Aktenzeichen 1 N 15.4
Leitsatz
1. Mit einer Entwicklungssatzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB wird ein bebauter Bereich im Außenbereich zu einem Ortsteil, in dem § 34 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BauGB die weitere bauliche Entwicklung steuert. Die nach § 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB zulässigen Festsetzungen dürfen daher nicht die Regelungsdichte eines Bebauungsplans erreichen. (amtlicher Leitsatz)
2 Im Bereich einer Entwicklungssatzung müssen Art und Maß der baulichen Nutzung sowie die überbaubare Grundstücksfläche und die Bauweise im Wesentlichen durch den vorhandenen Baubestand bestimmt werden; die nach § 34 Abs. 5 S. 2 iVm § 9 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 BauGB zulässigen (zusätzlichen) Festsetzungen können hierzu allenfalls klarstellend und ergänzend hinzutreten. (red. LS Andreas Decker)
3 Auch beim Erlaß von Entwicklungssatzungen nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB ist das Abwägungsgebot zu beachten (vgl. BVerwG BeckRS 2010, 55965). (red. LS Andreas Decker)
4 Ein beachtlicher Abwägungsfehler liegt vor, wenn der Inhalt der Entwicklungssatzung, und sei es auch nur teilweise, nicht von einer darauf gerichteten Abwägungsentscheidung getragen wird. (red. LS Andreas Decker)
Tenor
I.
Die Entwicklungssatzung „Bereich von Frixing“ vom 26. Februar 2014 ist unwirksam.
II.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg, weil die Antragsgegnerin mit den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung den Regelungsrahmen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB überschritten hat (1). Darüber hinaus leidet die Entwicklungssatzung an durchgreifenden Abwägungsmängeln (2).
1. Nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde durch eine sog. Entwicklungssatzung bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, wobei in der Satzung einzelne Festsetzungen nach § 9 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 BauGB getroffen werden können (§ 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB). Die Entwicklungssatzung ermöglicht es damit den Gemeinden, bebaute Bereiche im Außenbereich, denen das für einen Ortsteil im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche siedlungsstrukturelle Gewicht fehlt, durch die Zulassung weiterer Bebauung zu einem Ortsteil zu entwickeln, in dem – anders als in einer Splittersiedlung – die vorhandene Bebauung als Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur den maßgeblichen Rahmen für die vom Baugesetzbuch als zulässig angesehene bauliche Fortentwicklung bildet (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.1992 – 4 C 15.90 – NVwZ 1993, 985). Aus dieser Zweckbestimmung und der Beschränkung in § 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB, wonach lediglich einzelne Festsetzungen getroffen werden können, die sonst einem Bebauungsplan vorbehalten sind, folgt aber zugleich, dass Art und Maß der baulichen Nutzung sowie die überbaubaren Grundstücksflächen und die Bauweise im Wesentlichen durch den vorhandenen Baubestand bestimmt werden müssen und die Festsetzungen nach § 9 BauGB allenfalls klarstellend und ergänzend hinzutreten können. Entspricht daher der Regelungsumfang der Festsetzungen einer Entwicklungssatzung einem (einfachen oder qualifizierten) Bebauungsplan, wird der Regelungsrahmen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB überschritten.
