Aktenzeichen M 11 S 16.1363
Leitsatz
Es ist für den Befreiungstatbestand des § 246 Abs. 12 BauGB nicht erforderlich, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens
zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 7.500,– EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, eine kreisangehörige Gemeinde, wendet sich gegen die vom Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Verwaltungsgebäudes in eine Wohnunterkunft für Asylbewerber auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung …
Die Beigeladene beantragte mit Bauantrag vom 18. November 2015, bei der Antragstellerin eingegangen am 26. November 2015, beim Landratsamt am 14. Dezember 2015, die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben: „Nutzungsänderung eines bestehenden Verwaltungsgebäudes in eine Wohnunterkunft für Asylbewerber“ auf dem oben genannten Grundstück, …str. 16 in …
Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „Industriegebiet an der …straße“ der Antragstellerin. Das auf dem Grundstück befindliche Bestandsgebäude wird in den Akten durchgehend als „Verwaltungsgebäude“ bezeichnet.
Mit Schreiben der Beigeladenen an die Antragstellerin vom 8. Dezember 2015 erbat die Beigeladene, das Vorhaben des Bauantrages zu ergänzen bzw. zu ändern in: „Nutzungsänderung eines bestehenden Verwaltungsgebäudes in eine Unterbringungseinrichtung für Asylbewerber“. Es sei angedacht, 55, jedoch maximal 60 Bewohner als Obergrenze, in dem Gebäude unterzubringen. Zudem wurde in dem Schreiben eine „Befreiung nach § 246 BauGB“ beantragt.
Der Bauantrag wurde in der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses der Antragstellerin am 8. Dezember 2015 behandelt. Am Ende des entsprechenden Tagesordnungspunktes wurde beschlossen, für die beantragte Nutzungsänderung des bestehenden Gebäudes in eine zeitlich befristete Unterbringungseinrichtung für Asylbewerber das gemeindliche Einvernehmen „nach § 36 Abs. 2 BauGB“ nicht zu erteilen, da die beantragte Nutzungsänderung den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. … „Industriegebiet an der …straße (9. Änderung)“ widerspreche. Eine Befreiung „nach § 246 Abs. 12 BauGB und § 31 Abs. 2 BauGB“ von den Festsetzungen des Bebauungsplanes wurde nicht erteilt.
Zur Begründung ist angegeben, die beantragte Befreiung könne nicht erteilt werden, weil dadurch die Grundzüge der Planung berührt würden, die Nutzung nicht gebietsverträglich sei, die nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar seien und der Standort zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen benötigt werde.
Auf den bei den Akten befindlichen Auszug aus der Niederschrift des Bau- und Umweltausschusses der Antragstellerin vom 8. Dezember 2015 wird Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 der Antragstellerin, beim Landratsamt eingegangen am selben Tag, wurde mitgeteilt, dass „das gemeindliche Einvernehmen nicht erteilt wird“.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2015 teilte das Landratsamt der Antragstellerin mit,
die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens zu dem oben genannten Bauvorhaben sei rechtswidrig. Es sei beabsichtigt, das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen. Mit dem Telefax der Beigeladenen vom 8. Dezember 2015 sei der Genehmigungsantrag um einen Antrag auf Befreiung nach § 246 BauGB ergänzt worden. Hinsichtlich der Befreiungsmöglichkeit würden die Ausführungen der Antragstellerin rechtsfehlerhaft erscheinen. Mit der Frage, ob nicht möglicherweise ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Befreiung bestehe, setze sich die Stadt … nicht auseinander. Nach vorläufiger Prüfung bestehe ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Befreiung auf der Grundlage von § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB.
Im Übrigen wird auf das Schreiben Bezug genommen.
Mit Schreiben der Antragstellerin vom 29. Januar 2016 wurde dem Landratsamt Folgendes mitgeteilt:
Die Sache sei nochmals im Bau- und Umweltausschuss am 12. Januar 2016 behandelt worden. Die Antragstellerin bleibe bei der Rechtsauffassung, dass die Befreiung nicht erteilt werden könne.
Auf das Schreiben sowie den beigefügten Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Bauausschusses vom 12. Januar 2016 – die sich bei den Akten befinden – wird Bezug genommen.
Mit internem Schreiben des Landratsamtes – Untere Immissionsschutzbehörde vom 18. Februar 2016 wurde das Vorhaben immissionsschutzfachlich beurteilt und dem Antrag auf Nutzungsänderung zugestimmt, sofern Auflagen zur Luftreinhaltung sowie zum Lärmschutz verfügt würden. Das Baugrundstück sowie die nordöstlichen, südöstlichen und südwestlichen Grundstücke befänden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „Industriegebiet an der … Straße“. Die tatsächliche bauliche Nutzung entspreche dieser Festsetzung. Das Verwaltungsgebäude sei durch das Industriegebiet und die nordwestlich vorbeiführende Staatsstraße erheblichen Lärmimmissionen ausgesetzt. Nach Kenntnisstand der Unteren Immissionsschutzbehörde beschränke sich die gewerbliche Nutzung in der Umgebung weitestgehend auf die Tageszeit. Zur Einhaltung der in den Schlafräumen zulässigen Innenpegel seien Lüftungseinrichtungen erforderlich, die auch bei geschlossenen Fenstern eine ausreichende Belüftung der Räume gewährleisteten. Als Auflagen zum Lärmschutz müssten entsprechend den Vorgaben der DIN 4109 die Außenhautbauelemente (Wände und Fenster) der Aufenthaltsräume ein resultierendes Schalldämmmaß von mindestens 40 dB(A) aufweisen. Dies sei durch Berechnungen nachzuweisen. Um die Schlafräume bei geschlossenen Fenstern mit ausreichender Frischluft zu versorgen, seien sie mit fensterunabhängigen Be-/Entlüftungseinrichtungen auszustatten.
