Baurecht

Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch Lärm

Aktenzeichen  AN 17 K 17.02454

Datum:
31.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 59259
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 6, § 11, § 19 Abs. 3
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1), aber ohne die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2), die diese selbst trägt.
3. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
4. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Anfechtungsklage der Klägerin (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist zulässig, aber unbegründet, und deshalb abzuweisen.
1. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin keine unmittelbare Nachbarin des klagegegenständlichen Bauvorhabens des Beigeladenen zu 1) ist, sondern sich ein weiteres Grundstück und die Kreisstraße … zwischen dem klägerischen Anwesen und dem Vorhabengrundstück befindet. Eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO kommt Nachbarn dann zu, wenn sie in öffentlichrechtlichen geschützten Belangen berührt werden können, wobei die Lage, die Art und die Auswirkungen des Vorhabens ausschlaggebend sind (Simon/Busse BayBO, Stand 1. August 2018, Art. 66 Rn. 60 ff.; VG Würzburg, U.v. 6.12.2016, W 4 K 16.564 – juris; BayVGH, B.v.19.6.2009, 1 ZB 09.123 – juris). Im Hinblick auf die (potentielle) Lärmproblematik ist die Klägerin ohne weiteres als Nachbarin anzusehen. Ebenso ist die Nachbareigenschaft im Hinblick auf die Rüge der Verletzung des (gebietsübergreifenden) Gebietserhaltungsanspruchs zu bejahen.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da die streitgegenständlichen Baugenehmigungen vom 22. September 2015 und 14. März 2018 die Klägerin im Ergebnis nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn der angefochtene Verwaltungsakt – hier die Baugenehmigung – rechtswidrig ist und den Kläger zugleich in seinen Rechten verletzt. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm allein genügt für den Erfolg der Nachbarklage somit nicht. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit zum einen gerade aus einer solchen Norm ergeben, die dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009, 14 CS 08.3017 – juris). Zum anderen ist nur eine Rechtsverletzung maßgeblich, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren gehört, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt, die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (vgl. BayVGH a.a.O.). Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage, die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes, d.h. der Erteilung der Baugenehmigung, gegeben war.
Die Klägerin ist durch die streitgegenständlichen Änderungsgenehmigungen vom 22. September 2015 (2. Tektur: Nutzungsänderung in Ausstellungsraum und Terrasse und Anlage von Teichen) und 14. März 2018 (3. Tektur: Anbau einer Fluchttreppe) weder im grundsätzlich nachbarschützenden Gebietserhaltungsanspruch verletzt (a), noch ist im Hinblick auf Geräuschimmissionen das Gebot der Rücksichtnahme verletzt (b).
a) Der Gebietsbewahrungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Satz 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung zur Wehr zu setzen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993, 4 C 28/91 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 24.3.2009, 14 CS 08.3017 – juris Rn. 29). Der Gebietsbewahrungsanspruch ist eine Folge davon, dass die Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. Diese weitreichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer (Schicksals-)Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG hat jeder Eigentümer – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – das Recht, sich gegen eine „schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O., juris Rn. 29 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 16.9.1993, 4 C 28/91 – NJW 1994, 1546). Da der Gebietsbewahrungsanspruch auf der durch eine Baugebietsfestsetzung wechselseitigen Eigentumsbindung beruht, kann er einem Eigentümer, dessen Grundstück sich außerhalb des Baugebiets befindet, regelmäßig nicht zustehen (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O., juris Rn. 29 m.w.N.).
Zwar kann die Gemeinde mit einer Baugebietsfestsetzung den Zweck verfolgen, auch Gebietsnachbarn einen Anspruch auf Erhaltung des Nachbargebietes zu geben. Ob einer Baugebietsfestsetzung im Bebauungsplan eine derartige über die Gebietsgrenze hinausreichende drittschützende Wirkung zukommt und damit den Nachbarn ein baugebietsübergreifender Gebietsbewahrungsanspruch zusteht, hängt – wie der Nachbarschutz durch andere Bebauungsplanfestsetzungen – davon ab, ob sich der Begründung des Bebauungsplans oder anderen Unterlagen des Planaufstellungsverfahrens ein entsprechender Planungswille der Gemeinde entnehmen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O., juris Rn. 29 m.w.N.). Auch dieser Anspruch kann jedoch nur verletzt sein, wenn im benachbarten Baugebiet ein der festgesetzten Nutzungsart nach unzulässiges Vorhaben zugelassen wird. Ein baugebietsübergreifender Gebietsbewahrungsanspruch kommt damit bei einem „faktischen“ Baugebiet nicht in Betracht, da nur eine Baugebietsfestsetzung von dem Willen getragen sein kann, Gebietsnachbarn einen von der tatsächlichen Beeinträchtigung unabhängigen Schutzanspruch zu gewähren (vgl. BayVGH, U.v. 14.7.2006, 1 BV 03.2179 u.a. – juris Rn. 34).
