Baurecht

Zulässigkeit eines Boardinghauses im allgemeinen und reinen Wohngebiet

Aktenzeichen  AN 9 S 17.01641, AN 9 S 17.01646

Datum:
9.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO BauNVO § 3 Abs. 3 Nr. 1, § 4 Abs. 3 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 1, S. 2
BauGB BauGB § 34 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Ein Boardinghouse stellt eine bauplanungsrechtlich nicht näher geregelte Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt. Ein Boardinghouse mit acht Wohneinheiten erweist sich weder in einem allgemeinen noch in einem reinen Wohngebiet als gebietsfremd. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und die Anträge abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird vor Verbindung der Verfahren auf jeweils 3.750,00 EUR und nach Verbindung auf insgesamt 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen für die Errichtung zweier Doppelhaushälften zur Nutzung als Boardinghouse mit insgesamt acht Zimmereinheiten.
Die Antragstellerin ist Wohnungseigentümerin des Wohngebäudes in der … in …, und Miteigentümerin des gemeinschaftlichen Grundstücks FlNr. …der Gemarkung …
An das Grundstück der Antragstellerin grenzt im Westen unmittelbar das Vorhabengrundstück FlNr. … an. Für dieses erteilte die Antragsgegnerin dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen mit Bescheiden vom 18. August 2015 zunächst die bauaufsichtliche Genehmigung zur Errichtung von zwei aneinander gebauten Doppelhaushälften (Haus 1 und Haus 2) mit spiegelbildlich gleichen Grundrissen jeweils als Einfamilienhaus.
Sowohl das Vorhabengrundstück als auch das Grundstück der Antragstellerin liegen innerhalb des Bebauungszusammenhangs, jedoch nicht im Geltungsbereich eines (qualifizierten) Bebauungsplans. Die umgebende bauliche Nutzung ist im Wesentlichen durch Wohnnutzung geprägt.
Am 29. Dezember 2016 beantragte die Beigeladene jeweils für Haus 1 sowie für Haus 2 eine Baugenehmigungen zur „Errichtung eines Boardinghouses mit 4 Wohneinheiten / Zimmer“. Die den Bauanträgen zugrunde liegenden Bauvorlagen sehen jeweils ein Erdgeschoss, ein Dachgeschoss und einen Spitzboden vor. Im Erdgeschoss befindet sich eine Wohneinheit mit Terrasse zur … hin. Im Dachgeschoss befinden sich jeweils 2 Wohnungen, wobei die jeweiligen Badezimmer mit WC über einen gemeinsamen Flur zugänglich sind. Nach dem Grundrissplan für den Spitzboden ist in diesen eine weitere Wohnung vorgesehen. Das Doppelhaus ist unterkellert. Im Keller befinden sich jeweils Waschräume. Die Kubatur der Doppelhaushälften soll im Vergleich zu den mit Bescheiden vom 18. August 2015 genehmigten Vorhaben nicht geändert werden. Den Betriebsbeschreibungen zufolge verfügt jede Wohnung über einen eigenen Sanitärbereich und eine eigene Kochmöglichkeit; die Mieter verpflegen sich selbst. Die Zimmer werden möbliert zur Verfügung gestellt. Es erfolgt eine wöchentliche Grundreinigung. Das Angebot richte sich „an Personen, die vorübergehend im Großraum … tätig sind, typischerweise für ca. 3 bis 6 Monate“. Diese seien „z.B. Mitarbeiter von Firmen, die auf Projekten hier eingesetzt werden oder Praktika absolvieren oder Fortbildungen in … besuchen.“ In der Bauzeichnung „Grundrisse/Schnitt/ Lageplan“ sind pro Wohneinheit jeweils entweder ein Doppelbett oder zwei Einzelbetten dargestellt. Mit planungsrechtlichen Stellungnahmen vom 10. Januar 2017 erteilte das Stadtplanungsamt … für die Antragsgegnerin das gemeindliche Einvernehmen und führte aus, dass jeweils einer Ausnahme für Beherbergungsbetriebe im WA nach § 4.3.1. BauNVO zugestimmt werden könne.
