Baurecht

Rechtswidrige Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens (“faktische” Baugrenze)

Aktenzeichen  Au 5 K 16.293

Datum:
9.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34, § 36
BayBO BayBO Art. 67, Art. 71
GG GG Art. 28 Abs. 2
BV BV Art. 11 Abs. 2

 

Leitsatz

Auf die Klage einer Gemeinde gegen die Ersetzung ihres Einvernehmens bei einem Bauvorhaben hin sind die Voraussetzungen des § 34 BauGB in vollem Umfang nachzuprüfen. Die zugunsten der Gemeinde in § 36 Abs. 1 BauGB normierte Beteiligungsbefugnis und ihre damit anerkannte hoheitliche Mitverantwortung schließen es aus, ihre Stellung mit der eines privaten Nachbarn im Verhältnis zu einem privaten Bauherrn zu vergleichen. (redaktioneller Leitsatz)
Für die Frage, ob eine hintere “faktische” Baugrenze besteht, ist grundsätzlich nur die Hauptnutzung in den Blick zu nehmen, so dass eine Bebauung im rückwärtigen Bereich eines Grundstücks auch dann unzulässig ist, wenn dieser Bereich zwar nicht gänzlich unbebaut ist, sich dort jedenfalls aber nur Nebenanlagen wie Garagen oder Schuppen befinden. (redaktioneller Leitsatz)
Ein Bauvorhaben, das den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen zwar überschreitet, kann sich dennoch nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls einfügen, wenn es keine bodenrechtlich beachtlichen bewältigungsbedürftigen Spannungen begründet oder erhöht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Vorbescheid des Landratsamtes … vom 27. Januar 2016 wird aufgehoben.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Das Urteils ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg. Der Vorbescheid des Landratsamtes … vom 27. Januar 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klägerin ist in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und Art. 11 Abs. 2 Bayerische Verfassung (BV) garantierten Selbstverwaltungshoheit verletzt. Die Klägerin hat ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB zu Recht verweigert und das Landratsamt … es zu Unrecht gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 Bayerische Bauordnung (BayBO) ersetzt.
1. Gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Erteilung des Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen, in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erteilt werden, der während seiner regelmäßigen Geltungsdauer von drei Jahren (Art. 71 Satz 2 BayBO) Bindungswirkung für ein nachfolgendes Baugenehmigungsverfahren entfaltet. Der hier streitgegenständliche Bauvorbescheid hat in dessen Ziffer 1. bestimmt, dass das Grundstück Fl.Nr. … im rückwärtigen Grundstücksbereich mit einem Einfamilienhaus mit Carport bebaubar ist. Im Bauvorbescheid und in einer nachfolgenden Baugenehmigung ist nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO insbesondere über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens nach §§ 29 bis 38 BauGB zu entscheiden (Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 Satz 1 BayBO).
Der Umfang des Vorbescheids wird dabei bestimmt durch die jeweilige Vorbescheidsfrage. Diese lautete hier, ob die geplante Bebauung nach deren Art und Maß grundsätzlich sowie eine Bebauung in zweiter Reihe Richtung …-straße möglich ist.
2. Über die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden, § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens dient dabei der Sicherung der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV verankerten gemeindlichen Planungshoheit. Das gemeindliche Einvernehmen ist ein als Mitentscheidungsrecht ausgestattetes Sicherungsinstrument des Baugesetzbuchs, mit dem die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde und als Trägerin der Planungshoheit in Genehmigungsverfahren mitentscheidend an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beteiligt wird (BVerwG, U. v. 14.4.2000 – 4 C 5/99 – BayVBl 2001, 22 ff.). Entspricht ein zulässiges Vorhaben nicht den planerischen Vorstellungen der Gemeinde, kann diese den Maßstab für die Zulässigkeitsprüfung durch Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans ändern und planungssichernde Maßnahmen ergreifen. Ein fehlendes Einvernehmen darf die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i. V. m. Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO nur ersetzen, wenn es zu Unrecht verweigert worden ist, weil das Vorhaben nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB zulässig ist, und ein Rechtsanspruch auf Erteilung der jeweiligen Genehmigung bzw. eines Vorbescheides besteht. Dies bedeutet im Ergebnis, dass auf die Klage einer Gemeinde gegen die Ersetzung ihres Einvernehmens bei einem Bauvorhaben, das wie hier unstreitig im unbeplanten Innenbereich gelegen ist, die Voraussetzungen des § 34 BauGB in vollem Umfang nachzuprüfen sind und sich eine Differenzierung danach, ob diese Voraussetzungen jeweils dem Selbstverwaltungsrecht zuzuordnen sind oder nicht, verbietet. Die zugunsten der Gemeinde in § 36 Abs. 1 BauGB normierte Beteiligungsbefugnis und ihre damit anerkannte hoheitliche Mitverantwortung schließen es aus, ihre Stellung mit der eines privaten Nachbarn im Verhältnis zu einem privaten Bauherrn zu vergleichen (vgl. BayVGH, B. v. 24.11.2008 – 1 Z. B. 08.1462 – juris; OVG Rheinl.Pfalz, U. v. 16.3.2006 – 1 K 2012/04 – juris; OVG Nieders., U. v. 10.1.2008 – 12 LB 22/07 – juris).
