Baurecht

Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Vorbescheids, nicht qualifiziert überplanter Innenbereich, Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung, Festlegung der näheren Umgebung, Aneinandergrenzen einheitlich geprägter Komplexe unterschiedlicher Bau- und Nutzungsstrukturen (verneint), Dachform kein im Rahmen des § 34 BauGB berücksichtigungsfähiges Kriterium

Aktenzeichen  M 8 K 21.3496

Datum:
16.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13733
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5
BayBO Art. 71
Halbsatz 1 BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Vorbescheid der Beklagten vom 31. Mai 2021, Az. …, wird hinsichtlich Frage 1 aufgehoben. Die Beklagte wird hinsichtlich der Frage 1 des Vorbescheidsantrags vom 25. Januar 2021 (Eingang bei der Beklagten am 27. Januar 2021, Plan-Nr. …) verpflichtet, diese Frage positiv zu beantworten.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die Klage ist in ihrem Hauptantrag zulässig und begründet.
Der Vorbescheid vom 31. Mai 2021 war hinsichtlich der Frage 1 aufzuheben und die Beklage zu verpflichten, diese Frage positiv zu beantworten. Ihre negative Beantwortung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil ihm ein Anspruch auf eine positive Beantwortung aus Art. 71 Satz 1, Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO ist vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens vorweg ein Vorbescheid zu erteilen. Als feststellender Verwaltungsakt stellt der Vorbescheid im Rahmen der vom Bauherrn gestellten Fragen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der Prüfung im Rahmen des einschlägigen Genehmigungsverfahrens sind, fest. Er entfaltet insoweit während seiner Geltungsdauer – in der Regel drei Jahre (Art. 71 Satz 2 BayBO) – Bindungswirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren.
Nach Art. 71 Satz 4 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist eine zulässige Vorbescheidsfrage positiv zu beantworten und der begehrte Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben, soweit seine Zulässigkeit mit dem Vorbescheid abgefragt wird, keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind.
Der Kläger hat einen Anspruch auf positive Verbescheidung der Vorbescheidsfrage Nr. 1, weil sich das Vorhaben in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO i.Vm. §§ 34 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch – BauGB).
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils nur zulässig, wenn es sich – u.a. – hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein rahmenwahrendes Vorhaben kann ausnahmsweise unzulässig sein, wenn es nicht die gebotene Rücksicht auf die Bebauung in der Nachbarschaft nimmt. Umgekehrt fügt sich ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ausnahmsweise ein, wenn es bodenrechtlich beachtliche Spannungen weder herbeiführt noch erhöht (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris Rn. 47; U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 15 ZB 20.280 – juris Rn. 7; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – juris Rn. 40).
1. Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die Eigenart der näheren Umgebung. Welcher Bereich für das in Rede stehende Merkmal des Maßes der baulichen Nutzung als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, wie weit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits sich diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – juris Rn. 33; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 10; B.v. 20.8.1998 – 4 B 79.98 – juris Rn. 7; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 9; B.v. 27.3.2018 – 4 B 60.17 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 7.3.2011 – 1 B 10.3042 – juris Rn. 22), wobei darauf abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2018 – 4 B 60.17 – juris Rn. 7). Daraus folgt, dass nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft des Baugrundstücks zu berücksichtigen ist, sondern auch die Bebauung der weiteren Umgebung insoweit berücksichtigt werden muss, als auch diese noch prägend auf das Baugrundstück einwirkt (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – juris Rn. 33). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21; B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4). Dabei ist jedoch die maßgebliche nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97 – juris Rn. 5; B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13). Bei der überbaubaren Grundstücksfläche sowie dem Maß der baulichen Nutzung ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 7.0.2011 – 1 B 10.3042 – juris Rn. 22; B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21 m.w.N.; B.v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris Rn. 18; VGH BW, U.v. 23.9.1993 – 8 S 1281/93 – juris Rn. 22; B. v. 15.12.2005 – 5 S 1847/05 – juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, U.v. 13.3.2013 – 10 B 4.12 – juris Rn. 39; OVG NW, U.v. 16.11.2001 – 7 A 1143/00 – juris Rn. 29; U.v. 9.9.2010 – 2 A 508/09 – juris Rn. 37). Entscheidend ist aber auch hier, wie weit die wechselseitigen Auswirkungen im Verhältnis von Vorhaben und Umgebung im Einzelfall reichen (vgl. OVG Münster, U.v. 1.3.2017 – 2 A 46/16 – juris Rn. 35 m.w.N). In der Regel gilt jedoch bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25; B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; B.v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 5; U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 16 f.; OVG Koblenz, U.v. 8.3.2017 – 8 A 10695/16 – Rn. 30).
2. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe und nach den im Rahmen des gerichtlichen Augenscheins getroffenen Feststellungen, der in den Akten befindlichen Lagepläne und über das Internet zugänglichen Luftbilder („Google maps“ und „Bayern Atlas“) ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass vorliegend als maßgeblicher Bereich für die Beurteilung des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht nur auf die Bebauung abzustellen ist, die in dem durch die H1. Straße, die H1. straße und die H1. straße gebildeten Geviert liegt, sondern – dem o.g. Grundsatz entsprechend – auch auf die Bebauung auf der dem Vorhaben gegenüberliegenden Seite der H1. straße.
a) Der H1. straße kommt im maßgeblichen Bereich, gemessen an ihrer Breite und Verkehrsauslastung, keine trennende Wirkung zu (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40/87 – juris Rn. 23; B.v. 11.2.2000 – 4 B 1/00 – juris Rn. 18; B.v. 18.7.2018 – 4 B 27.18 – juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 23; B.v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris Rn. 6). Bei dieser handelt es sich nach den vorliegenden Bauvorlagen und den im Augenschein getroffenen Feststellungen um eine Wohn straße in Form einer Einbahnstraße, die zum Zeitpunkt des Augenscheins wenig befahren war (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 19.7.2018 – 4 B 27.18 – juris Rn. 4; U.v. 15.12.1994 – 4 C 13/93 – juris Rn. 15). Sie weist beidseits jeweils schmale Gehwege sowie Grünstreifen mit Parkbuchten, ihr Breite beträgt insgesamt, d.h. mit den vorgenannten Grünstreifen und Gehwegen, etwa 12 m.
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt die Bebauung im Quartier nördlich der H1. straße auch keine Bebauungsstruktur erkennen, der sich deutlich von derjenigen des Gevierts unterscheidet, in welches das Baugrundstück eingebettet ist.
Die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung kann zwar auch dort zu ziehen sein, wo jeweils einheitlich geprägte Komplexe mit voneinander verschiedenen Bebauungs- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; OVG NW, U.v. 6.3.2015 – 7 A 1777/13 – juris Rn. 32 BVerwG, B.v. 29.4.1997 – 4 B 67.97 – juris LS 1, Rn. 4 ff.; B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris OS und Rn. 2; BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – juris Rn. 22; B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 1; B.v. 19.4.2017 – 9 ZB 15.1590 – juris Rn. 5), insoweit also ein klarer Strukturschnitt zu erkennen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) „entkoppelt“ ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion. Umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (vgl. BVerwG, B.v. 10.6.1991 – 4 B 88.91 – juris Rn. 3; B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2 m.w.N.).
Ein solcher klarer Strukturschnitt zwischen der Bebauung nördlich der H1. straße einerseits und der Bebauung südlich der H1. straße – jeweils Wohnnutzung – ist nach den Augenscheinsfeststellungen des Gerichts nicht erkennbar.
Es liegen keine jeweils einheitlich geprägten Komplexe unterschiedlicher Baustrukturen vor. Die Bebauung südlich der H1. straße, innerhalb des durch diese, die H1. Straße und die H1. straße gebildeten Quartiers, ist zwar von zweigeschossiger Bebauung geprägt, während nördlich der H1. straße auch dreigeschossige Bebauung vorhanden ist. Der Bereich nördlich der H1. straße ist jedoch nicht einheitlich geprägt, sondern weist – wie einerseits die Einzeichnungen im amtlichen Lageplan sowie die allgemein zugänglichen Luftbilder im Internet („Google maps“) erkennen lassen und sich andererseits im gerichtlichen Augenschein bestätigt hat – eine heterogene Bebauungsstruktur auf. Neben dreigeschossigen Gebäuden (z.B. H1. straße 67, 75, 77) mit – im Vergleich zum Quartier südlich der H1. straße – größeren Grundflächen (z.B. H1. straße 67) und zweigeschossiger Bebauung mit ebenfalls größerer Grundfläche (z.B. H1. straße 69) ist auch Bebauung niedriger Geschossigkeit und Kubatur vorhanden (z.B. H1. Straße 91, H Straße 6). Eine klare städtebauliche Zäsur zwischen der Bebauung nördlich und südlich der H1. straße ist insoweit nicht ables- bzw. wahrnehmbar.
