Baurecht

Prägende Wirkung der näheren Umgebung eines Bauvorhabens

Aktenzeichen  M 8 K 15.3895

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 116458
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Ein Gebäudekomplex mit einer Höhenentwicklung von 3 Geschossen mit Hochparterre im Süden und 4 Geschossen mit Hochparterre im Norden bzw. Nordwesten und von 4 – 5 Geschossen mit Hochparterre im gegeneinander versetzt gestalteten mittleren Bereich hat keine prägende Wirkung auf die benachbarte Umgebung, wenn er keine Entsprechung bei den ihn umgebenden westlichen und südlichen Bereichen findet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat aber in der Sache keinen Erfolg, da der Klägerin ein Anspruch auf die Erteilung des beantragten Vorbescheids nicht zusteht (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich im Hinblick auf das übergeleitete Bauliniengefüge, das entlang der Grundstücke an der …-Straße und der Straße Am … nur eine straßenseitige Baugrenze festsetzt, nach § 30 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) und im Übrigen nach § 34 BauGB. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
2. Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die nähere Umgebung. Berücksichtigt werden muss hier die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Daraus folgt, dass nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft des Baugrundstücks zu berücksichtigen ist, sondern auch die Bebauung der Umgebung insoweit berücksichtigt werden muss, als auch diese noch prägend auf das Baugrundstück wirkt (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 119. EL November 2015, § 34 Rn. 36). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. In der Regel gilt bei einem, inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 und U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20).
Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97 -, NVwZ-RR 1998, 539; BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19). Bei den Kriterien Nutzungsmaß und überbaubare Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21 m.w.N.).
3. Nach diesen Grundsätzen ist der Gebäudekomplex … Allee 132/132 a, 134/134 a, 136/136 a und 138/138 a nicht mehr der prägenden Umgebung des Vorhabengrundstücks …-Str. 16 c, Fl.Nr. …, zuzuordnen.
Zwar ist der Klagepartei zuzugeben, dass allein die Zugehörigkeit dieses Gebäuderiegels zu dem Gebiet eines – qualifizierten – Bebauungsplans nicht dessen prägende Wirkung auf die benachbarte, nicht zum Plangebiet gehörende Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ausschließt (vgl. BVerwG, B.v. 24.11.2009 – 4 B 1/09 – juris; B.v. 10.7.2000 – 4 B 39/00 – juris; U.v. 31.10.1975 – IV C 16.73 – juris). Auch war beim Augenschein eine gewisse räumliche Nähe der dreigeschossigen Gebäude … Allee 136 a, 138/138 a zum streitgegenständlichen Grundstück festzustellen.
Allerdings wurde hierbei auch das Erscheinungsbild als einheitlicher Gebäuderiegel mit einer abgestuften Höhenentwicklung deutlich erkennbar. Dieser einheitliche Komplex mit einer Höhenentwicklung von 3 Geschossen mit Hochparterre im Süden und 4 Geschossen mit Hochparterre im Norden bzw. Nordwesten und von 4 – 5 Geschossen mit Hochparterre im gegeneinander versetzt gestalteten mittleren Bereich findet keine Entsprechung bei den ihn umgebenden westlichen und südlichen Bereichen, in denen auch das Vorhabengrundstück liegt. Das gilt sowohl hinsichtlich seiner Ausdehnung, Länge und der Höhenentwicklung, als auch der Bauweise – die Gebäude … Allee 132/132a, 136/136a und 138/138a sind mit einer Länge von 90 m in geschlossener Bauweise errichtet, § 22 Abs. 3 BauNVO, und bilden trotz des Minimalabstandes von 1 m zugunsten eines Durchgangs zusammen mit der … Allee 134/134a zumindest optisch ein einheitliches Gebäude. Vielmehr findet der Gebäudekomplex … Allee 134 – 138 a in den östlich gelegenen Gebäudekomplexen … Allee 126/126 a, 128/128 a/128 b/128 c und 130/130 a sowie der … Allee 122/122 a/122 b, 124/124 a/124 b, ein Pendant, da diese wegen der ähnlich gegeneinander versetzten Gebäudeteile vergleichbare Baustruktur aufweisen und auch die Höhenentwicklung korrespondiert. Alle Gebäude liegen auf der einheitlichen Fl.Nr. … mit einer Größe von ca. 1,5 ha und stellen einen sich deutlich aus der übrigen Bebauung des Quartiers …-Straße/Am … Straße/ … Allee abgesetzten städtebaulichen Akzent dar, der auch als solcher klar wahrnehmbar ist. Eingerahmt wird diese Bebauung im Osten durch den – ebenfalls im Bebauungsplangebiet liegenden – viergeschossigen Gebäuderiegel … Allee 140 – 140 d und im Südosten bzw. Nordosten als Übergang zur kleinteiligeren Bebauung im Süden und Norden durch die schon deutlich in der Höhe reduzierten Gebäude … Allee 142 und 122.