Mit Bescheid vom 8. März 2016 genehmigte das Landratsamt, befristet für drei Jahre, den Bauantrag für das Vorhaben: „Nutzungsänderung eines bestehenden Verwaltungsgebäudes in eine Wohnunterkunft für Asylbewerber auf dem Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung …“. Unter II. ist im Bescheid verfügt, dass von den Festsetzungen des Bebauungsplanes „Industriegebiet an der … Straße“ eine Befreiung von der festgesetzten Art der baulichen Nutzung gewährt wird.
In der Begründung des Bescheides ist im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin habe das nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderliche Einvernehmen zu dem gegenständlichen Bauvorhaben rechtswidrig versagt. Nach Ansicht der Genehmigungsbehörde bestehe ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Befreiung. Einschlägig sei § 246 Abs. 12 BauGB. Da es sich dabei um eine Ermessensentscheidung handele, habe die Antragstellerin einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Dieser verdichte sich zu einem Anspruch auf Erteilung der Befreiung, da bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung allein die Erteilung der Befreiung rechtmäßiger Weise denkbar sei (Ermessensreduzierung auf Null). Regelmäßig bliebe für die Ausübung des Befreiungsermessens wenig Spielraum, wenn die engen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB erfüllt seien. Die neugeschaffene Befreiungsmöglichkeit ziele gerade auf die Erteilung der Befreiung ab. Da die relativ engen Voraussetzungen für die Erteilung der Befreiung erfüllt seien, bedürfte es konkreter entgegenstehender nachbarlicher Belange oder konkreter entgegenstehender städtebaulicher Gründe, um die Befreiung zu verweigern. Derartiges sei weder dargelegt noch ersichtlich.
Das Argument der Standortsicherung und Arbeitsplatzerhaltung übersehe, dass dies bereits Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Aufstellung des Bebauungsplanes gemäß § 1 Abs. 3 BauGB gewesen sei. Dem Gesetzgeber sei bei der Schaffung des § 246 Abs. 12 BauGB das Erforderlichkeitsgebot bekannt gewesen. Dies bedeute, dass die zeitlich befristete Wirkung auf die vorhandenen Industriegebiete wegen der Gesetzesänderung des § 246 Abs. 12 BauGB hinzunehmen sei. Könnte die Erforderlichkeit eines Industriegebietes der Befreiung entgegengehalten werden, würde die Befreiungsmöglichkeit faktisch ins Leere laufen. Der Gebietscharakter würde durch die Umnutzung nicht in Frage gestellt. Anders als bei § 31 Abs. 2 BauGB sei die Wahrung der Grundzüge der Planung für die Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB gerade nicht Voraussetzung. Für die Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB sei irrrelevant, ob nach dem Bebauungsplan „Anlagen für soziale Zwecke“ allgemein oder ausnahmsweise zulässig seien. Anders als bei § 246 Abs. 10 BauGB sei dies nicht Voraussetzung für die Erteilung einer Befreiung. In der Umgebungsbebauung seien Betriebe, wie sie auch in einem Gewerbegebiet zulässig wären. Industriebetriebe mit außergewöhnlich starken Emissionen seien in der Nachbarschaft nicht vorhanden. Das Gebäude befinde sich nicht im Einflussbereich von Betrieben, die zur Nachtzeit Immissionen verursachten. Das Gebäude liege außerdem am Rand des Industriegebietes. Auch mit den nachbarlichen Interessen sei eine Befreiung vereinbar. Von der Unterbringungseinrichtung seien keine Emissionen zu befürchten, die in einem Industriegebiet unzumutbar wären. Es stehe auch nicht zu befürchten, dass bestehende Betriebe aufgrund der Nutzungsänderung Betriebseinschränkungen hinnehmen müssten, da in dem Gebäude gesunde Wohnverhältnisse sichergestellt seien. Mittels Auflage werde geregelt, dass die Fenster zu Wohn- und Aufenthaltsräumen Schallschutzklasse 3 aufweisen müssten. In Zusammenschau mit dem Mauerwerk werde so insgesamt ein ausreichend bewertetes Schalldämmmaß erreicht. Durch diese passive Lärmschutzmaßnahme werde erreicht, dass in diesen Räumen ein Innenpegel von 30 dB(A) nicht überschritten werde. Bei diesem Innenpegel sei ein gesundes Wohnen sichergestellt. Die wohnähnliche Nutzung sei somit nicht schutzlos unzumutbaren Belästigungen ausgesetzt, so dass ein Einschreiten der zuständigen Behörde – insbesondere nach § 24 BImSchG – gegenüber benachbarten Vorhaben nicht erfolgen könne.
Aufgrund der relativ kurzen Befristung auf drei Jahre sei zur Beurteilung verstärkt der gegenwärtige Bestand heranzuziehen. In der Nähe befänden sich keine Betriebe, die derart hohe Immissionen verursachen würden, die mit der wohnähnlichen Nutzung nicht vereinbar wären. Die Umgebungsbebauung entspreche eher einem Gewerbegebiet. Die im Industriegebiet zulässigen Immissionsrichtwerte würden nicht ausgeschöpft. Der zulässige Lärmrichtwert von 70 dB(A) werde weder zur Tag- noch zur Nachtzeit erreicht. Dass die wohnähnliche Nutzung für Bewohner und für Gewerbetreibende zumutbar sei, werde durch die Tatsache belegt, dass der Bebauungsplan Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter ausnahmsweise zulasse. Faktisch fände auf dem Nachbargrundstück (Fl.Nr. …) sogar Wohnnutzung statt. In der Umgebung befänden sich keine Betriebe, die zur Nachtzeit Immissionen verursachen würden. Hinzukomme die Regelung in der TA-Lärm Nr. 7.1. Die Unterbringung von Flüchtlingen gelte bei der derzeitigen Vielzahl von unterbringungsbedürftigen Personen als Erfordernis der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Hinblick auf deren bedrohte Rechtsgüter „Leben und Gesundheit“. Da Unterbringungseinrichtungen in Industriegebieten für einen Zeitraum von drei Jahren im Befreiungswege zugelassen werden könnten, seien die gebietstypischen Immissionen von den dort untergebrachten Personen hinzunehmen; das Rücksichtnahmegebot sei somit beachtet.
