Baurecht

Unwirksamer Vertrag nach Vergabeverfahren wegen Verstoßes gegen die Informations- und Wartepflicht und wegen Versäumnis einer vorherigen Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU

Aktenzeichen  Z3-3/3194/1/27/07/16

Datum:
12.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB GWB § 97 Abs. 4, § 119 Abs. 2, § 135 Abs. 1, § 160 Abs. 2, § 169 Abs. 3, § 186 Abs. 2
VgV VgV § 14 Abs. 4 Nr. 3, § 15 Abs. 3

 

Leitsatz

Soweit ein beschleunigtes offenes Verfahren nach § 15 Abs. 3 VgV durchgeführt werden kann, kommt die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV von vorneherein nicht in Betracht. (amtlicher Leitsatz)
Für die Tätigkeitsbereiche Management/Betreibung, Reinigung, Catering und Objektbetreuung mit Hausmeistertätigkeit zur befristeten Unterbringung von Asylbewerbern bestehen jeweils eigene Märkte, so dass die einzelnen Leistungen grundsätzlich als Fachlose zu vergeben sind. (amtlicher Leitsatz)
Der mit einer Fachlosvergabe allgemein verbundene Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsmehraufwand, kann eine Gesamtvergabe für sich allein nicht rechtfertigen, weil es sich dabei um einen Fachlosvergaben immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand handelt, der nach dem Zweck des Gesetzes grundsätzlich in Kauf zu nehmen ist. (amtlicher Leitsatz)
Bei Leistungen der Daseinsvorsorge, die keinesfalls unterbrochen werden dürfen, kann nach Feststellung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags gem. § 135 GWB eine besondere Dringlichkeit für eine auf den absolut notwendigen Zeitraum beschränkte Interimsvergabe selbst dann gegeben sein kann, wenn die Gründe für die Dringlichkeit im Fehlverhalten des Auftraggebers liegen. Der Auftraggeber ist auch bei der Vergabe eines Interimsauftrags verpflichtet, so viel Wettbewerb wie möglich zu gewährleisten. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der zwischen der Auftraggeberin und der Beigeladenen am 07.07.2016 geschlossene Vertrag über die „Versorgung von Asylbewerbern in der Doppeltraglufthalle U…“, unwirksam ist.
2. Der Auftraggeber trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens in Höhe von … €. Er ist von der Zahlung der Gebühren befreit.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
4. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin trägt der Auftraggeber. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.

Gründe

I.
Der Antragsgegner hat mit der Beigeladenen am 07.07.2016 einen Vertrag über Dienstleistungen für die Bereiche Management/Betreibung, Reinigung, Catering und Objektbetreuung mit Hausmeistertätigkeit zur befristeten Unterbringung von Asylbewerbern in der Doppeltraglufthalle in U… geschlossen. Die Vergabe war im Wege einer beschränkten Ausschreibung nach den Bestimmungen der VOL/A erfolgt. Eine entsprechende Bekanntmachung erfolgte am 09.06.2016 im Internet unter www.staatsanzeigereservices.de und unter www.bund.de. Danach umfasst der Bereich Management/Betreibung das gesamte Betreiber-Management; im Bereich Reinigung sind ca. 4.000 qm täglich zu reinigen; im Bereich Catering sind bis zu 432 Personen täglich auf der Basis von Cook & Chill voll zu verpflegen; im Bereich Security werden insgesamt 16 Mitarbeiter benötigt und 1 Person als Hausmeister. Wie aus Ziffer 4 der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (Vordruck L 2110) hervorgeht, erfolgt vorliegend keine Losvergabe.
Nach der Leistungsbeschreibung Seite 1 wird „u. a. zur Vermeidung der Schnittstellenproblematik für die Bereiche Catering, Reinigung und Security mit Hausmeistertätigkeiten der Betrieb der Doppeltraglufthalle an nur einen Betreiber mit zwingend eigenem Personal (keine Subunternehmer oder ARGE!) vergeben“.
Der Vergabevermerk enthält unter dem Datum 04.04.2016 als Begründung für das Absehen von der Losvergabe, dass „die bisherigen Erfahrungen in den Traglufthallen 1-7 gezeigt hätten, dass man täglich mit erheblichen Problemen vor Ort zu kämpfen habe, die daraus resultierten das die Verantwortungen und Zuständigkeiten von den einzelnen Dienstleistern nur hin und her geschoben würden. Die Kommunikation unter den Firmen sei trotz klarer Absprachen nicht vorhanden. Was fehle, sei eine vor-Ort-Instanz mit Befugnissen zur internen Koordination der Tätigkeiten/Management, so dass ein reibungsloser Ablauf des Betriebs der Doppel-Traglufthalle TLH8 gewährleistet werden könne. Dadurch werde deutlich weniger Ärger erhofft, effektivere Problemlösungen direkt vor Ort ohne Umwege über diverse Ansprechpartner und auch ein angenehmeres Wohnen für die untergebrachten Asylbewerber. Die oft langwierigen Abstimmungen bis ein Zuständiger gefunden worden sei, sollten dadurch verhindert werden.“
Nach Ziffer 6 der Information über die beabsichtigte Beschränkte Ausschreibung (Bekanntmachung) beginnt die Ausführung der Leistung gegebenenfalls am 11.07.2016 und endet am 10.01.2017.