Nach dem Bundesverwaltungsgericht (U.v. 15.2.1990 – 4 C 23/86 – juris Rn. 14 f. m.w.N.) können auch solche Anlagen aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszusondern sein, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Das ist namentlich dann anzunehmen, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht, wobei insbesondere solche baulichen Anlagen in Betracht kommen, die nach ihrer – auch äußerlich erkennbaren – Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig sind. Sie erlangen die Stellung eines „Unikats“ umso eher, je einheitlicher die nähere Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz der deutlich in Erscheinung tretenden Größe und des nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen sie nicht deren Eigenart, weil sie sich wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägt vom übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert darstellen.
So liegt der Fall hier. Sowohl die Struktur der Grundstücke als auch der Bebauung westlich, südlich und südöstlich der Fl.Nr. … setzt sich deutlich von dieser ab. Es finden sich hier kleinere bis mittelgroße Grundstücke, die, mit drei Ausnahmen von ca. 1.400 m² (Vorhabengrundstück), 1.720 m² (* …-Str. 8/10, Fl.Nr. …*) und ca. 1.650 m² (* … Str. 8) im Durchschnitt 600 m² bis 800 m² erreichen, und alle nicht ansatzweise mit der Dimensionierung des Grundstücks FlNr. …, auf dem das von der Klagepartei benannte Bezugsobjekt … Allee 132 – 138 a steht, vergleichbar sind. Diese Grundstücke westlich, südlich und südöstlich der … Allee 132 – 138 a weisen mit Ausnahme des langgestreckten Werkstattgebäudes … Str. 8 hinsichtlich Höhenentwicklung und Kubatur eine durchaus noch als homogen anzusehende Bebauung mit kleinen und mittelgroßen Einzel- und Doppelhäusern auf. In der unmittelbaren südlichen Umgebung der … Allee 132 – 138 a finden sich die Gebäude mit den verhältnismäßig größeren Kubaturen – …-Str. 16 schon abgesetzt von der … Allee 132 bis 138 a mit relativ großer Grundfläche, aber nur ein- bis zweigeschossiger Höhenentwicklung, …-Str. 16 a/16 b mit einer demgegenüber etwas geringeren Grundfläche, aber mit zwei Geschossen und zwei ausgebauten Dachgeschossen (wobei eines wohl ein Vollgeschoss nach der BayBO 1998 sein dürfte) und …-Str. 8/10 mit einer gegenüber der …-Str. 16 a/16 b etwas geringerer Grundfläche, aber ähnlicher Höhenentwicklung mit zwei Geschossen und zwei ausgebauten Dachgeschossen. Allerdings stehen die Gebäude …-Str. 16, 16 a/16 b und 8/10, auch wenn sie etwas größere Kubaturen als die übrige Bebauung im Westen, Süden und Südosten der … Allee 132 – 138 a aufweisen, nicht in einem augenfälligen Kontrast, sondern erscheinen durchaus dieser Bebauung zugehörig. Dies gilt auch für das Vorhabengrundstück, das wiederum in einem engen Zusammenhang mit den Grundstücken …-Str. 16, 16 a/16 b und 8/10 und deren Bebauung steht. Diese Bebauung setzt sich zusammen mit der übrigen Bebauung auf der Nordseite der …-Straße zwischen … Allee und Am … und der Ostseite der Straße Am … ganz klar von der völlig anders strukturierten westlichen Bebauung des Grundstücks Fl.Nr. … ab.
Zwar können nach der oben genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 15.2.1990, a.a.O.) bauliche Anlagen von stark abweichendem Charakter ein solches Gewicht entwickeln, dass sie trotz ihrer herausstechenden Andersartigkeit in einer abweichend und verhältnismäßig einheitlich strukturierten Umgebung ihrerseits tonangebend wirken. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, da sich der Gebäuderiegel … Allee 132 bis 138 a aufgrund seiner Lage östlich der anders strukturierten Bereiche auch von seiner Situierung her klar absetzt und so eine deutliche Grenze zwischen den verschieden strukturierten Bereichen erkennbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris).
Die vorgesehene Bebauung des streitgegenständlichen Grundstücks kann sich daher nicht am Gebäuderiegel … Allee 132 – 138 a in seiner Gesamtheit bzw. seiner maximalen Höhenentwicklung orientieren.
Selbst wenn man das Erscheinungsbild als einheitlichen Gebäudekomplex der … Allee 132 – 138 a außer Betracht lassen würde und eine prägende Wirkung nur des südlichen Teils auf das Vorhabengrundstück annehmen wollte, ließe sich hieraus nicht die von allen Varianten des Vorbescheidsantrags zu verwirklichende Mindesthöhenentwicklung von vier Geschossen ableiten, da die dem streitgegenständlichen Grundstück nächstgelegenen Gebäudeteile des Gesamtkomplexes … Allee 132 bis 138 a nur drei Geschosse mit Hochparterre aufweisen. Für eine derartige Höhenentwicklung kann das Vorbescheidsvorhaben aber bereits das Gebäude …-Str. 16 a/16 b mit zwei Geschossen und zwei ausgebauten Dachgeschossen (wovon eines wohl ein Vollgeschoss nach der BayBO 1998 sein dürfte) als Bezugsfall heranziehen.
Eine Höhenentwicklung mit mindestens 4 Vollgeschossen lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten, weshalb die Beklagte den Vorbescheidsantrag zu Recht in allen drei Varianten (Fragen 1 – 3) negativ beurteilt hat.
Auch die Beantwortung der Fragen 4 und 5 ist nicht zu beanstanden. Der Frage 4 fehlt mit der Formulierung „ähnlich wie dargestellt“ die nötige Konkretheit, abgesehen davon ist die Verknüpfung mit den Abstandsflächen nicht zulässig, da diese nicht im Prüfprogramm des Vorbescheids enthalten sind, (vgl. Simon/Busse Komm. zur BayBO, Art. 71 Rn. 68).
Die Frage 5 hat aufgrund der zu Recht erfolgten, negativen Beantwortung der planungsrechtlichen Zulässigkeit der Varianten A, B und C keine beantwortbare inhaltliche Substanz.
Die Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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