Soweit seitens der Antragstellerin auf den Betrieb der Schießanlage auf Fl.Nr. … verwiesen werde, sei festzustellen, dass diese seit Jahren ohne die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung betrieben werde und das Landratsamt mit dem Betreiber deshalb in Kontakt stehe. Dass die Nutzung dieser Anlage nicht längst untersagt worden sei, sei lediglich dem Entgegenkommen des Landratsamtes zu verdanken. Da die Anlage – insbesondere die Freischießanlagen – zur Nachtzeit nicht genutzt würden, stehe nicht zu erwarten, dass von dieser Schwarznutzung unzumutbare Immissionen auf die Unterbringung ausgingen. An die ansässigen Unternehmer würden durch die heranrückende wohnähnliche Nutzung keine über die ohnehin bestehende Verkehrssicherungspflicht hinausgehenden Sicherheitsanforderungen gestellt.
Der von der Antragstellerin vorgetragene Einwand, der Standort sei ungeeignet, da keine ausreichende verkehrliche Infrastruktur anzutreffen sei, verfange nicht. Entlang der Staatsstraße verlaufe ein einseitiger Geh- und Radweg. Hierbei handele es sich nicht um eine baurechtliche Thematik; außerdem könne den Bewohnern nicht unterstellt werden, dass sie mit der Verkehrssituation nicht zurechtkämen. Die Antragstellerin habe angeführt, dass von dem in unmittelbarer Nachbarschaft ansässigen Reifenverwerter durch die Tätigkeit des Reifenschretterns unzumutbare Geruchsbelästigungen verursacht würden. Zwar sei vereinzelter Geruch nach Gummi bei dieser Tätigkeit nicht auszuschließen, jedoch könne nach Einschätzung des Sachbereichs „Technischer Umweltschutz“ ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um unzumutbare Beeinträchtigungen handele. Bei mehreren Ortseinsichten habe kein Geruch festgestellt werden können. Solange die Reifen lediglich mechanisch zerkleinert würden, handele es sich nicht um eine geruchsintensive Tätigkeit. Gerüche bzw. Luftverunreinigungen seien nur denkbar, wenn die Autoreifen geschmolzen würden. Würde die Anlage jedoch so heiß, dass das Material zu schmelzen beginne, würde dies aufgrund verklebender Rückstände zur Funktionsuntüchtigkeit der Maschine führen. Ein derartiger Betrieb der Maschine könne daher ausgeschlossen werden. Das zu diesem Betrieb gehörende Stromaggregat führe nach den Feststellungen des Sachgebietes „Technischer Umweltschutz“ weder unter dem Gesichtspunkt der Lärm- noch Geruchsbelästigungen zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der wohnähnlichen Nutzung.
Im Übrigen wird auf den Bescheid und dessen Begründung Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 21. März 2016, beim Verwaltungsgericht München eingegangen per Telefax am selben Tag, erhob die Antragstellerin Klage mit dem Antrag, die der Beigeladenen erteile Baugenehmigung des Landratsamtes vom 8. März 2016 aufzuheben.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt:
Das Baugrundstück liege im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „Industriegebiet an der „… Straße““ vom 14. Februar 1975. Es liege des Weiteren im Geltungsbereich der 9. Änderung dieses Bebauungsplanes vom 22. Juli 2003. Mit dieser Änderung habe die Antragstellerin gemäß § 1 Abs. 6 BauGB Anlagen nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO im gesamten Geltungsbereich der 9. Änderung ausgeschlossen. In der Nachbarschaft der geplanten Wohnunterkunft für Asylbewerber existierten die folgenden Betriebe:
• … Rohstoffrecycling … Sekundärrohstoffe AG
• Reifen … – Schredderbetrieb.
Zudem befinde sich in etwa 300 m Entfernung der geplanten Wohnunterkunft auf Fl.Nr. … eine Schießanlage mit Freiständen. Die erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze die Antragstellerin in ihren Rechten.
Das Landratsamt habe das Einvernehmen rechtswidrig ersetzt. Die Voraussetzungen einer Befreiung gemäß § 246 Abs. 12 BauGB lägen nicht vor.
Zudem habe das Landratsamt der Antragstellerin die Ersetzung des Einvernehmens nicht bekanntgegeben.