Dagegen wird in der Leistungsbeschreibung auf der ersten Seite und in § 10 der Besonderen Vertragsbedingungen ausgeführt, dass der Betreibervertrag auf 6 Monate befristet geschlossen werden soll, mit Verlängerungsoption um weitere 6 Monate.
Nach Ziffer 5 der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots ist der Preis das einzige Zuschlagskriterium.
Der Schlusstermin für den Eingang der Angebote war in der Bekanntmachung nicht genannt. In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots wurde der Schlusstermin auf den 28.06.2016, 11.00 Uhr, festgelegt.
Mehreren Unternehmen, nicht aber der Antragstellerin, wurden auf Anforderung die Ausschreibungsunterlagen übersandt.
Gemäß der Niederschrift über die Öffnung der Angebote haben fünf Bieter bis zum Schlusstermin Angebote eingereicht, darunter die Beigeladene, nicht aber die Antragstellerin.
Nach Weigerung des Antragsgegners der Antragstellerin die Vergabeunterlagen zu versenden, da beabsichtigt sei, die Leistung nur an ein Unternehmen zu vergeben, und es sich bei der Antragstellerin nur um einen Anbieter für Cateringleistungen handle, rügte die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten mit E-Mail vom 13.06.2016 die Durchführung einer Beschränkten Ausschreibung, da für die ausgeschriebenen Leistungen der Schwellenwert überschritten sei und deshalb ein offenes oder nichtoffenes Verfahren durchzuführen sei. Zudem wurde gerügt, dass ein Verstoß gegen § 97 Abs. 4 GWB aufgrund unterlassener Unterteilung der Auftragsvergabe nach Fachlosen vorliege.
Auf die Rüge wurden der Antragstellerin mit E-Mail vom 14.06.2016 die Vergabeunterlagen übersandt und mitgeteilt, dass – wie vereinbart – einer von der Antragstellerin zu gründenden Bietergemeinschaft nichts entgegenstehe.
Mit E-Mail vom 17.06.2016 wies die Antragstellerin den Antragsgegner darauf hin, dass an der Rüge des Verstoßes gegen das Gebot der Fachlosvergabe festgehalten werde. Gleichzeitig forderte die Antragstellerin die Vergabestelle auf, die Versorgungsleistungen in einem von den anderen Dienstleistungen getrennten Verfahren und Vertrag zu vergeben.
Mit E-Mail bzw. Fax vom 07.07.2016 wurde der Beigeladenen der Zuschlag erteilt.
Da der Antragsgegner nicht auf die wiederholte Rüge der Antragstellerin geantwortet hat, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 15.07.2016 einen Nachprüfungsantrag und beantragte diesen dem Antragsgegner unverzüglich gemäß § 163 Abs. 2 GWB zuzustellen sowie:
I.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Vergabeverfahren … aufzuheben und die Teilleistung der Versorgung der Asylbewerber als Fachlos in einem gesonderten Auftrag auszuschreiben.
II.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
Weiter wurde beantragt der Antragstellerin Einsichtnahme in die Vergabeakten gemäß § 165 GWB zu gewähren.
Die Antragstellerin führte durch ihren Bevollmächtigten aus, dass der Nettoauftragswert der ausgeschriebenen Leistung auf rund 4,8 Mio. € für ein Jahr betrage. Der Auftragswert der ausgeschriebenen Cateringleistung liege bei rund einem Drittel des Gesamtauftragswertes.
Zudem wurde mitgeteilt, dass die Antragstellerin nach ihrer E-Mail vom 17.06.2016 verschiedenen „Betreiberfirmen“ Nachunternehmerangebote für die verfahrensgegenständliche Ausschreibung zukommen habe lassen und von allen diesen Firmen zwischenzeitlich eine Absage erteilt worden sei.
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und die Antragstellerin antragsbefugt. Sie mache geltend in ihren subjektiven Rechten nach §§ 97 Abs. 6 i. V. m. § 97 Abs. 4 GWB verletzt zu sein, da durch die unterlassene Ausschreibung der Versorgungsleistungen als gesondertes Fachlos ihr ein Schaden entstehe, weil sie sich um diese Leistungen nicht selbstständig und unabhängig von anderen Unternehmen bewerben könne. Auch sei der geltend gemachte Vergabeverstoß rechtzeitig gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 GWB gerügt worden.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. § 97 Abs. 4 GWB schreibe vor, dass Leistungen in der Menge aufgeteilt und getrennt nach Art und Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben seien. Bei der Verpflegung von Asylsuchenden handle es sich um ein Fachlos (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 11.01.2012, VII-Verg 52/11). Es handle sich bei Verpflegungsleistungen (Catering) um ein eigenes Marktsegment mit einem eigenen Bietermarkt, der regelmäßig keine Überschneidungen mit den Anbieterfirmen der Betreiberleistungen aufweise. Bei dieser Teilleistung, die ein Drittel des Gesamtauftragswertes der ausgeschriebenen Gesamtleistung ausmache, handle es sich auch nicht um ein „Splitterlos“. Wirtschaftliche oder technische Gründe, die eine Zusammenfassung dieses Fachloses mit den anderen Dienstleistungen erfordern, seien nicht ersichtlich. Wirtschaftliche Gründe würden schon deshalb ausscheiden, da bei einer „Generalunternehmerausschreibung“ regelmäßig sogenannte GU-Aufschläge kalkuliert und vom Auftraggeber bezahlt werden müssten, die bei einer Vergabe nach Fachlosen nicht anfallen. Technische Gründe, die für eine gemeinsame Vergabe der Versorgungsleistungen mit den Leistungen der anderen Marktsegmente erfordern, seien auch nicht ersichtlich und vom Antragsgegner nicht dargetan worden.