3. Der streitgegenständliche Bauvorbescheid, der zugleich als Ersatzvornahme i. S. v. Art. 113 Gemeindeordnung (GO) bezüglich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gilt (Art. 67 Abs. 3 Satz 1 BayBO), ist rechtswidrig. Der angefochtene Bauvorbescheid hält die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften nicht ein. Auch hat die Klägerin ihr erforderlich werdendes gemeindliches Einvernehmen rechtzeitig und eindeutig verweigert.
3.1 Die Klägerin hat mit Beschluss des Bau-, Verkehrs-, Umwelt- und Stadtentwicklungsausschusses vom 13. Januar 2015 ihr gemeindliches Einvernehmen zum beantragten Bauvorbescheid abgelehnt. Damit ist der Eintritt einer Einvernehmensfiktion auf der Grundlage von § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ausgeschlossen. Die Zwei-Monatsfrist aus § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB begann auch nicht erneut mit der Aufforderung des Landratsamtes … vom 8. Juli 2015 an die Klägerin zu laufen, über das Bauvorhaben erneut zu entscheiden. Die Fiktionsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB beginnt nur dann erneut zu laufen, wenn das Vorhaben im bauaufsichtlichen Verfahren so verändert wird, dass rechtlich von einem „aliud“ gesprochen werden muss und wenn die Baugenehmigungsbehörde die Bauvorlagen für das so geänderte Vorhaben der Gemeinde erneut zur Entscheidung über das Einvernehmen vorlegt (BayVGH, U. v. 26.1.2006 – 26 B 02.2957 – juris Rn. 32). Solche Umstände sind hier nicht gegeben, da der Beklagte die Klägerin lediglich unter Darlegung seiner abweichenden Rechtsauffassung nochmals um Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens gebeten hat. Da die Baupläne des Beigeladenen zu diesem Zeitpunkt unverändert waren, bedurfte es auch keiner erneuten Entscheidung der Klägerin über das gemeindliche Einvernehmen.
3.2 Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens beurteilt sich vorliegend unstreitig nach § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB. Das Vorhabengrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes, aber innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles der Klägerin.
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Bauvorhaben dort zulässig, wenn es sich hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben.
Vorliegend ist das mit Vorbescheid des Beklagten vom 27. Januar 2016 für bauplanungsrechtlich zulässig erachtete Bauvorhaben des Beigeladenen zwar hinsichtlich seiner Art der Nutzung in der insoweit maßgeblichen näheren Umgebung bedenkenlos zulässig, fügt sich jedoch hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen nicht in die insoweit maßgebliche nähere Umgebung i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein. Da sämtliche in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Kriterien die Klägerin zur Verweigerung ihres gemeindlichen Einvernehmens berechtigen, hat die Klägerin daher ihr Einvernehmen zum beantragten Bauvorbescheid zu Recht verweigert und durfte keine Ersetzung seitens des Beklagten auf der Grundlage von § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, Art. 67 Abs. 1 BayBO erfolgen.
3.3 In materiell-rechtlicher Hinsicht verstößt das Bauvorhaben des Beigeladenen gegen das Gebot des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB. Zwar ist es hinsichtlich seiner Art der baulichen Nutzung unproblematisch zulässig, fügt sich aber jedenfalls hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die insoweit maßgebliche nähere Umgebung ein.
