Baurecht

Streitwert bei Aufspaltung von Rechtsschutzgesuchen

Aktenzeichen  22 C 16.601

Datum:
14.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG GKG §§ 52 I, 53 II Nr. 2

 

Leitsatz

Eine Begrenzung des Streitwerts ist von Rechts wegen geboten, wenn für die Auftrennung eines Rechtsschutzgesuchs in selbständige Verfahren keine sachgerechten Gründe vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 S 15.1257 u.a. 2016-02-11 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Die Verfahren 22 C 16.601, 22 C 16.604, 22 C 16.605 und 22 C 16.606 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III.
Die Kosten der gerichtsgebührenfreien Beschwerdeverfahren fallen den Bevollmächtigten der Beigeladenen zur Last. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Durch für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 17. November 2014 erteilte das Landratsamt Rhön-Grabfeld der Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windkraftanlagen („Windpark W.“), wobei die Windkraftanlage 1 auf dem Grundstück Fl.Nr. 673 der Gemarkung J…, die Windkraftanlage 2 auf dem Grundstück Fl.Nr. 465 der Gemarkung W. und die Windkraftanlage 3 auf dem Grundstück Fl.Nr. 4791 der letztgenannten Gemarkung errichtet werden sollen.
Mit Schriftsätzen ihres Bevollmächtigten vom 30. November 2015 beantragten die Antragsteller zu 1) bis 4) beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung der von ihnen gegen diesen Bescheid erhobenen Klagen herzustellen. Für jedes dieser vier Rechtsschutzgesuche vergab das Verwaltungsgericht jeweils drei verschiedene Aktenzeichen.
In vier dieser Verfahren (Az. W 4 S 15.1257, W 4 S 15.1270, W 4 S 15.1273 und W 4 S 15.1296) erließ das Verwaltungsgericht am 11. Februar 2016 abschlägige Sachentscheidungen, wobei die Verfahrenskosten einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem jeweiligen Antragsteller (bzw. den jeweiligen Antragstellern) auferlegt wurden. Die Streitwerte setzte das Verwaltungsgericht auf jeweils 2.500 € fest.
Mit den von ihnen im eigenen Namen gegen die Streitwertfestsetzungen eingelegten Beschwerden beantragen die Bevollmächtigten der Beigeladenen in Bezug auf alle vier vorgenannten Verfahren,
den Streitwert auf 7.500 € festzusetzen.
Die Antragsteller sind der Auffassung, die Streitwertsetzungen des Verwaltungsgerichts seien nicht zu beanstanden; der Antragsgegner hat von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
Die Verbindung der Verfahren zu gemeinsamer Entscheidung beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
Die Beschwerden sind gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere übersteigt die Differenz zwischen den Gebühren, die den Bevollmächtigten der Beigeladenen auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwerthöhe von jeweils 2.500 € zustehen, und den Gebührenansprüchen, die sich bei dem von ihnen erstrebten Streitwert von 7.500 € ergäben, in jedem einzelnen der verbundenen Verfahren den in § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG vorausgesetzten Betrag von 200 €.
Die Beschwerden sind jedoch nicht begründet.
Grundsätzlich entspricht es allerdings, sofern Besonderheiten des Einzelfalles keine abweichende Bewertung der Bedeutung der Sache für den Rechtsschutzsuchenden gebieten, pflichtgemäßer Ausübung des durch § 52 Abs. 1 GKG (hier anzuwenden in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG) eröffneten Ermessens, den Streitwert von Verfahren nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO, in denen sich Privatpersonen gegen die sofortige Vollziehbarkeit immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen wenden, die die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen zum Gegenstand haben, auf 7.500 € festzusetzen. Denn dieser Betrag, der sich aus den Empfehlungen in der Nummer 19.2 