (RN 6 S. 16.1492) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung angeordnet hatte, hob das Verwaltungsgericht diese Entscheidung mit Beschluss vom 7. April 2017 (RN 6 S. 17.433) auf und lehnte den Eilantrag der Klägerin ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof unter dem Aktenzeichen 15 CS 17.851 anhängig. Mit ihrem Zulassungsantrag verfolgt die Klägerin ihr Ziel der Aufhebung der Baugenehmigung weiter.
Wegen des Vortrags im Zulassungsverfahren wird auf die Gerichtsakten 15 ZB 17.985, wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie die vorgelegten Bauakten verwiesen.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO für die Zulassung der Berufung sind nicht erfüllt. In entsprechender Anwendung von § 144 Abs. 4 VwGO ist anhand der Aktenlage festzustellen, dass das Verwaltungsgericht die Klage – jedenfalls – zu Recht abgewiesen hat. Die Genehmigung des am Maßstab des § 34 BauGB zu prüfendenden Vorhabens verletzt keine subjektiv-öffentlichen Rechte (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, § 36 BauGB, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV – Planungshoheit) der Klägerin.
Die seitens der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts geltend gemachten Zulassungsgründe, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – ernstliche Zweifel an der Richtigkeit, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO – besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO – grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und § 124 Abs. 2 Nr. 4 – Divergenz, liegen entweder nicht vor oder wurden nicht gemäß den Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO dargelegt.
1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB muss sich ein Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen.
1.1 Das Verwaltungsgericht hat das Einfügen des Vorhabens – als wohnähnliche Anlage für soziale Zwecke – der Art nach bejaht, da die maßgebliche Umgebung, zwischen den Beteiligten unstreitig, als faktisches Mischgebiet (§ 34 Abs. 2, § 6 BauNVO) einzustufen sei, in dem derartige Anlagen gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO (allgemein) zulässig sind.
Die Zulassungsbegründung stellt (unter I.1. und 2.) die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Gebietseinstufung nicht in Abrede. Sie kritisiert jedoch die Abgrenzung des für die Beurteilung des Vorhabens entscheidenden Umgriffs vor allem mit dem Argument, dass der Kreis der näheren Umgebung in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung viel weiter gezogen worden sei als hinsichtlich der Art der Nutzung. Bei der Bestimmung des faktischen Mischgebiets seien eine vorhandene Schreinerei und ein Holzverarbeitungsbetriebe außer Acht zu lassen.
Diese Einlassungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu wecken. Die planungsrechtliche Situation des Baugrundstücks – von dem nur die nach Nordwesten weisende und ein (nördlicher) Teil der ostsüdöstlichen Grenze gerade verlaufen, das südliche Drittel des Grundstücks ist völlig ungleichmäßig zugeschnittenen – wird jedenfalls auch durch die im Süden jenseits der Bahnhof Straße vorhandene Wohn- und Gewerbebebauung mitbestimmt. Das ergibt sich aus den in den Akten enthaltenen Lageplänen und Luftbildern und ist hinsichtlich der Blickbeziehungen auch den von verschiedenen Standpunkten zu ebener Erde aus aufgenommenen Fotos zu entnehmen. Schiede man – der Argumentation der Klägerin folgend – aus der Umgebung, die die Einordnung als Mischgebiet auch ihrer Auffassung nach grundsätzlich rechtfertigt, die beiden dort vorhandenen „störenden“ Betriebe als Fremdkörper aus, bliebe das angesichts der Größen- und Lageverhältnisse im Übrigen ohne Einfluss auf die zuvor festgestellte Gesamt-Gebietscharakteristik. Wollte man den genannten Betrieben wegen ihrer Größe und ihren Auswirkungen auf die Umgebung demgegenüber einen gebietsprägenden Einfluss zugestehen und müsste deshalb das Vorliegen eines faktischen Mischgebiets verneint werden, wäre eine „Gemengelage“ die Folge. Die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art wäre an Ort und Stelle auch dann nicht anders zu beurteilen als geschehen.
Die unter I.3. der Zulassungsbegründung pauschal vorgebrachte Befürchtung, die Zulassung der Unterkunft bringe das faktische Mischgebiet entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts zum „Kippen“ in ein allgemeines Wohngebiet, ist bereits zu wenig substanziiert, als dass sie Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hervorrufen könnte. Unabhängig davon dürfte die Annahme der Klägerin auch nicht zutreffen. Die südlich unmittelbar an die Bahnhof Straße, auf großenteils ausgedehnten Grundstücken errichteten Wohn- und Gewerbebauten besitzen in jeder Hinsicht ein derartiges Gewicht, dass auch in Zukunft von dem für ein Mischgebiet ausreichenden städtebaulichen Nebeneinander (vgl. § 6 Abs. 1 BauNVO) in Verbindung mit der jenseits der Bahnhof Straße bis zur Richard Seefried Straße im Norden und – ohne dass entscheidungserheblich darauf abzustellen wäre, richtigerweise aber wohl – zur Lintacher Straße im Osten reichenden, überwiegenden Wohnbebauung gesprochen werden kann.
1.2 Das Einfügen des Vorhabens nach dem Maß der baulichen Nutzung ist ebenfalls nicht ernstlich zweifelhaft. Das Verwaltungsgericht hat die Zulässigkeit des Vorhabens zu Recht bejaht. Das Prüfungsraster des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bietet keine Handhabe, das eingeschossige Vorhaben wegen der Fläche, die es auf dem Baugrundstück überdeckt, wegen einer behaupteten Maßüberschreitung zu verhindern. Eine zur Unzulässigkeit führende Überschreitung des aus der näheren Umgebung herzuleitenden Maßes der baulichen Nutzung liegt nicht vor.
