Aktenzeichen M 11 K 15.3923
BayBO 1901 § 1 Abs. 3
BauGB § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5, Nr. 7, § 233 Abs. 3
BBauG 1960 § 173 Abs. 3
Leitsatz
1. Unter den Begriff der Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB fallen nur bauliche Anlagen, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter mitzuprägen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine von der geschlossenen Ortslage abgesetzte Streubebauung ist an sich grundsätzlich unorganisch und verstößt gegen die Anforderungen an eine geordnete Siedlungsstruktur und damit gegen öffentliche Belange. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bereits die erste Errichtung eines Wohngebäudes im Außenbereich kann den Vorgang der Zersiedelung einleiten, unerwünschte Vorbildfunktion haben und damit die Befürchtung begründen, dass eine Splittersiedlung entstehen wird. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
Der Bescheid des Beklagten vom 12. August 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlage nach den §§ 29 bis 38 BauGB.
Danach war die beantragte Baugenehmigung nicht zu erteilen, da das beantragte Vorhaben, unabhängig davon, ob der Baulinienplan „… Ausgleichsfonds“ (noch) wirksam ist oder nicht (dazu unter 1.), bauplanungsrechtlich unzulässig ist, da das Grundstück jedenfalls im Außenbereich liegt und ihm als nicht privilegiertem Vorhaben öffentliche Belange entgegenstehen (dazu unter 2.)
1. Der Baulinienplan „… Ausgleichsfonds“ („Plan“) steht einer Bebauung des streitgegenständlichen Grundstücks entgegen.
Bei dem Plan handelt es sich um einen nach § 233 Abs. 3 BauGB i. V. m. § 173 Abs. 3 BBauG 1960 übergeleiteten Plan, der heute grundsätzlich als einfacher Bebauungsplan i. S. v. § 30 Abs. 3 BauGB weiterhin gilt. Verfahrensverstöße bei der Aufstellung des Plans sind nicht ersichtlich. Nach einer Abschrift des zuständigen Bezirksamts … (vgl. § 58 Abs. 2 Nr. 2 BayBO 1901) vom 22. Februar 1924 wurde der Plan genehmigt, was durch den Bescheid No. … an den … Ausgleichsfonds datiert vom 4. August 1925 bekräftigt wird.
Materiell-rechtlich steht der Plan dem Vorhaben des Klägers allerdings entgegen. Zwar liegt das Grundstück des Klägers nicht innerhalb der gelb umrandeten Grundstücke des … Ausgleichsfonds, jedoch markieren die gelben Umrandungen keineswegs den ausschließlichen Anwendungsbereich des Plans.
Hierfür sprechen zwei gewichtige Punkte: Zum einen enthält der Plan an zahlreichen Stellen Festsetzungen bezüglich der Vorgarten- und Straßenbegrenzungslinie – insbesondere im Bereich der Grundstücke Fl. Nr. …, an der …straße und am Grundstück Fl. Nr. … an der …gasse – die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit Grundstücken im Eigentum des … Ausgleichsfonds stehen. Darüber hinaus, und dies wiegt in der vorliegenden Konstellation noch wesentlich schwerer, bestehen für das Grundstück Fl. Nr. … auch Festsetzungen von Baugrenzen, obwohl dieses Grundstück ebenfalls nicht gelb umrandet ist, da es nicht im Eigentum des … Ausgleichsfonds steht. Diese beiden Punkte sprechen gegen die Annahme, der Plan sei nur für die Grundstücke im Eigentum des … Ausgleichsfonds (gelb umrandet) anwendbar. Nachdem der Plan anwendbar ist, schließt er die Bebauung des Grundstücks des Klägers Fl. Nr. … aus. Bebauung ist nach dem Plan ausschließlich in den dort ausgewiesenen Baufenstern zulässig, die durch die Eingrenzung der Flächen mittels vorderer, seitlicher und rückwärtiger Baugrenzen gebildet werden. Hierfür spricht auch, dass nach § 1 Absatz 3 BayBO 1901 vor der Erteilung einer Baugenehmigung Baulinien festzusetzen sind. Für das streitgegenständliche Grundstück ist gerade kein solches Baufenster festgesetzt.
Selbst wenn man dem Vortrag des Klägers folgend davon ausgeht, dass der Plan keine Festsetzungen für das streitgegenständliche Grundstück enthält, ergibt sich aus dem Plan kein Baurecht für den Kläger. Dann beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens des Klägers ausschließlich nach den §§ 34 oder 35 BauGB. Selbiges gilt, wofür im Übrigen einiges spricht, wenn der Plan in Folge einer derart starken Abweichung der aktuellen tatsächlichen Verhältnisse von den im Plan vorgesehenen Verhältnissen inzwischen funktionslos geworden ist.
2. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nicht zulässig, da das streitgegenständliche Grundstück im Außenbereich nach § 35 BauGB liegt, das Vorhaben nicht privilegiert ist und ihm öffentliche Belange entgegenstehen.
Ein Vorhaben liegt im Außenbereich, wenn es nicht Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des§ 34 Abs. 1 BauGB ist. Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist ausschlaggebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung, trotz etwa vorhandener unbebauter, aber bebauungsfähiger Grundstücke oder freier Flächen, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit (Steilhang) einer Bebauung entzogen sind, den Eindruck der Geschlossenheit vermittelt (BVerwGE 41, 227 (233)). Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U. v. 14.11.1991 – 4 C 1.91).
Die Außenbereichslage ergibt sich aus dem Umstand, dass das streitgegenständliche Grundstück nicht von drei Seiten bebaut ist, es liegt vielmehr in einem großen unbebauten Bereich, bestehend aus den Grundstücken Fl. Nr. … selbst und den südlich/süd-westlich gelegenen Grundstücken Fl. Nr. …, …, … und Fl. Nr. … (östlich der …straße). Weiterhin ist ein Großteil des Grundstücks Fl. Nr. …, das ebenfalls südlich vom streitgegenständlichen Grundstück liegt, unbebaut. Lediglich das Grundstück Fl. Nr. … ist mit einem größeren Haus bebaut. Hingegen handelt es sich dem Steilhang östlich des streitgegenständlichen Grundstücks und der …straße um eine topografische Grenze. Nördlich des streitgegenständlichen Grundstücks liegt auf dem Grundstück Fl. Nr. …, an dessen nördlicher Spitze die …gasse in die …straße einmündet, ein großer unbefestigter Parkplatz, der nicht am Bebauungszusammenhang teilnimmt, da es sich bei ihm nicht um eine Anlage handelt, die prägend für den Bebauungszusammenhang sein kann. Unter den Begriff der Bebauung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB fallen nur bauliche Anlagen, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter mitzuprägen (vgl. BVerwG, U. v. 19.04.2012 – 4 C 10/11 – juris Rn. 13). Der Parkplatz stellt auch keine topografische Grenze dar, da der Geländeunterschied von ca. 2 bis 3 Metern hierfür nicht ausreicht. Die (nord-)westlich vom streitgegenständlichen Grundstück gelegenen Grundstücke Fl. Nr. … und … sind zwar bebaut, liegen aber derart weit vom streitgegenständlichen Grundstück entfernt, dass sie dieses nicht mehr prägen können.
Dem nicht privilegierten Vorhaben steht der öffentliche Belang der Befürchtung der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB entgegen. Eine Splittersiedlung ist eine zusammenhanglose, unorganische Streubebauung. Eine von der geschlossenen Ortslage abgesetzte Streubebauung ist an sich grundsätzlich unorganisch und verstößt gegen die Anforderungen an eine geordnete Siedlungsstruktur und damit gegen öffentliche Belange (BVerwG, U. v. 27.8.1998 – 4 C 13/97 – juris). Einem Vorhaben steht der Belang des Entstehens einer Splittersiedlung dann entgegen, wenn das Vorhaben zum Bestehen einer unerwünschten Splittersiedlung führen würde. Unerwünscht in diesem Sinne ist eine Splittersiedlung schon dann, wenn mit ihr die Zersiedelung eingeleitet wird (BVerwG, U. v. 19.10.1966 – 4 C 16/66 – juris). Dies ist bei der Errichtung von Wohnbauten regelmäßig der Fall (BVerwG, U. v. 19.4.2012 – 4 C 10/11 – juris). Bereits die erste Errichtung eines Wohngebäudes im Außenbereich kann den Vorgang der Zersiedelung einleiten, unerwünschte Vorbildfunktion haben und damit die Befürchtung begründen, dass eine Splittersiedlung entstehen wird (BVerwG, Beschluss vom 8.4.2014 – 4 B 5/14 – juris). So ist es auch vorliegend. Insbesondere ist offensichtlich und vom Kläger in der mündlichen Verhandlung auch vorgetragen, dass es sich bei den drei Grundstücken Fl. Nr. …, …, … um Grundstücke handelt, die vom Vater des Klägers als „Bauland“ an seine Kinder übertragen wurden und damit auch Bebauungsansprüche für die Grundstücke Fl. Nr. … und … nahe liegen.
Darüber hinaus steht auch der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegen, da sich über das streitgegenständliche Grundstück das Landschaftsschutzgebiet nordöstlich der …straße in die Ortschaft hinein dergestalt erstreckt, dass es sich beim streitgegenständlichen Grundstück zwar nicht um ein Landschaftsschutzgebiet handelt, dieses aber dadurch, dass es zusammen mit den umliegenden unbebauten Grundstücken eine natürliche Prägung hat, naturbelassene Landschaft darstellt.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Absatz 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.