Aktenzeichen Au 2 K 17.1116
Leitsatz
1. Die Übersendung einer Abschrift des notariellen Kaufvertrags an die für den Vollzug des Grundstücksverkehrsgesetzes zuständige Stelle genügt – ohne zusätzlichen Hinweis auch auf das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht und den diesbezüglichen Zweck der Vorlage – für das Auslösen des Laufs der Ausübungsfrist nicht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Naturschutzrechtlich unerhebliche Beweggründe einer Gemeinde, die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verlangen, lassen tatsächlich vorliegende Rechtfertigungsgründe einer Vorkaufsrechtsausübung nicht entfallen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da die Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts keine Enteignung darstellt, gelten nicht die gleichen strengen Anforderungen, wie sie bei der Zulässigkeit einer Enteignung vorliegen müssen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn der Erwerb eines Grundstücks vorteilhafte Auswirkungen auf die in Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG genannten Belange hat. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es ist nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechts, dass bereits eine konkretisierte Planung über durchzuführende Optimierungsmaßnahmen vorliegt. Es reicht aus, dass der Vorkaufsberechtigte eine ökologische Aufwertung eines Grundstücks durchführen will. Die bloße Einstellung eines Grundstücks in das Öko-Konto einer Gemeinde genügt als solches zur Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung nicht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 gesamtschuldnerisch zu tragen. Die Beigeladenen zu 2 und zu 3 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts … vom 13. Juli 2017, mit dem durch das Landratsamt in seiner Funktion als Kreisverwaltungsbehörde zu Gunsten des Beigeladenen zu 1 das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht für das Grundstück Fl.Nr. … Gemarkung … gegenüber den Beigeladenen zu 2 und zu 3 ausgeübt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
Die Voraussetzungen für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts gemäß Art. 39 BayNatSchG liegen vor. Bei dem beigeladenen vorkaufsrechtsbegünstigten … handelt es sich um eine im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG vorkaufsrechtsberechtigte kommunale Gebietskörperschaft. Das Grundstück Fl.-Nr. … grenzt an ein oberirdisches Gewässer an, den, ein Gewässer dritter Ordnung, der keinen bloßen Be- und Entwässerungsgraben darstellt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts zum einen aus der Stellungnahme der fachkundigen Stelle für Wasserwirtschaft am Landratsamt … vom 6. Juli 2017 und zum anderen aus dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins. Der, dessen Quellgebiet zwischen … und … liegt, mündet südlich von … in die, weist eine Gesamtlänge von etwa 9,5 km und ein Einzugsgebiet von etwa 900 ha auf. In wasserwirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht besitzt er über den Zweck der Ent- und Bewässerung der angrenzenden Grundstücke hinausgehende Funktionen und erfüllt damit die Voraussetzungen von Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG. Dass der … zeitweise (im Hochsommer bzw. in den Wintermonaten) trocken fallen kann, steht der Einstufung als oberirdisches Gewässer (dritter Ordnung) im Sinn von § 3 Nr. 1 WHG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 BayWG nicht entgegen (vgl. VG Augsburg, U.v. 1.12.2016 – Au 2 K 16.324 – juris Rn. 31 ff.).
Das Vorkaufsrecht wurde durch das gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayNatSchG hierfür zuständige Landratsamt … gegenüber den Verkäufern des streitgegenständlichen Grundstücks (Art. 39 Abs. 7 Satz 2 BayNatSchG, § 464 Abs. 1 BGB) innerhalb der zweimonatigen Ausübungsfrist (Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG) durch Bescheid vom 13. Juli 2017 formal ordnungsgemäß ausgeübt. Der Ausübungsbescheid wurde der Beigeladenen zu 2 am 15. Juli 2017 und dem Beigeladenen zu 3 am 14. Juli 2017 jeweils per Postzustellungsurkunde zugestellt. Die Ausübungsfrist begann zu laufen mit dem Eingang der Abschrift des notariellen Kaufvertrags vom 3. April 2017 beim Landratsamt, Untere Naturschutzbehörde, am 16. Mai 2017. Die Übersendung einer Abschrift des notariellen Kaufvertrags mit Schreiben des Notariats … vom 7. April 2017 an die beim Landratsamt … für den Vollzug des Grundstücksverkehrsgesetzes zuständige Stelle genügt – ohne zusätzlichen Hinweis auch auf das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht und den diesbezüglichen Zweck der Vorlage – für das Auslösen des Laufs der Ausübungsfrist nicht, da sich die Untere Naturschutzbehörde dann die Übersendung der Kaufvertragsabschrift an die für den Vollzug des Grundstücksverkehrsgesetzes zuständige Stelle insoweit nicht zurechnen lassen muss (vgl. BayVGH, U.v. 15.9.2006 – 9 B 04.1233 – juris Rn. 36; für die Zusendung einer Kaufvertragsabschrift durch den Notar an den beim Landratsamt errichteten Gutachterausschuss: VG Ansbach, U.v. 22.6.2016 – AN 11 K 15.01378 – juris Rn. 39 m.w.N.; s. auch Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Stand April 2018, Art. 39 BayNatSchG Rn. 25; Kraft in Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 66 Rn. 16).