Das Vorhaben sei mit den öffentlichen Belangen unvereinbar bzw. verletze die Grundzüge der Planung. Die Auffassung des Landratsamtes, dass die Wahrung der Grundzüge der Planung für die Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB nicht Voraussetzung sei, sei falsch. Die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit öffentlichen Belangen sei dann nicht gegeben, wenn die Befreiung von der Art der baulichen Nutzung sich als Verletzung eines Grundzuges der Planung des Bebauungsplanes erweise. Zu den öffentlichen Belangen, mit denen ein Vorhaben gemäß § 246 Abs. 12 BauGB zu vereinbaren sein müsse, gehöre die Beachtung der Grundzüge der Planung, die durch die Befreiung nicht verletzt werden dürften. Das folge aus einer Entscheidung des VG Hamburg (B.v. 12.02.2016 – 7 E 6816/15 -, juris Rn. 55). Eine genaue Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Merkmale „Grundzüge der Planung“ und „Beeinträchtigung öffentlicher Belange“ sei nicht möglich. Die Merkmale überschnitten sich. Das Verbot, mit einer Befreiung die Grundzüge der Planung zu berühren, sei ein Unterfall der Beeinträchtigung öffentlicher Belange. Die Voraussetzung „mit den öffentlichen Belangen vereinbar“ im Sinne von § 246 Abs. 12 BauGB habe keinen anderen Inhalt als bei § 31 Abs. 2 BauGB. Das von dem allgemeinen Verständnis abweichende Verständnis des Landratsamtes, wonach im Rahmen von § 246 Abs. 12 BauGB das Verhältnis zwischen dem durch Befreiung zu ermöglichenden Vorhaben und dem Konzept des Bebauungsplanes unerheblich sein solle, sei weder nach der Systematik der Vorschrift selbst anzunehmen noch nach den sonstigen Zusammenhängen mit den übrigen Vorschriften des Baugesetzbuches. Dies werde vom Verwaltungsgericht Hamburg mit zutreffender Begründung dargelegt; dieses gelange zu dem überzeugenden Ergebnis, dass eine Befreiung mit den öffentlichen Belangen im Sinne von § 246 Abs. 12 BauGB insbesondere dann nicht vereinbar sei, wenn das Vorhaben die Grundzüge der Planung in diesem Sinn schwerwiegend beeinträchtige bzw. verletze.
Die vom Landratsamt erteilte Befreiung sei mit den öffentlichen Belangen unvereinbar. Sie stehe in deutlichem Gegensatz zu dem Plankonzept des Bebauungsplanes „Industriegebiet an der … Straße“ sowie dessen 9. Änderung und verletze damit die Grundzüge der Planung.
Bereits das ursprüngliche Plankonzept des Bebauungsplanes vom 14. Februar 1975 sei davon geprägt gewesen, erheblich störendes Gewerbe räumlich deutlich getrennt von schutzwürdiger Bebauung in dem neu geschaffenen Industriegebiet anzusiedeln. Den Grundzug der Planung, das Plangebiet erheblich störendem Gewerbe vorzubehalten und schutzwürdige Bebauung auszuschließen, habe die Antragstellerin mit der 9. Änderung des Bebauungsplanes nochmals konkretisiert. Gemäß § 1 Abs. 6 BauNVO seien die ausnahmsweise zulässigen Anlagen im Sinne von § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausgeschlossen worden.
Das Industriegebiet sei das einzige Baugebiet der Baunutzungsverordnung, in dem erheblich störende Gewerbebetriebe untergebracht werden könnten. Der hohe zulässige Störgrad im Industriegebiet sei von Anlagen nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ohnehin hinzunehmen. Die Antragstellerin wollte aber auch diese – ohnehin deutlich begrenzte – ausnahmsweise Zulässigkeit verhindern, um das Plangebiet den erheblich störenden Gewerbebetrieben vorzubehalten.
Mit der 9. Änderung sei zum Ausdruck gebracht worden, dass im Plangebiet eine ausnahmslose Zulässigkeit erheblich störender Gewerbebetriebe zu schaffen sei. Dies stelle somit den Grundzug der Planung dar.
Die vom Landratsamt erteilte Befreiung verletze diesen Grundzug der Planung. Bei der geplanten Unterkunft für Asylbewerber handele es sich nicht um einen erheblich störenden bzw. störungsunempfindlichen Gewerbebetrieb. Daher sei die Befreiung ausgeschlossen.
Ein Widerspruch zu öffentlichen Belangen könne im Rahmen einer Befreiungsentscheidung nicht durch einen anderen öffentlichen Belang, der für die Abweichung spreche, planerisch abwägend ausgeglichen werden.
Die Befreiung sei außerdem mit gesunden Wohnverhältnissen gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB nicht vereinbar. Nach dem Genehmigungsbescheid sollten die gesunden Wohnverhältnisse mittels des in den Auflagen vorgesehenen passiven Schallschutzes geschaffen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sehe die TA-Lärm passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung nicht vor. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit seien nach Nr. 6.1 der TA-Lärm außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Diese könnten durch passive Schallschutzmaßnahmen nicht beeinflusst werden. Es seien die Außenimmissionsrichtwerte der Nr. 6.1 der TA-Lärm anzuwenden. Es sei keine Lärmberechnung durchgeführt worden. Der Bescheid enthalte keinen Immissionswert für den nach Nr. 2.3 TA-Lärm i. V. m. Nr. A.1.3 des Anhanges maßgeblichen Immissionsort. Aufgrund der vorhandenen, erheblich störenden Gewerbebetriebe sei davon auszugehen, dass die geplante Wohnunterkunft für Asylbewerber unzumutbarem Lärm ausgesetzt sei. Im Industriegebiet seien tags wie nachts Belastungen von bis zu 70 dB(A) zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beginne die Gesundheitsschädigung jedoch bereits bei 70 dB(A) tags/60 dB(A) nachts.
Außerdem existierten erhebliche Geruchsbelästigungen. In unmittelbarer Nachbarschaft befinde sich ein Betrieb, der Altreifen zerkleinere. Mithin sei es in der Vergangenheit sowohl in diesem Betrieb als auch im benachbarten Recycling-Betrieb zu Bränden gekommen. Hinzu komme, dass der benachbarte Reifenverwertungsbetrieb ein Stromaggregat betreibe, welches die Abgase ins Freie leite. Hierdurch entstünden insbesondere Staub- und Stickoxide. Die Unvereinbarkeit mit den gesunden Wohnverhältnissen ergebe sich auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu einer Schießanlage mit Freiständen.
Bei den in Deutschland ankommenden Flüchtlingen handele es sich in weiten Teilen um Kriegsflüchtlinge. Diese litten unter traumatischen Erlebnissen. Der Schießlärm in unmittelbarer Nähe zur geplanten Unterkunft erschwere die Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse. Das seien – jedenfalls für Kriegsflüchtlinge – keine gesunden Wohnverhältnisse.
