Baurecht

Vorliegen einer neuen Anlage im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts

Aktenzeichen  W 3 S 17.16

Datum:
20.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1, Art. 5a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 9
BauGB BauGB § 132 Abs. 1, § 133 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Unterscheidungskriterium dafür, ob es sich um eine neue Anlage oder lediglich um eine Erneuerung oder Verbesserung einer bestehenden Anlage handelt, ist die Trassenführung. Dabei ist auf die Erschließungsanlage in ihrer Gesamtheit und nicht etwa nur auf Teilbereiche abzustellen und der neue Zustand mit dem alten zu vergleichen.  (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ergibt der Vergleich, dass die Straße, an der nunmehr Baumaßnahmen vorgenommen werden, identisch ist mit einer bereits früher zu irgendeinem Zeitpunkt im Sinne des Erschließungsbeitragsrecht „endgültig“ hergestellten Verkehrsanlage, schließt das die Annahme aus, die für die abzurechnende Baumaßnahme entstandenen Kosten seien solche einer erstmaligen Herstellung im Sinne des Art. 5a Abs. 9 KAG in Verbindung mit § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Identität zwischen der alten und der neuen Trasse ist dann nicht mehr gegeben, wenn sich die Führung der Straße ganz wesentlich geändert hat. Selbst wenn die neue Trasse noch in einem Teilbereich auf der alten Trasse verläuft, zum größeren Teil aber von der alten Trasse abweicht, ist keine Trassenidentität bei der insgesamt zu betrachteten Anlage mehr gegeben. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.525,70 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Eigentümer des bebauten Grundstück Fl.Nr. …1 der Gemarkung G …, welches an der H. gasse gelegen war. Der Antragsgegner verlegt die H. gasse an andere Stelle in einer Art und Weise, dass das Grundstück des Antragstellers auch künftig an die H. gasse angrenzen wird. Die Beteiligten streiten um eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für Herstellung der H. gasse.
Im Ort G … führt die Straße S … im Wesentlichen von Südwesten nach Nordosten. Von dieser Straße zweigt zunächst der A …weg nach Nordwesten ab, etwa 10 m weiter nach Nordosten zweigte von der Straße S … Richtung Norden die H. gasse ab (im Folgenden: ehemalige H. gasse), eine etwa 50 m lange Stich Straße, an deren nördlichem Ende das Grundstück des Antragstellers gelegen war.
Auf der Grundlage des Bebauungs- und Grünordnungsplans „R …“ in der Fassung vom 17. Februar 2014 gestaltet der Antragsgegner u.a. auch den Bereich um, in welchem die ehemalige H. gasse gelegen war und in dem das Grundstück des Antragstellers gelegen ist. Die Abzweigung der H. gasse von der Straße S … wird um etwa 45 m in Richtung Nordosten verlegt, die H. gasse führt künftig in nordwestliche Richtung und endet in einem Parkplatz. Das Grundstück des Antragstellers ist künftig über die Fahrbahn des Parkplatzes erreichbar. Der Bereich, der von der Straße S …, von der neuen H. gasse und von dem Parkplatz umgrenzt wird und dem der größte Teil der Trasse der ehemaligen H. gasse zugeschlagen wird, wird gemäß dem Bebauungsplan künftig als besonderes Wohngebiet bebaut werden.
Der Antragsgegner begann mit den Bauarbeiten an der neuen H. gasse im August 2016.
Mit Bescheid vom 7. November 2016 zog der Antragsgegner den Antragssteller als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …1 zu einer „Vorauszahlung“ (gemeint wohl: Vorausleistung) auf den Erschließungsbeitrag für die „erstmalige Herstellung der H. gasse mit Parkplatz in G …“ in Höhe von 10.102,82 EUR heran (Grundstücksfläche: 1.819 qm; Nutzungsfaktor: 1,6; Beitragssatz: 13,88513 EUR pro qm; hiervon 25%).
Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch vom 25. November 2016, den er damit begründen ließ, die Umlage der Kosten für die Parkplätze sowie für den befahrbaren Bereich des Parkplatzes, soweit dieser nicht der Zufahrt zum Grundstück des Antragstellers diene, sei nicht zulässig. Im Hinblick auf die in der einschlägigen Satzung festgelegte Tiefenbegrenzungsregelung sei die vollständige Heranziehung des Grundstücks des Antragstellers nicht zulässig. Bei den Bauarbeiten handle es sich nicht um eine erstmalige Herstellung der H. gasse, allenfalls sei von einem Ausbau der bereits vorhandenen H. gasse auszugehen. Der Gesamtbetrag in Höhe von 40.411,28 EUR sei nicht nachvollziehbar, der Antragsgegner habe gegenüber dem Antragsteller zuvor einen Gesamtbetrag in Höhe von 28.000,00 EUR benannt. Kosten für die Entwässerung dürften nicht angesetzt werden, da das Grundstück des Antragstellers anderweitig entwässert werde.
Zugleich mit der Erhebung des Widerspruchs ließ der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung beantragen.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.
Am 5. Januar 2017 ließ der Antragsteller im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Vorausleistungsbescheid vom 7. November 2016 wird angeordnet.
Zur Begründung wurde vorgetragen, die Einordnung der Baumaßnahme als Ersterschließung der H. gasse sei fehlerhaft. Es handle sich allenfalls um Ausbau- und Sanierungsarbeiten. Die ursprüngliche H. gasse habe seit 200 Jahren bestanden und sei als Orts Straße gewidmet gewesen. Die Straße sei vollständig ausgebaut gewesen. Es sei ein durchgängiger Asphaltbelag und eine Straßenbeleuchtung vorhanden gewesen. Die Verlegung der Straße diene allein dem Vorteil des Bauvorhabens S … In diesem Zusammenhang sei die H. gasse um wenige Meter nach Osten verlegt worden, hierbei handle es sich jedoch um eine identische Straße, die nach wie vor identische Erschließungsfunktion in Bezug auf die dahinterliegenden und angrenzenden Grundstücke habe. Aufgrund der Erschließungsidentität sei nicht von einer erstmaligen Erschließung im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts auszugehen. Damit seien die Baumaßnahmen als Ausbau der bereits vorhandenen H. gasse mit einer deutlich geringeren Beteiligung der Anlieger zu werten. Zudem sei der Gesamtbetrag in Höhe von 40.411,28 EUR weit überhöht. Das Grundstück des Antragstellers, das im Jahr 1796 bebaut worden sei, sei schon immer durch die H. gasse als historische Straße erschlossen worden. Die Belastung des Antragstellers mit den Kosten der Kanalisation sei fehlerhaft, da das Grundstück des Antragstellers seit dem Umbau der H. gasse über das rückwärtige Gelände entwässert werde. Die Parkplätze dürften höchstens insofern beim umlagefähigen Aufwand berücksichtigt werden, als die Parkplatzflächen der Erschließung des Grundstücks des Antragstellers dienten. Zudem bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vollständigen Einbeziehung der Grundstücksfläche des Antragstellers im Hinblick auf die in der Erschließungsbeitragssatzung festgesetzte Tiefenbegrenzungsregelung.
Der Antragsteller ließ eine Stellungnahme eines ehemaligen Mitarbeiters des Antragsgegners mit technischen Ausführungen zur H. gasse vorlegen.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die H. gasse habe in ihrem ursprünglichen Zustand und Trassenverlauf einen etwa vier Meter breiten Wohn Weg ohne Gehwege, ohne Straßenentwässerung und ohne DIN-gerechte Straßenbeleuchtung dargestellt, überwiegend mit einer wassergebundenen Deckschicht. Die einzige Straßenleuchte habe überwiegend der Ausleuchtung des rückwärtigen Parkplatzes gedient. Damit sei die H. gasse nie erstmals und endgültig hergestellt worden. Die ehemalige H. gasse sei als Orts Straße gewidmet gewesen; nunmehr sei eine Einziehung der Widmung vorgenommen worden. Die neue Trassenführung samt Parkplatz mit einer Länge von etwa 75 m werde als Orts Straße gewidmet werden.