Gemessen an diesen Maßstäben ergibt sich vorliegend keine Verletzung des Anspruches der Klägerin auf Gebietsbewahrung. Der Änderungsbebauungsplan der Beigeladenen zu 2) vom 20. Mai 2015 ist nämlich als nichtig anzusehen und scheidet damit als Maßstab für die Prüfung des Gebietserhaltungsanspruchs aus. Ebenso scheidet auch der ursprüngliche vorhabenbezogene Bebauungsplan vom 11. März 2011 als Bezugspunkt aus, da auch dieser als nichtig anzusehen ist. Das Vorhabengrundstück liegt damit faktisch in einen Misch- oder Dorfgebiet. In diesem ist die gastronomische Nutzung der Art nach grundsätzlich zulässig, so dass der Gebietscharakter durch das Vorhaben – soweit die Genehmigungsgrenzen eingehalten werden – nicht beeinträchtigt wird.
Der Änderungsbebauungsplan vom 20. Mai 2015 ist deshalb nichtig, weil er an einem formellen Fehler leidet, der zur Nichtigkeit des gesamten Änderungsbebauungsplans führt. Wie bereits der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2017 (9 CS 16.883) ausgeführt hat, ist der Bebauungsplan nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden, weil im Bebauungsplan unter Nr. 8b der textlichen Festsetzungen eine Bezugnahme auf die DIN 45691 erfolgt, ohne dass von der Beigeladenen zu 2) sichergestellt worden ist, dass Betroffene von der DIN-Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können. Damit entspricht die Bekanntmachung des Bebauungsplans, der als Satzung eine Rechtsnorm darstellt (§ 10 Abs. 1 BauGB), nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen. Die DIN 45691 ist durch die Bezugnahme Teil der Festsetzung des Änderungsbebauungsplans geworden. Dies ist auch für die hier vorliegende Variante, dass sich aus der DIN-Vorschrift lediglich das Berechnungsverfahren für die Geräuschkontingentierung ergibt, der Fall (BayVGH, U.v. 28.10.2014, 9 N 14.2326 und U.v. 25.10.2016, 9 N 13.558 – beide juris). Die DIN 45691 hätte damit entweder im Bebauungsplan selbst bzw. in der Anlage dazu im Volltext wiedergegeben werden müssen oder es hätte in der Planurkunde oder in der Bekanntmachung zum Bebauungsplan darauf hingewiesen werden müssen, wo die DIN 45691 zu finden oder einzusehen ist (BVerwG, B.v. 18.8.2016, 4 BN 24/16 – juris Rn. 8). Die DIN 45691 ist nach der Recherche des Gerichts auch nicht in allgemein zugänglicher Form, etwa über das Internet, zu erlangen. Da die Geräuschkontingentierung nach der Konzeption des Bebauungsplans ein wesentliches Element der Bauleitplanung war, führt dieser Fehler zur Gesamtunwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans (BayVGH, U.v. 25.10.2016, a.a.O).
