Aktenzeichen AN 3 K 15.01457
Leitsatz
1 Grundsätzlich besteht für einen Nachbarn hinsichtlich eines bauaufsichtlichen Einschreitens durch die Bauaufsichtsbehörde nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Etwas anderes gilt jedoch, wenn zugunsten des Nachbarn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, das heißt, die Behörde zum bauaufsichtlichen Einschreiten oder Tätigwerden verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung ergibt sich jedoch nicht allein aus einem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten kann es nur ausnahmsweise geben. Das ist der Fall, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (hier verneint für Lärmimmissionen durch Freischankfläche einer Gaststätte). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten mittels Nutzungsuntersagung im Sinne des Art. 76 Satz 2 BayBO. Auch wenn die Nutzung der Freischankfläche der Beigeladenen über 60 Sitzplätze hinaus und außerhalb der genehmigten Fläche öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht (dazu 1.), so ist das Ermessen des Beklagten zum Einschreiten nicht auf Null reduziert (dazu 2.).
Grundsätzlich besteht hinsichtlich eines bauaufsichtlichen Einschreitens durch die Beklagte nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (Simon/Busse, Komm. zur BayBO, Art. 76, Rn. 486). Etwas anderes gilt jedoch, wenn zugunsten der Kläger eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, das heißt der Beklagte zum bauaufsichtlichen Einschreiten oder Tätigwerden verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung ergibt sich jedoch nicht allein aus einem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften. Einen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten kann es nur ausnahmsweise geben (vgl. z.B. VGH München B.v. 8.12.2017 – 9 ZB 17.882). Das ist der Fall, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (vgl. BayVerfGH vom 3.12.1993 BayVBl 1994, 110; BayVGH vom 23.1.2008 Az. 15 ZB 06.3020 – juris -). Davon ist insbesondere auszugehen, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (VGH München B.v. 9.9.2009 – 15 ZB 08.3355; BayVGH vom 18.6.2008 Az. 9 ZB 07.497 – juris -).
Insofern kommt es im Rahmen des Ermessens entgegen der Auffassung der Kläger nicht auf die möglicherweise drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans an.
1. Nach Auffassung der Kammer ist die Nutzung von 83 Sitzplätzen auf der streitgegenständlichen Freischankfläche der Beigeladenen sowie die Überschreitung der Grenzen der Fläche nicht mehr von der ursprünglichen Baugenehmigung gedeckt und widerspricht damit öffentlich-rechtlich Vorschriften im Sinne des Art. 76 Satz 2 BayBO.
Der am 2. August 1996 erteilten Baugenehmigung liegen gestempelte Planzeichnungen bei, aus denen zum einen die Lage und Fläche der Freischankfläche hervorgeht und zum anderen exakt 60 Sitzplätze eingezeichnet sind.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der Einzeichnung der Sitzplätze nicht lediglich um ein darstellerisches Element, dass die Nutzung der Freischankfläche verdeutlichen soll.
Die Anzahl der Sitzplätze und die damit einhergehenden Besucher stellen die wesentliche Lärmquelle einer Freischankfläche dar, wonach sich auch die Beeinträchtigungen zu Lasten der Nachbarschaft messen lassen. Ob solche vorliegen, lässt sich nur durch die Angabe der von der Freischankfläche ausgehenden maßgeblichen, das Rücksichtnahmegebot (möglicherweise) berührenden Faktoren – im vorliegenden Falle eben die Sitzplatzanzahl – beurteilen, weshalb die Einzeichnung von Sitzplätzen in den Planunterlagen eben keinen bloßen darstellerischen Charakter hat, sondern wesentlicher Inhalt der Baugenehmigung ist.
Es kommt bei einer Freischankfläche auch nicht nur auf die Flächenzahl an, was sich nach Auffassung der Beklagten aus der Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 d) BayBO ergebe.
Die Verfahrensfreiheit bedeutet nicht, dass eine Freischankfläche frei von jeglichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden kann. Die verfahrensfreie Errichtung von Vorhaben hat das gesamte einschlägige öffentliche Recht einzuhalten und etwaige nach anderen Vorschriften erforderliche Gestattungen sind einzuholen (Art. 55 Abs. 2 BayBO). Insbesondere kommen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 29ff. BauGB und hier das Rücksichtnahmegebot in Betracht, wofür eben wiederum die Sitzplatzanzahl maßgeblich ist.
