Baurecht

Unwirksamkeit des Bebauungsplans mit integriertem Grünordnungsplan

Aktenzeichen  9 NE 19.1111

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1177
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6, § 80a, § 92 Abs. 3, § 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2, § 161 Abs. 2, § 162 Abs. 3
BauGB § 3 Abs. 2, § 13a, § 214 Abs. 2a Nr. 4
UVPG § 3c S. 1, § 7 Abs. 1 S. 3
GKG § 52 Abs. 1, Abs. 8, Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Erheblich im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG sind bei der Bauleitplanung nicht erst Umweltauswirkungen, die die Zumutbarkeitsgrenzen überschreiten, sondern bereits solche, die zwar unterhalb der bestehenden Grenzwerte liegen, aber abwägungsrelevant sind. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die materielle Beweislast dafür, dass die bereits vorhandenen umweltbezogenen Stellungnahmen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB tatsächlich öffentlich ausgelegt wurden, trifft die Gemeinde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 20.000 Euro (10.000 Euro je Antragsteller zu 1 und 2 sowie Antragsteller zu 3 und 4) festgesetzt.

Gründe

Das Verfahren ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Hauptbeteiligten (Schriftsatz der Antragsteller vom 29.10.2019 und Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 7.11.2019) beendet und einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Maßgeblich hierfür ist nach billigem Ermessen, dass sich die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens der Antragsteller unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nicht ohne weiteres übersehen lassen und somit als offen anzusehen sind.
Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten kann zum einen nicht außer Betracht bleiben, dass zweifelhaft erscheint, ob der Eilantrag der Antragsteller bereits deshalb abgelehnt werden könnte, weil ihnen von Anfang an zugemutet werden konnte, die künftige Baugenehmigung für den Neubau eines Lebensmittelmarkts anzufechten und um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80a VwGO nachzusuchen (vgl. BVerwG, B.v. 30.4.2019 – 4 VR 3.19 – juris Rn. 8).
Zum anderen erscheint allerdings fraglich, ob das beschleunigte Verfahren hier gemäß § 13a Abs. 1 Satz 4 BauGB deshalb ausgeschlossen sein könnte, weil das Einzelhandelsvorhaben der Beigeladenen einer UVP-Pflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Nr. 18.8 und Nr. 18.6.2 die Anlage 1 zum UVPG unterliegen könnte. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn das Vorhaben nach Einschätzung der zuständigen Behörde im Rahmen einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen haben kann. Nach § 214 Abs. 2a Nr. 4 BauGB ist diese Einschätzung bei einem – wie hier – Vorhaben nach Spalte 2 der Anlage 1 zum UVPG gerichtlich nur auf Nachvollziehbarkeit zu überprüfen. Diese fehlt insbesondere dann, wenn die zuständige Behörde den Rechtsbegriff der erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen verkannt oder in nicht mehr vertretbarer Weise angewandt hat. Erheblich im Sinn des § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG sind dabei bei der Bauleitplanung – wie nach § 3c Satz 1 UVPG a.F. – nicht erst Umweltauswirkungen, welche die Zumutbarkeitsgrenzen überschreiten, sondern bereits solche, die zwar unterhalb der bestehenden Grenzwerte liegen, aber abwägungsrelevant sind (vgl. NdsOVG, B.v. 3.4.2019 – 1 MN 129/18 – juris Rn. 26; OVG NW, B.v. 2.2.2016 – 10 D 21/15.NE – juris Rn. 35; Spannowsky, ZfBR 2018, 544/552; Tepperwien in Schink/Reidt/ Mitschang, UVPG/UmwRG, § 7 UVPG Rn. 5).
Hier bestehen zumindest Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich der Lärmimmissionen diesen Maßstab verkannt haben könnte. In der vom Büro für Landschaftspflege K* … durchgeführten „Allgemeinen Vorprüfung vom 12. Februar 2018“ wird in der Gesamteinschätzung auf Seite 14 ausgeführt, dass die Aufstellung des Bebauungsplans hinsichtlich der Lärmimmissionen in den angrenzenden Wohngebieten zu keinen erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen führt, weil die Vorgaben der TA Lärm nach den bisherigen Ergebnissen des Schallschutzgutachtens unter Einhaltung der dort beschriebenen und im Bebauungsplan festgesetzten Schallschutzmaßnahmen eingehalten würden. Der Stadtrat der Antragsgegnerin hat in seiner Abwägung zum Bebauungsplan zur Frage der Anwendbarkeit des § 13a BauGB auf diese Vorprüfung verwiesen. Insoweit bedürfte es allerdings einer weiteren vertieften Prüfung, ob die im Bebauungsplan festgesetzten Lärmschutzwände als Vorkehrungen des Vorhabenträgers anzusehen sind, durch die nachteilige Umweltauswirkungen offensichtlich ausgeschlossen werden (vgl. § 7 Abs. 5 Satz 1 UVPG; verneinend wohl OVG NW, U.v. 2.2.2016 – 10 C 21/15.NE – juris Rn. 43) oder ob sonst bereits bei der Vorprüfung offensichtlich war, dass die Umweltauswirkungen das Abwägungsergebnis nicht werden beeinflussen können (vgl. NdsOVG, B.v. 3.4.2019 – 1 MN 129/18 – juris Rn. 26 m.w.N.). Im Rahmen dieser Kostenentscheidung findet aber eine weitere Sachaufklärung ebenso wenig statt, wie eine Klärung schwieriger Rechtsfragen (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2019 – 9 ZB 17.2500 – juris Rn. 3).
Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob die Auslegung des Bebauungsplanentwurfs den Anforderungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB genügt hat. Nach dieser Regelung sind die Entwürfe der Bauleitpläne mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen. Diese Vorschrift gilt auch für das Verfahren nach § 13a BauGB, wenn die Gemeinde wahlweise – wie hier – die Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB durchgeführt hat (§ 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BauGB). § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB ist auch nicht in § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB als Vorschrift genannt, von deren Anwendung im vereinfachten Verfahren abgesehen werden kann. Den Aufstellungsakten kann hier nicht ohne weiteres entnommen werden, ob die zum Zeitpunkt der Auslegung bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen mit ausgelegt wurden oder aus welchen Gründen dies nicht erfolgt ist. In der Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung vom 13. Dezember 2018 ist nur vom Entwurf zum Bebauungsplan mit integriertem Grünordnungsplan Nr. 20 „…“ mit Begründung die Rede. Die materielle Beweislast dafür, dass die bereits vorhandenen umweltbezogenen Stellungnahmen im Sinn von § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB tatsächlich öffentlich ausgelegt wurden, trifft die Gemeinde (vgl. BayVGH, U.v. 14.7.2016 – 2 N 15.283 – juris Rn. 21).
Lässt sich mit angemessenem, vertretbarem Aufwand keine Aussage über den Ausgang des Verfahrens machen, so entspricht es – beim Fehlen anderer Anhaltspunkte – der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2019 – 9 ZB 17.2500 – juris Rn. 3.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 8, § 52 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2 VwGO).

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