Baurecht

Rechtmäßigkeit des Enteignungsbeschlusses für Zwecke des Hochwasserschutzes

Aktenzeichen  W 4 K 18.459

Datum:
9.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34026
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEG Art. 1, Art. 3, Art. 28, Art. 31, Art. 56

 

Leitsatz

1. Für die Frage der Angemessenheit des Angebots kommt es auf die Vertretbarkeit an und nicht darauf, ob man bei einer anderen – vielleicht ebenso vertretbaren – Bewertung auch zu einem nicht unerheblich höheren Betrag kommen kann. (Rn. 20) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Soweit die Bindungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses reicht, findet eine nochmalige Prüfung im Enteignungsverfahren, ebenso wie eine inhaltliche Überprüfung der vorgreiflichen Verwaltungsentscheidung, nicht mehr statt. (Rn. 23) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der Enteignungsbeschluss des Landratsamts A. vom 28. Februar 2018, mit dem das Eigentum am Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung F., welches der Klägerin gehört, belastet wurde mit einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit. Die Klägerin begehrt die Aufhebung dieses Beschlusses.
Die von ihr aus diesem Grund erhobene Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Enteignungsbeschluss des Landratsamtes A. vom 28. Februar 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist Art. 1 BayEG. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift kann nach diesem Gesetz enteignet werden, um Vorhaben zu verwirklichen, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Nach Abs. 2 kann ferner enteignet werden, um Vorhaben zu verwirklichen, für die andere Gesetze die Enteignung ausdrücklich zulassen. Ein solches anderes Gesetz ist das Bayer. Wassergesetz und insbesondere die Vorschrift des Art. 56 BayWG, wonach im Interesse einer geordneten Wasserwirtschaft enteignet werden kann. §§ 96 bis 98 WHG gelten entsprechend. Im Übrigen ist das Bayer. Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung anzuwenden (Art. 56 Satz 2 und 3 BayWG).
Bei der enteignungsgegenständlichen und planfestgestellten Hochwasserschutzmaßnahme (Errichtung eines Regenwasser-Auslassbauwerks, eines offenen Vorflutgrabens und eines Retentionsraums) handelt es sich zweifellos um ein Vorhaben, welches im Interesse einer geordneten Wasserwirtschaft durchgeführt wurde (vgl. Drost, Das Wasserrecht in Bayern, Stand: Januar 2015, Art. 56 BayWG Rn. 6), so dass nach Art. 56 Satz 1 und 3 BayWG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayEG vorliegend durch den Beklagten grundsätzlich eine Enteignung durchgeführt werden konnte.
2. Gemäß Art. 3 Abs. 1 BayEG ist die Enteignung im Einzelfall nur zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise, insbesondere aus Grundbesitz des Antragstellers, nicht erreicht werden kann. Ist in einem Planfeststellungsverfahren oder in einem anderen förmlichen Verfahren eine für die Beteiligten verbindliche Entscheidung über die Zulässigkeit und die Art der Verwirklichung des Vorhabens getroffen worden, so ist gemäß Art. 28 Satz 1 BayEG die unanfechtbare Entscheidung dem Enteignungsverfahren zugrunde zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend. Gegen Enteignungsmaßnahmen können somit keine Einwendungen erhoben werden, über die in diesem Verfahren der Sache nach entschieden worden ist oder die in diesem Verfahren nicht mehr erhoben werden können (Art. 28 Satz 2 BayEG).
3. Nach Art. 3 Abs. 2 BayEG schließlich setzt die Enteignung voraus, dass der Antragsteller sich nachweislich ernsthaft bemüht hat, das Grundstück zu angemessenen Bedingungen freihändig zu erwerben (Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 BayEG) und glaubhaft macht, das Grundstück werde innerhalb angemessener Frist zu dem vorgesehenen Zweck verwendet werden (Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 BayEG).