Der Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Landratsamt … lag auch ein wirksames Ausübungsverlangen des Beigeladenen zu 1 zugrunde. Ein Ausübungsverzicht in Bezug auf das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht durch den ersten Bürgermeister des Beigeladenen zu 1 aufgrund Übersendung eines Negativzeugnisses im Sinn von § 28 Abs. 1 Sätze 3 und 4 BauGB mit Schreiben vom 11. April 2017 an das Notariat … liegt nicht vor, da sich dieses Negativzeugnis, für dessen Ausstellung der erste Bürgermeister auch das kommunalverfassungsrechtlich zuständige Organ war (§ 13 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. e und g der Geschäftsordnung des Gemeinderats des Markts … vom 23.5.2014), ausschließlich auf Vorkaufsrechte nach dem BauGB bezogen hat. Für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts ist nach der Geschäftsordnung des Gemeinderats des Markts … vom 23. Mai 2014 grundsätzlich der (beschließende) Haupt- und Finanzausschuss (§ 9 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. d der Geschäftsordnung) und nicht der erste Bürgermeister zuständig. § 13 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c der Geschäftsordnung enthält zwar eine Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters für den Ankauf von Grundstücken bis zu einem Betrag von 15.000,- EUR. Der Wortlaut der Bestimmung bezieht sich jedoch nicht auf die Ausübung von Vorkaufsrechten. Da für die bauplanungsrechtlichen Vorkaufsrechte eigene Zuständigkeitsregelungen geschaffen wurden, hätte es zur Begründung einer Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters ebenfalls einer ausdrücklichen Erwähnung der naturschutzrechtlichen Vorkaufrechte bedurft. Die damit anzunehmende grundsätzliche Zuständigkeit des (beschließenden) Haupt- und Finanzausschusses wurde im vorliegenden Fall jedoch überlagert durch die nach § 1 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung vorrangige Zuständigkeit des Gemeinderats im Einzelfall. Diese Bestimmung sieht vor, dass sich der Gemeinderat die Behandlung einer Entscheidung im Einzelfall vorbehalten kann, wenn die Bedeutung der Angelegenheit dies erfordert. Damit war der Gemeinderat befugt, die Kompetenz zur Entscheidung über die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts für das Grundstück Fl.-Nr. … an sich zu ziehen und anstelle des nach der Geschäftsordnung zuständigen Haupt- und Finanzausschusses zu entscheiden. Dass er dies wegen der Bedeutung der Sache für erforderlich erachtet hat, ergibt sich aus der sogar zweimaligen Beratung und beschlussmäßigen Behandlung im Gemeinderat. Im Übrigen kann in einer bauplanungsrechtliche Vorkaufsrechte der Gemeinde betreffenden Verzichtserklärung gegenüber dem Notar kein Verzicht auf die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts gesehen werden, das nicht von der Gemeinde, sondern von der Kreisverwaltungsbehörde ausgeübt wird. Ein solcher Verzicht könnte wirksam nur gegenüber der ausübungszuständigen Kreisverwaltungsbehörde erklärt werden und nicht gegenüber dem beurkundenden Notar. Damit liegt durch die E-Mail der Verwaltung des Beigeladenen zu 1 an das Landratsamt … vom 22. Juni 2018, das auf den Gemeinderatsbeschluss vom selben Tag Bezug nimmt, ein wirksames Ausübungsverlangen vor.
