Baurecht

Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans bei Fehlen einer Durchführungsfrist

Aktenzeichen  1 N 16.1809

Datum:
26.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34526
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 12 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Festlegung der Durchführungsfrist für einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB steht nicht zur Disposition der Vertragsparteien, sondern ist ein im öffentlichen Interesse grundsätzlich strikt zu beachtendes Verfahrenserfordernis. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Fehlen der Durchführungsfrist ist kein auf den Durchführungsvertrag beschränkter Mangel, sondern führt zur Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für dessen Erlass nicht vorlagen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB muss die fristgebundene Durchführungsverpflichtung vor dem Satzungsbeschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB vorliegen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der am 26. April 2016 bekanntgemachte Bebauungsplan “Sondergebiet … …“ der Gemeinde A* … in der Fassung der am 24. Oktober 2017 bekanntgemachten 1. Änderung ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der Antragsteller ist als Eigentümer eines Grundstücks (FlNr. …), für das der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, bereits nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2005 – 4 BN 46.05 – BauR 2006, 352).
Der Bebauungsplan entsprach zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nicht den nach § 12 Abs. 1 BauGB erforderlichen Voraussetzungen und ist daher unwirksam. Für die mit dem Durchführungsvertrag vom 1. Oktober 2015 geregelten Verpflichtungen des Vorhabenträgers wurde keine Durchführungsfrist festgelegt, obwohl sie zu dem Mindestinhalt eines solchen Vertrages zählt.
Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann eine Gemeinde durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen, wenn der Vorhabenträger auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen (Vorhaben- und Erschließungsplan) bereit und in der Lage ist und sich zur Durchführung innerhalb einer bestimmten Frist und zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise vor dem Beschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB verpflichtet (Durchführungsvertrag). Danach setzt der vorhabenbezogene Bebauungsplan voraus, dass in einem Durchführungsvertrag neben der Durchführungsverpflichtung eine bestimmte Umsetzungsfrist vereinbart wird. Aus der dem Gesetzestext zu entnehmenden Legaldefinition des Durchführungsvertrages ergibt sich, dass es sich bei der Verpflichtung zur Durchführung der Maßnahmen innerhalb einer bestimmten Frist um einen Mindestinhalt des Durchführungsvertrages handelt (vgl. Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2019, § 12 Rn. 95; Kukk in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 12 Rn. 27 f.; Spieß in Jäde/Dirnberger, BauGB, 8. Aufl. 2017, Rn. 19). Indem das Gesetz ausdrücklich einen Durchführungsvertrag verlangt, bringt es zum Ausdruck, dass vor dem Satzungsbeschluss alle Einzelheiten des geplanten Vorhabens, der Erschließung und der Kostentragung verbindlich geregelt sein müssen. Dies stellt sicher, dass die Gemeinde bei ihrer Abwägungsentscheidung Klarheit über sämtliche mit dem Vorhaben zusammenhängende Fragen hat und gewährleistet ist, dass der Vorhabenträger auf der Grundlage des von ihm vorgelegten Plans bereit und in der Lage ist, die Maßnahmen in einer bestimmten Frist durchzuführen (vgl. BVerwG, B.v. 6.10.2011 – 4 BN 19.11 – BauR 2012, 222; BayVGH, U.v. 24.7.2001 – 1 N 00.1574 – BauR 2001, 1870). Die Festlegung der Durchführungsfrist steht nicht zur Disposition der Vertragsparteien, sondern ist ein im öffentlichen Interesse grundsätzlich strikt zu beachtendes Verfahrenserfordernis des vorhabenbezogenen Bebauungsplans (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 12.10.2016 – 1 MN 73/16 – BauR 2017, 205; OVG Berlin-Bbg., U.v. 10.12.2008 – OVG 2 A 10.07 – BauR 2009, 1697; OVG MV, U.v. 23.6.2004 – 3 K 31/03 – juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U.v. 