4. Unter Berücksichtigung dieser angeführten Vorschriften und der dort verankerten Grundsätze begegnet der angefochtene Enteignungsbeschluss des Landratsamts A. vom 28. Februar 2018 im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken.
a. So sind zunächst formelle Fehler, die zu einer Rechtsverletzung der Klägerin führen könnten, nicht ersichtlich. Solche wurden vom Klägervertreter auch nicht substantiiert geltend gemacht.
b. Auch in materieller Hinsicht ist der streitgegenständliche Enteignungsbeschluss vom 28. Februar 2018 rechtmäßig.
Soweit der Klägervertreter in den zahlreichen und ausführlichen Schriftsätzen geltend macht, die Enteignung sei vorliegend nicht aus Gründen des Allgemeinwohls geboten und die Enteignungsbehörde habe seine Einwendungen gegen den der Enteignung zugrundeliegenden Planfeststellungsbeschluss nicht beachtet, steht dem bereits die Rechtskraft des Planfeststellungsbeschlusses des Landratsamts A. vom 7. Dezember 2012 und die in Art. 28 Satz 2 BayEG geregelte Bindungswirkung entgegen. Der genannte Planfeststellungsbeschluss ist der Klägerin gegenüber aufgrund der Abweisung ihrer dagegen erhobenen Klage und des Antrags auf Zulassung der Berufung durch den BayVGH bestandskräftig und damit unanfechtbar geworden, so dass die Voraussetzungen des Art. 28 Satz 2 BayEG vorliegend zweifellos erfüllt sind. Die Klägerin muss somit die in dem Planfeststellungsbeschluss getroffenen Feststellungen gegen sich gelten lassen, denn nach Art. 28 Satz 1 BayEG ist die unanfechtbare Planfeststellungsentscheidung dem Enteignungsverfahren zugrunde zu legen und für die Enteignungsbehörde auch bindend. Da sowohl Regenwasser-Auslassbauwerk, als auch der offene Vorflutgraben (RL 1) sowie die Retentionsraum-Ausgleichsmaßnahme für Niederschlagswasser, aber auch die Frage, welche Grundstücke dafür benötigt werden, bereits Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses des Landratsamts A. vom 7. Dezember 2012 gewesen sind und damit von der Bindungswirkung des Art. 28 Satz 1 BayEG umfasst sind, sind diese Fragen nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Enteignungsverfahrens und können von der Klägerin bzw. dem Klägervertreter im vorliegenden Verfahren auch nicht mehr erfolgreich gerügt werden. Der Flächenbedarf steht auf der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses vom 7. Dezember 2012 ebenso fest, wie sich aus den dem Planfeststellungsbeschluss beigefügten Planungen und der Begründung offensichtlich ergibt.
Die Enteignung war daher im vorliegenden Fall unerlässlich, um den Plan auszuführen.
c. Dem Verhandlungsgebot im Vorfeld des Enteignungsverfahrens (Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 BayEG) wurde nach Überzeugung der Kammer ausreichend Rechnung getragen. Der Vorhabensträger hat sich ernsthaft bemüht, die aus dem klägerischen Grundstück benötigte Teilfläche für die Dienstbarkeit zu angemessenen Bedingungen freihändig zu erwerben, und dieses Bemühen auch nachgewiesen. So bot der Vorhabensträger der Klägerin eine Entschädigung auf der Grundlage einer Wertermittlung des Sachverständigen E. D. vom 24. Juni 2016 an. Darin wurde der Gesamtwert des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung F. mit einer Fläche von 9.333 m² bei 0,75 EUR pro/m² auf 7.000,00 EUR geschätzt. Im Schreiben vom 13. Juli 2016 wurde der Klägerin für die Dienstbarkeit und die Bauphase ein Betrag von 400,00 EUR angeboten, wobei der Vorhabensträger davon ausging, dass eine Teilfläche von 1.850 m², also 20% der Gesamtfläche, in Anspruch zu