Auch der ursprüngliche Bebauungsplan vom 11. März 2011 ist als nichtig und damit nicht maßgeblich anzusehen. Mangels ausdrücklicher (Teil-)Aufhebung dieses Bebauungsplans, würde dieser wegen des Wegfalls des späteren Bebauungsplans grundsätzlich fortgelten (BVerwG, B.v. 16.5.2017, 4 B 24/16 – juris). In diesem Bebauungsplan findet sich unter Nr. 8 der textlichen Festsetzung zum Immissionsschutz aber lediglich ein Verweis auf eine schalltechnische Untersuchung vom 11. Mai 2010. In dieser wiederum finden sich neben umfangreichen Berechnungen und Begründungen „Auflagenvorschläge“. Es bleibt aber unklar, ob die Verweisung in Nr. 8 des Bebauungsplans sich (nur) hierauf bezieht oder auch auf andere und gegebenenfalls auf welche Aussagen, sodass schon erhebliche Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit dieser Festsetzung bestehen. Zum anderen ist der erste Auflagenvorschlag auf Seite 6 des Gutachtens vom 11. Mai 2010, dass die Beurteilungspegel an den relevanten Immissionsorten die Immissionsrichtwerte am Tag um mindestens 10 dB(A) und nachts um 3 dB(A) unterschreiten müssen, ebenfalls nicht rechtmäßig. Für eine solche Festsetzung fehlt es nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nämlich an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB können im Bebauungsplan Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen getroffen werden. Vorkehrungen in diesem Sinne sind allerdings nur bauliche oder technische Maßnahmen, nicht die Bestimmung von Lärmwerten (BayVGH, U.v. 12.11.1993, 26 N 91.610 – juris; BVerwG, B.v. 18.12.1990, 4 N 6.88, BayVBl. 1991,310). Ebenso wenig stellt § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO eine ausreichende Rechtsgrundlage dar. Danach können zwar Emissionswerte von Betrieben festgelegt werden, nicht aber – wie hier – Immissionswerte an den Einwirkungsorten (BayVGH, a.a.O., BVerwG, a.a.O). Da auch für den Vorhabenbebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung Gesamtnichtigkeit anzunehmen ist, da auch für diesen die immissionsschutzrechtliche Machbarkeit wesentlicher Bestandteil war, entfällt somit ein Bebauungsplan als Bezugspunkt für den Gebietserhaltungsanspruch.
Das streitgegenständliche Bauvorhaben befindet sich somit lediglich in einem faktischen Baugebiet, das entweder als Dorfgebiet oder als Mischgebiet einzustufen ist. In einem solchen sind gastronomische Betriebe grundsätzlich zulässig, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 2 bzw. § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO, sodass der Gebietscharakter durch das Vorhaben grundsätzlich gewahrt bleibt.
Soweit der Beigeladene zu 1) den Betrieb nur in den durch die Baugenehmigung festgelegten Grenzen (Catering, Ochsenschlachterei, Saal und Terrasse im 1. Stock für Gastronomie entsprechend der Begrenzungen durch die Bescheidsauflagen) betreibt, überschreitet der Betrieb auch in einer Gesamtbetrachtung nicht die Grenzen der bauplanungsrechtlichen Einstufung als Gewerbebetrieb einerseits und Schank- und Speisewirtschaft andererseits und stellt (noch) keine im Dorfgebiet nur ausnahmsweise zulässige und im Mischgebiet nur eingeschränkt zulässige Vergnügungsstätte dar. Hierfür fehlt es derzeit an einer kommerziellen Freizeitgestaltung bzw. einem Amüsierbetrieb (vgl. hierzu Söfker in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Kautzberger, BauGB Stand 1.8.2018, § 6 Rn. 42).
Im Übrigen kann sich die Klägerin als Gebietsfremde (ihr Grundstück liegt im Bebauungsplan „…“ in einem Mischgebiet) nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen. Ein gebietsübergreifender Bewahrungsanspruch ist nur ausnahmsweise denkbar und scheidet im Hinblick auf ein faktisches Baugebiet von vorneherein aus, weil eine planerische Entscheidung der Gemeinde, auf die sich der Nachbar berufen könnte, nicht vorliegt (BVerwG, B.v. 10.1.2013, 4 B 48/12 – juris Rn. 5). Auch ein Berufen auf das Freihalten des Außenbereichs von einer Bebauung steht dem Nachbarn nicht zu.
b) Die Baugenehmigung verstößt auch nicht zu Lasten der Klägerin gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, wobei vorliegend ein Verstoß allein aufgrund der Lärmproblematik in Betracht kommt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist unabhängig davon zu beachten, ob das Vorhabengrundstück im Innen- oder Außenbereich und dem beplanten oder unbeplanten Bereich zuzuordnen ist (BayVGH, B.v. 19.3.2015, 9 CS 14.3441 – juris Rn. 23 ff).
Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt dabei von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessensbewertung ist ausschlaggebend, was den Rücksichtnahmebegünstigten und den zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten in billiger Weise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983, a.a.O., und B.v. 10.1.2013, 4 B 48/12 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit seinem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013, a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O., juris Rn. 40). Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich somit ausschließlich nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit.
Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber der Klägerin aufgrund zu erwartender und mit dem Vorhaben verbundener Lärmimmissionen nicht vor. Die im streitgegenständlichen Bescheid vom 22. September 2015 unter II. Nr. 1 bis 39 festgesetzten Nebenbestimmungen sind geeignet, unzumutbare Störwirkungen des Vorhabens gegenüber der Klägerin zu vermeiden. Die festgesetzten Auflagen sind auch nicht so gefasst, dass eine Einhaltung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte von vorneherein ausgeschlossen oder unwahrscheinlich wäre. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch eine stark individualisierte, „maßgeschneiderte“ Baugenehmigung mit zahlreichen Nebenbestimmungen, die dazu dienen, ein Vorhaben an eine ungeeignete Umgebung anzupassen, ist vorliegend nicht anzunehmen.
Von dem streitgegenständlichen Vorhaben waren im Hinblick auf die genehmigte Nutzung und dem damit zu erwartenden Verkehrsaufkommen keine für die Klägerin unzumutbaren Lärmimmissionen zu erwarten.
Zur Bestimmung der Grenze dessen, was im Rahmen des Rücksichtnahmegebots einem Nachbarn an Einwirkungen in Form von Lärmimmissionen zugemutet werden kann, kann im Regelfall auf die Begriffsbestimmungen und Maßstäbe des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) zurückgegriffen werden (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2011, 14 AS 11.2305 – juris Rn. 29), in dem die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein festgesetzt sind (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999, 4 C 6/98 – juris; VG München, U.v. 26.7.2011 – M 1 K 11.2366 – juris Rn. 26). Lärmimmissionen können unzumutbar sein, sofern sie nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG). Dabei wird der Schutz nicht nur im bauplanungsrechtlich selben Gebiet vermittelt, sondern auch für die außerhalb des Baugebiets liegende Umgebungsbebauung. Die Baugenehmigungsbehörde hat bei der Prüfung, ob und inwieweit von einer Anlage Immissionen ausgehen können, der Reichweite der Immissionen nachzugehen. Was an Lärmimmissionen hinzunehmen ist, lässt sich dabei für Gewerbelärm anhand der Immissionsrichtwerte der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BImSchG, der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) ermitteln; diese konkretisiert das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. Die TA Lärm ist auch geeignet für die Beurteilung von Anlagen, bei denen die Geräusche vornehmlich in den Ruhezeiten und den Nachtstunden durch menschliches Verhalten einschließlich des An- und Abfahrtverkehrs hervorgerufen werden (vgl. BayVGH, U.v. 29.7.2002, 1 B 98.3159 – juris Rn. 55).
Nach Nr. 6.1 der TA Lärm werden die Immissionsrichtwerte für die durch die Anlagengeräusche an den repräsentativen Immissionsorten hervorgerufenen Beurteilungspegel entsprechend der bestehenden bauplanungsrechtlichen Festsetzungen festgelegt. Der vom Beklagten in der Auflage Nr. 23 des streitgegenständlichen Bescheids festgesetzte Immissionsrichtwert von 54 dB(A) tags und 42 dB(A) nachts für das Grundstück der Klägerin entspricht den beiden für die Aufstellung des Bebauungsplans gefertigten Gutachten bzw. schalltechnischen Untersuchungen, deren Aussagen und Werte auch für das Baugenehmigungsverfahren herangezogen werden können, nachdem die Begutachtungen sich ausdrücklich und ausschließlich auf das Vorhaben des Beigeladenen zu 1) beziehen und der Bebauungsplan keine anderen Bau- oder Gewerbeflächen vorsieht, die weiter zu berücksichtigen wären.