Nach gefestigter Rechtsprechung (VG München, U.v. 18.4.2016 – M 8 K 15.1531 – juris; U.v. 18.4.2015 – M 8 K 14.2632 – juris; BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – ZfBR 2017, 263 = juris Ls 2 und Rn. 19,20) verbietet sich eine Kombination der in der maßstabsbildenden Umgebung bei einzelnen Gebäuden separat jeweils größten vorzufindenden Faktoren wie Grundfläche, Geschosszahl und Höhe („Rosinentheorie“), weil dadurch Baulichkeiten entstehen, die in ihren Dimensionen kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. Insoweit ist festzustellen – was die Klägerin auch nicht in Frage stellt –, dass das Vorhaben im Verhältnis zur Größe des Baugrundstücks nur unwesentlich mehr Fläche in Anspruch nimmt (GRZ: 0,71) als das im Südwesten unmittelbar daneben befindliche, dreigeschossige Gebäude, in dem sich Büros, ein Laden, Praxen und Wohnnutzung befinden (FlNr. 536, GRZ: 0,68). Dass die flächige Ausdehnung des Vorhabens um ein mehrfaches größer ist als die des eben genannten Gebäudes, liegt allein an der unterschiedlichen Größe der Grundstücke, also an der bodenrechtlichen Ausgangssituation. Direkt gegenüber dem Baugrundstück, auf der anderen Seite der Bahnhof Straße, erreicht die dreigeschossige Bebauung auf FlNr. 511 (Gewerbe/Laden/Wohnen) eine GRZ von 0,72, hier sind bei einer Grundstücksgröße von 1.586,3 m² 1.138,47 m² mit Hauptgebäuden überbaut (vgl. zu allem die Auflistung auf Seite 4 des erstinstanzlichen Urteils). Nachdem sich das Vorhaben damit lediglich in Bezug auf die im Verhältnis zur Größe des Grundstücks überbaute Fläche an den größten in der Umgebung vorzufindenden Referenzobjekten orientiert, nicht aber an den anderweit vorhandenen Geschosszahlen und absolut erreichten Höhen, kann seine Zulässigkeit nicht wegen eines Verstoßes gegen das Maß der baulichen Nutzung verneint werden. Der Senat teilt im Ergebnis die gleichlautende Auffassung des Verwaltungsgerichts; auf die große Flächen überdeckenden Glasgewächshäuser auf FlNr. 513 als Referenzobjekte kommt es aus der Sicht des Senats nicht entscheidungserheblich an.
Unabhängig davon kann die für die Asylbewerberunterkunft geplante weitere Vergrößerung der Grundfläche – auch wenn das ehemalige gewerblich genutzte Gebäude auf dem Baugrundstück, abgesehen von dem oben erwähnten, weiter südlich gelegenen Gewächshauskomplex, schon im bisherigen Bestand die größte Grundfläche in der Umgebung aufweist – angesichts des außergewöhnlichen Grundstückszuschnitts und der erheblichen Grundstücksgröße keine (weiteren) bodenrechtlichen Spannungen auslösen: Das Vorhaben stiftet keine spezifisch planungsrechtliche Unruhe, die ein potentielles Planungsbedürfnis nach sich ziehen könnte; die bauplanungsrechtliche Situation verschlechtert sich durch die begehrte Erweiterung des Gebäudes nicht (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55,369 = juris Rn. 47; U.v. 17.6.1993 – 4 C 17.91 – NVwZ 1994, 294 = juris Rn. 19; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Mai 2017, § 23 Rn. 30, 31, 45 m.w.N.). Insbesondere verändert das geplante Gebäude im Fall seiner Umsetzung den Rahmen für die künftige Bebauung im Ortsteil nicht.
2. Noch nicht rechtsverbindlich umgesetzte Stadtumbauvorhaben (vgl. I.7 der Zulassungsbegründung) und Planungsentwürfe rechtfertigen weder die Versagung des Einvernehmens noch verletzt die Baugenehmigung insoweit die – nicht ausgeübte – Planungshoheit der Klägerin.
3. Der Vortrag zu den weiter geltend gemachten Zulassungsgründen erschöpft sich weitgehend in allgemein gehaltenen Erwägungen ohne nennenswerte Substanz. Die fehlenden rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten ergeben sich aus der Darstellung unter 1.; grundsätzliche Bedeutung fehlt der Rechtssache, weil die Voraussetzungen für das Einfügen gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB obergerichtlich geklärt sind und seitens der Klägerin hier nur die Rechtsanwendung im Einzelfall kritisiert wird. Die behauptete Divergenz wird nicht ordnungsgemäß begründet. Das Urteil des Erstgerichts enthält an keiner Stelle einen Rechtssatz, „dass bei der Bestimmung des faktischen Mischgebiets i.S.d. § 34 Abs. 2 i.V.m. § 6 BauNVO der Umgriff der einzubeziehenden Grundstücke enger gezogen werden kann als bei der Bestimmung der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB im Zusammenhang mit der Prüfung, ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt“.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da sich die Beigeladene mit umfangreichem Vorbringen der Klägerin im Zulassungsverfahren detailliert auseinandergesetzt hat, dabei die erheblichen Fragen aufgegriffen und zutreffend beantwortet hat und damit das Verfahren wesentlich gefördert hat, sind ihre Kosten im Zulassungsverfahren ausnahmsweise für erstattungsfähig zu erklären (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 15 ZB 15.2761 – n.v.).
5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 57) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Schmeichel Dr. Seidel Schweinoch