Der geringere Aufwand bei den Ausschreibungen und der Koordination der einzelnen Vertragsverhältnisse, um dem es dem Antragsgegner vermutlich gehe, seien keine ausreichenden Gründe für eine Zusammenfassung verschiedener Fachlose, weil dies dem Gebot der Fachlosvergabe immanent sei und damit vom Gesetz hingenommen werde. Auch reiche die Möglichkeit der Beteiligung als Nachunternehmer oder im Rahmen einer Bietergemeinschaft nicht aus, um eine Zusammenfassung mehrerer Fachlose zu rechtfertigen. Die vorgesehene gemeinsame Vergabe der Versorgungsleistungen und anderen Betreiberleistungen in einem Auftrag verstoße gegen das Gebot der Fachlosvergabe. Der Antragsgegner sei deshalb antragsgemäß zu verpflichten, zumindest die Versorgungsleistungen als gesondertes Fachlos auszuschreiben.
Die Vergabekammer informierte den Antragsgegner über den Nachprüfungsantrag mit Schreiben vom 18.07.2016. Diese legte die Vergabeunterlagen am 25.07.2016 vor.
Der ehrenamtliche Beisitzer hat mit Schreiben vom 25.07.2016 die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht und Rücknahmebeschlüsse auf den Vorsitzenden und den hauptamtlichen Beisitzer übertragen.
Mit Schreiben vom 26.07.2016 wurde der Antragstellerin Akteneinsicht nach § 165 GWB gewährt.
Mit Beschluss vom 26.07.2016 wurde der Bieter, dessen Interessen im streitgegenständlichen Vergabeverfahren von der Entscheidung der Vergabekammer in erheblicher Weise berührt sein könnten, beigeladen.
Ebenso hat die Vergabekammer hat mit Schreiben vom 26.07.2016 die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 18.08.2016, um 10.00 Uhr geladen und zudem alle Beteiligte um Mitteilung gebeten, ob diese ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung geben.
Mit Schreiben vom 28.07.2016 beantragte die Antragstellerin nach gewährter Akteneinsicht, dass die Unwirksamkeit des zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossenen Vertrags über Dienstleistungen für die Bereiche Management/Betreibung Reinigung, Catering und Objektbetreuung mit Hausmeistertätigkeiten zur befristeten Unterbringung von Asylbewerbern durch das Landratsamt München in der Doppeltraglufthalle TLH 8, Bibergerstr. 86, 82008 U.., der seitens des Antragsgegners vom Landrat am 06.07.2016 und seitens der Beigeladenen vom Geschäftsführer am 27.06.2016 unterzeichnet wurde, gemäß § 135 Abs. 1 GWB festgestellt wird.
Ferner wurde gemäß § 169 Abs. 3 GWB beantragt:
1. Dem Antragsgegner und der Beigeladenen wird bis zur Entscheidung der Vergabekammer vorläufig untersagt, den nach dem Vertrag vom 06.07./27.06.2016 vorgesehenen Leistungsaustausch durchzuführen, ohne die Antragstellerin an der Erbringung der Catering-Leistungen zu beteiligen.
2. Die vorläufige Maßnahme nach Ziffer 1 wird für sofort vollstreckbar erklärt.
Weiter wurde beantragt, die vorläufige Maßnahme nach Ziffer 1 gemäß § 169 Abs. 3 GWB i. V. m. den einschlägigen Vorschriften des BayVwZVG durch Androhung eines Zwangsgelds in angemessener Höhe und bei anhaltendem Verstoß durch Festsetzung dieses Zwangsgeldes durchzusetzen.
Zudem erklärte die Antragstellerin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren.
Der Antragsgegner nahm mit Schreiben vom 28. 07. 2016 Stellung und teilte mit, dass am 09.06.2016 eine Ankündigung der vorliegenden beschränkten Ausschreibung nach VOL/A auf Staatsanzeiger eServices und auf Bund. de erfolgt sei.
Weiter wurde mitgeteilt, dass die Vergabeunterlagen durch die Antragstellerin angefordert worden seien. Durch Internetrecherche habe der Antragsgegner festgestellt, dass die Antragstellerin ausschließlich Cateringleistungen anbiete. In einem Telefonat habe der Antragsgegner der Antragstellerin mitgeteilt, dass „eine Betreiberausschreibung als Gesamtpaket“ beabsichtigt sei.