in Verbindung mit den Nummern 2.2.2 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ergibt, bewirkt einen sachgerechten Ausgleich zwischen dem Interesse anwaltlicher Bevollmächtigter, für ihre Tätigkeit in solchen Verfahren auch dann ein noch angemessenes Entgelt zu erhalten, wenn eine Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) nicht abgeschlossen wurde, und dem aus der Ausstrahlungswirkung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG resultierenden Gebot, dass das Beschreiten des Verwaltungsrechtswegs für Privatpersonen, die sich gegen die behördliche Zulassung einer „lästigen Anlage“ in ihrer Nähe wenden, nicht mit einem unangemessen hohen oder unkalkulierbaren finanziellen Risiko einhergehen darf (vgl. zu letzterem BayVGH, B. v. 27.11.2015 – 22 C 15. 2265 u. a. – juris Rn. 8; B. v. 3.12.2015 – 22 C 15.2248 – juris Rn. 8; B. v. 3.12.2015 – 22 C 15.2328 – juris Rn. 4). Unerheblich ist es hierbei, auf wie viele Windkraftanlagen sich die Genehmigung erstreckt, deren sofortige Vollziehbarkeit der jeweilige Antragsteller bekämpft, bzw. wie viele dieser Anlagen er zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat (BayVGH, B. v. 6.5.2015 – 22 C 15.984 – juris Rn. 2).
Vorliegend darf allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Verwaltungsgericht über die Rechtsschutzbegehren der Antragsteller nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO, die sich nach dem eindeutigen Wortlaut der in den Schriftsätzen vom 30. November 2015 gestellten Anträge auf den Bescheid vom 17. November 2014 in seiner Gesamtheit bezogen, jeweils nur zu einem Teil – nämlich hinsichtlich der sofortigen Vollziehbarkeit der Genehmigung für die Windkraftanlage 2 – befunden hat. Dies ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass im Rubrum der Beschlüsse vom 11. Februar 2016 jeweils von einer sich auf die „Gemarkung W. Fl.Nr. 465“ beziehenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die Rede ist. In die gleiche Richtung deutet es, wenn am Ende des ersten Absatzes der Beschlussgründe ausgeführt wurde, „der vorliegende Antrag“ richte sich gegen die sofortige Vollziehung der Genehmigung vom 17. November 2014 „hinsichtlich der Windenergieanlage 2“. Die Tatsache, dass die am 11. Februar 2016 erlassenen Beschlüsse jeweils nur eines der drei Aktenzeichen tragen, die das Verwaltungsgericht für jedes der Rechtsschutzgesuche der Antragsteller zu 1) bis 4) nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO vergeben hat, verdeutlicht ebenfalls, dass lediglich über einen Teil des jeweiligen Antrags entschieden wurde. Der Umstand, dass die Gründe dieser gerichtlichen Entscheidungen des Öfteren von den „streitgegenständlichen Windkraftanlagen“ bzw. den „streitgegenständlichen Anlagen“ sprechen (vgl. beispielhaft den ersten Satz des zweiten vollständigen Absatzes auf Seite 21, den zweiten und den achten Satz im ersten Absatz auf Seite 23, den ersten und den vierten Satz im letzten Absatz auf Seite 28 sowie den ersten und den vierten Satz im ersten Absatz auf Seite 29 des im Verfahren W 4 S 15.1257 ergangenen Beschlusses), steht dem nicht entgegen. Denn jedenfalls für die Beteiligten, auf deren Verständnishorizont es für die Auslegung einer gerichtlichen Entscheidung ausschlaggebend ankommt, ist vor dem Hintergrund der vorstehend aufgezeigten Gegebenheiten hinreichend klar erkennbar, dass das Verwaltungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollte, die sofortige Vollziehbarkeit der Genehmigung vom 17. November 2014, soweit sie sich auf die Windkraftanlagen 1 und 3 bezieht, sei weiterhin „streitgegenständlich“ (da sie den Inhalt der Rechtsschutzbegehren bildet, das den am 11.2.2016 noch nicht verbeschiedenen Verfahren zugrunde liegt).