Mit Bescheiden vom 29. Juni 2017 erteilte die Beklagte der Beigeladenen unter Abänderung der Baugenehmigungen vom 18. August 2015 die beiden begehrten bauaufsichtliche Genehmigungen zur Errichtung der beiden Doppelhaushälften mit der Nutzung als Boardinghouse mit jeweils 4 Zimmereinheiten (Anwesen … „Haus 2“, Az. … sowie Anwesen … „Haus 1“, Az. …*)“ unter Gewährung von Ausnahmen „gemäß § 4.3.1“ der BauNVO wegen der Zulassung eines Beherbergungsbetriebs in einem allgemeinen Wohngebiet. Der Antragstellerin, die als (Mit-)Eigentümerin des Nachbaranwesens dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hatte, wurde mit Anschreiben der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2017 jeweils eine Ausfertigung der Baugenehmigungen zugestellt.
Mit am 16. August 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten hat die Antragstellerin gegen beide Baugenehmigungen Klage erhoben sowie zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Zur Begründung lässt die Antragstellerin mit Schriftsätzen vom 16. August 2017 und 26. Oktober 2017 im Wesentlichen ausführen, die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz seien zulässig. Insbesondere sei das Rechtsschutzbedürfnis durch die Fertigstellung des Rohbaus nicht entfallen, da die Rechtsverletzung gerade durch die Nutzung der Anlagen bedingt sei. Die Anträge seien auch begründet, da sich die streitgegenständlichen Bescheide als rechtswidrig erweisen würden. Die Antragsgegnerin habe hier ohne genauere Prüfung die nähere Umgebung unzutreffend als allgemeines Wohngebiet eingestuft. Tatsächlich stelle die nähere Umgebung ein reines Wohngebiet dar, da ausschließlich oder zumindest überwiegend Wohngebäude vorherrschten. Es seien lediglich eine Pferdepension und eine Arztpraxis vorhanden. Ein Boardinghouse als Gewerbebetrieb sei in einem reinen Wohngebiet jedoch unzulässig. Ferner widerspreche sich die Antragsgegnerin, indem sie das Boardinghouse einerseits als Beherbergungsbetrieb, andererseits als „sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb“ qualifiziere. Dass ein Boardinghouse einen sonstigen, nicht störenden Gewerbebetrieb darstelle, werde von der Antragsgegnerin ohne jegliche Prüfung oder Begründung unterstellt. Vorliegend sei davon auszugehen, dass die Beigeladene die Zimmer tages- und wochenweise vermietete; eine durchschnittliche Belegdauer von 3 bis 6 Monaten werde mit Nichtwissen bestritten. Da hier eine Ausnahme von „§ 4.3.1.“ der BauNVO gewährt worden sei, es diese konkrete Norm allerdings nicht gebe, sei die erteilte Ausnahme bereits wegen Unbestimmtheit rechtswidrig. Auch hätte die Antragsgegnerin keine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB erteilen dürfen, da diese Norm nur für Gebiete gelte, für die ein Bebauungsplan existiere. Vielmehr wäre eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zu erteilen gewesen. Da hier jedoch eine Ausnahme erteilt worden sei, sei von einem fehlerhaften Prüfungsmaßstab ausgegangen worden. Die Genehmigungen ließen auch jegliche Prüfung der für eine Ausnahme oder Befreiung notwendigen Voraussetzungen vermissen. Auch habe keinerlei Ermessensprüfung bzw. Ermessensausübung stattgefunden. Für die Beurteilung des Umstandes, ob die ausnahmsweise Zulassung eines Boardinghouse nachbarlichen Interessen widerspreche, wäre zumindest ein Lärmschutzgutachten erforderlich gewesen. Auch widerspreche das Vorhaben der Eigenart des Baugebiets nach § 15 Abs. 1 BauNVO. Eine Nutzung als Boardinghouse laufe der speziellen Prägung des faktischen reinen Wohngebiets zuwider. Eine Nutzung als Boardinghouse unterscheide sich von der dauerhaften Wohnnutzung hinsichtlich der Intensität und der Zeit der Nutzung der Wohnung und der dazugehörigen Außenwohnbereiche. Hinzu komme, dass durch den ständigen Wechsel der Feriengäste erhöhte Unruhe in das Wohngebiet hineingetragen werde (unter Verweis auf BayVGH, B.v. 4.9.2013 – 14 ZB 13.6 – juris Rn. 14). Bei Zulassung des Vorhabens würde eine Nutzungsart in das Gebiet getragen und damit eine Entwicklung eingeleitet werden, die geeignet wäre, die vorhandene Prägung des konkreten reinen Wohngebiets zu verändern und auf die Erschließung und Infrastruktur des Gebiets nicht ausgelegt seien (unter Verweis auf VG Ansbach, U.v. 22.1.2014 – AN 9 K 13.01327). Die Vorhaben verletzten auch das Gebot der Rücksichtnahme.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 29. Juni 2016 über die Genehmigung der Nutzungsänderungen der Anwesen … (Az. …) und … (Az. …) anzuordnen.