Nach Eingang einer Rüge der Antragstellerin am 13.06.2016, habe ein Telefonat am 14.06.2016 zwischen dem Antragsgegner und einem Mitarbeiter der Antragstellerin stattgefunden, bei dem es um die Frage gegangen sei „was tatsächlich erreicht werden solle, eine Beteiligung am jetzigen Verfahren oder das laufende Verfahren zu kippen“. Der Mitarbeiter der Antragstellerin habe mitgeteilt, dass eine Beteiligung am Verfahren erreicht werden solle. Die Antragstellerin war mit einer verkürzten Angebotsfrist einverstanden und habe erklärt, dann ihre Rüge nicht weiter zu verfolgen, wenn sie sich am Verfahren beteiligen könne.
Daraufhin seien der Antragstellerin am 14.07.2016 die Vergabeunterlagen noch zugesandt worden. Am 17.06.2016 sei der Antragsgegner durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin informiert worden, dass an der Rüge des Verstoßes gegen das Gebot der Fachlosvergabe nach § 97 Abs. 4 GWB festgehalten werde. Aufgrund des vorangegangenen Telefonats mit der Antragstellerin nach Übersendung der Vergabeunterlagen und der damit eingeräumten Möglichkeit der Beteiligung an der beschränkten Ausschreibung, sei der Antragsgegner davon ausgegangen, das sich die Rüge erledigt habe. Weitere inhaltliche Ausführungen zum Verstoß gegen das Gebot der Fachlosvergabe wurden nicht gemacht.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners nahm mit Schreiben vom 04.08.2016 Bezug auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 15.07.2016 und 28.07.2016 und beantragte die Anträge nach § 169 Abs. 3 GWB zurückzuweisen.
Als Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsgegner bereits eine baldige Neuausschreibung der verfahrensgegenständlichen Leistungen (mit verschobenem, aber nicht verkürztem Leistungszeitraum) in losweiser Unterteilung vorbereite.
Bis zum Ausschluss dieser neuen Vergabeverfahren sei der Bezug der verfahrensgegenständlichen Leistungen jedoch zwingend notwendig und dringlich, weil die TLH 8 voll in Betrieb befindlich sei, und die dort untergebrachten Personen laufend verpflegt werden müssten. Eine Untersagung des Leistungsaustausches, wie von der Antragstellerin beantragt, würde dazu führen, dass der Antragsgegner seine Verpflichtung zur Verpflegung der in der TLH 8 untergebrachten Personen ad hoc und damit seine Aufgaben der Daseinsvorsorge nicht mehr erfüllen könnte. Daher sei der Leistungsaustausch bis zur Neuvergabe interimistisch notwendig. Im Übrigen stehe der Antragstellerin nicht das Recht zu, den Leistungsaustausch nur unter deren Beteiligung an der Erbringung der Catering-Leistungen gestatten zu lassen.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin hatte sich bereits mit Schriftsatz vom 28.07.2016 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Mit Schreiben vom 07.08.2016 erklärte die Beigeladene durch ihren Geschäftsführer auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung zu verzichten. Ebenso erklärte dies der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit E-Mail vom 08.08.2016.
Mit Schriftsatz vom 09.08.2016 nahm der Bevollmächtige der Antragstellerin die Anträge nach § 169 Abs. 3 GWB zurück.
Die Beigeladene teilte mit Schriftsatz vom 10.08.2016 durch ihren nunmehr Verfahrensbevollmächtigten mit, dass die Beigeladene im Vertrauen auf den Abschluss des Vertrages und dessen Durchführung erhebliche Investitionen betätigt und die vereinbarten Leistungen bereits erbracht habe.
Weiter wurde ausgeführt, dass wenn dem Antragsgegner untersagt werden sollte, den Vertrag weiter zu erfüllen, die Beigeladene die Leistungen nicht mehr erfüllen könne. Gleiches gelte, wenn der Vertrag oder die Erbringung der Leistung für unwirksam erklärt werde. Auch sei dann die Versorgung der untergebrachten Asylbewerber nicht mehr gewährleistet und dem Antragsgegner und der Beigeladenen entstehe dadurch ein unverhältnismäßig hoher Schaden.
Dies gelte insbesondere, wenn die beantragten Maßnahmen gem. dem Schreiben der Antragstellerin vom 28.07.2016 noch durch die Androhung von Zwangsgeld durchgesetzt werden. Auch sei der unter Ziffer 1 mit Schreiben vom 28.07.2016 gestellte Antrag der Antragstellerin unzulässig und der in Ziffer 2 dieses Schreibens gestellte Antrag sei zurückzuweisen.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweils eingegangenen Schriftsätze informiert. Im Einzelnen wird auf deren Inhalt sowie auf die weiteren vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
II.
Da das Vergabeverfahren nach dem 18. April 2016 begonnen wurde (Information über die beabsichtigte Beschränkte Ausschreibung vom 09.06.2016) ist nach § 186 Abs. 2 GWB das GWB in der ab dem 18.04.2016 geltenden Fassung anzuwenden.
Der Nachprüfungsantrag, in Form des Feststellungsantrages gem. § 135 GWB, ist zulässig und begründet. Über die mit Schriftsatz vom 28.07.2016 gestellten Anträge gem. § 169 Abs. 3 GWB war nicht mehr zu entscheiden, weil diese mit Schreiben vom 09.08.2016 zurückgenommen wurden.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Statthaftigkeit
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus § 155 in Verbindung mit § 156 Abs. 1 GWB bzw. § 1 Abs. 1 und 2 BayNpV. Die Vergabekammer Südbayern ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BayNpV auch örtlich zuständig, da die Vergabestelle ihren Sitz im Regierungsbezirk Oberbayern hat.