6.4.2001 – 7a D 143/00.NE – juris Rn. 44). Zwar kann die Gemeinde eine vereinbarte Durchführungsfrist verlängern oder bei Nichteinhaltung der Frist im Einzelfall entscheiden, ob sie den Bebauungsplan gemäß § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB aufhebt, da § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB ihr ausdrücklich einen gewissen Entscheidungsspielraum zubilligt (vgl. OVG Berlin-Bbg., U.v. 10.12.2008 a.a.O.). Die nach § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB eingeräumte Entscheidungsbefugnis setzt indes voraus, dass eine Durchführungsfrist vereinbart wurde. Um bei einem Scheitern des Vorhabens die Möglichkeit zu haben, die dann ins Leere laufende Bauleitplanung zu beseitigen, bedarf es einer klaren Regelung, zu welchem Zeitpunkt ein solches Scheitern anzunehmen ist. Dies zeigt auch, dass die in § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannte Frist Voraussetzung für den Erlass des vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist. Ohne die Vereinbarung einer Befristung würde die Durchsetzung der Durchführungsverpflichtung Schwierigkeiten begegnen, da der Vorhabenträger regelmäßig einwenden könnte, dass er die Realisierung des Vorhabens zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtige. Der mit dem Vorhaben- und Erschließungsplan beabsichtigte Zweck, neben der Planung auch die Umsetzung derselben sicherzustellen, könnte nicht erreicht werden.
Das Fehlen der Durchführungsfrist ist kein auf den Durchführungsvertrag beschränkter Mangel, sondern führt zur Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für dessen Erlass nicht vorlagen. Ein vorhabenbezogener Bebauungsplan muss die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB erfüllen (vgl. BVerwG, B.v. 6.10.2011 – 4 BN 19.11 – BauR 2012, 222). Es kommt nicht mehr darauf an, ob der Durchführungsvertrag an einem gemäß Art. 59 BayVwVfG zu seiner Nichtigkeit führenden Mangel leidet. Unabhängig von seiner Wirksamkeit reicht er wegen der fehlenden Durchführungsfrist nicht aus, um die Grundlage für den Erlass des vorhabenbezogenen Bebauungsplans darzustellen. Es fehlt an einer zwingenden Voraussetzung für die Wirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans (vgl. BayVGH, U.v. 1.3.2016 – 1 BV 15.1535 – juris Rn. 22; Bank in Brügelmann, Baugesetzbuch, Stand Juli 2019, § 12 Rn. 82; Spieß in Jäde/Dirnberger, BauGB, 8. Aufl. 2017, § 12 Rn. 19).
Die Vereinbarung einer Durchführungsfrist zwischen dem ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen in der Vertragsergänzung vom 25. November 2019 konnte, unabhängig von der Frage ihrer Wirksamkeit, den Mangel des Bebauungsplans nicht beheben. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB muss die fristgebundene Durchführungsverpflichtung vor dem Beschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB, also vor dem Satzungsbeschluss vorliegen (vgl. BVerwG, B.v. 6.10.2011 a.a.O.; BayVGH, U.v. 24.7.2001 – 1 N 00.1574 – BauR 2001, 1870). Angesichts des in § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB geregelten Zeitpunkts kommt es auch nicht darauf an, dass mittlerweile 75% des Vorhabens verwirklicht sind. Der faktische Vollzug nach Satzungsbeschluss kann, abgesehen davon, dass hier eine vollständige Umsetzung nicht vorliegt, keinen Einfluss mehr haben. Um mit der mittlerweile vereinbarten Durchführungsfrist die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans zu erfüllen, bedarf es eines erneuten Satzungsbeschlusses und einer nachfolgenden ordnungsgemäßen Bekanntmachung (vgl. OVG NRW, U.v. 6.4.2001 – 7a D 143/00.NE – juris Rn. 44).
Die Antragsgegnerin und der Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen. Die Kostenpflicht der Antragsgegnerin ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dem Beigeladenen waren gemäß § 154 Abs. 3 VwGO die Hälfte der Kosten aufzuerlegen, da er einen Antrag gestellt hat und mit diesem unterlegen ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Entscheidung in Nummer I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).

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