3. Ist damit als nähere Umgebung nicht nur das von der H1. straße, der H1. Straße und der H1. straße gebildete Geviert, sondern auch die dem Vorhaben gegenüberliegende Bebauung auf der Nordseite der H1. straße bei der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 BauGB zu berücksichtigen, wahrt der vom Kläger geplante Baukörper insoweit den durch die Eigenart der näheren Umgebung bestimmten Rahmen im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und lässt es auch nicht an der gebotenen Rücksichtnahme gegenüber der vorhandenen Bebauung fehlen (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 17).
a) Die Eigenart der näheren Umgebung wird durch dasjenige bestimmt, was auf dem Baugrundstück selbst und in der maßgeblichen näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2009 – 4 B 50.08 – juris Rn. 6; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 10). Für die Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung ist insofern alles an Bebauung in den Blick zu nehmen, was tatsächlich vorhanden ist und nach außen wahrnehmbar in Erscheinung tritt (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18.92 – juris Rn. 7; U.v. 16.6.2009 – 4 B 50.08 – juris Rn. 6, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 13); außer Acht gelassen darf lediglich, was die Bebauung nicht prägt, weil es nicht die Kraft hat, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – juris Rn. 13; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 13).
Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung – mithin vorliegend nicht einschlägig – zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17 m.w.N.). Dabei ist kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abzustellen. Die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Maßfaktor genügt nicht, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. Dies widerspräche der planersetzenden Funktion des § 34 Abs. 1 BauGB, eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zu gewährleisten (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 20). Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO), sondern erzielen ihre optische maßstabbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Leitsatz 2, Rn. 20 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18.92 – juris Rn. 7).
b) Nicht maßgeblich für die Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB – sowohl mit Blick auf die Frage des Einfügens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB als auch hinsichtlich des Ortsbildes i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB – ist hingegen die Frage der Dachform (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – juris Rn. 20 ff.; BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 27 f.). Daher kann die beantragte Dachform nicht die Unzulässigkeit eines Bauvorhabens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB begründen. Ebenso wenig können mögliche Auswirkungen der Dachbauweise auf das Ortsbild zu einer Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB führen.
§ 34 BauGB stellt eine planersetzende Vorschrift dar und regelt die Bebaubarkeit der innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils gelegenen Grundstücke, wenn kein Bebauungsplan besteht. Im Rahmen der Zulässigkeitsmerkmale des § 34 Abs. 1 BauGB kann daher nicht mehr geregelt werden als in einem Bebauungsplan selbst. Dachformen oder Einzelheiten der Dachgestaltung können zwar bauordnungsrechtlich geregelt, nicht aber gemäß § 9 Abs. 1 BauGB in einem Bebauungsplan festgesetzt werden (BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – juris Rn. 20 ff.; BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 27 f.). Dementsprechend sind (bauordnungsrechtliche) Fragen der Dachgestaltung – insbesondere der Dachform – keine geeigneten Merkmale für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 34 Rn. 38 m.w.N.).
c) Auch auf die Vereinbarkeit des beantragten Vorhabens mit § 4 Abs. 1 und 3 der Verordnung der Beklagten über Mindestabstandsflächen, Höhenlage von Gebäuden, Gestaltung von Dächern und von unbebauten Flächen bebauter Grundstücke in besonderen Siedlungsgebieten (Besondere Siedlungsgebieteverordnung) kommt es im vorliegenden Fall, in dem es – entsprechend der Fragestellung des Klägers in dem von ihm beantragten Vorbescheid – lediglich um Frage 1 und damit die Beurteilung des Bauvorhabens im Hinblick auf das Maß seiner baulichen Nutzung geht, nicht an.