So liegt der Fall hier. Zutreffend ist die Antragsgegnerin zwar davon ausgegangen, dass der Anwendungsbereich des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB eröffnet ist, weil die drei landwirtschaftlichen Hofstellen und die vier Wohngebäude in Frixing, die durch die Bahnlinie und ihre Entfernung von den gewerblich genutzten Gebäuden im Osten getrennt sind, keinen im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB darstellen (vgl. BayVGH, U.v. 29.7.2015 – 1 N 12.1189 – juris) und der Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin den Bereich als Baufläche vorsieht. Allerdings hat die Antragsgegnerin den Regelungsrahmen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB verkannt. Sie hat die Steuerung der Art der baulichen Nutzung nicht der vorhandenen Bebauung überlassen, indem sie, gleichsam das vorhandene Nutzungsspektrum nach § 34 Abs. 2 BauGB aufnehmend, ein Dorfgebiet nach § 5 BauNVO festgesetzt hätte. Vielmehr hat sie in § 3 Nummer 3.01 der Satzung für den Bereich der drei landwirtschaftlichen Hofstellen landwirtschaftliche Betriebsflächen sowie für den übrigen Bereich „Wohngebäude und nicht störende Handwerksbetriebe“ festgesetzt. Abgesehen davon, dass sonstige Gewerbebetriebe in Nummer 3.01 der Festsetzungen nicht erwähnt werden, obwohl auf dem Grundstück FlNr. … ein Abstellplatz für LKW-Anhänger als Teil eines Speditions- und damit eines Gewerbebetriebs festgesetzt worden ist, lässt die Festsetzung der landwirtschaftlichen Betriebsflächen nur den Schluss zu, dass dort weder Handwerksbetriebe noch Wohngebäude zulässig sein sollen, sofern letztere nicht den landwirtschaftlichen Betriebsstellen zugeordnet sind. Auch die gleichzeitige Festsetzung einer landwirtschaftlichen Betriebsfläche sowie von „Wohngebäuden und nicht störenden Handwerksbetrieben“ auf dem Grundstück FlNr. … lässt sich nicht als Festsetzung eines von der Antragsgegnerin möglicherweise beabsichtigten Dorfgebiets verstehen. Denn die Festsetzung von landwirtschaftlichen Betriebsflächen geht als Spezialregelung der allgemeinen Festsetzung eines Dorfgebiets vor, in dem nach § 5 BauNVO sowohl landwirtschaftliche Wirtschaftsstellen als auch Wohn- und gewerbliche Nutzung zulässig sind. Dass nicht im gesamten Geltungsbereich der Entwicklungssatzung Wohngebäude zulässig sein sollen, lässt sich auch der Tatsache entnehmen, dass die für Wohngebäude vorgeschlagenen Standorte (Nummer 3.03), die in früheren Fassungen des Planentwurfs auch auf den landwirtschaftlichen Betriebsflächen für zulässig gehalten wurden, in der Entwicklungssatzung auf ein Grundstück beschränkt worden sind, das nicht als landwirtschaftliche Betriebsfläche ausgewiesen worden ist. Damit hat die Antragsgegnerin, wenn man die fehlende Erwähnung von Gewerbebetrieben unter der Erläuterung des Planzeichens MD in Nummer 3.01 außer Acht lässt, im Ergebnis ein nach § 1 Abs. 4 BauNVO gegliedertes Dorfgebiet mit Flächen für landwirtschaftliche Betriebe, für Wohnen und für Handwerksbetriebe festgesetzt. Eine derartige Regelung überschreitet die Grenzen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB und ist daher unwirksam.