Die Beklagte beantragt,
die Anträge abzuweisen.
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen seien bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da die Vorhaben bereits im Rohbau fertiggestellt seien und das Ziel, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, insofern nicht mehr erreicht werden könne. Die Anträge seien überdies auch unbegründet. Die Antragsgegnerin gehe zu Recht vom Vorliegen eines allgemeinen Wohngebiets aus. Beim Bereich beiderseits der … handele es sich um ein ursprünglich dörflich bzw. landwirtschaftlich geprägtes Gebiet. Es seien nicht nur Wohnnutzungen vorhanden. Die Antragstellerin räume selbst ein, dass auch eine Pferdepension vorhanden sei. Eine solche sei jedoch in einem reinen Wohngebiet nicht zulässig. Als ebenfalls prägend stelle sich der ehemalige Gasthof „…“ dar, der zwischenzeitlich befristet als Flüchtlingsunterkunft genutzt werde. Die Vorhaben verletzten auch nicht den Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin. Ein Boardinghouse sei im allgemeinen Wohngebiet nicht gebietsfremd. Es stelle eine Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar (unter Verweis auf BayVGH, B.v. 9.12.2016 – 15 CS 16.1417 – juris Rn. 14). Dafür, dass die Bauvorhaben zulasten der Antragstellerin das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzten, lägen keine Anhaltspunkte vor. Bei den Vorhaben der Beigeladenen handele es sich um einen kleinen Betrieb mit 2 x 4 Wohneinheiten. Selbst bei Annahme eines reinen Wohngebiets bestünde daher die Möglichkeit, im Wege einer Ausnahme den Betrieb als kleinen Beherbergungsbetrieb nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zuzulassen. So habe bspw. das Verwaltungsgericht Bremen ein Boardinghouse mit neun Gästezimmern noch als kleinen Beherbergungsbetrieb eingestuft (unter Verweis auf VG Bremen, B.v. 17.11.2014 – 1 V 1827/14).
Trotz Ankündigung, sich bis zum 31. Oktober 2017 zu den Verfahren äußern zu wollen, erfolgte seitens der Beigeladenen bislang kein Vortrag; Anträge sind nicht gestellt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Anträge, die aufschiebende Wirkung der hier erhobenen Klagen gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen anzuordnen, bleiben ohne Erfolg.
Nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs kraft Gesetzes entfällt (hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB), auf Antrag des Nachbarn die aufschiebende Wirkung des Rechts-behelfs gegen die Baugenehmigung anordnen. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu, wobei aber auch die gesetzgeberische Entscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen ist. Bleibt das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrags (BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 15 CS 16.2253 – juris Rn. 13).
Zwar sind die Anträge nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässig. Insbesondere fehlt auch nicht schon deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Vorhaben bereits weitgehend hergestellt sind. Die Antragstellerin sieht sich hier nicht durch die beiden Doppelhaushälften an sich in ihren Rechten verletzt, sondern vielmehr gerade durch die beabsichtigte Nutzung. Eine solche Rechtsverletzung kann mit der begehrten Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nach Fertigstellung des Rohbaus noch vorläufig verhindert und insoweit die Rechtsstellung des Nachbarn noch verbessert werden (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 9 CS 15.1762 – juris Rn. 20).
Die Anträge sind aber unbegründet, da nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklagen voraussichtlich keinen Erfolg haben werden, da eine Verletzung der Antragstellerin in eigenen Rechten durch die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen nicht ersichtlich ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Bei der Klage von Dritten – hier von baurechtlichen Nachbarn – haben diese aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht schon dann einen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung, wenn diese lediglich objektiv rechtswidrig ist; vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus solchen Normen ergeben, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtlichen Verfahren gehören (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1; BayVGH, B.v. 10.10.2013 – 15 ZB 11.1480 – juris Rn. 9) und zugleich auch dem Schutz dieser Dritten dienen (sog. Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Im gerichtlichen Verfahren von Dritten findet somit keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der Baugenehmigung statt.