d) Mit Blick auf die (abgefragte und verfahrensgegenständliche) planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich des Maßes seiner baulichen Nutzung konnte sich das Gericht beim Augenschein davon überzeugen, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben jedenfalls in der Bebauung des Grundstücks H1. straße 67 ein Vorbild im Hinblick auf die o.g. maßgeblichen Referenzkriterien findet. Das Gebäude H1. straße 67 verfügt über drei Geschosse und eine Grundfläche, die über die Grundfläche des geplanten Baukörpers deutlich hinausgeht. Die geplante Baukörpergröße, die insbesondere in der Geschossigkeit und der Grundfläche ihren Ausdruck findet, bleibt hinsichtlich dieser beiden Maßkriterien in dem Rahmen, der auch durch das Gebäude H1. straße 67 gebildet wird.
e) Darüber hinaus ist das vom Kläger geplante Vorhaben auch hinsichtlich des Verhältnisses von bebauter Fläche zu Freifläche mit der in der maßgeblichen, oben bestimmten näheren Umgebung tatsächlich vorhandenen Bebauung vergleichbar.
Bei dem im Rahmen des Maßes der baulichen Nutzung zu prüfenden Verhältnisses von Freifläche zu bebauter Fläche sind dabei nicht nur die Referenzobjekte, sondern die gesamte maßgebliche nähere Umgebung zu betrachten (vgl. VG München, U.v. 9.11.2020 – M 8 K 20.2917 – juris Ls., Rn. 43).
Um zu ermitteln, ob eine vergleichbare „Bebauungsdichte“ vorliegt, sind insbesondere auch die Abstände der Gebäude zueinander heranzuziehen (vgl. VG München, U.v. 9.11.2020 – M 8 K 20.2917 – juris), zumal hier angesichts unterschiedlicher Grundstückszuschnitte kein Vergleich anhand einer Maßzahl erfolgen kann. Zu berücksichtigen sind grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen zu dienen bestimmt sind, nicht aber etwa befestigte Freiflächen, die allenfalls Nebenanlagen von untergeordneter Bedeutung aufweisen, oder Nebenanlagen. Diese haben daher auch keine maßstabsbildende Bedeutung (BVerwG, B.v. 22.7.2004 – 4 B 29/04 – juris Rn. 3; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – juris m.w.N.; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 11; VG München, U.v. 25.10.2004 – M 8 K 03.5352 – juris Rn. 24).
Mit Blick auf die Hauptnutzungen ist festzustellen, dass der Abstand zwischen den Gebäuden H1. straße 78/78a und H1. straße 78b/80 vergleichbar ist (ca. 7 m, gemessen aus dem amtlichen Lageplan). Auch der bisherige Abstand der Bestandsbebauung, gemessen ab dem eingeschossigen Anbau, der nach Aktenlage für eine Hauptnutzung genehmigt wurde, zum Nachbargebäude H1. straße 78 weist einen vergleichbaren Abstand auf (ca. 6,5 m bis 7 m, abgegriffen aus dem am amtlichen Lageplan). Darüber hinaus ist auch der Abstand zwischen Neubebauung auf dem Grundstück H1. straße 75 und H1. Straße 95 in vergleichbarer Weise bereits in der maßgeblichen näheren Umgebung vorhanden (z.B. H1. straße 2 und H1. straße 80).
f) Das Vorhaben erweist sich mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung auch nicht als unzumutbar und damit rücksichtslos gegenüber der Nachbarbebauung.
Das Rücksichtnahmegebot geht im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des Einfügens auf (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 32; B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 27.3.2018 – 4 B 50.17 – juris Rn. 4), sodass die Frage nach dem Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht unabhängig von der Wahrung des Rücksichtnahmegebots beantwortet werden kann (BVerwG, U.v. 4.7.1980 – IV C 101.77 – juris Rn. 13; B.v.11.1.1999 – 4 B 128/98 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3).
Für eine Rücksichtslosigkeit hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Der Eigentümer des südlich angrenzenden Grundstücks H1. Straße 95 (FlNr. … Gem. …*) hat zudem dem Vorhaben zugestimmt (Art. 71 Satz 4, Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO).
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.

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