2. Die Entwicklungssatzung leidet auch an durchgreifenden Abwägungsmängeln.
Die Antragsgegnerin hat den Immissionskonflikt zwischen der emissionsträchtigen landwirtschaftlichen Tierhaltung und dem Wohnen nicht hinreichend bewältigt und damit gegen das Abwägungsgebot verstoßen, das für die bodenrechtlichen Planungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauGB entsprechend gilt (vgl. BVerwG, U.v. 22.9.2010 – 4 CN 2.10 – BVerwGE 138, 12). Die in Nummer 3.03 angeordnete Verpflichtung, bei Wohnungsneubauten die nach den Arbeitspapieren „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ erforderlichen Abstände zwischen Landwirtschaft und Wohnen zu berücksichtigen, genügt dem Gebot der Konfliktbewältigung nicht. Zwar müssen durch die bodenrechtliche Planung ausgelöste Konflikte nicht ausnahmslos in der Planung selbst bewältigt werden. Vielmehr können die Gemeinden deren Lösung in nachgelagerte Verfahren verlagern, wenn die Durchführung der Maßnahmen zur Konfliktbewältigung auf einer nachfolgenden Stufe möglich und sichergestellt ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4. 14 – BauR 2015, 1620). Davon kann vorliegend jedoch keine Rede sein. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, welche Fassung der Arbeitspapiere des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ maßgeblich sein soll und wie die Normunterworfenen Kenntnis vom Inhalt dieser Regelung erhalten sollen, hat die Antragsgegnerin trotz der Bedenken des Amts für Landwirtschaft und der Einwendung des Antragstellers vom 3. Januar 2014, in der er auf den geplanten Umbau seines Stalles in einen Offenstall verwiesen hat, nicht ermittelt, ob Wohngebäude trotz der vorhandenen und bei absehbaren Erweiterungen und Veränderungen der landwirtschaftlichen Betriebe zusätzlich entstehenden Geruchsimmissionen genehmigt werden können. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Festlegung eines Dorfgebiets nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB die Entwicklungsmöglichkeiten der vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe erheblich einschränkt. Denn die Wohnnutzung ist in einem Dorfgebiet vor landwirtschaftlichen Immissionen deutlich stärker geschützt als das Wohnen im Außenbereich, der bestimmungsgemäß der landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten ist. Beispielsweise setzt die Geruchsimmissions-Richtlinie – GIRL – in der Fassung vom 29. Februar 2008 und vom 10. September 2008 in Nummer 3.1 den zulässigen Immissionswert für Dorfgebiete auf eine Geruchsstundenhäufigkeit von 0,15 fest, während nach der Begründung und den Auslegungshinweisen zu Nummer 3.1 der GIRL bei Wohnen im Außenbereich ein Wert von bis zu 0,25 hinzunehmen ist. Diese Einschränkung kann entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht durch einen Hinweis auf bestimmte Abstandsregelungen kompensiert werden.
Ein weiterer Abwägungsfehler liegt darin begründet, dass die Festsetzung in Nummer 3.01 der Entwicklungssatzung, die in den mit MD bezeichneten Bereichen außerhalb der landwirtschaftlichen Betriebsflächen unabhängig von den nach Nummer 3.03 vorgeschlagenen Standorten Wohngebäude zulässt, dem Willen des Satzungsgebers nicht entspricht. Im Beschluss vom 26. Februar 2014, mit dem den Bedenken der Landwirtschaft gegen eine heranrückende Wohnbebauung Rechnung getragen werden sollte, hat der Gemeinderat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass mit der Streichung der Standorte für die im Lageplan vorgeschlagenen Wohngebäude jedenfalls auf den Grundstücken FlNr. …/… und … keine Neubauten verwirklicht werden sollen. Da der Inhalt der Entwicklungssatzung insoweit nicht von einer darauf gerichteten Abwägungsentscheidung getragen wird (vgl. BVerwG, U.v. 18.3.2004 – 4 CN 4.03 – BVerwGE 120, 239), liegt ein Abwägungsmangel vor.
Beide Abwägungsmängel sind nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB beachtlich, weil sie sich aus der Verfahrensakte ergeben und nach der Beschlusslage des Gemeinderats auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Da die Mängel im Normenkontrollverfahren innerhalb der Zwei-Jahresfrist gerügt worden sind, auf die die Bekanntmachung vom 15. Juli 2014 im Widerspruch zur Jahresfrist nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB in der seit 2007 geltenden Fassung hingewiesen hat, führen die Abwägungsmängel ebenfalls zur Unwirksamkeit der Entwicklungssatzung.
Da die Entwicklungssatzung aus den dargelegten Gründen unwirksam ist, ist auf die weiteren, vom Antragsteller geltend gemachten Bedenken nicht einzugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Entscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO ist nicht veranlasst, weil die Beigeladenen keine Anträge gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Nummer I der Entscheidungsformel ist nach Rechtskraft des Urteils ebenso zu veröffentlichen wie die streitgegenständliche Satzung (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 8 GKG).