Der 4. Teil des GWB ist anwendbar, da es sich um einen öffentlichen Auftrag handelt. Vorliegend handelt es sich bei der ausgeschriebenen Leistung um Dienstleistungen gem. § 103 Abs. 1 und 4 GWB für die Bereiche Management/Betreibung, Reinigung, Catering und Objektbetreuung mit Hausmeistertätigkeit zur befristeten Unterbringung von Asylbewerbern in der Doppeltraglufthalle TLH 8 in U… Der Antragsgegner ist öffentlicher Auftraggeber gemäß § 98 i. V. m § 99 Nr. 1 GWB.
Die Vergabekammer ist nur für Vergaben zuständig, die den Schwellenwert überschreiten. Der Gesamtauftragswert § 106 GWB i. V. m. § 3 VgV überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert von derzeit 209.000,00 € um ein Vielfaches. Als Laufzeit der ausgeschriebenen Leistung ist ein halbes Jahr mit einer Verlängerungsoption um ein weiteres halbes Jahr vorgesehen. Gemäß dem Aktenvermerk vom 01.03.2016 beträgt der geschätzte Auftragswert bereits für 6 Monate ca. 1,9 Mio. € netto ohne Verlängerungsoption.
Es kann insoweit offen bleiben, ob Teile des Auftrags wie z. B. die Cateringleistungen und die Bewachungsleistungen nach Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU (in Betracht kommende CPV-Codes 55520000-1, 55512000-2, 55512000-2, 55510000-8 sowie 55523000-2 für die Cateringleistungen sowie 79700000-1 bis 79721000-4 für Bewachungsdienste) soziale und andere besondere Dienstleistungen i. S. d. § 130 GWB darstellen, da auch – falls nach § 110 Abs. 2 GWB der Hauptgegenstand des Auftrags soziale und andere besondere Dienstleistungen wären – der dann geltende höhere Schwellenwert von 750.000 € deutlich überschritten wäre.
Eine Ausnahmebestimmung nach § 107 ff GWB liegt nicht vor.
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags vom 15.07.2016 steht nicht entgegen, dass auf das Angebot der Beigeladenen am 07.07.2016 bereits der Zuschlag erteilt wurde. Nach § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB kann zwar ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden. Ein Vertrag ist aber gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber gegen § 134 verstoßen hat oder den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren GWB festgestellt worden ist.
Vorliegend hat der Antragsgegner mit der Beigeladenen am 07.07.2016 einen Vertrag geschlossen. Der Auftraggeber hat die Auftragsvergabe nicht im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht. Er war auch verpflichtet, die Bieter bzw. Bewerber, zu denen u. a. auch die Antragstellerin zählt, über die beabsichtigte Zuschlagserteilung vor Vertragsabschluss gemäß § 134 Abs. 1 und 2 GWB zu informieren. Die Ausnahmefälle des § 134 Abs. 3 GWB liegen nicht vor. Der Vertrag vom 07.07.2016 ist demnach sowohl nach § 134 Abs. 1 Ziff. 1 GWB als auch nach § 134 Abs. 1 Ziff. 2 GWB von Anfang an unwirksam.
Der Feststellungsantrag ist auch unstreitig innerhalb der Ausschlussfristen zur Geltendmachung der Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages nach § 135 Abs. 2 GWB gestellt worden.
Die Ausschlussfristen des § 135 Abs. 2 GWB beginnen nach § 187 Abs. 1 BGB am Tag nach der Information der betroffenen Bieter und Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags. Das Fristende bestimmt sich nach § 188 Abs. 1 BGB. Die Frist endet mit Ablauf des letzten Tages der Frist, also am 30. Kalendertag nach Kenntniserlangung um 24.00 Uhr.
Da der Antragsgegner der Antragstellerin weder die beabsichtigte Vergabe noch die tatsächliche Vergabe des streitgegenständlichen Auftrags am 07.07.2016 mitgeteilt hat, hat die 30-Tage-Frist nach § 135 Abs. 2 GWB noch nicht zu laufen begonnen, da die Antragstellerin lediglich durch die Akteneinsicht bei der Vergabekammer am 26.07.2016 vom Vertragsabschluss erfahren hat.
Auch die absolute Ausschlussfrist von 6 Monaten ist vorliegend unstreitig noch nicht abgelaufen, da der Vertrag am 07.07.2016 geschlossen wurde, und der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages am 28.07.2016 gestellt wurde.
b) Antragsbefugnis
Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Nach § 160 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung der Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Die Antragstellerin möchte bei der vorliegenden Vergabe insbesondere die Cateringleistungen/Verpflegungsleistungen für Asylsuchende erbringen. Wie aus den E-Mails vom 13.06.2016 und 17.06.2016 an den Antragsgegner hervorgeht, hat die Antragstellerin seit Jahren zahlreiche öffentliche Aufträge zur Verpflegung von Asylsuchenden ausgeführt. Auch durch die Anforderung der Vergabeunterlagen ist ersichtlich, dass sie ein Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag hat.