Zwischen der neu hergestellten H. gasse samt Parkplatz und der ehemaligen H. gasse bestehe keine Trassenidentität. Die Streckenführung sei um etwa 44 m Richtung Osten verlegt worden. Damit handle es sich um eine Neuanlage, für die Erschließungsbeiträge erhoben werden könnten. Für die ehemalige H. gasse seien nie Erschließungsbeiträge erhoben worden. Das Grundstück des Antragstellers werde von der neuen Erschließungsanlage erschlossen und sei somit beitragspflichtig. Die im Vorausleistungsbescheid angegebenen Kosten basierten auf Kostenberechnungen anhand des Bauprogramms. Die Preissteigerung beruhe auf Kostenmehrungen im Bereich des Parkplatzes, also aufgrund der Fahrspur zum Anwesen Grundstück Fl.Nr. …5. In den umlagefähigen Kosten seien keine Kosten für die Entwässerung des Grundstücks des Antragstellers enthalten. Es gehe lediglich um die Kosten für die Beseitigung des auf der Straße anfallenden Niederschlagswassers, welche als beitragsfähiger Bestandteil zu berücksichtigen seien.
Da die Erschließungsanlage und das Abrechnungsgebiet im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans gelegen seien, komme die Anwendung der Tiefenbegrenzungsregelung nicht in Betracht.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Antragsgegners, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
II.
Der auch im Hinblick auf § 80 Abs. 6 VwGO zulässige Antrag des Antragstellers, mit dem dieser die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 25. November 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. November 2016 begehrt, erweist sich als unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO entfällt bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Das Gericht kann jedoch nach § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung des gegen den Abgabebescheid gerichteten Rechtsbehelfs anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn dessen Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen dann, wenn nach der im Eilverfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Überprüfung ein Erfolg im Hauptsacheverfahren bzw. im Widerspruchsverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen.
Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens jedoch offen, sprechen also gleichgewichtige Argumente für und gegen den Erfolg, ist es bei der gesetzlichen Regelung der sofortigen Vollziehbarkeit zu belassen. Dies ergibt sich aus § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten nur dann erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 80 Rn. 140 ff., 143 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall ergibt die summarische Prüfung, dass dem Grunde nach keine Erfolgsaussichten des vom Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners eingeleiteten Widerspruchsverfahrens bzw. eines sich möglicherweise hieran anschließenden Hauptsacheverfahrens bestehen; auch der Höhe nach bestehen kaum Erfolgsaussichten.
Dies ergibt sich aus folgendem:
Nach Art. 5a Abs. 1 des Kommunalabgabegesetzes (KAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 1993 (GVBl S. 264), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 351), erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag nach Maßgabe der folgenden Vorschriften. Erschließungsanlagen in diesem Sinn sind unter anderem die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze (Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG).
Nach Art. 5a Abs. 9 KAG in Verbindung mit § 129 Abs. 1 Satz 1 des Baugesetzbuches (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl I S. 2414), zuletzt geändert durch Verordnung vom 31. August 2005 (BGBl I S. 1474) können zur Deckung des anderweitig nicht gedeckten Erschließungsaufwands Beiträge nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen und die gewerblich zu nutzenden Flächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand).
Beitragspflichtig ist gem. Art. 5a Abs. 9 KAG in Verbindung mit § 134 Abs. 1 BauGB derjenige, der im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des Grundstücks ist.
Gemäß Art. 5a Abs. 9 KAG in Verbindung mit § 132 BauGB regeln die Gemeinden durch Satzung die Art und den Umfang der Erschließungsanlagen im Sinne des § 129 BauGB, die Art der Ermittlung und Verteilung des Aufwandes sowie die Höhe des Einheitssatzes, die Kostenspaltung und die Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage.
Gemäß Art. 5a Abs. 1 KAG in Verbindung mit § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrages verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden ist und die endgültige Herstellung innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.
Eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag darf allerdings nach ständiger Rechtsprechung nur bei Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung erhoben werden (vgl. BayVGH, U.v. 13.11.2012 – 6 BV 09.1555 – juris Rn. 21; B.v. 6.2.2014 – 6 CS 13.2392 – juris Rn. 7; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 21 Rn. 28 m.w.N.). Denn sie hat sich der Höhe nach an der Höhe der zu erwartenden endgültigen Beitragsforderung zu orientieren und diese ist ohne gültige Satzung nicht hinreichend bestimmbar.
