Aktenzeichen 1 NE 16.2191
Leitsatz
1 Nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist im Rahmen der Regelung des Maßes der baulichen Nutzung im Bebauungsplan stets die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen. Dabei genügt es nicht, dass im Bebauungsplan neben der Geschossflächenzahl die überbaubaren Grundstücksfläcrhen in Form der Festsetzung von Baugrenzen nach § 23 Abs. 1 BauNVO bestimmt wurden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung darf auf die Grundflächenzahl oder der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen auch dann nicht verzichtet werden, wenn die überbaubare Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO festgesetzt wird. Für die Festsetzung einer Grundflächenzahl oder der Größe einer Grundfläche ist in erster Linie der Gesichtspunkt maßgebend, eine übermäßige Nutzung zugunsten des Bodenschutzes insgesamt zu vermeiden. Dagegen regeln Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche die Situierung der baulichen Anlagen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Erweiterung des Bebauungsplans Nr. 3 „…“ im Bereich südlich des K.-weges wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller, die südlich des Plangebiets im Außenbereich einen landwirtschaftlichen Betrieb führen, wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die am 24. Mai 2016 von dem Antragsgegner beschlossene und am 7. Oktober 2016 bekanntgemachte Erweiterung des Bebauungsplans Nr. 3 „…“ im Bereich südlich des K.-weges in der Fassung vom 16. April/6. Juni 2016 (im Folgenden: Bebauungsplan).
Der Bebauungsplan weist südlich einer bestehenden Erschließungsstraße ein reines Wohngebiet mit sieben Bauparzellen aus. Die vom Bebauungsplan erfassten Grundstücke wurden bisher landwirtschaftlich genutzt.
Mit dem am 2. November 2016 eingereichten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz machen die Antragsteller geltend, dass der gleichzeitig erhobene Normenkontrollantrag zulässig und begründet sei. Der Bebauungsplan leide an erheblichen Abwägungsfehlern. Unter anderem sei gegen das Gebot der vorrangigen Innenentwicklung verstoßen worden. Es sei im Bebauungsplanverfahren keine Analyse erfolgt, ob und welche Flächen im gesamten Gemeindegebiet für eine Bebauung/Verdichtung zur Verfügung stünden. Darüber hinaus sei das Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme bzw. das Gebot der Konfliktbewältigung nicht hinreichend beachtet, da durch das ausgewiesene Wohngebiet ein zu nahes Heranrücken von Wohnbebauung zugelassen werde. Dadurch würden die Antragsteller in ihren abwägungserheblichen Belangen des Erhalts und der Zukunftsfähigkeit ihres landwirtschaftlichen Betriebes verletzt. Sie könnten aufgrund der schutzbedürftigen Wohnbebauung in Zukunft Beschränkungen in ihrer Betriebsführung ausgesetzt werden. Vor dem Hintergrund der Erfolgsaussichten in der Hauptsache müsse der Vollzug des Bebauungsplans suspendiert werden, um der Gefahr zu begegnen, dass nicht oder kaum mehr rückgängig machbare Zustände geschaffen werden würden.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. Eine Rechtsverletzung scheide von vornherein aus, da die Belange der Antragsteller ordnungsgemäß behandelt worden seien. Das Gebot der Konfliktbewältigung sei gewahrt. Nach den Feststellungen des eingeholten Sachverständigengutachtens seien im ausgewiesenen Wohngebiet keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geruchsemmissionen von dem Betrieb der Antragsteller zu erwarten. Es liege auch kein Verstoß gegen die Bodenschutzklausel des § 1a Abs. 2 BauGB vor, da sich der Antragsgegner im Rahmen der Abwägung mit den örtlichen Entwicklungsmöglichkeiten auseinandergesetzt habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die von dem Antragsgegner vorgelegten Bebauungsplanakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Insbesondere bestehen gegen die Antragsbefugnis der Antragsteller keine Bedenken. Die Antragsteller tragen substantiiert vor, durch den Bebauungsplan möglicherweise in ihren Rechten auf gerechte Abwägung verletzt zu sein (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2015 – 4 BN 30.14 – BauR 2015, 967; BVerwG, B.v. 14.9.2015 – 4 BN 4.15 – ZfBR 2016, 154). Zu den abwägungserheblichen Belangen nach § 1 Abs. 6 Nr. 8 Buchst. b BauGB zählt auch das Interesse eines Landwirts vor dem Heranrücken einer schutzbedürftigen Wohnbebauung verschont zu bleiben, die die derzeitige und/oder zukünftige Betriebsführung gefährden könnte (BVerwG, B.v. 2.12.2013 – 4 BN 44.13 – ZfBR 2014, 377). Dieses Interesse ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht offensichtlich ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 14.9.2015 a.a.O.), insbesondere mit Blick auf die Entfernung des landwirtschaftlichen Betriebs der Antragsteller zum geplanten Wohngebiet. Die Beurteilung, ob planbedingte Einschränkungen des Betriebs der Antragsteller eintreten könnten, ist nicht ohne Weiteres möglich.
2. Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen zwingend geboten ist. Prüfungsmaßstab bei Bebauungsplänen sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Erweist sich, dass der Normenkontrollantrag zulässig und voraussichtlich begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – BauR 2015, 968).
a) Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes summarischen Prüfung verstößt der angegriffene Bebauungsplan gegen § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO (aa) und leidet an einem beachtlichen Abwägungsfehler gemäß § 2 Abs. 3, § 1a Abs. 2, § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB (bb), sodass der Normenkontrollantrag der Antragsteller voraussichtlich zur Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt.
aa) Nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist im Rahmen der Regelung des Maßes der baulichen Nutzung im Bebauungsplan stets die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen. Hier hat der Antragsgegner keine ausdrückliche Festsetzung zur Grundfläche vorgenommen, obwohl § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO dies zwingend vorschreibt. Dabei genügt es nicht, dass im Bebauungsplan neben der Geschossflächenzahl die überbaubaren Grundstücksflächen in Form der Festsetzung von Baugrenzen nach § 23 Abs. 1 BauNVO bestimmt wurden. Bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung darf auf die Festsetzung der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen auch dann nicht verzichtet werden, wenn die überbaubare Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO festgesetzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1995 – 4 NB 36.95 – BauR 1996, 353). Für die Festsetzung einer Grundflächenzahl oder der Größe einer Grundfläche ist in erster Linie der Gesichtspunkt maßgebend, eine übermäßige Nutzung zugunsten des Bodenschutzes insgesamt zu vermeiden. Hingegen regeln Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche die Situierung der baulichen Anlagen. Diese unterschiedliche Zielsetzung verpflichtet die Gemeinde, die öffentlichen und privaten Belange jeweils unterschiedlich abzuwägen, so dass nicht die eine Festsetzungsweise durch die andere substituiert werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1995 a.a.O.; BayVGH, U.v. 7.11.2012 – 1 N 10.2417 – ZfBR 2013,182).
Die Ungültigkeit der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Ohne Festsetzungen zur Geschossflächenzahl, Zahl der Vollgeschosse und höchstzulässigen Wandhöhe würden die verbleibenden Regelungen keine sinnvolle, dem mutmaßlichen Willen des Antragsgegners entsprechende städtebauliche Regelung ergeben (BVerwG, U.v, 23.4.2009 – 4 CN 5.07 – BVerwGE 133, 377; BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – ZfBR 2015, 689).
bb) Darüber hinaus liegt nach vorläufiger Einschätzung des Senats ein beachtlicher Abwägungsfehler nach § 2 Abs. 3 BauGB vor. Denn der Antragsgegner hat im Hinblick auf die Verpflichtung, mit Grund und Boden sparsam umzugehen (§ 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB) keine ausreichenden Ermittlungen und Bewertungen vorgenommen. Gemäß § 1a Abs. 2 Satz 2 BauGB sollen unter anderem landwirtschaftlich genutzte Flächen nur im notwendigen Umfang umgenutzt werden. Der in § 1a Abs. 2 Satz 2 BauGB normierte öffentliche Belang der Beschränkung der Umwidmung auf den notwendigen Umfang ist nach § 1a Abs. 2 Satz 3 BauGB in der Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich genutzter Flächen soll begründet werden. Dabei sollen Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklungen zugrunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten zählen können (§ 1a Abs. 2 Satz 4 BauGB).