Wenn das Verwaltungsgericht den Streitwert der Verfahren W 4 S 15.1257, W 4 S 15.1270, W 4 S 15.1273 und W 4 S 15.1296 nur auf jeweils 2.500 € (d. h. in Höhe eines Drittels des grundsätzlich maßgeblichen Betrages von 7.500 €) festgesetzt hat, so liegt dem erkennbar das Bestreben zugrunde, die kostenrechtlichen Auswirkungen zu begrenzen, die sich aus der von ihm vorgenommenen Aufspaltung der sich auf die sofortige Vollziehbarkeit des gesamten Bescheids vom 17. November 2014 beziehenden Rechtsschutzgesuche der Antragsteller zu 1) bis 4) in drei gesonderte Verfahren pro Antragsteller zum Nachteil der unterliegenden Beteiligten ergeben. Eine solche Begrenzung erachtet der beschließende Senat jedenfalls dann von Rechts wegen geboten, wenn für die Auftrennung eines Rechtsschutzgesuchs in selbstständige Verfahren keine sachgerechten Gründe vorliegen (vgl. zur Erforderlichkeit solcher Gründe BVerfG, B. v. 10.7.1996 – 2 BvR 65/95 u. a. – NJW 1997, 649/650; BayVerfG, B. v. 20.1.1998 – Vf. 10-VI-95 – BayVBl. 1998, 350; BbgVerfG, B. v. 20.3.2003 – 109/02 – NVwZ-RR 2003, 468/469).
Solche Gründe sind vorliegend nicht erkennbar. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der etwaigen Absicht des Verwaltungsgerichts, den Antragstellern eine kostengünstige Rücknahme der Anträge nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der Windkraftanlagen 1 und 3 zu ermöglichen, falls sie aufgrund eines Beschlusses, der sich allein mit der sofortigen Vollziehbarkeit der die Anlage 2 betreffenden Genehmigung befasst, zu der Auffassung gelangen sollten, dass die Weiterverfolgung ihres Begehrens hinsichtlich der beiden anderen Teile des Vorhabens der Beigeladenen nicht zielführend erscheint. Denn die Kostenbelastung der unterlegenen Partei kann wegen der sowohl im Gerichtskosten- als auch im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz degressiv vorgenommenen Ausgestaltung der Gebührensätze insbesondere dann, wenn sich obsiegende Beteiligte anwaltlich haben vertreten lassen und ihnen ein Kostenerstattungsanspruch zusteht, bei einer Mehrzahl von Streitsachen, die im Wege gerichtlicher Verfahrenstrennung aus einem einheitlichen Rechtsschutzgesuch hervorgegangen sind und für die jeweils Streitwerte angesetzt wurden, die in ihrer Summe demjenigen entsprechen, der bei unterbliebener Aufspaltung angezeigt gewesen wäre, u. U. höher sein als das der Fall wäre, wenn das Gericht über das Rechtsschutzgesuch insgesamt entschieden und für dieses eine Verfahren den nach den allgemeinen Grundsätzen maßgeblichen Streitwert angesetzt hätte. Der Schutz der unterlegenen Antragsteller gebietet es vorliegend deshalb, es bei den vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwerten bewenden zu lassen. Das gilt umso mehr, als sich eine solche Mehrbelastung der Antragsteller nur in Ansehung der Gerichtskosten, nicht aber hinsichtlich ihrer Pflicht zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen durch Entscheidungen nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ausgleichen lässt (vgl. zu der nach dieser Vorschrift gebotenen Nichterhebung derjenigen Gerichtskosten, die den Betrag übersteigen, der beim Unterbleiben einer nicht auf sachgerechten Gründen beruhenden Verfahrenstrennung angefallen wäre, BayVGH, B. v. 30.6.2008 – 22 ZB 08.1445; Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl. 2016, § 21 GKG Rn. 34).
Der Kostenausspruch beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Wegen der Gerichtsgebührenfreiheit von Streitwertbeschwerdeverfahren (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG) und des durch § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG angeordneten Ausschlusses der Erstattung außergerichtlicher Kosten beschränkt sich seine praktische Relevanz auf die Festlegung, wer ggf. angefallene gerichtliche Auslagen zu tragen hat.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen