Baurecht

Teilprivilegierung

Aktenzeichen  M 9 K 17.1099

Datum:
25.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 159464
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 2, Abs. 4 S. 2, § 36
BayBO Art. 71
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4, § 162 Abs. 3

 

Leitsatz

Ein Fall der Entprivilegierung eines Gebäudes i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 liegt vor, mit den Merkmalen Gebäude und dessen bisheriger Nutzung i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, d.h. einem landwirtschaftlichem Betrieb dienend und es muss sich für die Anwendung des § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB um die erstmalige Änderung der Nutzung handeln. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts Ebersberg vom 10. Februar 2017 (Vorbescheid, Az.: …*) wird aufgehoben.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
Die Klage ist zulässig. Es fehlt ihr nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Der streitgegenständliche Vorbescheid und der bestandskräftige vom 16. April 2015 stellen unterschiedliche Streitgegenstände und wegen der abweichenden Vorbescheidsanträge auch unterschiedliche Vorhaben dar, die gesondert angegriffen werden können. Der Kläger hat auch unter Berücksichtigung des bestandskräftigen Vorbescheids ein Interesse an der Anfechtung des streitgegenständlichen Vorbescheids, denn nur, wenn der Kläger das Eintreten der Bestandskraft dieses Vorbescheids verhindert, nützt es ihm etwas, etwa mit einem Antrag auf Rücknahme oder Wiederaufgreifen des Verfahrens, gegen den bestandskräftigen Vorbescheid vorzugehen.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Landratsamts ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO,
§ 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Der Vorbescheid vom 10. Februar 2017 wurde trotz des rechtmäßig verweigerten Einvernehmens des Klägers erteilt, weshalb dieser in seiner Planungshoheit als Bestandteil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV verletzt wird.
Der auf der Grundlage von Art. 71 Satz 1 BayBO erlassene Vorbescheid ist wegen eines Verstoßes gegen Bauplanungsrecht rechtswidrig, worauf sich der Kläger berufen kann, weil er wegen § 36 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 BauGB die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit voll überprüfen lassen kann.
Der Vorbescheid für den Ersatzbau zur Umnutzung eines landwirtschaftlichen Gebäudes zu Wohnzwecken ist bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig.
Die vom Landratsamt vorgenommene Einordnung als sonstiges Vorhaben i.S.v. § 35 Abs. 2 BauGB ist zutreffend, Anhaltspunkte für die Geltung von § 35 Abs. 1 BauGB bestehen nicht. Auf der Grundlage von § 35 Abs. 2 BauGB ist es aber nicht genehmigungsfähig, weil öffentliche Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beeinträchtigt werden (nachfolgend unter 1.). Es liegt auch kein Teilprivilegierungstatbestand gemäß § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB (i.V.m. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB) vor (nachfolgend unter 2.).
1. Das Vorhaben beeinträchtigt die Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB (Darstellung des Flächennutzungsplans), § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (natürliche Eigenart der Landschaft) und § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 Var. 2 BauGB (Verfestigung einer Splittersiedlung).
Die Darstellung des Flächennutzungsplans des Klägers ist durch die Ansiedlung der „S. …“ nicht funktionslos geworden. Er wäre von dem Gebäude auch beeinträchtigt. Das Bestehen eines Siedlungssplitters im Außenbereich ist nicht selten und führt nicht schon automatisch dazu, dass ein Flächennutzungsplan, der eine typische Außenbereichsdarstellung wie Landwirtschaft enthält, funktionslos wird. Ebenso wird die natürliche Eigenart der Landschaft, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 4 BauGB, beeinträchtigt. Die Flächen, auf denen sich die streitgegenständlichen Gebäude befinden, haben ihre natürliche Eigenart noch nicht verloren. Das mit dem Vorbescheid bauplanungsrechtlich genehmigte Vorhaben der Neuerrichtung eines Wohnhauses im Außenbereich ist ist zudem geeignet, die bestehende Splittersiedlung zu verfestigen. Durch die Neuerrichtung würde das baufällige Bestandsgebäude durch ein neues ersetzt und es würden Fakten für die weitere Verfestigung der Splittersiedlung geschaffen.
2. Eine Ausblendung der beeinträchtigten öffentlichen Belange kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des Teilprivilegierungstatbestandes gemäß § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB (i.V.m. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB), den der Beklagte zu Gunsten des Beigeladenen angenommen hat, nicht vorliegen.
Gemäß § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB gilt in begründeten Einzelfällen die Rechtsfolge des Satzes 1 auch für die Neuerrichtung eines Gebäudes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1, dem eine andere Nutzung zugewiesen werden soll, wenn das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, keine stärkere Belastung des Außenbereichs zu erwarten ist als in Fällen des Satzes 1 und die Neuerrichtung auch mit nachbarlichen Interessen vereinbar ist; Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis g gilt entsprechend.
Mehrere der tatbestandlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. In der Kommentarliteratur zu der neuen, mit dem BauGB-Änderungsgesetz 2013 eingeführten Vorschrift wird einhellig verlangt, dass ein Fall der Entprivilegierung eines Gebäudes i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 vorliegen muss, mit den Merkmalen Gebäude und dessen bisheriger Nutzung i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, d.h. einem landwirtschaftlichem Betrieb dienend. Außerdem muss es sich für die Anwendung des § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB um die erstmalige Änderung der Nutzung handeln (vgl. nur Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 163a und Rn. 136 – 138, jeweils m.w.N.).
a. Es fehlt bereits daran, dass mit dem streitgegenständlichen ein Gebäude im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vorliegt, was § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB aber verlangt.
Seit mindestens mehr als zwei Jahrzehnten fehlt es dem Gebäude an jeglicher landwirtschaftlicher Zwecksetzung. Dass dort seit Langem kein Wohnen, das einem landwirtschaftlichen Betrieb i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zugeordnet ist, mehr stattfindet, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Darauf, ob dort überhaupt jemals eine landwirtschaftliche Nutzung bestand, was in der Klagebegründung bestritten wird, kommt es dagegen nicht an. Denn es handelt sich nicht um einen Fall, in dem trotz der Aufgabe einer landwirtschaftlichen Nutzung noch eine Anknüpfung an diese besteht, weil seitdem keine andere Nutzung aufgenommen worden wäre. Nur ein solcher Fall wird, außer dem direkten Anschluss der Neuerrichtung an eine bestehende Landwirtschaft, noch von § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB erfasst.
Vielmehr ist für das streitgegenständliche Gebäude die Kontinuität zu einer früheren landwirtschaftlichen Nutzung mehrfach unterbrochen.
Zunächst hat sich die Nutzung bereits vor vielen Jahren zu schlichter Wohnnutzung geändert, die nichts mehr mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zu tun hatte. Die unstrittige jahrelange Nutzung des Gebäudes zum „normalen“ Wohnen zeigt eindeutig, dass die Nutzung als landwirtschaftliches Wohngebäude aufgegeben worden ist. Der Beigeladene hat selbst im Verfahren Az. M 9 K 12.1199 und im zugehörigen Rechtsmittelverfahren (Az. 2 ZB 13.1204) mehrfach angegeben, in dem grünen Wohnhaus zu wohnen. Mangels eines landwirtschaftlichen Betriebs des Beigeladenen hat es sich dabei um schlichtes Wohnen gehandelt, was auch weder im gegenständlichen noch in den früheren Verfahren anders dargestellt wurde.
Einen zusätzlichen „Unterbrechungstatbestand“ stellt außerdem die zwischenzeitliche Unbenutzbarkeit des Gebäudes dar. Bereits mit rechtskräftigem Urteil des Gerichts vom 10. April 2013 (Az. M 9 K 12.1199, bestätigt von BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 2 ZB 13.1204) wurde entschieden, dass das Gebäude unbenutzbar war. Auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2017 im Verfahren Az. M 9 K 17.1100 wird Bezug genommen. Die eingetretene Unbenutzbarkeit – nicht die vom Landratsamt angesprochene Nicht-Nutzung – lässt eine vorhandene Genehmigung entfallen (BVerwG, B.v. 11.12.1996 – 4 B 231/96 – juris Rn. 2; ebenso BayVGH, B.v. 9.8.2017 – 1 ZB 14.68 – juris Rn. 3). Dafür muss das Gebäude keine regelrechte Ruine sein, die Unbenutzbarkeit zum Wohnen reicht aus, um eine Anknüpfung an ein Gebäude i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB und an eine entsprechende Nutzung entfallen zu lassen. Dass bereits vorher durch eine vom Landratsamt selbst in der Klageerwiderung angesprochene Baugenehmigung vom 22. Mai 2003 – Nutzungsänderung des grünen Wohnhauses von Wohngebäude in Hofladen – noch ein weiterer Unterbrechungstatbestand eingetreten ist, ist nicht mehr entscheidend.