Die Antragstellerin begehrt nicht etwa nur die bloße Feststellung als solche oder eine rein formale Nachholung einer Information nach § 134 GWB sondern macht im Nachprüfungsantrag, wie auch in der Rüge, geltend in ihren subjektiven Recht nach §§ 97 Abs. 6 i. V. m. 97 Abs. 4 GWB verletzt zu sein, da sie sich aufgrund der unterlassenen Losvergabe um diese Leistungen nicht selbstständig und unabhängig von anderen Unternehmen bewerben könne. Wenn ein Vergaberechtsverstoß gegen das Gebot der Fachlosvergabe vorliegt, kann ihr auch ein Schaden entstehen.
c) Feststellungsinteresse
Ein Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern ( vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Januar 2014, VII-Verg 28/13, m. w. N.). Die Antragstellerin macht geltend, dass sie ihre Zuschlagschance nur wahren kann, indem zuvor die Unwirksamkeit des Zuschlags festgestellt wird. Dies genügt, das Feststellungsinteresse zu begründen; ist nämlich ein Zuschlag wirksam erteilt, so ist für eine Aufhebung kein Raum mehr, da das Vergabeverfahren nicht mehr existent ist. Eine Neuausschreibung nach Aufhebung, auf die das Begehren der Antragstellerin abzielt, kommt nur bei Unwirksamkeit des Zuschlags in Betracht.
d) Rügeobliegenheit
Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 besteht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB grundsätzlich keine Rügeobligenheit. Ob dies hier vorliegend anders zu beurteilen sein könnte (siehe dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 – Az.: VII-Verg 67/11, noch weitergehend OLG Rostock, Beschluss vom 20.11.2013 – Az.: 17 Verg 7/13), weil der Antragstellerin auf ihre Rüge die Möglichkeit eingeräumt wurde, am beschränkten nationalen Verfahren teilzunehmen, kann offen bleiben.
Die Antragstellerin ist einer etwa bestehenden Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB jedenfalls rechtzeitig nachgekommen. Vorliegend waren die Verstöße spätestens mit Versand der Vergabeunterlagen bzw. evtl. schon aus der Bekanntmachung erkennbar. Die Antragstellerin hat die unterlassene Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens bereits mit E-Mail vom 13.06.2016 und den weiter geltend gemachten Verstoß der unterlassenen Losvergabe am 13.06.2016 (bzw. 17.06.2016) fristgerecht vor Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe am 28.06.2016 gerügt. Dass die Antragstellerin die Rüge der unterlassenen Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens zunächst nicht weiterverfolgt hat und stattdessen versucht hat, sich an der nationalen Ausschreibung zu beteiligen, rechtfertigt keine andere Bewertung: Der Antragsgegner, dem die Rechtswidrigkeit einer nur nationalen Vergabe bei einem Mindestmaß an vergaberechtlichen Kenntnissen ohnehin bewusst hätte sein müssen, musste spätestens mit der Rüge vom 13.06.2016 wissen, dass er so nicht vorgehen kann. Damit war der Zweck einer etwa anzunehmenden Rügeobligenheit erfüllt.
Die 15-Tage-Frist nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ist nicht zu beachten, da der Antragsgegner der Antragstellerin keine Mitteilung übersandt hat, ihren Rügen nicht abhelfen zu wollen und zudem in der Bekanntmachung auf die Frist nicht hingewiesen wurde.
2. Der Antrag ist begründet
a) Der Vertrag vom 07.07.2016 ist, sowohl nach § 134 Abs. 1 Ziff. 1 GWB als auch nach § 134 Abs. 1 Ziff. 2 GWB, von Anfang an unwirksam, da der Antragsgegner sowohl gegen die Informations- und Wartepflicht verstoßen hat als auch den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat. Die Voraussetzungen von Ausnahmevorschriften lagen nicht vor.
Grundsätzlich stehen den öffentlichen Auftraggebern für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen nach §§ 119 Abs. 2 GWB, 14 VgV das offene Verfahren gem. § 15 VgV und das nicht offene Verfahren gem. § 16 VgV, das stets einen Teilnahmewettbewerb erfordert, nach ihrer Wahl zur Verfügung. Die anderen Verfahrensarten stehen nur zur Verfügung, soweit dies durch gesetzliche Bestimmungen oder nach § 14 Abs. 3, 4 VgV gestattet ist.
Nach § 130 Abs. 1 GWB, §§ 64, 65 VgV stehen dem Auftraggeber bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen, im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU, öffentlichen Auftraggebern das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft nach ihrer Wahl zur Verfügung. Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb steht nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist.
Das gewählte Vorgehen des Antragsgegners wäre allenfalls dann zu billigen, wenn die Voraussetzungen für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vorgelegen hätten. Die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ist nur dann zulässig, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschriebenen sind. Die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein.