An der inhaltlichen Richtigkeit und der ordnungsgemäßen Ermittlung der Werte der Gutachten hat das Gericht keine Zweifel. Die Rechtmäßigkeitsmängel der Bebauungspläne betreffen – wie oben dargelegt – nur formale Aspekte, nicht aber die Inhalte der Gutachten. Die festgelegten Immissionsorte (IO 6 in der schalltechnischen Untersuchung … vom 17. April 2014 und IO 4 im Gutachten … vom 5. Februar 2015) begegnen keine Bedenken und sind von der Klägerseite auch nicht konkret in Frage gestellt worden. Die Berechnungsannahmen legen das Genehmigungsvorhaben mit dessen Baulichkeit und Betriebsbeschreibung und realistische, fachlich begründete Lärmparameter und -prognosen zugrunde und berücksichtigen auch den dem Vorhaben zuzurechnenden Verkehrslärm nach den Vorgaben der TA Lärm korrekt. Auch bei Zugrundelegung der schärferen, für die Klägerin günstigeren Annahmen der schalltechnischen Untersuchung … im Vergleich zum Gutachten des Büros … (Abfahrt sämtlicher Besucher einer Veranstaltung und des Personals in der lautesten Nachtstunde, zusätzlich Lieferverkehr durch den Cateringservice in der lautesten Nachtstunde) ergibt sich mit 33,3 dB(A) tags und 32,9 dB(A) nachts eine deutliche Unterschreitung der zulässigen Lärmwerte bei der Klägerin. Selbst bei der Annahme von geöffneten Terrassentüren (was durch eine entsprechende Auflage im angefochtenen Bescheid jedoch ab 22 Uhr untersagt ist) ergäbe sich mit 42,3 dB(A) nachts nur eine eher geringfügige Überschreitung von 0,3 dB(A). Realistischer und deshalb heranzuziehen sind nach Ansicht der Kammer die Annahmen des Gutachtens des Büros … (Abfahrt nur der Hälfte der Besucher in der lautesten Nachtstunde, keine Abfahrt von Personal in dieser); danach sind die Lärmwerte des Gastronomiebetriebs auf dem Grundstück der Klägerin mit 42,6 dB(A) tags und 35,6 dB(A) nachts rechnerisch ganz deutlich und mit erheblichem Puffer eingehalten.
Bei der Berechnung der zu erwartenden Lärmimmissionen wurde auch der der gastronomischen Nutzung zuzurechnende Lärm, der durch Gaststättenbesucher auf dem Weg zu und von der Gaststätte entsteht (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 61), insbesondere der Parklärm auf dem Vorhabengrundstück, berücksichtigt. Ebenfalls wurden Raucher als unmittelbare Folge der Betriebsführung der gastronomischen Nutzung betrachtet (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2012, a.a.O.). Der Verkehrslärm auf öffentlicher Straße einschließlich der Parkgeräusche auf der öffentlichen Straße, der durch das Vorhaben ausgelöst wird, wurde dabei zu Recht nicht in Form eines zuzurechnenden Lärmpegels berücksichtigt. Nr. 7.4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 TA Lärm sieht für Verkehrsgeräusche auf öffentlichen Verkehrsflächen eine andere Art der Berücksichtigung vor. Danach sollen insoweit Maßnahmen organisatorischer Art ergriffen werden zur Minderung des Lärms, soweit die weiteren Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 23.11.2016, 15 CS 16.1688 – juris Rn. 29). Beide Gutachten stimmen darin überein, dass diese weiteren fachlichen Voraussetzungen hier nicht gegeben sind. Diese Voraussetzungen sieht auch das Gericht als nicht erfüllt an. Da das Vorhaben direkt neben der Kreisstraße … liegt, findet zumindest eine sofortige Vermischung des Anfahrts- bzw. Abfahrtsverkehr mit dem allgemeinen Durchfahrtsverkehr statt und ist die Voraussetzung des 2. Spiegelstrichs somit nicht erfüllt.
Nach den gutachterlichen Aussagen bleibt die tatsächliche Belastung für die Klägerin derart weit hinter den Immissionsrichtwerten zurück, dass eine Überschreitung des Richtwerts bei baugenehmigungskonformer Nutzung des Vorhabens ausgeschlossen werden kann. Bei der Lärmbetrachtung ist zu berücksichtigen, dass eine Verdoppelung der Schallquellen einer Erhöhung um 3 dB(A) entspricht, sodass erst eine Verdreifachung des Lärms an die Lärmrichtwerte annähernd heranreichen würde. Angesichts dieses großen Puffers, der sich aus der Berechnung ergibt, und einer Entfernung von 120m bis 150m zwischen den beiden Anwesen, kann eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aufgrund der Geräuschentwicklung bei genehmigungskonformer Nutzung zu Lasten der Klägerin ausgeschlossen werden.