Die Vorhaben verletzen nach Maßgabe dieser Vorgaben aller Voraussicht nach keine Rechte der Antragstellerin. Vor dem Hintergrund des vorliegend relevanten Prüfungsumfangs des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens (Art. 59 BayBO) erscheint allenfalls eine Verletzung der §§ 29 ff. BauGB insbesondere des Gebietserhaltungsanspruchs und des allgemeinen Rücksichtnahmegebots denkbar; eine derartige Verletzung liegt aber voraussichtlich im Ergebnis nicht vor.
Der Anspruch auf Gebietserhaltung verleiht den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten (§ 9 Satz 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) oder faktischen Baugebiet das Recht, Vorhaben, welche nach ihrer Art in diesem Gebiet nicht regelhaft zulässig sind und nicht nach § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 BauGB im Wege einer Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden können, auch ohne konkrete Beeinträchtigung abzuwehren (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 10). Vorliegend fügen sich die streitgegenständlichen Vorhaben aber gerade in die Art des vorhandenen Baugebietes ein, so dass der Antragstellerin kein derartiger Anspruch zur Seite steht.
Die Vorhaben befinden sich unstreitig im unbeplanten Innenbereich, so dass sich ihre Zulässigkeit nach § 34 BauGB bestimmt. Soweit die Eigenart der näheren Umgebung einem Baugebiet der Baunutzungsverordnung entspricht, beurteilt sich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem jeweiligen Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 BauGB).
Die nähere Umgebung des Baugrundstücks ist nahezu ausschließlich von Wohnbebauung geprägt, so dass – in Übereinstimmung mit den Beteiligten – jedenfalls vom Vorliegen eines faktischen Wohngebiets auszugehen ist.
Bezieht man zudem die in der näheren Umgebung befindliche Pferdepension mit in die Betrachtung ein und berücksichtigt auch eine gegebenenfalls nachwirkende Prägung des ehemaligen Gasthofs „…“, der zwischenzeitlich befristet als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird, dürfte nach Auffassung des Gerichts das Wohngebiet eher als „allgemeines“ i.S.v. § 4 BauNVO und nicht als „reines“ i.S.d. § 3 BauNVO einzuordnen sein. Letztlich kann diese Differenzierung aber dahinstehen, da sich die streitgegenständliche Nutzung „Boardinghouse“ nach derzeitiger Aktenlage voraussichtlich weder in einem allgemeinen noch in einem reinen Wohngebiet als gebietsfremd erweist.
Ein Boardinghouse, das vor allem für solche Personen gedacht ist, die (meist geschäftlich) über einen längeren Zeitraum am Ort verweilen müssen und denen dabei eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von hoteltypischen Serviceleistungen auch aus Kostengründen wichtig ist (vgl. Hermanns/Hönig, BauR 2001, 1523 ff.), stellt eine bauplanungsrechtlich nicht näher geregelte Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt. Für die Beurteilung des Nutzungsschwerpunktes kommt es darauf an, welcher Leistungsumfang vom Nutzungskonzept umfasst ist und ob sich der angegebene Nutzungszweck des Vorhabens innerhalb des objektiv Möglichen hält. Der Nutzungszweck lässt sich vor allem an der Größe und Ausstattung der Räume ablesen und ergibt sich außerdem aus dem Verhältnis der Gesamtzahl der Räume zu eventuellen Serviceräumen (vgl. VGH BW, B.v. 17.1.2017 – 8 S 1641/16 – juris Rn. 17). Für einen gewerblichen Nutzungsschwerpunkt könnte hier sprechen, dass nach dem Nutzungskonzept der Beigeladenen die Wohneinheiten voll möbliert und nur mittelfristig für ca. 3-6 Monate vermietet werden sollen. Überdies sollen Serviceleistungen angeboten werden, auch wenn diese auf eine wöchentliche Grundreinigung beschränkt sind. Dass die Wohneinheiten recht großzügig geschnitten und jeweils mit eigenen Küchenzeilen ausgestattet sind, ist eher Beleg dafür, dass sie insgesamt einer Wohnnutzung stark angeglichen sind. Überdies befinden sich im streitgegenständliche Gebäude keinerlei Serviceräume (Empfangsbereich, Frühstücksraum etc.), wie man sie bei einem Beherbergungsbetrieb grundsätzlich erwarten würde. Die Bewohner sind hier insofern darauf angewiesen, ihren häuslichen Wirkungsbereich selbst zu gestalten, wie dies für das Wohnen typisch ist.