Schließlich sind noch die zwischenzeitlich stattgefundenen Erwerbsvorgänge, seit denen kein landwirtschaftlicher Betrieb mehr geführt wird, zu berücksichtigen. Weder der Kläger noch sein Rechtsvorgänger haben eine Landwirtschaft betrieben. Absichtserklärungen reichen hierfür nicht aus.
b. Es fehlt auch daran, dass dem Gebäude „eine andere Nutzung zugewiesen werden soll“.
Das Landratsamt spricht selbst im angefochtenen Vorbescheid von einer Nutzungsänderung in nicht landwirtschaftliches Wohnen, die aber einschließlich der genehmigten Neuerrichtung nicht von § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB erfasst werden kann, weil bereits vorher ein nicht an einen landwirtschaftlichen Betrieb angeknüpftes Wohnen vorlag. Es kommt nach § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB schon darauf an, ob bzw. wann die landwirtschaftliche Nutzung aufgegeben worden ist. Sowohl § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB als auch § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB privilegieren jeweils nur die erste Nutzungsänderung (OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 13.6.2016 – 7 A 1029/15 – juris Ls. 4 und Rn. 18 sowie Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 163a mit Verweis auf Rn. 138), nicht aber Fälle wie den vorliegenden, wo bereits zwischenzeitlich andere Nutzungen als die landwirtschaftlich privilegierte aufgenommen wurden. Der Umstand, dass § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c) BauGB, auf den § 35 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 BauGB grundsätzlich verweist, in Bayern nicht gilt (Art. 82 Abs. 6 BayBO, § 245b Abs. 2 BauGB), hat damit nichts zu tun, weil es auf die Wahrung der Frist in diesem Fall der Nutzungsänderung eines bereits vorher entprivilegierten Gebäudes von vorneherein nicht ankommt (OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 30.7.2003 – 22 A 1004/01 – juris Ls. 2 Satz 2 und Rn. 21 zu § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB; das gilt genauso für den neuen § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB).
c. Ebenso wenig ist erkennbar, warum ein „begründeter Einzelfall“ vorliegen soll. Wann genau dieser unbestimmte Rechtsbegriff vorliegt, ist umstritten und noch nicht geklärt. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Schonung des Außenbereichs ist von dem Ausnahmecharakter der Vorschrift, vergleichbar den übrigen Teilprivilegierungstatbeständen, auszugehen (Decker, KommP spezial 2013, 157). Eine Indizwirkung bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen besteht nicht. Vielmehr kommt es für das Vorliegen eines „begründeten Einzelfalls“ darauf an, ob es sich um ein Vorhaben handelt, das dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB dient. Da der Sinn und Zweck des § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB, den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu unterstützen, beim Vorhaben des Beigeladenen keine Rolle spielt, liegt die Ausnahme hier nicht vor. Eine entsprechende Ausnahmesituation oder Atypik liegt insbesondere nicht vor, wenn wie hier bereits mehrfach ein Zwischenerwerb des Gebäudes, hier vor dem Beigeladenen bereits von dessen Rechtsvorgänger usw., stattgefunden hat, keiner der Erwerber aber einen landwirtschaftlichen Betrieb geführt hat. In Fällen wie diesen spielt die Unterstützung des Strukturwandels in der Landwirtschaft ersichtlich keine Rolle.
Da auch kein anderer Teilprivilegierungstatbestand vorliegt, bleibt es bei der fehlenden bauplanungsrechtlichen Genehmigungsfähigkeit.
Nach alledem wird der angefochtene Bescheid aufgehoben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

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