Die verfügten Nebenbestimmungen und die Zwangsgeldandrohungen im angefochtenen Bescheid stellen ausreichend sicher, dass die Lärmwerte eingehalten und notfalls zwangsweise umgesetzt werden können. Es wurden keine Einschränkungen vom Beklagten verfügt, die von vornherein unmöglich einzuhalten oder unmöglich zu kontrollieren sind. Zwar wurde in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass sich der Beigeladene zu 1) bislang wohl nicht mit der nötigen Sorgfalt und Nachhaltigkeit um die Einhaltung der Auflagen kümmert, insbesondere keine Vorkehrungen und Überwachungen hinsichtlich der Lautstärke von auftretenden Musikgruppen getroffen hat, ein entsprechendes Messgerät vor Ort nicht vorhält (vgl. Auflage Nr. 25), Unterweisungen und Kontrollen der Gäste nur ungenügend erfolgen (vgl. Auflage Nr. 4, 5 und 27). Auch legt die Internetpräsenz (Fotos von auf dem Grundstück errichteten Zelten, Nutzung der Rasenfläche durch Sportwagen, Nutzung des Gartenteichs als Swimmingpool und Flanierbereich) nahe, dass auch baurechtlich nicht genehmigte Flächen des Grundstücks gastronomisch mitgenutzt werden. Den Überschreitungen des baurechtlich oder sonst genehmigten Rahmens ist jedoch zunächst durch entsprechende Kontrollen und Vollzugsmaßnahmen zu begegnen. Auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung wirken Verstöße des Betreibers einer Gaststätte gegen die Bauauflagen zunächst nicht zurück (vgl. auch BayVGH, B.v. 18.7.2016, 9 CS 16.858), eventuell in der Folge über ein Widerrufsverfahren wegen Nichteinhaltung von Auflagen.
Zum einen ist für die Prüfung der hier zu entscheidenden Anfechtungsklage des Nachbarn rechtlich auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung als letzter Behördenentscheidung abzustellen. In diesem Zeitpunkt waren entsprechende Auflagen- und Verhaltensverstöße nicht konkret absehbar oder wahrscheinlich. Die Baugenehmigung stellt außerdem eine anlagenbezogene und keine personenbezogene Genehmigung dar. Für die Genehmigungserteilung hat die Genehmigungsbehörde zwar zu hinterfragen und zu berücksichtigen, ob die verfügten Nebenbestimmungen, die die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme zugunsten der Nachbarn gewährleisten sollen, objektiv auch eingehalten werden können oder ob ein unrealistisches Nutzerverhalten zugrunde gelegt wird oder vom Bauherrn objektiv nicht machbare Kontrollmaßnahmen abverlangen werden. Die verfügten Nebenbestimmungen sind vorliegend aber grundsätzlich (objektiv) einhaltbar und auch nicht realitätsfern oder von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Sie sind auch ausreichend bestimmt und damit vollumfänglich, wenn auch mit einigem, allerdings keinem unverhältnismäßigen Aufwand, kontrollierbar. Dies gilt insbesondere für die Bestimmung Nr. 25 (Begrenzung des mittleren Schalldruckpegels auf 90 dB(A)) und Nr. 33 und Nr. 35 (Veranstaltungen im geschlossenen Raum nach 22.00 Uhr, keine Nutzung der Terrasse nach 22.00 Uhr). Es handelt sich dabei nicht um „maßgeschneiderte Auflagen“ zur Herstellung einer an sich nicht bestehenden Genehmigungsfähigkeit. Darüber hinaus wurden im Genehmigungsbescheid für den Fall der Zuwiderhandlung zum Teil Zwangsgelder angedroht und die wesentlichen Nebenbestimmungen zum Immissionsschutz vertraglich zusätzlich über Vertragsstrafen abgesichert, so dass die Einhaltung der Festsetzungen zusätzlich rechtlich abgesichert wurden. Dennoch auftretenden Überschreitungen kann und muss zunächst im Vollzugswege begegnet werden. Verstöße gegen geeignete und erfüllbare Nebenbestimmungen berühren die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung aber also solche nicht (vgl. VG Würzburg, U.v. 25.8.2015, W 4 K 14.451 – juris).
3. Die Kostenentscheidung der erfolglosen Klage beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem sich der Beigeladene zu 1) mit seiner Antragstellung dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihm seine außergerichtlichen Kosten von der unterliegenden Seite ersetzt werden. Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt, sodass es angemessen ist, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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