Keine der genannten Voraussetzungen ist vorliegend erfüllt. Wie sich bereits aus der Vergabedokumentation ergibt, liegt bereits kein Ereignis vor, das der Antragsgegner nicht voraussehen konnte. Die streitgegenständlichen Leistungen waren nämlich die Folge der bereits mindestens seit März 2016 geplanten Verlegung von bereits im Landkreis untergebrachten oder unterzubringenden Flüchtlingen aus anderen Unterkünften in die Traglufthalle TLH 8 in U… Anders als dies bei den dringlichen Vergaben von Dienstleistungen für die Erstunterbringung von Flüchtlingen im Jahr 2015 angesichts des damaligen starken Zustroms der Fall gewesen sein mag, werden die streitgegenständlichen Dienstleistungen aufgrund einer geplanten Verlegung erforderlich und nicht aufgrund eines nicht vorhersehbaren Ereignisses.
Dem Antragsgegner war es auch keinesfalls unmöglich, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschriebenen sind. Insbesondere ein beschleunigtes offenes Verfahren nach § 15 Abs. 3 VgV mit einer auf 15 Tage verkürzten Angebotsfrist hätte der Antragsgegner sogar dann durchführen können, wenn man zu seinen Gunsten unterstellen würde, dass die Fertigstellung der Vergabeunterlagen erst Anfang Juni möglich war. Denn auch unter Berücksichtigung einiger Tage für die Angebotswertung und der Wartefrist gem. § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB wäre eine Vergabe im beschleunigten offenen Verfahren in einem Zeitraum von gut 5 Wochen möglich gewesen. Soweit ein beschleunigtes offenes Verfahren nach § 15 Abs. 3 VgV durchgeführt werden kann, kommt die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV von vorneherein nicht in Betracht.
Im Übrigen trägt der Auftraggeber für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands der Dringlichkeit gem. gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV die materielle Beweislast. Kann er nicht darlegen, dass die Beschaffung so rasch erfolgen musste, dass auch die verkürzten Fristen für das beschleunigte offene, das nicht offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nicht eingehalten werden konnten, geht das zu seinen Lasten (Begründung der Vergaberechtsmoderisierungsverordnung BR-DRS 87/16 S. 169; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2016 – Verg 46/15).
Vorliegend fehlt es insofern schon an substantiiertem Vortrag des Antragsgegners. Aber auch aus der Vergabedokumentation ergeben sich zahlreiche Anhaltspunkte, dass bei einer sachgerechten Verfahrensplanung zumindest die Fristen für ein beschleunigtes offenes Verfahren hätten eingehalten werden können. Erhebliche Verzögerungen haben nach Überzeugung der Vergabekammer jedenfalls die Überarbeitung der Vertragsunterlagen durch eine Anwaltskanzlei, die – soweit ersichtlich – fast den gesamten Mai dauerte, sowie interne Zuständigkeitsdiskussionen wegen der Überlastung der zentralen Vergabestelle und häufige Änderungen der Planung verursacht.
Der Antragsgegner hat daher auch die Umstände, die letztlich eine Zeitnot verursacht haben, selbst zu vertreten.
Die Antragstellerin ist bereits durch das Unterlassen eines gebotenen EU-weiten Vergabeverfahrens in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt (siehe dazu jüngst OLG München, Beschluss vom 02.06.2016 – Verg 15/15).
Zudem ist die Antragstellerin auch in ihrem subjektiven Recht nach §§ 97 Abs. 6 i. V. m. 97 Abs. 4 GWB verletzt, da der Antragsgegner es unterlassen hat die Leistungen in Lose aufzuteilen. Nach § 97 Abs. 4 GWB sind bei einer Vergabe mittelständische Interessen öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben.
Die Vorschriften über die Bildung von Fachlosen beinhalten ein konkretes Gebot an den öffentlichen Auftraggeber, mit dem zugleich ein subjektives Bieterrecht auf Beachtung der Losvergabe korrespondiert (Kus in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. A., § 97, Rn. 69). Eine Gesamtvergabe ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Dem Sinn und Zweck der §§ 97 Abs. 4 GWB entsprechend, obliegt dem öffentlichen Auftraggeber regelmäßig vor Einleitung eines Vergabeverfahrens eine Abwägung aller für und gegen eine Los- oder Gesamtvergabe sprechenden Umstände (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. November 2009 – Verg 27/09). Greifen die gegen eine Losvergabe sprechenden Gründe ein, ist der öffentliche Auftraggeber gehalten, aktenkundig das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu begründen (VK Sachsen, Beschluss vom 25. September 2009 – 1/SVK/038-09) und zu dokumentieren, um die Nachvollziehbarkeit der Erwägungen zu gewährleisten.
Ausgeschrieben wurden Dienstleistungen für die Bereiche Management/Betreibung, Reinigung, Catering und Objektbetreuung mit Hausmeistertätigkeit zur befristeten Unterbringung von Asylbewerbern in der Doppeltraglufthalle TLH 8 in U… Für die genannten Leistungen, besteht jeweils ein eigener Markt, wie dies diverse Fachlos-Bekanntmachungen im EU-Supplement in der Praxis belegen, so dass die einzelnen Leistungen grundsätzlich als Fachlos zu vergeben sind. Die jeweiligen Leistungen sind auch ausreichend abgrenzbar und nicht untrennbar mit anderen verflochten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2007, VII – Verg 10/07; OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/15).
Besteht – wie vorliegend – grundsätzlich die Verpflichtung zur Vergabe von Fachlosen, kommt eine Gesamtvergabe lediglich dann in Betracht, wenn wirtschaftliche
oder technische Gründe dies erfordern. So scheidet eine Losaufteilung beispielsweise aus, wenn das zu beschaffende Projekt anderenfalls keinen Sinn machte (OLG Celle, Beschluss vom 26. April 2010 – 13 Verg 4/10).