Da somit lediglich 60 Sitzplätze von der Baugenehmigung umfasst sind, widerspricht die Nutzung mit 83 Plätzen der Baugenehmigung.
Selbiges gilt für die Größe der Freischankfläche. Nach den von den Klägern in der mündlichen Verhandlung übergebenen Lichtbildern findet aktuell und von Beigeladenenseite nicht bestritten, eine Nutzung der streitgegenständlichen Freischankfläche über die genehmigte Größe hinaus statt, was ebenfalls der Baugenehmigung widerspricht.
2. Eine unzumutbare Beeinträchtigung, die eine Verpflichtung der Beklagten zum bauaufsichtlichen Einschreiten begründen kann, und damit eine Ermessensreduzierung auf Null liegt unter Heranziehung obiger Maßstäbe nicht vor, da in Bezug auf Lärmimmissionen die Grenzwerte der TA-Lärm eingehalten sind (dazu a.). Eine solche Verpflichtung ergibt sich auch nicht aufgrund der Überschreitung der genehmigten Fläche der Freischankfläche (dazu b.).
a. Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Lärmeinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen (BVerwG vom 23.9.1999 NVwZ 2000, 1050). Die Zumutbarkeitsgrenze wird regelmäßig durch die Richtwerte der TA Lärm konkretisiert (BVerwG vom 30.4.1992 NJW 1992, 2779; vom 24.9.1992 NJW 1993, 342; vom 29.8.2007 NVwZ 2008, 78; vgl. auch Nr. 1 Satz 1 TA Lärm). Nach der TA Lärm ist hier während der Tagzeit ein Richtwert von 60 dB(A) maßgeblich und während der Nachtzeit ein Richtwert von 45 dB(A) heranzuziehen, da sich das Vorhaben in einem Mischgebiet befindet.
Nach der vorgelegten schalltechnischen Betrachtung der … 2013 in der überarbeiteten Version 2016 wird der Immissionsrichtwert von 60 dB(A) am nächstgelegenen Immissionsort zu den Klägern mit einem Beurteilungspegel von 58,5 dB(A) unter Berücksichtigung von 83 Sitzplätzen auf der Freischankfläche der Beigeladenen eingehalten.
Zudem wurde in der mündlichen Verhandlung seitens der Beklagten schlüssig und nachvollziehbar durch Verweis auf die sich in den Akten befindliche Teilpegelliste dargelegt, dass es entgegen der klägerischen Auffassung auf die zeitliche Reihenfolge der Freischankflächengenehmigungen bzw. -inbetriebnahme im relevanten Bereich der … für die schalltechnische Betrachtung nicht ankommt; insoweit spielt nur die Anzahl der Sitzplätze und die nach Baurecht zulässige zeitliche Nutzung eine Rolle.
Letztlich ist auch nichts dafür ersichtlich oder substantiiert vorgetragen (zum Maßstab des Erschütterns fachlicher Gutachten BayVGH B.v. 4.2.2014 – 8 CS 13.1842), dass das vorgelegte Schallgutachten an eklatanten Mängeln leidet oder die Beurteilungskriterien der TA Lärm zeitlich überholt sind.
Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger durch von der Freischankfläche ausgehende Lärmimmissionen liegt nicht vor.
b. Sofern sich die Kläger darauf berufen, dass sie durch die Grenzüberschreitung der Freischankfläche hin zu ihrem Grundstück in ihren Rechten unzumutbar beeinträchtigt sind, ist dies für die Kammer nicht ersichtlich.
Es wurde weder substantiiert vorgetragen noch ist der Kammer ersichtlich, wie aus dem Aufstellen von zwei Tischen mit Bänken eine Verletzung von Abstandflächen oder eine davon ausgehende „erdrückende“ oder „abriegelnde“ Wirkung auf das Grundstück der Kläger(vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 und B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12) stattfinden soll und in der Konsequenz eine unzumutbare Beeinträchtigung, zumal nach Art. 6 Abs. 1 BayBO Abstandsflächen nur vor Außenwänden von Gebäuden bzw. gebäudeähnlichen Vorhaben freigehalten werden müssen, wozu vorliegende Freischankfläche mit Bänken und Tischen nicht gehört.
Weitere unzumutbare Beeinträchtigungen, die zu einer Ermessenreduzierung auf Null führen und damit einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten nach Art. 76 Satz 2 BayBO wurden weder vorgetragen noch liegen Anhaltspunkte dafür vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwert: § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.