Die Notwendigkeit der Umnutzung landwirtschaftlicher Flächen lässt sich demnach nur beurteilen, wenn die möglichen Innenbereichsentwicklungen in der Gemeinde ermittelt und bewertet sind. Insoweit liegt ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit nach § 2 Abs. 3 BauGB seitens des Antragsgegners vor. Die Feststellungen des Antragsgegners in der Begründung zum Bebauungsplan vom 5. Mai 2014, geändert am 15. März 2016 und 2. Juni 2016, dass eine Prüfung ergeben habe, dass in der Ortslage derzeit weitere Flächen nicht zur Verfügung stünden sowie im Ortsgebiet zwar noch vereinzelt Baulücken vorhanden seien, die aber von den Eigentümer/innen als Baulandreserven für den Eigenbedarf freigehalten und somit nicht veräußert würden, sind nicht näher belegt. Vielmehr hat der Antragsgegner ausweislich der zusammenfassenden Erklärung gem. § 10 Abs. 4 BauGB zur Bauleitplanung vom 22. August 2016 nicht aktiv im Innenbereich der Gemeinde vorhandene unbebaute Grundstücke ermittelt, sondern unterstellt, dass er wegen der geringen Größe der Gemeinde Kenntnis davon habe, auf welchen Grundstücken eine Wohnbebauung seitens der Eigentümer in Betracht gezogen werde. Dem Senat liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Antragsgegner die konkreten Möglichkeiten der vorrangigen Innenbereichsentwicklung im Gemeindegebiet in Form einer umfassenden Bestandsaufnahme und darauf basierenden Bewertung untersucht hätte. Auch die in der Gemeinderatssitzung vom 24. Mai 2016 von dem Antragsgegner getroffenen Überlegungen beinhalten eine solche Ermittlung nicht. Danach hat sich der Antragsgegner zwar grundsätzlich mit den örtlichen Entwicklungsmöglichkeiten auseinandergesetzt, ohne dass den Überlegungen aber eine erkennbare Bestandsaufnahme zugrunde liegt.
Der Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB ist gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB auch beachtlich. Der Mangel der unzureichenden Ermittlung und in Folge auch Bewertung hinsichtlich der Notwendigkeit der Umwandlung der landwirtschaftlich genutzten Flächen ist von Einfluss auf das Abwägungsergebnis, da hier die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre (BVerwG, U.v. 9.4.2008 – 4 CN 1.07 – BVerwGE 131, 100; BVerwG, B.v. 13.1.2016 – 4 B 21.15 – juris Rn. 10). Der Antragsgegner selbst hat die grundsätzliche Frage der Möglichkeiten der Innenbereichsentwicklung in seine Überlegungen einbezogen, so dass eine zutreffende Ermittlung und anschließende Bewertung konkreter Möglichkeiten der Innenbereichsentwicklung von Einfluss auf das Abwägungsergebnis sein kann.
Auf die Frage, ob im Hinblick auf die Beurteilung der Geruchsemmissionen die betrieblichen Belange der Antragsteller sachgerecht abgewogen worden sind, kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an.
b) Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist auch aus wichtigen Gründen dringend geboten, weil durch den Bau der Wohngebäude, die bei einem Erfolg des Normenkontrollverfahrens voraussichtlich nicht mehr beseitigt würden, die überplante Fläche endgültig der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen wäre. Insbesondere steht die Verwirklichung des durch den Bebauungsplan geschaffenen Baurechts unmittelbar bevor. Der Antragsgegner hat am 7. Oktober 2016 für das Bauvorhaben der Beigeladenen die Genehmigungsfreistellung erklärt.
In entsprechender Anwendung von § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat der Antragsgegner Nummer I der Entscheidung in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 1 und 8, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.