Die Ersetzung des Einvernehmens sei ein Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde; dieser bedürfe für seine Wirksamkeit der Bekanntgabe gegenüber der Antragstellerin. Unterbleibe diese, werde der materielle Verwaltungsakt nicht existent. Diese Bekanntgabe habe das Landratsamt unterlassen.
Mit Schreiben ebenfalls vom 21. März 2016 beantragte die Antragstellerin,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
Zur Begründung wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 22. März 2016 erfolgte die Beiladung der Bauherrin.
Mit Schreiben der Beigeladenen vom 29. März 2016 nahm diese zum Rechtsstreit Stellung.
Es sei richtig, dass die Betriebe „Rohstoffrecycling“ und der „Reifenschredderbetrieb“ an die geplante Wohnunterkunft für Asylbewerber angrenzten, jedoch seien diese Betriebe keineswegs als „erheblich störend“ einzustufen.
Der Recyclingbetrieb lockere auf dem Gelände lediglich Altpapier auf. Dieses geschehe mittels eines sehr leisen Baggers in einer Entfernung von etwa 200 m und könne keineswegs als „erheblich störend“ eingestuft werden.
Der Schretterbetrieb zerkleinere mittels einer Maschine – welche sich innerhalb einer Halle befinde – Altreifen, um diese dann weiter zu veräußern. Lärmbelästigungen beim Zerschreddern der Altreifen seien nicht feststellbar. Es komme lediglich etwa ein- bis zweimal wöchentlich ein Mulden-LKW zum An- bzw. Abtransport der geschredderten Altreifen. In der Nachbarschaft gebe es keine „erheblich störenden“ Betriebe, sondern es handele sich um Firmen, welche in der Prägung eher einem Gewerbe- als einem Industriegebiet zuzuordnen wären.
Bei vielen direkt an der stark befahrenen B … liegenden Gebäuden komme es aufgrund des starken Verkehrs zu wesentlich höheren Lärmentwicklungen als durch die Betriebe. Das Zerkleinern der Altreifen geschehe innerhalb einer Halle rein mechanisch und sei mit keinerlei Geruchsbelästigungen verbunden. Staub- und Stickoxide seien von den Mitarbeitern der beteiligten Firmen zu keinem Zeitpunkt wahrgenommen worden. Die Schießanlage werde seit Jahren ohne Genehmigung betrieben. Zudem dürfe sie auch nicht zur Nachtzeit genutzt werden. Ebenfalls sei auch an Wochenenden keinerlei Lärm aus der Schießanlage zu bemerken.
Das Landratsamt legte mit Schreiben vom 19. April 2016 die Behördenakten vor und beantragte Klageabweisung und
Antragsablehnung.
Zur Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.
Auf entsprechende Aufforderung des Gerichts legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 29. März 2016 ihre Behördenakten sowie den Bebauungsplan Nr. … „Industriegebiet … Straße“ mit allen Änderungen vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von der Antragstellerin und dem Antragsgegner vorgelegten Behördenakten sowie auf den Bebauungsplan Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Genehmigungsbescheid des Landratsamtes vom 8. März 2016 ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin daher nicht in ihren Rechten, weshalb die Interessenabwägung im Rahmen dieses Antrags zugunsten des Vollzugsinteresses ausgeht.
Der Antrag auf der Grundlage von § 80a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet.
Nach § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherren an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Nachbarn, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch den Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung der Klage ergibt, dass diese sachlich nicht gerechtfertigt ist und letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich schon jetzt so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.7.1973 – 1 BvR 155/73 und 1 BvR 23/73 -, BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage vgl. auch BayVGH, B.v. 14.1.1991 – 14 CS 90.3166 -, BayVBl 1991, 275).
Im vorliegenden Fall geht es um die Anfechtung einer Baugenehmigung durch die Gemeinde, in deren Gebiet das Vorhaben verwirklicht werden soll. Das bedeutet für die Hauptsache, dass die Klage nur auf die Verletzung solcher Normen gestützt werden kann, die die Antragstellerin schützen. Dies ist hier insbesondere das von § 36 BauGB, § 246 Abs. 12 Satz 2 BauGB, § 246 Abs. 15 BauGB geregelte gemeindliche Einvernehmen, das heißt insbesondere die gesamte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich erteilter Befreiungen.
Nach summarischer Prüfung wird die Hauptsacheklage der Antragstellerin jedoch voraussichtlich keinen Erfolg haben.
Denn die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin wohl nicht in ihren Rechten; die Antragstellerin hat voraussichtlich insbesondere ihr Einvernehmen zu der erteilten Befreiung auf der Grundlage von § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB zu Unrecht verweigert. Das Interesse der Beigeladenen, von der Baugenehmigung vorläufig Gebrauch machen zu können, ist daher höher zu bewerten, als das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
1. An sich wäre das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig.
Es ist weder nach § 9 Abs. 2 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) im festgesetzten Industriegebiet allgemein zulässig, noch kann es auf der Grundlage von § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden. Zwar handelt es sich bei einer Unterkunft für Asylbewerber nach ganz überwiegender Meinung um eine Anlage für soziale Zwecke (vgl. nur BVerwG, B.v. 04.06.1997 – 4 C 2/96 -, juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 21.03.2016 – 2 ZB 14.1201 -, juris Rn. 3; B.v. 09.12.2015 – 15 CS 15.1935 -, juris Rn. 18); die Antragstellerin hat jedoch mit der 9. Änderung ihres Bebauungsplans auf der Grundlage von § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO diese Ausnahme gerade ausgeschlossen.