Auf der Grundlage dieser Vorschriften hat der Antragsgegner seine Satzung über die Erschließungsbeiträge (Erschließungsbeitragssatzung – EBS) vom 24. Mai 1998 erlassen und hierauf den streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheid gestützt.
Gegen das Zustandekommen der Erschließungsbeitragssatzung bestehen keine Bedenken. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht liegen keine Fehler, die zur Gesamtnichtigkeit der Satzung oder zur Unwirksamkeit streitrelevanter Satzungsbestimmungen führen würden, auf der Hand.
In einem Eilverfahren, in dem nur eine überschlägige Prüfung der Sach- und Rechtslage stattfinden kann, ist in der Regel von der Gültigkeit einer Norm auszugehen, es sei denn, es liegen ausnahmsweise Gründe, die die Annahme der Nichtigkeit der Satzung rechtfertigen, offen zu Tage, so dass von diesem Grundsatz abzuweichen ist (BayVGH, B.v. 21.3.2012 – 20 C S. 12.373 – juris; B.v. 5.11.2007 – 23 C S. 07.2380 – juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Auf der Grundlage dieser Satzung ergibt die summarische Überprüfung, dass dem Grunde nach keine Erfolgsaussichten des Widerspruchverfahrens und eines sich eventuell anschließenden Hauptsacheverfahrens bestehen und dass auch der Höhe nach kaum Erfolgsaussichten erkennbar sind.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
Erschließungsanlage im Sinn des Erschließungsbeitragsrechts (vgl. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG), für die ein Erschließungsbeitrag und damit eine hierauf bezogene Vorausleistung verlangt werden kann, ist die H. gasse.
Wieweit eine einzelne Anbau Straße (Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) reicht und wo eine andere Verkehrsanlage beginnt, bestimmt sich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder dem zeitlichen Ablauf von Planung und Bauausführung auszurichten, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Straßenausstattung (st. Rspr.; vgl. etwa BayVGH, U.v. 30.6.2011 – 6 B 08.369 – juris Rn. 18; B.v. 23.2.2015 – 6 ZB 13.978 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 25.8.2016 – 6 ZB 16.410 – juris Rn. 5). Bei der – hier in Streit stehenden – Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB), die begrifflich immer vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflichten erfolgt, ist prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu bewerten, wie die Erschließungsanlage sich nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird (BayVGH, B.v. 24.7.2013 – 6 BV 11.1813 – juris Rn. 13).
In Anwendung dieses Maßstabes ist maßgebliche Erschließungsanlage die neue H. gasse, die von der Straße S … abzweigt, einschließlich der Fahrspur des die Straße abschließenden Parkplatzes.
Zu Recht behandelt der Antragsgegner die Baumaßnahme an der neuen H. gasse als Erschließung im Sinne des Art. 5a KAG und nicht – wie es der Antragsteller verlangt – als Ausbaumaßnahme im Sinne des Art. 5 Abs. 1 KAG.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen Beiträge nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG erhoben werden sollen, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a zu erheben sind. Dies bedeutet, dass ein Ausbaubeitrag für eine Ausbaumaßnahme im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG erst dann erhoben werden kann, wenn die Straße zuvor erstmals im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts hergestellt worden ist.
Im vorliegenden Fall ist die neue H. gasse noch nicht erstmals hergestellt worden, so dass die nunmehrigen Baumaßnahmen über das Erschließungsbeitragsrecht abzurechnen sind.
Lässt man die ehemalige H. gasse außer Acht, bedarf die Tatsache, dass es sich bei der Errichtung der neuen H. gasse um eine Ersterschließung handelt, keiner vertieften Erörterung. Bei der neuen H. gasse handelt es sich gemäß dem Bebauungsplan vom 17. Februar 2014 um eine Erschließungsanlage im Sinn des Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG, da sie zum Anbau bestimmt ist. Die neue H. gasse wird nach den Herstellungsmerkmalen der Erschließungsbeitragssatzung (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 132 Nr. 4 BauGB i.V.m. § 8 EBS) dem Bauprogramm entsprechend (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 133, Abs. 2 BauGB) endgültig hergestellt. Sie kann sich auf die planungsrechtliche Grundlage des Bebauungsplans vom 17. Februar 2014 stützen (§ 125 Abs. 1 BauGB). Eine Widmung zur öffentlichen Anbau Straße ist gemäß den Angaben des Antragsgegners vorgesehen und eine gültige Erschließungsbeitragssatzung ist, wie oben ausgeführt, vorhanden.
Aber auch unter Einbeziehung der ehemaligen H. gasse in die Beurteilung ergibt sich kein anderes Ergebnis. Denn bei der ehemaligen H. gasse handelt es sich um eine andere, mit der neuen H. gasse nicht identische Straße. Damit hat deren vormaliger Bestand – unabhängig davon, wie dieser rechtlich einzuordnen ist – keinen Einfluss auf die Beurteilung, ob es sich bei der Baumaßnahme an der neuen H. gasse um eine Ersterschließung oder um eine Erneuerung handelt.
In diesem Zusammenhang muss unterschieden werden, ob es sich um eine neue Anlage oder lediglich um eine Erneuerung oder Verbesserung einer bestehenden Anlage handelt. Unterscheidungskriterium hierfür ist die Trassenführung. Dabei ist auf die Erschließungsanlage in ihrer Gesamtheit und nicht etwa nur auf Teilbereiche abzustellen und der neue Zustand mit dem alten zu vergleichen. Ergibt der Vergleich, dass die Straße, an der nunmehr Baumaßnahmen vorgenommen werden, identisch ist mit einer bereits früher zu irgendeinem Zeitpunkt im Sinne des Erschließungsbeitragsrecht „endgültig“ hergestellten Verkehrsanlage, schließt das die Annahme aus, die für die abzurechnende Baumaßnahme entstandenen Kosten seien solche einer erstmaligen Herstellung im Sinne des Art. 5a Abs. 9 KAG in Verbindung mit § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB. Fehlt es dagegen an einer solchen Identität, ist mithin die Erschließungsanlage, die durch die abzurechnende Baumaßnahme „entstanden“ ist, nicht identisch mit einer bereits früher im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts „endgültig“ hergestellten Anlage, sondern eine -insgesamt gesehen – anderen Anlage, hat das zur Folge, dass diese Erschließungsanlage insgesamt erstmals hergestellt worden ist und die Ausbaukosten Kosten „ihrer erstmaligen Herstellung“ (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) sind (BVerwG, U.v. 21.10.1988 – 8 C 64 – 87- juris Rn. 13; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: Januar 2016, Rn. 210 m.w.N.). Eine Identität zwischen der alten und der neuen Trasse ist dann nicht mehr gegeben, wenn sich die Führung der Straße ganz wesentlich geändert hat. Selbst wenn die neue Trasse noch in einem Teilbereich auf der alten Trasse verläuft, zum größeren Teil aber von der alten Trasse abweicht, ist keine Trassenidentität bei der insgesamt zu betrachteten Anlage mehr gegeben (vgl. BVerwG, a.a.O.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 212, § 32 Rn. 20 und Rn. 34).
Im vorliegenden Fall zweigt die neue Trasse in einer Entfernung von etwa 45 m von der Abzweigung der alten Trasse von der Straße S … ab. Beide Trassen laufen zwar aufeinander zu und vereinigen sich etwa 10 m vor der Grenze des Grundstücks des Antragstellers. Es ist jedoch klar erkennbar, dass die neue Trasse im Wesentlichen deutlich räumlich von der alten Trasse entfernt geführt wird, so dass die geforderte Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis führt, dass die neue H. gasse mit der ehemaligen H. gasse nicht identisch ist. Hinzu kommt, dass die neue Trasse auch andere, von der ehemaligen H. gasse bislang nicht erschlossene Grundstücke erschließt. Damit kann die ehemalige H. gasse keinen Einfluss auf die Beurteilung nehmen, ob es sich bei der Baumaßnahme an der neuen H. gasse um eine Ersterschließung handelt oder nicht. Somit muss es bei dem oben genannten Ergebnis bleiben und es kann offen bleiben, ob die ehemalige H. gasse bislang überhaupt erstmalig im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts hergestellt worden war oder nicht.