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts liegen vor. Nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG muss die Ausübung des Vorkaufsrechts gerechtfertigt sein durch gegenwärtige oder künftige Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur. Ausgangspunkt für die Prüfung sind die im Bescheid genannten Rechtfertigungsgründe und die danach beabsichtigten Maßnahmen. Naturschutzrechtlich unerhebliche Beweggründe der Gemeinde, die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verlangen. lassen tatsächlich vorliegende Rechtfertigungsgründe einer Vorkaufsrechtsausübung nicht entfallen (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 53). Das Vorliegen der genannten Rechtfertigungsgründe für die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Da die Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts keine Enteignung darstellt (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 7.11.2000 – 6 B 19.00 – Buchholz 406.48 Art. 34 BayNatSchG Nr. 1), gelten nicht die gleichen strengen Anforderungen, wie sie bei der Zulässigkeit einer Enteignung vorliegen müssen (BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – NuR 2015, 427). Anders als eine Enteignung, die nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreichbar ist (vgl. Art. 40 Nr. 2 BayNatSchG), kann die Ausübung des Vorkaufsrechts schon dann gerechtfertigt sein, wenn der Erwerb eines Grundstücks vorteilhafte Auswirkungen auf die in Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG genannten Belange hat (BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – NuR 2015, 427; Kraft in Lütkes/Ewer, a.a.O., § 66 Rn. 17; Konrad in Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Aufl. 2013, § 66 BNatSchG Rn. 27). Als Rechtfertigungsgründe sind nicht nur die von der Behörde innerhalb der Frist von zwei Monaten benannten, sondern auch die im weiteren Verfahren vorgetragenen Gründe heranzuziehen (s. hierzu BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.205 – BayVBl 2016, 846; B.v. 18.1.2000 – 9 B 95.31 – juris Rn. 36 f.; U.v. 11.5.1994 – 9 B 93.1514 – BayVBl 1994, 657). Es ist nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechts, dass bereits eine konkretisierte Planung über durchzuführende Optimierungsmaßnahmen vorliegt (BayVGH, U.v. 22.5.1995 – 9 B 92.1183 u.a. – NuR 1995, 554). Es reicht vielmehr aus, dass der Vorkaufsrechtsberechtigte eine ökologische Aufwertung eines Grundstücks im Sinn der von ihm benannten Zielrichtung durchführen will (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 8; U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.205 – BayVBl 2016, 846). Die bloße Einstellung des Grundstücks in das Öko-Konto der Gemeinde genügt als solches zur Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung hingegen nicht (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 53). Die Vorkaufsrechtsausübung erfolgte im Übrigen auch nicht zu dem Zweck, eine Ausgleichsfläche zur Umsetzung eines konkreten Bebauungsplans zu erwerben, da in diesem Fall viel dafür spricht, dass nur die Ausübung bauplanungsrechtlich zur Verfügung stehender Vorkaufsrechte in Betracht kommt (vgl. hierzu VG Regensburg, U.v. 10.1.2017 – RO 4 K 16.1290 – juris).
Hier ist die ökologische Aufwertung (siehe Begründung des Ausübungsverlangens durch Schreiben des ersten Bürgermeisters der Beigeladenen zu 1 vom 27.6.2017, Bl. 32 der Behördenakte) durch die Umgestaltung des Grundstücks gemäß dem Gestaltungsplan vom 11. Juni 2018 konkret zu erwarten. Dies genügt in Zusammenschau mit der naturschutzfachlichen Bewertung zur Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung. Dass die Kläger das Grundstück ebenfalls extensiv bewirtschaften würden, stellt die Vorkaufsrechtsausübung nicht in Frage. Dies würde selbst bei einer Einbeziehung in den Vertragsnaturschutz gelten, da die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege am besten dadurch gewahrt werden, dass das Grundstück im Eigentum der öffentlichen Hand ist (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 54 m.w.N.).
Rechtliche Bedenken gegen die Ermessensausübung des Landratsamts … bestehen nicht. Das Bestehen von Ermessen wurde ausweislich der Begründung des Bescheids erkannt. Dabei wurden die Bewirtschaftungsinteressen der Kläger erfasst, aber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise als gegenüber dem öffentlichen (Erwerbs-)Interesse zurücktretend gewichtet (§ 114 Satz 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da sich (nur) der Beigeladene zu 1 durch eine Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, den Klägern auch dessen außergerichtliche Kosten aufzuerlegen (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 162 Rn. 23).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, bestehen nicht (§ 124 Abs. 2, § 124a VwGO).