Soweit man hier mit Blick auf das Nutzungskonzept der Beigeladenen das Boardinghouse schwerpunktmäßig als Wohnen qualifizieren mag, läge dies innerhalb der einer Wohnnutzung eigenen Variationsbreite und wäre damit sowohl in einem allgemeinen wie auch in einem reinen Wohngebiet bereits regelmäßig zulässig.
Soweit man hingegen in Übereinstimmung mit der Antragsgegnerin die Nutzung als Beherbergungsbetrieb qualifizieren würde, wäre das Vorhaben seiner Art nach jedenfalls im Rahmen einer Ausnahme zulässig. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin können nämlich auch im unbeplanten Innenbereich gemäß § 31 Abs. 1 BauGB solche Ausnahmen zugelassen werden, die in der BauNVO in dem jeweiligen Gebiet nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind. Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 34 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BauGB, wonach auf die nach der BauNVO ausnahmsweise zulässigen Vorhaben § 31 Abs. 1 BauGB im Übrigen § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden sind. Auch bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die Vorhaben der Art nach ausnahmsweise zulässig, wobei es auch hier nicht streitentscheidend auf die konkrete Gebietseinstufung ankommt. Geht man nämlich von einem allgemeinen Wohngebiet aus, läge schon wegen der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Beherbergungsbetrieben nach §§ 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO keine gebietsfremde Nutzung vor. Aber auch bei Vorliegen eines reinen Wohngebiets wären die Vorhaben ausnahmsweise nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zulässig. Eine Nutzung als Boardinghouse selbst mit insgesamt acht Wohneinheiten – hierauf wird man bei der Betrachtung abstellen müssen, da die Vorhaben aufgrund ihres sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs nicht getrennt voneinander betrachtet werden können – dürfte sich nach derzeitiger Aktenlage noch im Rahmen dessen halten, was als „kleiner Beherbergungsbetrieb“ i.S.d. Norm angesehen werden kann. Was in diesem Sinne „klein“ ist, lässt sich nicht allgemein umschreiben, weil der Bedeutungsgehalt auch von den tatsächlichen Auswirkungen des (festgesetzten oder faktischen) Baugebiets und der konkreten örtlichen Situation abhängt (BVerwG, B.v. 27.11.1987 – 4 B 230.87 – juris Rn. 3). Maßgeblich ist, ob sich der Betrieb nach Erscheinungsform, Betriebsform und Betriebsführung sowie unter Berücksichtigung der Zahl der Benutzer unauffällig in das Gebiet einordnet, wobei dem Schutz der Wohnruhe besondere Bedeutung zukommt. Wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei, wie sich der Betrieb auf seine Umgebung auswirkt und welche Störungen von ihm ausgehen. Die kleinen Betriebe des Beherbergungsgewerbes werden dadurch gekennzeichnet, dass sie sich der Vermietung von Wohnräumen annähern, baulich zumeist nicht besonders in Erscheinung treten und infolgedessen auch den Charakter des reinen Wohngebiets nicht beeinflussen (vgl. VGH BW, B.v. 11.5.2015 – 3 S 2420/14 – juris Rn. 31, Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2017, § 3 BauNVO Rn. 76).
