Baurecht

Unwirksamkeit der Veränderungssperre für den Bereich des Bebauungsplans

Aktenzeichen  2 N 17.1994

Datum:
25.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13889
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 14 Abs. 1, § 17 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Eine faktische Zurückstellung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB führt nicht zur Unwirksamkeit einer Veränderungssperre. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer Gemeinde ist es nicht verwehrt, auf Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, der diesen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Antrag ist nach § 47 VwGO unbegründet.
1. Entgegen der ursprünglichen Auffassung des Antragstellers bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Veränderungssperre unwirksam geworden ist und deswegen ein Fortsetzungsfeststellungsantrag zu stellen wäre. Die zweijährige Geltungsdauer des § 17 Abs. 1 BauGB ist seit dem 25. September 2017 noch nicht abgelaufen. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 23. Mai 2018 (Az. 2 NE 17.2189) bereits ausgeführt hat, sind Fragen der faktischen Zurückstellung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB für die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Veränderungssperre irrelevant. Eine faktische Zurückstellung führt nicht dazu, dass eine Veränderungssperre objektiv unwirksam wird. Vielmehr findet gegenüber dem Betroffenen nur eine individuelle Anrechnung der (faktischen) Zurückstellungsdauer statt (vgl. BVerwG, U.v. 10.9.1976 – IV C 39.74 – juris). Die Rechtsgültigkeit der allgemein angeordneten Veränderungssperre bleibt im gesamten Geltungsbereich hingegen bestehen. Hinter der Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB steht die Überlegung, dass trotz der unterschiedlichen Rechtsnatur der Zurückstellung als Regelung des formellen Baurechts einerseits und der einen materiellen Versagungsgrund darstellenden Veränderungssperre andererseits ihre sich in einer vorübergehenden Beschränkung der Bodennutzung äußernden Wirkungen übereinstimmen, weshalb demjenigen, dessen Baugesuch bereits zurückgestellt worden ist, eine später beschlossene Veränderungssperre auch nur mit einer entsprechenden verkürzten Laufzeit zugemutet werden soll (vgl. VGH BW, U.v. 9.9.2015 – 3 S 276.15 – juris). Die Anrechnung einer der Veränderungssperre vorangegangenen Zurückstellung führt jedoch nicht zu einer allgemeinen Verkürzung der Laufzeit der Veränderungssperre. Sie kommt nur demjenigen zugute, dessen Baugesuch zurückgestellt worden ist und der versucht seine Bauwünsche, sei es über einen Vorbescheid oder über eine Baugenehmigung, durchzusetzen. Bei der abstrakten Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO handelt es sich um ein Verfahren der objektiven Rechtskontrolle, so dass diese Fragen hier keine Rolle spielen (Széchényi in Jäde/Dirnberger, BauGB, 9. Aufl. 2018, § 17 Rn. 1). Der Antragsteller hat deshalb in der mündlichen Verhandlung zutreffenderweise den Antrag gestellt, festzustellen, dass die Veränderungssperre vom 22. September (richtig 25. September 2017) unwirksam ist.
2. Der Antragsteller hat im Normenkontrollverfahren keine formellen Mängel vorgetragen. Solche sind auch nicht ersichtlich. In materieller Hinsicht begegnet die Veränderungssperre keinen Bedenken. Nach § 14 Abs. 1 BauGB darf eine Veränderungssperre nur erlassen werden, wenn die Gemeinde mit einem gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB bekannt gemachten und damit bauplanungsrechtlich beachtlichen Aufstellungsbeschluss ein Bebauungsplanverfahren eingeleitet hat. Außerdem muss die Planung beim Erlass der Veränderungssperre soweit konkretisiert sein, dass die Erforderlichkeit einer Sicherung gemäß § 14 BauGB beurteilt werden kann. Denn nur dann ist die Veränderungssperre „zur Sicherung der Planung“ erlassen worden.
Eine solche Planung liegt hier vor. Vorliegend lässt die Planung mehr als ein Mindestmaß an inhaltlichen Aussagen des künftigen Bebauungsplans H … Nr. 45 erkennen. Aus den Planunterlagen lässt sich ersehen, was Inhalt des zukünftigen Bebauungsplans sein soll. Durch die gegenständliche Planung sollen die gesamten bisher unbebauten Flächen zwischen der vorhandenen Wohnbebauung im Norden, Osten und Westen sowie der durch Bauleitplanung zugelassenen Wohnbebauung im Süden einer baulichen Nutzung als allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO zugeführt werden. Ausweislich der Unterlagen ist es das planerische Ziel der Antragsgegnerin, eine maßvolle Bebauung des Plangebiets im Sinn einer geordneten und nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung in Anlehnung an die in der Umgebung vorhandene städtebauliche Struktur zu steuern. Hierdurch soll dem Bedarf an dringend erforderlichem Wohnraum Rechnung und zugleich den übergeordneten Vorgaben der Raumordnung und Landesplanung bezüglich der vorrangig gebotenen innerstädtischen Nachverdichtung und des Grundsatzes zum Flächensparen entsprochen werden.
Die Veränderungssperre ist zur Erreichung des mit ihr verfolgten Sicherungszwecks auch erforderlich. Die durch die Veränderungssperre gesicherte Planung stellt keine gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verstoßende und daher unzulässige Verhinderungs- oder Negativplanung dar. Der Gemeinde ist es nicht verwehrt, auf Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, der diesen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. Angesichts des soeben dargestellten positiven Planungskonzepts der Antragsgegnerin kann die Erforderlichkeit der Veränderungssperre nicht in Abrede gestellt werden. Der Zeitablauf seit den Gesprächen in der Vergangenheit sowie das inhaltliche Abweichen der gegenständlichen Planung von einem früheren Bebauungsplanvorschlag begründet keine Verhinderungsplanung der Antragsgegnerin. Denn gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB besteht kein Anspruch auf die Aufstellung von Bauleitplänen. Ein solcher Anspruch kann auch nicht durch Vertrag, wie z.B. den Notarvertrag vom 11. August 2006, begründet werden. Erst recht gibt es keinen Anspruch auf eine Bauleitplanung mit einem bestimmten Inhalt.
Soweit der Antragsteller schriftsätzlich vorgetragen hat, dass im Wege einer analogen Anwendung des § 14 Abs. 3 BauGB selbst im Fall der Wirksamkeit der Veränderungssperre diese dem Vorhaben der Tochter des Antragstellers nicht entgegen gehalten werden könne, hat er in der mündlichen Verhandlung daran zutreffenderweise nicht festgehalten (Protokoll über die mündliche Verhandlung v. 25.4.2019 S. 2). Denn diese Vorschrift führt allenfalls dazu, dass die Veränderungssperre dem Vorhaben der Tochter des Antragstellers ausnahmsweise nicht entgegen gehalten werden kann. Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist jedoch die objektive Wirksamkeit der Veränderungssperre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

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