2. Das Vorhaben ist jedoch aufgrund der Befreiungsentscheidung des Landratsamtes auf der Grundlage von § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB voraussichtlich doch zulässig.
Die Voraussetzungen für diese Befreiung liegen vor. Nach § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann bis zum 31. Dezember 2019 für die auf längstens drei Jahre zu befristende Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlage in Gewerbe- und Industriegebieten sowie in Sondergebieten nach den §§ 8 – 11 BauNVO (auch i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB) in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplanes befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Eine Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage in einem festgesetzten Industriegebiet in eine Unterkunft für Asylbegehrende liegt vor in Gestalt der Nutzungsänderung des bestehenden Verwaltungsgebäudes, das in dem festgesetzten Industriegebiet der Antragstellerin gelegen ist.
Von der Festsetzung der Art der baulichen Nutzung, die an sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzungsänderung ausschließen würde, konnte vom Landratsamt voraussichtlich rechtmäßig befreit werden. Insbesondere ist die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin, die sich hierfür auf eine Entscheidung des VG Hamburg (B.v. 12.02.2016 – 7 E 6816/15 -, NVwZ 2016, 474) beruft, ist es für den Befreiungstatbestand des § 246 Abs. 12 BauGB gerade nicht erforderlich, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden (so auch Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 119. EL 11/2015, § 246 Rn. 76; ebenso OVG Hamburg, B.v. 14.04.2016 – 2 Bs 29/16 -, juris Rn. 34 ff.). Der gegenteiligen Auffassung (vgl. VG Hamburg a. a. O. juris Rn. 57 ff.; vgl. auch Hornmann, NVwZ 2016, 436) ist nicht zu folgen.
Dafür spricht zunächst die gesetzliche Systematik: Während der allgemeine Befreiungstatbestand des § 31 Abs. 2 BauGB die Wahrung der Grundzüge der Planung gerade ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal aufführt, ist das bei § 246 Abs. 12 BauGB (wie auch bei den übrigen neugeschaffenen Befreiungstatbeständen) nicht der Fall.
Zwar wäre es begrifflich denkbar, die Wahrung der Grundzüge der Planung unter die in § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB genannten öffentlichen Belange zu subsumieren. Dagegen wiederum spricht jedoch eindeutig die Gesetzesbegründung zu § 246 Abs. 12 BauGB (BT-Drs. 18/6185). Dort heißt es:
„Für die auf längstens 3 Jahre zu befristende Errichtung von – im Regelfall als Unterfall von sozialen Einrichtungen einzuordnenden – mobilen Unterkünften (insbesondere Wohncontainer und Zelte) oder die ebenfalls auf 3 Jahre zu befristende Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Gewerbe- und Industriegebiete sowie in Sondergebieten nach den §§ 8 – 11 BauNVO (auch i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB) in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstigen Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende, soll bis zum 31. Dezember 2019 eine Befreiung auch dann möglich sein, wenn die Grundzüge der Planung berührt werden.“
Angesichts dieser ausdrücklichen Formulierungen in der Gesetzesbegründung ist die Auffassung, dass Befreiungen auch auf der Grundlage von § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB nur dann erteilt werden können, wenn die Grundzüge der Planung dadurch nicht berührt oder verletzt würden, nicht haltbar (so auch OVG Hamburg, B.v. 14.04.2016 – 2 Bs 29/16 -, juris Rn. 34).
Unabhängig von der Gesetzesbegründung spricht zusätzlich auch der Sinn und Zweck des Befreiungstatbestandes dafür, die Wahrung der Grundzüge der Planung nicht als Tatbestandsmerkmal des Befreiungstatbestandes des § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB zu fordern. Denn insbesondere bei der hier relevanten Befreiung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Industriegebiet wäre ansonsten kein Gebrauchmachen von diesem Befreiungstatbestand denkbar. Eine Befreiung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, die im Industriegebiet eine zwar als soziale Nutzung bezeichnete, gleichwohl aber jedenfalls wohnähnliche Nutzung, für zulässig erklärt und gleichzeitig die Grundzüge der Planung nicht berührt, ist kaum denkbar.
Daher schadet es hier auch nicht, dass die Befreiung – worin der Antragstellerin Recht zu geben ist – die Grundzüge ihrer Planung berührt.
Der mit der Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB verbundene, allerdings vor dem Hintergrund des Gesetzesvorbehalts gerechtfertigte Eingriff in die Planungshoheit der Antragstellerin als Ausprägung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 BV, §§ 246 Abs. 12 Satz 2 i. V. m. 36 BauGB, wird nach der Gesetzesbegründung wie auch nach der Kommenterliteratur durch die zeitliche Befristung der Dauer der Nutzungsänderung auf drei Jahre in Grenzen gehalten und gewissermaßen ausgeglichen (vgl. Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 119. EL 11/2015, § 246 Rn. 77 und BT-Drs. 18/6185, S. 54).
Der Umstand, dass die Antragstellerin mit der letzten, neunten Änderung des Bebauungsplans die ausnahmsweise Zulassung von Anlagen für soziale Zwecke ausgeschlossen hat, ändert nichts an der Rechtmäßigkeit der Befreiung. Denn anders als etwa im Falle von § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB ist es für die Befreiungstatbestände des § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB nicht Voraussetzung, dass die jeweilige Nutzung zumindest ausnahmsweise zulässig ist (so auch Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 119. EL 11/2015, § 246 Rn. 77).