3.3.1 Das Vorhaben ist seiner Art nach – was zwischen den Beteiligten auch nicht strittig ist – zulässig. Dies gilt unabhängig davon, ob vorliegend § 34 Abs. 1 oder § 34 Abs. 2 BauGB zur Anwendung kommt, da sich in der näheren Umgebung jedenfalls zahlreiche Wohnhäuser befinden, so dass die Errichtung eines weiteren Wohngebäudes zweifelsohne zulässig ist. Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht nach der Art seiner baulichen Nutzung allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre. Vorliegend fügt sich ein Einfamilienhaus von der Art der baulichen Nutzung ohne weiteres in die von Wohnnutzung geprägte nähere Umgebung ein. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob das maßgebliche Bauquartier hier lediglich auf den Verlauf von …- und …-straße im Bereich zwischen den Grundstücken Fl.Nr. … (…-straße …) und Fl.Nr. … (…-straße …) zu beschränken ist, oder ob insoweit auch die weiteren vorhandenen Gebäude im westlichen Verlauf von …- und …-straße bis zum abschließenden Grundstück Fl.Nr. … (…-straße …) an der maßgeblichen näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB teilnehmen. Ungeachtet der Reichweite der näheren Umgebung hinsichtlich des Merkmals „Art der baulichen Nutzung“ fügt sich ein weiteres Einfamilienhaus hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in die von Wohnnutzung geprägte nähere Umgebung ein. Das von …- und …-straße gebildete Straßengeviert wird ungeachtet seiner Ausdehnung im Westen ausschließlich durch Wohnbebauung geprägt. Insoweit liegt die Annahme eines reinen Wohngebiets im Sinne von § 3 BauNVO nahe. Letztlich bedarf dies keiner abschließenden Entscheidung, denn Wohnnutzung enthält bauplanungsrechtlich kein Konfliktpotential gegenüber einer Wohnnutzung im Übrigen. Der Sinn und Zweck der Zulassung unterschiedlicher Nutzungsarten in den verschiedenen Baugebieten besteht darin, Konflikte widerstreitender der Nutzungsarten durch eine Verweisung in ein anderes Baugebiet zu lösen. Ein solcher Widerspruch besteht vorliegend nicht, weil Wohnnutzung lediglich auf weitere Wohnnutzung trifft.
3.3.2 Das Bauvorhaben fügt sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche (§ 23 BauNVO) jedoch nicht in die insoweit maßgebliche nähere Umgebung ein.
Als nähere Umgebung ist grundsätzlich der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder beeinflusst (vgl. BVerwG, U. v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – juris Rn. 33; B. v. 20.8.1998 – 4 B 79/98 – juris Rn. 7). Bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben gilt in der Regel als Bereich gegenseitiger Prägung, der, der die maßgeblich nähere Umgebung eingrenzt, das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, B. v. 1.12.2011 – 14 CS 11.2577 – juris Rn. 26; B. v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist dabei eine Frage des Einzelfalles. Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Bezugsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil diese jeweils eine Prägung mit unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung entfalten können (BVerwG, B. v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – NVwZ-RR 1998, 539 f.; BayVGH, B. v 19.12.2006 – 1 ZB 05.1371 – juris Rn. 19).
Bei der hier im Wesentlichen streitigen überbaubaren Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als etwa bei der Art der baulichen Nutzung, weil die von den überbauten Grundstücksflächen ausgehende Prägung in ihrer Reichweite im Allgemeinen hinter den von der Art der baulichen Nutzung ausgehenden Wirkungen zurückbleibt (vgl. BayVGH, B. v. 25.4.2005 – 1 CS 043461 – juris Rn. 18; VGH Baden-Württemberg, U. v. 23.9.1993 – 8 S 1281/93 – juris Rn. 22; OVG NRW, U. v. 7.11.1996 – 7 A 4820/95 – juris Rn. 36). Entscheidend ist auch hinsichtlich des Kriteriums der überbaubaren Grundstücksfläche, wie weit die wechselseitigen Auswirkungen im Verhältnis von Vorhaben und Umgebung im Einzelfall reichen.