nehmen sind. Die Dienstbarkeitsentschädigung setzte er mit 20% des Verkehrswertes der von der Dienstbarkeit betroffenen Fläche an. Alternativ war der Vorhabensträger bereit zum Erwerb des gesamten Grundstücks zum Verkehrswert von 7.000,00 EUR oder der für Retentionsraum und Vorflutgraben RL 1 benötigten Teilfläche zum Verkehrswert von 1.300,00 EUR. Dieses Angebot war sowohl rechtzeitig, vollständig, als auch angemessen. Für die Frage der Angemessenheit des Angebots kommt es auf die Vertretbarkeit an und nicht darauf, ob man bei einer anderen – vielleicht ebenso vertretbaren – Bewertung auch zu einem nicht unerheblich höheren Betrag kommen kann. Die Höhe des Angebots muss nur „in etwa“ und nicht genau der Enteignungsentschädigung entsprechen (vgl. Molodovsky/Bernstorff, Enteignungsrecht in Bayern, 52. EL Dezember 2018, Art. 3 Nr. 4.2.2.2).
Vorliegend erstellte der Vorhabensträger sein Angebot auf der Grundlage der Wertermittlung des Sachverständigen … … vom 24. Juni 2016. Gerade unter Berücksichtigung dieses Gutachtens hält das Gericht die Ausführungen der Enteignungsbehörde zur Höhe der Entschädigung unter dem Gesichtspunkt der Vertretbarkeit für schlüssig und nachvollziehbar. Sie werden auch nicht substantiiert von der Klägerseite angegriffen.
d. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägervertreters, denn er verkennt, wie bereits angesprochen, im Rahmen seiner Ausführungen die in Art. 28 BayEG normierte Bindungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses und dessen inhaltliche Reichweite. Der Planfeststellungsbeschluss des Landratsamtes A. vom 7. Dezember 2012 beinhaltet vorliegend nicht nur Aussagen zur Zulässigkeit und der Art der Verwirklichung des Vorhabens. Er führt vielmehr in seiner Begründung auch aus, dass das Wohl der Allgemeinheit das Vorhaben erforderlich mache. So heißt es auf S. 15:
„Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine gemeinnützige Planfeststellung (vgl. § 70 Abs. 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 14 Abs. 3 WHG und Art. 58 Abs. 3 BayWG a.F.). Das Gewässerausbauvorhaben hat den Hochwasserschutz des Ortsteils F. vor einem HQ 100 (´Hochwasserfreilegung´) zum Ziel und erfüllt somit eine Aufgabe zum Wohl der Allgemeinheit.
Die im öffentlichen Interesse liegende gemeinnützige Planfeststellung dient u.a. der Überwindung von privaten und öffentlichen Belangen, die der Planung entgegenstehen. Bei der gemeinnützigen Planfeststellung ist der planerischen Abwägung vorausgesetzt die positive Beantwortung der Frage, ob der Erlass des Planfeststellungsbeschlusses nach Maßgabe des gesetzlichen Planungsziels und gesetzlicher Planungsleitsätze im konkreten Fall gerechtfertigt ist. Die Planung des Marktes H. bedarf daher einer Rechtfertigung. Die Gewässerausbaumaßnahmen zum Hochwasserschutz sind vernünftigerweise geboten und objektiv erforderlich.“
Soweit aber die Bindungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses reicht, findet eine nochmalige Prüfung im Enteignungsverfahren, ebenso wie eine inhaltliche Überprüfung der vorgreiflichen Verwaltungsentscheidung, nicht mehr statt. Die Klägerin kann daher mit ihren gesamten Einwendungen, ihr Eigentumsrecht sei verletzt, das Wohl der Allgemeinheit erfordere die Planfeststellung nicht, die Abwägung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens sei fehlerhaft, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei verletzt und die geplante Retentionsfläche entspräche nicht den Anforderungen eines geringstmöglichen Eingriffs, nicht mehr gehört werden.
5. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO abzuweisen.
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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