Das Vorgehen des Antragsgegners, eine tatsächlich vorhandene Straße als Erschließungsanlage durch eine andernorts gelegene neue Erschließungsanlage zu ersetzen, ist auch insofern nicht zu beanstanden, als hierfür die rechtliche Grundlage in Form des Bebauungsplans vom 17. Februar 2014 vorhanden ist. Allenfalls ist es denkbar, dass Beitragspflichtige, vor deren Grundstück sich die Trassenführung nicht geändert hat, und die zweimal zu Erschließungsbeiträgen für eine – aus deren Sicht gleiche – Anlage herangezogen werden, straßenrechtliche Entschädigungsansprüche geltend machen könnten (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: Januar 2016, Rn. 210 m.w.N.). Ob dies im vorliegenden Fall so ist, hat jedoch keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung für die neue Anlage und kann deshalb offen bleiben.
Im Rahmen der summarischen Prüfung sind die vom Antragsgegner angesetzten voraussichtlichen beitragsfähigen Kosten (vgl. Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB) nicht zu beanstanden. Insbesondere hat der Antragsgegner nachvollziehbar dargelegt, dass entgegen der ursprünglichen Kostenschätzung nunmehr auch die Kosten für die Fahrbahn des Parkplatzes einbezogen worden sind. Dies ist zu Recht geschehen, da – wie oben ausgeführt – sich die Anlage bis zum Ende der auf dem Parkplatz vorhandenen Fahrbahn erstreckt. Plausibel hat der Antragsgegner dargelegt, dass in den beitragsfähigen Kosten demgegenüber nicht die Kosten für die Stellplätze des Parkplatzes enthalten sind. Zurecht hat der Antragsgegner auch die voraussichtlichen Kosten für die Straßenentwässerung berücksichtigt; Kosten für die Entwässerung des Grundstücks des Antragstellers sind – anders als dieser meint – gemäß den plausiblen Angaben des Antragsgegners in den beitragsfähigen Kosten nicht enthalten.
Nicht zu beanstanden ist, dass der Antragsgegner auf der Grundlage von § 4 EBS seinen Eigenanteil auf 10% und damit den umlagefähigen Aufwand auf 90% der beitragsfähigen Kosten festgelegt hat.
Zurecht hat der Antragsgegner die Grundstücke Fl.Nrn. …0, …1, …5, …2 und …3 sowie die von der Straße S …, der neuen H. gasse, dem Parkplatz und den Grundstücken Fl.Nrn. …2 und …3 umschlossene Fläche (noch ohne einheitliche Flurnummer) bei der Verteilung berücksichtigt. Grundstück Fl.Nr. …21 wurde zurecht nicht berücksichtigt, da es zwar an einen Stellplatz des Parkplatzes, nicht jedoch an die für die Erschließungswirkung maßgebliche Fahrbahn des Parkplatzes angrenzt.
Es ist nicht erkennbar, dass bei der Bestimmung der anzusetzenden beitragspflichtigen Flächen dieser Grundstücke Fehler unterlaufen seien könnten. Insbesondere kann sich der Antragsteller nicht auf eine Tiefenbegrenzung bezüglich seines eigenen Grundstück Fl.Nr. …1 berufen. Sein Grundstück ist im Bereich des Bebauungsplans „R …“ vom 17. Februar 2014 gelegen. Damit ist gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 1 EBS die Grundstücksfläche heranzuziehen, die der Ermittlung der zulässigen Nutzung zugrunde zu legen ist. Dem gegenüber ist gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS die Tiefenbegrenzungsregelung nur dann anwendbar, wenn ein Bebauungsplan nicht besteht oder die erforderlichen Festsetzungen nicht enthält.