Nach den dem Gericht vorliegenden Lageplänen, Luftbildern und den beim Ortsaugenschein gewonnenen Erkenntnissen beschränkt sich das für das Kriterium der überbaubaren Grundstücksfläche in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebliche Bauquartier vorliegend auf die sieben zwischen dem am östlichen Ende der …-straße gelegenen Grundstück Fl.Nr. … -…-straße … und dem im Westen an der kurzen Verbindung von …- und …-straße gelegenen Grundstück Fl.Nr. … (…-straße …) gelegenen Grundstücke. Denn dieses Quartier weist eine deutlich wahrnehmbare homogene Bebauungsstruktur auf, die sich östlich und westlich im weiteren Verlauf von …- bzw. …-straße so nicht fortsetzt. Die einheitliche Prägung dieser sieben Grundstücke und ihrer Bebauung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich in den vorderen, zur …-straße gerichteten Bereichen die Hauptgebäude finden und der rückwärtige Bereich dieser Grundstücke grundsätzlich im Sinne eines frei gehaltenen Gartenbereichs unbebaut ist und sich hier allenfalls vereinzelt kleinere Nebengebäude wie Garagen oder Schuppen befinden. Die Bebauung auf den vorbezeichneten maßgeblichen sieben Grundstücken folgt augenscheinlich einer erkennbaren Ordnungsstruktur, die durch das Fehlen von Hauptgebäuden im rückwärtigen Grundstücksbereich – von der Erschließungsstraße …-straße aus betrachtet – geprägt ist. Da sämtliche sieben maßgeblichen Baugrundstücke im Straßengeviert eine derartige einheitliche Bebauungsstruktur aufweisen, ist von einer wechselseitigen Prägung der Grundstücke im Sinne einer rückwärtigen „faktischen Baugrenze“ in den südlich ausgerichteten von Hauptnutzungen freigehaltenen Grundstücksbereichen auszugehen. Sämtliche bislang im maßgeblichen Quartier vorhandenen Hauptnutzungen – auch die später hinzugekommenen – folgen dieser Bebauungsstruktur im Sinne einer rückwärtigen Baugrenze. Durchbrechungen mit einem Hauptgebäude in den südlich ausgerichteten Ruhezonen der Grundstücke finden sich in diesem Bauquartier bislang nicht.
Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist hinsichtlich der maßgeblichen überbaubaren Grundstücksflächen nicht auf die Bereiche im östlichen Verlauf der …-straße bzw. westlich des abschießenden Grundstücks Fl.Nr. … abzustellen. Diese Bereiche westlich bzw. östlich des maßgeblichen Bauquartiers weisen bereits eine gänzlich andere Baustruktur als die einheitlich und homogen geprägten Grundstücke zwischen Fl.Nr. … und Fl.Nr. … auf. Insoweit liegt auch ein gänzlich anderer Grundstückszuschnitt mit kleineren Grundstücken insbesondere auf den Grundstücken Fl.Nr. …, …, …, … und … vor. Auch die Verbindung zwischen …- und …-straße, die im weiteren Verlauf in die …-straße mündet, bildet eine deutlich wahrnehmbare Zäsur zum einheitlich geprägten Bereich zwischen den Grundstücken an der …-straße … bis … Auch die gebotene kleinräumigere Betrachtungsweise hinsichtlich des Kriteriums der überbaubaren Grundstücksfläche und der insoweit nicht so stark ausgebildeten wechselseitigen Prägung der Baugrundstücke und ihrer Bebauung gebietet hinsichtlich der Prüfung des Merkmals „Einfügens“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hier den aufgezeigten engräumigeren Ansatz.
Der Annahme einer rückwärtigen „faktischen“ Baugrenze steht nicht entgegen, dass sich im maßgeblichen Bauquartier vereinzelt in den Gartenbereichen kleinere bis mittlere Nebengebäude wie Garagen bzw. Schuppen etc. befinden. Für die Frage, ob eine hintere „faktische“ Baugrenze besteht, ist grundsätzlich nur die Hauptnutzung in den Blick zu nehmen, so dass eine Bebauung im rückwärtigen Bereich auch dann unzulässig ist, wenn dieser Bereich zwar nicht gänzlich unbebaut ist, sich dort jedenfalls aber nur Nebenanlagen wie Garagen oder Schuppen befinden (vgl. BVerwG, B. v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – juris; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: November 2015, § 34 Rn. 57). Lediglich in Fällen, in denen die Garagen- oder Nebengebäudebebauung derart groß und massiv ist, dass sie den Block-
innenbereich maßgeblich mitprägt, kann sie dazu führen, dass in diesem Bereich auch dort gegenwärtig nicht vorhandene Wohnnutzung zulässig ist. Dies bedarf vorliegend keiner Vertiefung, da zum einen die Nebennutzungen nur vereinzelt im maßgeblichen Bauquartier festzustellen sind, und darüber hinaus die vom Beigeladenen beabsichtigte Wohnnutzung noch weiter in den rückwärtigen Bereich eindringen soll, als die bislang im Bauquartier vorhandenen Nebengebäude.
