Aktenzeichen AN 9 K 16.02219
Leitsatz
Kleine Bordellbetriebe sind weder grundsätzlich noch ausnahmsweise im Industriegebiet zulässig (im Anschluss an VGH München NVwZ 2016, 706). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2016 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist in Ziffer 2) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der vollstreckbaren Kosten.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Das mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. Oktober 2016 genehmigte Bauvorhaben der Beigeladenen liegt ebenso wie die Werke 1 und 2 der Klägerin im selben faktischen Industriegebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 9 BauNVO, dies entspricht dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ebenso wie der Überzeugung der Kammer.
In dem hier vorliegenden faktischen Industriegebiet ist die genehmigte Nutzung in Form eines kleinen Bordells bauplanungsrechtlich unzulässig, die Klägerin hat deshalb einen Abwehranspruch gegen das genehmigte Vorhaben in Form eines Anspruchs auf Erhaltung des vorliegenden Baugebiets.
Die Klägerin kann sich auch in dem hier vorliegenden faktischen Baugebiet auf den Abwehranspruch gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung unabhängig von einer sie selbst treffenden unzumutbaren Beeinträchtigung berufen, da sich aus der Gleichstellung geplanter und faktischer Baugebiete im Sinn der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt, dass ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32/11). Die hier genehmigte Nutzung des vorhandenen Gebäudes auf dem Baugrundstück als kleines Bordell mit fünf von der Beigeladenen an Prostituierte zu vermietenden Wohnungen ist im hier vorliegenden faktischen Baugebiet nach § 9 BauNVO bauplanungsrechtlich unzulässig.
Zwar geht die Kammer davon aus, dass es sich bei einem Bordellbetrieb der hier vorliegenden Art nicht um eine Vergnügungsstätte, sondern um einen „Gewerbebetrieb aller Art“ im Sinn des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO handelt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.2015 – 4 B 32/15). Aber auch als Gewerbebetrieb aller Art ist ein Bordellbetrieb im hier vorliegenden Umfang wegen der fehlenden Gebietsverträglichkeit im Industriegebiet grundsätzlich unzulässig. Die Kammer folgt insofern der Entscheidung des 1. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Oktober 2015 (1 B 15.886). Der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hat in der zitierten Entscheidung Folgendes ausgeführt:
„Die Zulässigkeit eines bestimmten Vorhabens innerhalb eines Baugebiets richtet sich nicht allein nach der Einordnung des Vorhabens in eine von der Baunutzungsverordnung bestimmte Nutzungs- oder Anlagenart, hier also die angenommene Einordnung eines Bordells als Gewerbebetrieb nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO, sondern auch nach der Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets. Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung, die durch die Zuordnung von Nutzungen zu den einzelnen Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinn einer sachgerechten Städtebaupolitik bringen will. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die von der Baunutzungsverordnung dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2012 – 4 C 14.10 -, BayVBl. 2012, 571). Dabei besteht zwischen der Zweckbestimmung des Baugebiets und den jeweils zugeordneten Nutzungsarten ein funktionaler Zusammenhang, der für die Auslegung und Anwendung jeder tatbestandlich normierten Nutzungsart maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 – 4 C 1.02, BVerwGE 116, 155).
Von entscheidender Bedeutung für die Frage, welche Vorhaben mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Baugebiets unverträglich sind, sind die Anforderungen des jeweiligen Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet sowie die Erfüllung eines spezifischen Gebietsbedarfs. Entscheidend ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotential zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2012 a.a.O.).
Gemäß § 9 Abs. 1 BauNVO dienen Industriegebiete ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend von erheblich belästigenden Betrieben, die in anderen Baugebieten unzulässig sind.
Bordellbetriebe jedenfalls der hier vorliegenden Art erreichen jedoch – anders als möglicherweise im Einzelfall erheblich belästigende Bordellbetriebe – trotz (abendlichen) Besucherverkehrs und milieubedingter Unruhe die Schwelle der erheblichen Belästigung nicht und können daher entsprechend ihren Anforderungen an das Baugebiet grundsätzlich in Gewerbegebieten untergebracht werden (BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83, BVerwGE 68, 213; Stock in König/Röser/Stock, a.a.O., § 8 Rn. 22). Sind derartige Bordellbetriebe aber nicht auf die Unterbringung in einem Industriegebiet angewiesen, so verträgt sich die Zulassung von Bordellbetrieben, die zudem gegen industriegebietstypische Störungen, wie beispielsweise Lärm oder andere Immissionen, empfindlich sein können, nicht mit der allgemeinen Zweckbestimmung von Industriegebieten, die für (erheblich störende) Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind, offengehalten werden sollen (BVerwG, U.v. 25.11.1983 a.a.O., S. 217). Da Bordellbetriebe zumindest eine inhaltliche Nähe zu Vergnügungsstätten aufweisen, wird die Gebietsunverträglichkeit derartiger Betriebe zudem durch die Tatsache bestätigt, dass Vergnügungsstätten in Industriegebieten – anders als in Gewerbegebieten (s. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO) – nicht einmal ausnahmsweise zulässig sind.“
Die Kammer folgt diesen Ausführungen, sodass auch nach Überzeugung der Kammer kleine Bordellbetriebe wie das hier vorliegend genehmigte Vorhaben weder grundsätzlich noch ausnahmsweise im Industriegebiet zulässig sind.
Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des 1. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vorgetragenen Einwendungen überzeugen die Kammer nicht. Zwar führt der Beklagtenvertreter zu Recht aus, dass sowohl nach § 9 Abs. 2 wie auch nach § 13 BauNVO Nutzungen im Industriegebiet zulässig sind, die auch in anderen Baugebieten untergebracht werden können. Dies steht aber nicht der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vertretenen Auffassung entgegen, die Zweckbestimmung des Industriegebiets sei gerade die Unterbringung von erheblich störenden Gewerbebetrieben, also solchen, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Zum anderen führt der 1. Senat in der genannten Entscheidung zu Recht aus, dass Bordellbetriebe zumindest eine inhaltliche Nähe zu Vergnügungsstätten aufweisen, welche in Industriegebieten nicht einmal ausnahmsweise zulässig sind. Aus der Tatsache, dass in § 9 Abs. 2 BauNVO etwa Lagerhäuser und Lagerplätze im Industriegebiet zulässig sind, die gleichzeitig auch in einem Gewerbegebiet untergebracht werden können, folgt nach Überzeugung der Kammer nicht zwingend, dass deswegen auch kleine Bordellbetriebe dort generell zulässig sind. Demgegenüber führt der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu Recht an, dass Bordellbetriebe, wie der hier gegenständliche, selbst störungsempfindlich gegen Lärm und andere Immissionen sind, was sie etwa von den Lagerplätzen und Lagerhäusern unterscheidet. Auf die Frage, ob eine Differenzierung zwischen kleinen und großen Bordellbetrieben im Hinblick auf ihre Zulässigkeit im Industriegebiet vorzunehmen ist, kam es hier nicht an, da es sich ersichtlich gegenständlich um einen kleinen Bordellbetrieb handelt, der noch deutlich den Umfang des Vorhabens unterschreitet, das Gegenstand der zitierten Entscheidung des 1. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gewesen ist.
Auch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans im Hinblick auf die Art der Nutzung scheidet hier aus. Zwar ist nach § 34 Abs. 2 BauGB die Befreiungsmöglichkeit nach § 31 Abs. 2 BauGB auch im faktischen Baugebiet entsprechend anzuwenden, wobei an Stelle der „Grundzüge der Planung“ die sich hier aus der vorhandenen Bebauung, also der tatsächlichen städtebaulichen Situation und ihrer die Art der Nutzung im Wesentlichen tragenden Elemente, treten; dies bedeutet, dass die Zweckbestimmung, die in den Baugebietsvorschriften nach der BauNVO jeweils festgelegt ist, nicht berührt werden darf (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Rn. 82 zu § 34 BauGB). Da hier der genehmigte Betrieb der Zweckbestimmung des Industriegebiets gerade zuwiderläuft, scheitert eine Befreiung hier schon daran, dass die Grundzüge der Planung durch die Genehmigung des Vorhabens berührt werden.
Damit kommt es auf die Frage, ob § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 BauNVO dem Vorhaben entgegenstehen, nicht an.
Damit ist die Klage begründet, die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene sich nicht am Verfahren beteiligt hat, steht ihr auch kein Kostenersatz nach § 162 Abs. 3 VwGO zu. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.
Die Berufung war hier zuzulassen gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zwar liegt die zitierte Entscheidung des 1. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Zulässigkeit von kleinen Bordellbetrieben in einem Industriegebiet vor, der 15. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 7.9.2016 – 15 ZB 15.1632) hat diese Frage aber ebenso offengelassen wie der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 25.11.1983 – 4 C 21/83). Weitere obergerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage liegen soweit ersichtlich nicht vor, während verschiedene Verwaltungsgerichte (VG Augsburg, U.v. 7.5.2015 – Au 5 K 14.637, VG Freiburg, U.v. 24.10.2000 – 4 K 1178/99, VG München, U.v. 4.11.2014 – M 1 K 14.3459) von der generellen Zulässigkeit von Bordellbetrieben im Industriegebiet ausgehen. Damit hat die Sache nach Überzeugung der Kammer grundsätzliche Bedeutung, und bedarf einer obergerichtlichen Klärung.
Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG, wobei im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für die Klägerin der angesetzte Betrag der Kammer als angemessen erscheint, während der vom Beklagtenvertreter befürwortete Betrag von 7.500,00 EUR hier nach Auffassung der Kammer der Bedeutung der Sache für die Klägerin nicht gerecht wird.