Als Fläche des Grundstück Fl.Nr. …1 ist somit das „Buchgrundstück“ heranzuziehen, also das Grundstück so, wie es im Grundbuch eingetragen ist (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 17 Rn. 5).
Hieran ist grundsätzlich festzuhalten und Ausnahmen sind nur dann zuzulassen, wenn es andernfalls zu „gröblich unangemessenen Ergebnissen“ käme (Driehaus, a.a.O. § 17 Rn. 6), wie z.B. bei sogenannten “Handtuchgrundstücken“, die als solche nicht bebaubar, in Kombination mit einem anderen Grundstück desselben Eigentümers jedoch bebaubar sind und damit einen Erschließungsvorteil haben. Eine Abweichung vom Buchgrundstücksbegriff ist auch dann zulässig, wenn lediglich ein Teil der Grundstücksfläche durch die Erschließungsanlage erschlossen ist. Dies ist allerdings bei qualifiziert beplanten Grundstücken in der Regel nicht anzunehmen. So erstreckt sich auch im vorliegenden Fall die Erschließungswirkung der neuen H. gasse zumindest aus derzeitiger Sicht auf das gesamte Grundstück Fl.Nr. …1 (vgl. zu dieser Problematik auch Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: Januar 2016, Rn. 810 m.w.N.).
Unerheblich ist, dass der Bebauungsplan für den hinteren Teil des Grundstücks des Antragstellers eine „private Grünfläche“ festsetzt. Denn in beplanten Gebieten verhindern nicht selten rechtliche Baubeschränkungen die Ausschöpfung des für ein Grundstück nach dem Bebauungsplan vorgesehenen Maßes der zulässigen Nutzung. Diese Erkenntnis rechtfertigt jedoch nicht die Ansicht, dem sei durch eine Verminderung des Umfangs der bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigten Grundstücksfläche Rechnung zu tragen. Derartige Ausnutzungsbehinderungen haben keinen Einfluss auf den Umfang der erschlossenen Grundstücksflächen (Driehaus, a.a.O. § 17 Rn. 54 m.w.N.; Matloch/Wiens, a.a.O. Rn. 806 und insbes. Rn. 823 zu privaten Grünflächen als Teil eines privat genutzten Wohngrundstücks).
Zwar sieht der Bebauungsplan auf einem Teil des Grundstück Fl.Nr. …1 eine Straßenverkehrsfläche vor; allerdings ist weder vorgetragen noch anderweitig erkennbar, dass diese Planung bereits umgesetzt worden wäre. Damit ist trotz dieser Planung das Grundstück des Antragstellers im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung zur Gänze als von der neuen H. gasse erschlossen anzusehen. Inwieweit sich dies durch die Umsetzung der im Bebauungsplan enthaltenen Planung einer Verkehrsfläche auf dem Grundstück Fl.Nr. …1 künftig ändern könnte mit der Folge, dass der als private Grünfläche überplante Teil des Grundstücks des Antragstellers hierdurch ein eigenes Grundstück bilden würde und dadurch möglicherweise für die Erschließungsanlage H. gasse nicht beitragspflichtig wäre, spielt für das vorliegende Verfahren keine Rolle.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Antragsgegner nach summarischer Prüfung vom Antragsteller dem Grunde nach eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Herstellung der H. gasse erheben darf und dass auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakten auch die Höhe der Vorausleistung wohl nicht zu beanstanden ist. Danach spricht wenig dafür, dass das Widerspruchsverfahren und ein sich möglicherweise anschließendes Klageverfahren zugunsten des Antragstellers ausgehen wird. Ist dies aber so, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides, so dass gemäß der gesetzlichen Vorgabe des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt und das Aufschubinteresse des Antragstellers zurückzustellen ist. Damit ist es bei der sofortigen Vollziehbarkeit des angegriffenen Bescheides zu belassen (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014 § 80 Rn. 142).
Anhaltspunkte dafür, dass die Erhebung der Vorausleistung für den Antragsteller eine unbillige Härte darstelle könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Daher war der vorliegende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf der Höhe der angeforderten Vorausleistung, wobei er im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts beträgt (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.5./1.6.2012 und am 18.7.2013 beschlossenen Änderungen).

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