Baurecht

Verfahren wegen Bauvorbescheid

Aktenzeichen  M 8 K 17.5977

Datum:
20.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19511
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 64 Abs. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Nachbarschutz ist zu gewähren, wenn wegen der Unbestimmtheit des Vorbescheids bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang der Beantwortung der Vorbescheidsfrage nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht, insbesondere das Rücksichtnahmegebot, verstößt. (Rn. 26 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 20.11.2017, Plan Nr. … wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat Erfolg, da sie zulässig und begründet ist. Der streitgegenständliche Vorbescheid vom 20. November 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen nachbarschützenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung und/oder einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung/der Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung/der Vorbescheid gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung/den Vorbescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden.
2. Vorliegend sind drittschützende Rechte des Klägers verletzt, da infolge der Unbestimmtheit des Vorbescheids bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang der Beantwortung der Vorbescheidsfrage nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht, insbesondere das Rücksichtnahmegebot, verstößt.
2.1. Ein Vorbescheid muss – wie eine Baugenehmigung – inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG). Er muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30). Dies betrifft insbesondere die mit dem Vorbescheidsantrag eingereichten Bauvorlagen.
Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO – der über Art. 71 Satz 4 BayBO auch im Vorbescheidsverfahren entsprechend anwendbar ist – bestimmt, dass mit dem Vorbescheidsantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Antrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen sind. Art, Umfang und Inhalt der vorzulegenden Bauvorlagen ergeben sich dabei aus der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV), vgl. Art. 80 Abs. 4 BayBO. Nach § 5 BauVorlV sind diejenigen Bauvorlagen vorzulegen, die zur Beurteilung der durch den Vorbescheid zu entscheidenden Fragen des Bauvorhabens erforderlich sind. Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen dabei vollständig, richtig und eindeutig sein (vgl. Gaßner in Simon/Busse, BayBO, Stand: 132. EL Dezember 2018, Art. 64 Rn. 75). Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für den Vorbescheid ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Gaßner, a.a.O. Rn. 80; VG München, B.v. 28.11.2017 – M 8 SN 17.4766 – juris Rn. 57). Zu einer Unbestimmtheit gelangt man allerdings nur dann, wenn sich der Aussagegehalt des Verwaltungsakts nicht durch Auslegung ermitteln lässt (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19).
Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Antragsteller einwandfreie und vollständige Bauvorlagen einreicht (vgl. Gaßner, a.a.O. Rn. 84 m.w.N.). Nachbarrechte können aber dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit eines Vorbescheids bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang des Vorbescheids nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m.w.N.; VGH BW, B.v. 23.11.2017 – 3 S 1933/17 – juris Rn. 8; VG München, U.v. 24.11.2014 – M 8 K 13.5076 – juris Rn. 24). Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris Rn. 4; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 13; jeweils m.w.N.). Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich dabei nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (vgl. OVG NW, U.v. 6.6.2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 73; NdsOVG, B.v. 26.1.2012 – 1 ME 226/11 – juris Rn. 22).
Wenn der Vorbescheid selbst oder die diesem zu Grunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten bzw. wegen ihres Fehlens keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung eines Vorbescheids führen (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16). Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte des Klägers begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung des Klägers hierdurch zu bejahen (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2001 a.a.O. Rn. 11 m.w.N.; VG München, U.v. 24.11.2014 a.a.O.; Lechner a.a.O. Art. 68 Rn. 472 m.w.N.).
2.2. Dies zugrunde gelegt sind die Bauvorlagen unbestimmt, weil sie keine bzw. eine unzureichende Betriebsbeschreibung des Vorhabens enthalten, und verletzt der auf diese Bauvorlagen gestützte Vorbescheid den Kläger in seinen Rechten.
2.2.1 Gemäß § 9 Satz 1 BauVorlV sind das Bauvorhaben und seine Nutzung in der Baubeschreibung zu erläutern, soweit dies zur Beurteilung erforderlich ist und die notwendigen Angaben nicht im Lageplan und den Bauzeichnungen enthalten sind.
In den Bauvorlagen findet sich jedoch nur die knappe Erläuterung, dass der Verkaufsraum des Getränkemarktes derzeit leer stehe sowie geplant sei, den Bereich baulich abzutrennen und auf der Teilfläche von 91,08 m² eine Spielothek mit 8 Geldspielgeräten einzurichten.
Nicht ausgeführt wird dagegen, an welchen Tagen und für wie lange die Spielothek geöffnet sein soll. Das konkrete Ausmaß des angestrebten Betriebs ist daher nicht ersichtlich.
2.2.2 Diese Angaben wären jedoch – auch im Rahmen eines Vorbescheidsverfahren (vgl. § 5 BauVorlV) – zur Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit gerade im Hinblick auf das den Kläger als unmittelbaren Grundstücksnachbarn schützende Gebot der Rücksichtnahme erforderlich gewesen.
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4; B.v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – juris Rn. 22 m.w.N.). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
Ob eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne durch das Vorhaben ausgelöst wird, kann anhand des Vorbescheids und der Bauvorlagen nicht ausgeschlossen werden. Denn für eine derartige Beurteilung kommt es maßgeblich auf den Umfang der Nutzung an und die dadurch ausgelösten Beeinträchtigungen. Wie oft, zu welchen Zeiten und in welcher Intensität der Kläger durch die von der Beklagten als zulässig erachtete Spielotheknutzung in seinen Rechten beeinträchtigt wird, ist aber wie oben dargelegt unklar. Diese Unsicherheit hat der Kläger nicht hinzunehmen, sondern kann seine subjektiv-öffentlichen Abwehrrechte dagegen geltend machen, was vorliegend zur Aufhebung des Vorbescheids führt.
3. Der Feststellungsantrag des Klägers hat demgegenüber keine eigenständige Bedeutung und ist im Aufhebungsantrag enthalten, sodass keine Entscheidung über ihn zu ergehen hat.
4. Der Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihr keine Kosten auferlegt werden und sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung er-folgt gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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