Die Befreiung ist auch mit den öffentlichen Belangen einschließlich der Berücksichtigung nachbarlicher Interessen vereinbar. Zu den öffentlichen Belangen – die bei der Befreiungsentscheidung zu berücksichtigen sind – gehören insbesondere auch die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB). Hierauf weist auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs 18/6185) hin:
„Gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sind als öffentlicher Belang (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gleichwohl in allen Fällen und in allen Baugebieten zu wahren; jedoch kann bei befristet zu errichtenden mobilen Unterkünften, anders als bei dauerhaften Unterkünften, stärker auf die aktuell tatsächlich bestehenden Umwelteinwirkungen abgestellt werden.“
Die zuletzt wiedergegebene Erwägung gilt nicht nur bei der Errichtung von mobilen Unterkünften, sondern auch bei der Befreiung für eine Nutzungsänderung im Sinne von § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB, so dass bei beiden Nummern des § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB stärker auf die aktuell tatsächlich bestehenden Umwelteinwirkungen (insbesondere Lärmbelastungen) abzustellen sein dürfte. Das heißt, wenn störende bzw. gesundheitsschädliche Industrienutzungen zwar planungsrechtlich möglich sind, aber aktuell weder ausgeübt werden noch auf absehbare Zeit ausgeübt werden sollen, dürfte eine befristete Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB deutlich eher möglich sein als eine unbefristete Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB (vgl. Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 246 Rn. 80; Battis/Mitschang/Reidt, NVwZ 2015, 1633 (1636)). Zudem wird in der Kommentarliteratur (vgl. Blechschmidt in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a. a. O.) darauf hingewiesen, dass die Unterbringung von Asylbegehrenden ihrem Schutz vor Obdachlosigkeit und damit ihrem Schutz vor Gefahren für Leben und Gesundheit dient. Da es sich hierbei um Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit handelt, deren Schutz nach Nr. 7.1 Satz 1 Variante 1 der TA-Lärm eine Überschreitung der Immissionswerte rechtfertigen kann, die ansonsten in der TA-Lärm für die dem Wohnen dienenden Gebiete nach Nr. 6.1 c – f TA-Lärm vorgesehen sind, wären nach dieser Auffassung auch in Bezug auf die gesunden Wohnverhältnisse die Befreiungstatbestände des § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB weit auszulegen. Jedenfalls dürfte es nach Auffassung des Gerichts dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung bezüglich des Befreiungstatbestandes des § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB entsprechen, dass für Unterkünfte für Asylbegehrende dieselben bzw. vergleichbare Maßstäbe anzulegen sind wie für Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen im Industriegebiet (vgl. § 9 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO). Hinsichtlich dieser ist anerkannt, dass insofern für Industriegebiete typischer Lärm grundsätzlich hinzunehmen ist, soweit nicht die Grenze der Gesundheitsschädlichkeit überschritten wird. Die Grenze der Gesundheitsschädlichkeit dürfte jedenfalls dann nicht überschritten sein, wenn die ansonsten nach Nr. 6.1 c TA-Lärm im Kern-, Dorf- und Mischgebieten geltenden Immissionsrichtwerte jedenfalls innerhalb der Unterkünfte eingehalten werden können. Insofern dürfte ausnahmsweise – worauf in der Tat sonst bei der Anwendung der TA-Lärm nicht abgestellt wird – auch ergänzender passiver Schallschutz ausreichend sein. Das folgt letztlich ebenfalls aus dem Sinn und Zweck des neugeregelten Befreiungstatbestandes. Denn eine wohnähnliche Nutzung im Wege der Befreiung in einem Industriegebiet möglich zu machen, vertrüge sich nicht mit der Forderung beispielsweise nach der Einhaltung von Lärmwerten, die für hauptsächlich dem Wohnen gewidmete Gebiete gelten. Denn insofern würde die Schaffung des neuen Befreiungstatbestandes keinen Sinn machen, da von ihm praktisch kein Gebrauch gemacht werden könnte.
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Befreiungsentscheidung des Landratsamtes mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
Die Beteiligten haben zu den in der näheren Umgebung des Vorhabens vorhandenen gewerblichen Betrieben vorgetragen. Hinsichtlich der Lärmbelästigung ergibt sich nach Aktenlage nichts, was eine absolute Unzumutbarkeit hinsichtlich der gesunden Wohnverhältnisse für die Bewohner der Asylunterkunft ergeben würde. Das Landratsamt trägt unwidersprochen vor, dass keiner der in der näheren Umgebung des Vorhabens gelegenen Betriebe in der Nachtzeit tätig ist, geschweige denn die im Industriegebiet zulässigen Lärmwerte ausschöpft. Bezüglich des Lärmschutzes ist jedenfalls in diesem Ausnahmefall, wie oben ausgeführt, die Sicherstellung der Einhaltung gesunder Wohn- und Lebensverhältnisse – wie vom Landratsamt vorgenommen – mittels passiven Schallschutzes zulässig.
Hinsichtlich des von der Antragstellerin geltenden gemachten Betriebes der „… Rohstoffrecycling … Sekundärrohstoffe AG“ ist nichts vorgetragen, was eine besondere Beeinträchtigung der gesunden Wohnverhältnisse besorgen könnte.
Hinsichtlich des Betriebes „Reifen … – Schredderbetrieb“ trägt die Antragstellerin vor, dieser sorge für erhebliche Geruchsbelästigungen. Dem tritt das Landratsamt mit nachvollziehbaren Ausführungen entgegen. Jedenfalls für das Eilverfahren ist aus Sicht des Gerichts hinreichend und überzeugend dargestellt, dass von diesem Betrieb keine außergewöhnlichen, unzumutbaren Geruchsbelästigungen ausgehen. Hinsichtlich des Lärmschutzes ist darauf hinzuweisen, dass die Argumentation der Antragstellerin, die darauf verweist, dass im Industriegebiet abstrakt tags wie nachts Lärmwerte bis zu 70 dB(A) zulässig seien, nicht ausreicht, um eine Verletzung gesunder Wohnverhältnisse zu bejahen. Denn für die nur vorübergehende, befristete Zulassung des Vorhabens aufgrund des Befreiungstatbestandes des § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB ist insofern von der sonst anzustellenden, rein abstrakten Betrachtungsweise – was in einem Industriegebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist – zu einer die tatsächlichen Verhältnisse und die tatsächlich vorhandenen Betriebe mehr in den Blick zu nehmenden Sichtweise umzustellen.