Mit Blick hierauf dürfte das Vorhaben wohl noch als kleiner Beherbergungsbetrieb in diesem Sinne zu qualifizieren sein. Da die streitgegenständlichen Gebäude in ihrer äußeren Gestalt und Kubatur identisch mit den beiden zuvor genehmigten und seitens der Antragstellerin auch nicht beanstandeten Doppelhaushälften sind, kann schon nicht davon ausgegangen werden, dass sich diese aus der Umgebung besonders hervorheben werden. Nach dem Nutzungskonzept der Beigeladenen dürfte bei dem streitgegenständlichen Vorhaben auch eher die bloße Übernachtungsmöglichkeit im Vordergrund stehen. Die Apartments sollen Personen zur Verfügung gestellt werden, die vorübergehend geschäftlich im Großraum … tätig sind, so dass davon auszugehen ist, dass sich die betreffenden Mieter oder Gäste vorwiegend abends und nachts zum Schlafen dort aufhalten werden. Es werden jedenfalls keine weiteren Leistungen wie Freizeitveranstaltungen oder Bewirtung angeboten. Das von den Mietern auch durch die Nutzung der Außenanlagen sowie durch den zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr verursachte Geräuschniveau dürfte sich damit nicht wesentlich von dem einer typischen Wohnnutzung durch die Bewohner und Besucher in einem reinen Wohngebiet unterscheiden. Der Betriebsbeschreibung zufolge wird hier auch keine kurzfristige, nur tage- oder wochenweise Vermietung an einen häufig wechselnden Personenkreis angestrebt, sondern das Betriebskonzept ist vielmehr auf eine regelmäßige Mietdauer von ca. 3 bis 6 Monaten ausgelegt, so dass die ausgeübte Nutzung durchaus noch mit der eines Wohngebäudes vergleichbar ist. Soweit die Antragstellerin diese Nutzungsdauer bestreitet, hat dies für die Verfahren keine Auswirkungen. Streitgegenstand sind die ergangenen Genehmigungen mit den diesen zugrundeliegenden konkreten Betriebsbeschreibungen. Auch mit Blick auf die Benutzerzahl dürfte sich das Vorhaben, wie es sich nach jetziger Aktenlage darstellt, unauffällig in den Charakter eines reinen Wohngebiets einordnen. Auch wenn aus den Unterlagen insoweit keine maximale Belegungszahl hervorgeht, dürfte aufgrund der anvisierten Kundenstruktur davon auszugehen sein, dass die Zimmer im Wesentlichen durch eine Person bzw. gegebenenfalls als Doppelzimmer belegt sein werden. Hierfür sprechen auch die Planvorlagen der Vorhaben. Aus der dort vorhandenen Zimmeraufteilung und den eingezeichneten Betten ergibt sich, dass in den Wohnungen eine Belegung mit zwei Personen beabsichtigt bzw. möglich ist.
Ein Nutzung als Boardinghouse ist auch nicht nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig. Danach sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Vorhaben als kleiner Beherbergungsbetrieb i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO anzusehen sind und damit den eingeschränkten Vorgaben Umfang und Zweckbestimmung bereits auf Ebene des Ausnahmetatbestands Rechnung getragen wird. Tatbestandlich wird mithin schon eine Zweckbestimmung auf „Beherbergungsbetriebe“ und eine Umfangsbegrenzung auf „klein“ vorweggenommen, sodass dem im Rahmen von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO keine Bedeutung mehr beigemessen werden kann (vgl. VGH BW, U.v. 31.1.1997 – 8 S 3167/96 – juris Rn. 20). Es ist auch nicht ersichtlich bzw. von den Beteiligten vorgetragen, dass in dem Gebiet bereits ein Beherbergungsbetrieb oder gar eine Mehrzahl solcher vorhanden sind, so dass die streitgegenständlichen Vorhaben nicht „nach Anzahl“ der Eigenart des vorhandenen Wohngebiets widersprechen. Unabhängig davon ist vorliegend nicht zu erkennen, dass aufgrund der Dimensionierung des streitgegenständlichen Vorhabens eine neue Art der baulichen Nutzung in das Wohngebiet hineingetragen wird. Denn in der näheren Umgebung des Vorhabens sind Baukörper in ähnlicher Größe bereits vorhanden so zum Beispiel das ehemalige Gasthaus „…“ bzw. auch die als Wohnhaus umgenutzte Scheune auf dem Grundstück der Antragstellerin.
In diesem Zusammenhang hilft der Antragstellerin auch ein Berufen auf Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 4.9.2013 – 14 ZB 13.6) bzw. des Verwaltungsgerichts Ansbach (U.v. 22.1.2014 – AN 9 K 13.01327) nicht weiter, da sich die Sachverhalte bereits erheblich unterscheiden. Die Entscheidungen betrafen Apartments, die u.a. auch als Ferienwohnung vermietet wurden und tageweise buchbar waren. Diese Nutzung ist mit Blick auf die kurze Verweildauer und das Freizeitverhalten der Feriengäste schon nicht mit dem hier konkret angestrebten Nutzungskonzept als Boardinghouse vergleichbar. Zudem waren bei dem damals zu begutachtenden Baugebiet außer der typischen Wohnnutzung und ggf. vereinzelter Wochenendhausnutzung gerade keine sonstigen Nutzungsarten vorhanden, und auch die Infrastruktur (Erschließung über einen Feld- und Wald Weg) war nicht auf die angestrebte Nutzung ausgelegt.
Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen bestehen vorliegend auch im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür, dass den streitgegenständlichen Vorhaben ein so hohes Störpotential innewohnen würde, dass sie (im allgemeinen oder reinen Wohngebiet) im Einzelfall unzulässig wären (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
Soweit die Antragstellerin sich auf eine unzureichende Ermessensausübung beruft, kann sie auch hiermit nicht durchdringen. Insbesondere sind für das Gericht keine Anhaltspunkte für den von der Antragstellerin vorgetragenen Ermessensausfall ersichtlich. Soweit dies beispielsweise damit begründet wird, dass sich die Antragsgegnerin nicht mit der Qualifizierung des Gewerbebetriebes auseinandergesetzt hat, wird lediglich ein Merkmal des Ausnahmetatbestandes aufgegriffen; dies hat allerdings nichts mit der auf Rechtsfolgenseite gebotenen Ermessensausübung zu tun. Im Übrigen dürfte die Antragsgegnerin die Erteilung einer Ausnahme in Ausübung des Ermessens nur aus städtebaulichen Gründen im Einzelfall versagen. Da solche allerdings gerade nicht ersichtlich sind, wäre für eine ablehnende Entscheidung ohnehin kein Raum.
Soweit die Antragstellerin eine Unbestimmtheit der Erteilung der Ausnahme vorträgt, verfängt ihre Argumentation ebenfalls nicht. Sollte insoweit tatsächlich eine Auslegungsbedürftigkeit anzunehmen sein, so wären die jeweiligen Ziffern 5 der streitgegenständlichen Bescheide unzweifelhaft auslegungsfähig.
Mit Blick auf die oben stehenden Ausführungen ist hier auch nicht davon auszugehen, dass sich die streitgegenständlichen Vorhaben der Antragstellerin gegenüber als unzumutbar und damit rücksichtslos darstellen. Insbesondere ist eine Rücksichtslosigkeit auch nicht wegen einer unzumutbaren Lärmbelastung (zum Beispiel durch nächtliches Türenschlagen von Kraftfahrzeugen oder durch Freizeitlärm) ersichtlich. Wie bereits dargestellt wurde, ist aufgrund des konkreten Nutzungskonzepts der Beigeladenen nicht davon auszugehen, dass die Gäste bzw. Mieter des Boardinghauses einen wesentlich anderen Tagesablauf als die berufstätigen Anwohner pflegen, so dass es hier nicht zu Lärmemissionen kommen wird, die mit der umliegenden Wohnnutzung nicht mehr zu vereinbaren wären. Die Erstellung eines Lärmgutachtens war insofern nicht notwendig.
Nach alldem ist festzustellen, dass nach summarischer Prüfung im Hinblick auf das Erfordernis der Verletzung nachbarschützender Rechte ein Erfolg der Klagen der Antragstellerin gegen die Baugenehmigungsbescheide der Antragsgegnerin vom 29. Juni 2017 nicht hinreichend wahrscheinlich erscheint. Dies spricht für ein überwiegendes Interesse der Beigeladenen am Beibehalten der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der ihr erteilten Baugenehmigungen. Besondere Umstände, die es rechtfertigen könnten, das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen dennoch höher zu bewerten, sind nicht ersichtlich, zumal eine Unterbindung der Nutzung einer baulichen Anlage im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes noch vor der Entscheidung in der Hauptsache ohnehin nur gerechtfertigt wäre, wenn die behaupteten Beeinträchtigungen erkennbar und erheblich über das Maß dessen hinausgehen, was der Nachbar letztlich hinzunehmen haben wird (BayVGH, B.v. 8.4.2014 – 9 CS 13.2007 – juris Rn. 18). Insofern bleibt es bei der vom Gesetzgeber in § 212a Abs. 1 BauGB getroffenen Entscheidung.
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die streitgegenständlichen Bescheide waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Da sich die Beigeladene mangels Antragstellung nicht am Kostenrisiko der Verfahren beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat (§ 54 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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