Aktenzeichen 1 AS 16.812
Leitsatz
Besondere örtliche Verhältnisse iSd TA Lärm, welche eine Verschiebung der Nachtzeiten um eine Stunde zulassen, scheiden stets aus, wenn die in einem reinen oder allgemeinen Wohngebiet lebende Bevölkerung erwarten darf, ungestörten Schlaf bereits ab 22:00 Uhr zu finden (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 42078). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide des Landratsamts Starnberg vom 18. Juli 2014 und vom 28. September 2015 wird insoweit angeordnet, als für die Zeit vom 15. Mai bis zum 31. August eines jeden Jahres das Ende der Betriebszeit auf 23:00 Uhr festgelegt wird und in der „Auflage 84“ Regelungen für den Betrieb zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr einschließlich der Ausgabe von Speisen und Getränken getroffen werden.
II.
Der Antragsgegner und die Beigeladenen – diese als Gesamtschuldner – tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, die Eigentümerin eines Wohngebäudes in der Nähe des Starnberger Sees ist und sich gegen den von der Freiluftgaststätte der Beigeladenen ausgehenden Lärm wehrt, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Änderungsgenehmigung, mit der das Landratsamt den Beginn der Nachtzeit von 22:00 Uhr auf 23:00 Uhr hinausgeschoben hat.
Die Beigeladenen betreiben auf dem Gelände eines kommunalen Freibads am Westufer des Starnberger Sees eine Freiluftgaststätte, die etwa 200 Gästen Platz bietet und die von der Uferpromenade aus über Treppenstufen zu Fuß zu erreichen ist. Rechtsgrundlage des Betriebs des „Kiosks“ auf dem Badegelände sind Baugenehmigungen aus den 1990er Jahren sowie der Widerspruchsbescheid aus dem Jahr 1992, die seit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1998 – 1 B 93.3369 – (BayVBl 1998, 753) bestandskräftig sind. Mit dieser Entscheidung hat der Senat die Berufungen einiger Anlieger zurückgewiesen, weil ihnen wegen der Randlage ihrer Grundstücke zum Außenbereich, in dem das Freibad liege, nicht das Schutzniveau eines reinen Wohngebiets, sondern nur ein Anspruch auf Einhaltung des Immissionsrichtwerts der TA Lärm für ein allgemeines Wohngebiet zustehe. Auch während der Nacht seien die Anlieger ausreichend vor Lärm geschützt, weil die Baugenehmigungen einen Betrieb nach 22:00 Uhr nicht zuließen.
Nachdem das Verwaltungsgericht der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 18. Juli 2014 stattgegeben hat, mit dem neben der Festsetzung von Immissionsrichtwerten und Regelungen zum Betriebsablauf der Beginn der Nachtzeit auf 23:00 Uhr in der Zeit vom 15. Mai bis 31. August eines jeden Jahres festgelegt wird, und die Beigeladenen die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt haben, beantragt die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen. Die Beigeladenen und der Antragsgegner widersetzen sich diesem Antrag.
II.
Da die Antragstellerin sich in ihrer Begründung allein gegen die mit der Verschiebung der Nachtzeit auf 23:00 Uhr verbundene Betriebszeitänderung wehrt, geht der als Gericht der Hauptsache für das Eilverfahren zuständige Senat davon aus, dass die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz nur gegen die insoweit einschlägigen Regelungen in den Bescheiden vom 18. Juli 2014 und vom 28. September 2015 begehrt. Der Antrag, die Verlängerung der Betriebszeit bis 23:00 Uhr auszusetzen, hat Erfolg, weil das Verwaltungsgericht nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung den Bescheid im Klageverfahren insoweit zu Recht aufgehoben hat. Denn die Verlängerung der Betriebszeit in den Abendstunden ist der Antragstellerin gegenüber nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB rücksichtslos. Die Voraussetzungen der auf die Freiluftgaststätte der Beigeladenen anwendbaren (1.) TA Lärm, unter denen das Hinausschieben der Nachtzeit zulässig ist, liegen nicht vor (2.).
1. Zwar ordnet Nr. 1 Abs. 2 Buchst. b der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – vom 26. August 1998 (GMBl S. 303) an, dass die TA Lärm nicht für Freiluftgaststätten gilt. Das ändert aber nichts daran, dass in Nummer 1 des Widerspruchbescheids vom 29. April 1992 bestandskräftig festgelegt ist, dass für den Betrieb des „Kiosks“ der Beigeladenen die Bestimmungen der TA Lärm vom 16. Juli 1968 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 137) gelten. Da die streitgegenständlichen Bescheide das Vorhaben nicht erstmalig genehmigen, sondern auf Antrag der Beigeladenen die Betriebszeit ändern, gelten, soweit in den angegriffenen Bescheiden nichts Abweichendes geregelt ist, die Festsetzungen der ursprünglichen Baugenehmigungen fort.
2. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen liegen die Voraussetzungen der TA Lärm für die Verschiebung der Nachtzeit nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob der Widerspruchsbescheid entsprechend seinem Wortlaut ausschließlich die Geltung der TA Lärm aus dem Jahr 1968 anordnet oder ob die Regelung als Verweisung auf die TA Lärm in ihrer jeweils gültigen Fassung zu verstehen ist. Denn beide Fassungen der TA Lärm (Nr. 2.321 TA Lärm 1968 bzw. Nr. 6.4 TA Lärm 1998) lassen eine Verschiebung der Nachtzeit um eine Stunde nur zu, wenn dies wegen der besonderen örtlichen Verhältnisse erforderlich und darüber hinaus eine achtstündige Nachtruhe der Nachbarschaft sichergestellt ist. Da die Festlegung der Nachtzeit die während der Nacht einzuhaltenden Immissionsrichtwerte bestimmt, die die TA Lärm entsprechend dem Schutzniveau der verschiedenen Gebietsarten festlegt, kommt es nicht darauf an, ob die Gaststätte der Beigeladenen in einem Gebiet liegt, das durch nächtliche Unterhaltungsaktivitäten geprägt wird, sondern darauf, ob in dem Gebiet, in dem das Wohnhaus der Antragstellerin liegt, derartige Nutzungen üblich sind, die zu einer Verlagerung der Schlafzeiten in diesem Gebiet führen können. Derartige „besondere örtliche Verhältnisse“ scheiden allerdings stets aus, wenn – wie hier – die in einem reinen oder allgemeinen Wohngebiet lebende Bevölkerung erwarten darf, ungestörten Schlaf bereits ab 22:00 Uhr zu finden (vgl. BayVGH, U. v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 – GewArch 2016, 204 Rn. 95 ff.). Entgegen der Auffassung der Beigeladenen hat das Verwaltungsgericht nicht allein darauf abgestellt, dass der Gartenbereich des Wohngrundstücks der Antragstellerin vor Lärmeinwirkungen nach 22:00 Uhr verschont bleibt, sondern auch darauf, dass die Bewohner bei offenen Fenstern ungestörten Schlaf finden. Das entspricht der Konzeption der TA Lärm, die als maßgeblichen Immissionsort den 0,5 m vor dem offenen, am stärksten betroffenen Fenster liegenden Punkt bestimmt (Nr. 2.421 Buchst. a TA Lärm 1968 bzw. Nr. A.1.3 Buchst. a des Anhangs zur TA Lärm 1998).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.