Zusammenfassend lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit für das maßgebliche Bauquartier hinsichtlich des Kriteriums der „überbaubaren Grundstücksfläche“ eine rückwärtige „faktische“ Baugrenze ablesen. Diese verläuft an den südlichen Fassaden der Hauptgebäude der Grundstücke …-straße … bis … (Grundstücke Fl.Nr. … bis …). Dieser Rahmen wird durch das streitgegenständliche Bauvorhaben deutlich überschritten und die festzustellende einheitliche Ordnungsstruktur aufgebrochen.
Das den durch die nähere Umgebung gezogenen Rahmen überschreitende Vorhaben ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil es die Situation nicht in negativer Weise in Bewegung bringt oder verschlechtert. Ein Vorhaben, das den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen zwar überschreitet, kann sich dennoch nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls einfügen, wenn es keine bodenrechtlich beachtlichen bewältigungsbedürftigen Spannungen begründet oder erhöht. Ein solcher Fall ist jedoch dann nicht gegeben, wenn das Vorhaben selbst oder sei es infolge einer seiner Vorbildwirkung die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet. Das geplante Bauvorhaben wäre hier wegen einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a. a. O. § 34 Rn. 30). Als erster Siedlungsansatz in zweiter Reihe in einem Bereich, der bislang einheitlich durch zur …-straße hin ausgerichtete Hauptgebäude mit freigehaltenen rückwärtigen Garten- bzw. Ruhezonen, kommt dem Bauvorhaben eine negative Vorbildwirkung zu. Das Bauvorhaben würde die den bislang unversiegelten Flächen zukommende städtebauliche Funktion im Sinne einer rückwärtigen Ruhezone beeinträchtigen. Diese prägenden rückwärtigen Grundstücksbereiche sind derzeit unbebaut, aber aufgrund ihrer vergleichbaren Größe durchaus mit einem zusätzlichen weiteren Hauptgebäude bebaubar. Die Zulassung des Vorhabens des Klägers hätte somit eine erhebliche Veränderung, nämlich eine für das maßgebliche kleinräumige Gebiet bislang untypische Baudichte zur Folge und würde städtebauliche Spannungen auslösen.
Der Annahme einer rückwärtigen Baugrenze auf den maßgeblichen Grundstücken steht schließlich nicht entgegen, dass diese auch von der südlich verlaufenden …-straße dem Grunde nach erschlossen werden. Für das Vorhandensein einer „faktischen“ Baugrenze kommt es nicht darauf an, ob ein Baugrundstück von einer oder von mehreren Erschließungsstraßen erschlossen wird. Liegt im Falle einer Mehrfacherschließung eine von der einen Straße aus gesehen (hier …-straße) „rückwärtige“ Baugrenze vor, schließt das nicht aus, diese von der …-straße aus gesehen als „vordere“ Baugrenze zu qualifizieren (vgl. BayVGH, B. v. 19.12.2006 – 1 ZB 05.1371 – juris Rn. 21).
Da sich das Bauvorhaben des Beigeladenen bereits hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die insoweit maßgebliche nähere Umgebung einfügt, bedarf es keiner weiteren Entscheidung darüber, ob ein Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung im Übrigen (§§ 16 – 21 BauNVO) gegeben ist.
4. Da das Bauvorhaben der bauplanungsrechtlichen Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht entspricht, verletzt die dennoch erfolgte Einvernehmsersetzung die Klägerin in ihren Rechten.
Der Vorbescheid des Landratsamtes … vom 27. Januar 2016 war demzufolge aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Da sich der Beigeladene ohne eigene Antragstellung keinem Prozesskostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine evtl. entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Nach Nr. 9.10 des Streitwertkatalogs 2013 (BayVBl 2014, Sonderbeilage Januar) ist bei gegen die Ersetzung des Einvernehmens der Gemeinde gerichteten Klagen im Hauptsacheverfahren ein Streitwert in Höhe von 15.000,00 EUR anzusetzen. Dem folgt das Gericht für das vorliegende Verfahren. Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

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