Die Frage, ob gemäß § 97 Abs. 3 GWB Fachlose zu bilden sind, ist für jedes in Betracht kommende Fachgewerk getrennt zu beantworten. Dies bedeutet, dass die „wirtschaftlichen oder technischen Gründe“, welche die Norm verlangt, sich auf das jeweilige Fachgewerk beziehen müssen, welches für eine getrennte Losvergabe in Betracht kommt und globale, also das gesamte Vorhaben betreffende Überlegungen nur dann berücksichtigt werden können, wenn sie auch und gerade das jeweilige Fachgewerk erfassen (OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/15).
Die im Vergabevermerk und der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots enthaltene Begründung für ein Absehen von der Losvergabe genügt hierfür nicht.
Der mit einer Fachlosvergabe allgemein verbundene Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsmehraufwand, den der Antragsgegner hier vermeiden wollte, kann eine Gesamtvergabe für sich allein nicht rechtfertigen, weil es sich dabei um einen Fachlosvergaben immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand handelt, der nach dem Zweck des Gesetzes grundsätzlich in Kauf zu nehmen ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Januar 2012 – Verg 52/11, OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/15). Es ist auch kein Grund ersichtlich warum die Aufteilung in Lose nicht möglich sein sollte.
Für die weitere Sachbehandlung weist die Vergabekammer auf Folgendes hin:
Durch die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages vom 07.07.2016 wird der Antragsgegner beim anzunehmenden Fortbestehen der Vergabeabsicht ein formelles europaweites Vergabeverfahren – aller Voraussicht nach mit Fachlosvergabe – durchzuführen haben.
Soweit die Leistungen als klassische öffentliche Aufträge einzustufen sind, ist hierfür vorrangig das offene oder nichtoffene Verfahren nach §119 Abs. 2 – 4 GWB, §§ 14 Abs. 2, 15, 16 VgV zu wählen. Sollten einzelne Lose als soziale und andere besondere Dienstleistungen i. S. d. § 130 GWB anzusehen sein, was der Antragsgegner eigenverantwortlich zu prüfen hat, können alle in § 130 Abs. 1 GWB, §§ 64, 65 VgV genannten Verfahrensarten – nicht aber das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb – gewählt werden.
Da die Versorgung der Flüchtlinge ohne Unterbrechungen gewährleistet werden muss, hat der Antragsgegner einen Übergangszeitraum zu überbrücken, bis die – laut Schriftsatz des Antragsgegners vom 04.08.2016 geplante – Neuvergabe bewerkstelligt ist. Dazu kann auch eine sog. Interimsvergabe erforderlich werden, da ein rein faktisches Fortsetzen des für nichtig erklärten Vertrags mit der Beigeladenen nur für sehr kurze Zeit zur Vermeidung eines Versorgungsausfalls geduldet werden kann. Für Interimsvergaben gelten grundsätzlich keine besonderen Regelungen. Die Wahl des anzuwendenden Verfahrens hängt von der Dringlichkeit und dem Wert des Übergangsauftrags ab. Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei Leistungen der dem Auftraggeber verpflichtend zugewiesenen Daseinsvorsorge in der Situation nach Feststellung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags eine besondere Dringlichkeit für einen gewissen Zeitraum selbst dann gegeben sein kann, wenn die Gründe für die Dringlichkeit – wie hier – in der Sphäre des Auftraggebers liegen (OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2008 – WVerg 10/07).
Ein Auftraggeber kann in solchen selbstverschuldeten, aus Gründen der Daseinsvorsorge aber unvermeidbaren Dringlichkeitsfällen berechtigt sein, interimsweise Aufträge für den Zeitraum bis zum Abschluss eines förmlichen Vergabeverfahrens im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben. Der Auftraggeber ist auch in dieser Situation verpflichtet, so viel Wettbewerb wie möglich zu gewährleisten.
Nach der Rechtsprechung (OLG Hamburg, Beschluss vom 08.07.2008 – 1 Verg 1/08; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2008 – WVerg 10/07) sind diejenigen, die sich an einem vorangegangenen Vergabe- und Nachprüfungsverfahren beteiligt hatten, grundsätzlich auch an dem Verfahren zur Vergabe der Interimsaufträge zu beteiligen.
III.
Kosten des Verfahrens
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs.1, Abs.2, Abs.3 S.1, Abs. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs.2, Abs.3 S.2 BayVwVfG.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Antragsgegner. Er ist von der Zahlung der Gebühren befreit.
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.
Die Höhe der Gebühr wird vorliegend auf … € festgesetzt, unter Berücksichtigung, dass aufgrund des Einverständnisses aller Parteien keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft erstattet.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters der Antragstellerin wird als notwendig i. S.v. § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG angesehen.
Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB nicht erwartet werden kann. Zur Durchsetzung ihrer Rechte ist die Antragstellerin hier aufgrund der komplexen Rechtsmaterie – insbesondere nach der kürzlich erfolgten massiven Novellierung des Vergaberechts – auf anwaltliche Vertretung angewiesen.

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