Danach ist hier nach Aktenlage und dem insoweit unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners davon auszugehen, dass die gesunden Wohnverhältnisse am Standort des Vorhabens voraussichtlich gewahrt sind.
Hinsichtlich des auf dem Grundstück …str. 25 vorhandenen Schießplatzes bzw. der Schießanlage mit Freiständen gilt im Ergebnis ebenfalls nichts anderes.
Unabhängig davon, dass der Antragsgegner darauf verweist, dass diese Anlage nicht genehmigt ist und der Antragsgegner jedenfalls noch bis zur Entscheidung über die Klage in der Hauptsache Zeit hätte, gegebenenfalls gegen die ungenehmigte Nutzung vorzugehen, erscheint die Schießanlage auch zu weit weg vom Vorhabenstandort zu sein – gemessen aus dem BayernAtlas Plus ca. 300 m -, um hier ernsthaft die gesunden Wohnverhältnisse am Vorhaben in Frage zu stellen. Ob die Antragstellerin darüber hinaus geltend machen kann, dass – unabhängig von den Lärmauswirkungen der Schießanlage – diese deswegen zu einer bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit für die Asylbewerberunterkunft führen könnte, weil dadurch im Ergebnis eine Retraumatisierung der Bewohner zu befürchten sei, kann offen bleiben, da dieses Vorbringen jedenfalls zu wenig substantiiert ist, um über den Bereich der reinen Spekulation hinaus zu gehen.
Schließlich sind auch die Auswirkungen des Vorhabens auf die Nachbarschaft nicht so geartet, dass dadurch die Zulässigkeit der Befreiung in Frage gestellt würde. Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Zulassung des Vorhabens Nutzungen in der Nachbarschaft in ihrem Bestand gefährdet werden könnten.
Schließlich ist auch die Ermessensausübung des Antragsgegners bei der Befreiungsentscheidung nicht zu beanstanden.
Ähnlich wie bei einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB geht das Gericht für die hiesige Befreiung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB davon aus, dass wenn – wie hier – die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Befreiungsentscheidung gegeben sind, allenfalls noch ein so genannter „Ermessensrest“ verbleibt.
Nach der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 30.3.2009 – 1 B 05.616 -, juris Rn. 47) steht einer Gemeinde bei der Entscheidung über das Einvernehmen zu einer Befreiung zwar ein gewisser Gestaltungsspielraum zu, innerhalb dessen sie ihre Zustimmung zu dem Vorhaben von bauplanungsrechtlich relevanten Gesichtspunkten abhängig machen darf, welche die für die Erteilung der Befreiung zuständige Bauaufsichtsbehörde bei der Ermessensausübung berücksichtigen könnte.
Das kann aber jedenfalls bei der Befreiungsentscheidung auf der Grundlage von § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB kein anderes Ergebnis erzwingen. Denn insofern ist auch nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich nur ein bauplanungsrechtlicher Gesichtspunkt geeignet, die Ermessensentscheidung der Bauaufsichtsbehörde im Sinne der das Einvernehmen verweigernden Gemeinde zu beeinflussen. Entsprechende Gesichtspunkte, die bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Befreiung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB noch nicht ausreichend berücksichtigt sind, bestehen hier typischerweise und so auch im zu entscheidenden Einzelfall nicht. Vielmehr begründet die Antragstellerin ihre Ablehnung des Vorhabens eben aus den oben abgehandelten Gesichtspunkten, die dahingehend zusammengefasst werden können, dass sie eine soziale und insbesondere – wie hier – wohnähnliche Nutzung in ihrem Industriegebiet vermeiden möchte. Unter Geltung der Befreiungsmöglichkeit des § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB ist das jedoch tatbestandlich nicht möglich.
Gesichtspunkte, die zu einer anderen Ermessensentscheidung der Bauaufsichtsbehörde führen müssten oder wenigstens könnten, die andererseits bei der Prüfung der öffentlichen Belange im Tatbestand des § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB noch nicht abgehandelt sind, gibt es hier nicht.
Daher ist – soweit man noch ein „Restermessen“ der Bauaufsichtsbehörde bejaht – deren Entscheidung auch insofern nicht zu beanstanden.
Die Rüge der Antragstellerin, dass der Verwaltungsakt, mit dem das verweigerte Einvernehmen zu der Befreiung ersetzt wurde, der Antragstellerin nicht bekannt gegeben worden sei, geht ins Leere. Die Antragstellerin verkennt insofern, dass die Einvernehmensersetzung mit Erteilung der Baugenehmigung erfolgt, was sich bereits ausdrücklich aus Art. 67 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 BayBO ergibt und auch ansonsten der allgemeinen Meinung entspricht (vgl. nur Jäde, Gemeinde und Baugesuch, 5. Auflage 2014, Rn. 137 und insbesondere Rn. 139; Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, 122. EL Januar 2016, Art. 67 Rn. 123). Die Baugenehmigung ist der Antragstellerin aber unbestreitbar bekannt gegeben worden, so dass Gleiches auch für die damit verbundene Ersetzung des verweigerten gemeindlichen Einvernehmens gilt. Die Verfahrensrechte der Antragstellerin auf dem Weg zur Ersetzung ihres Einvernehmens wurden gewahrt.
Nach alledem ist der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Beigeladene trägt billigerweise ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Sie hat zwar im Klageverfahren Stellung genommen, aber keinen Antrag gestellt und sich deshalb keinem Kostenrisiko ausgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. Nrn. 9.10 sowie 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2013, Beilage 2.