Baurecht

Zulassung der Berufung im Streit um Bordellbetrieb im Industriegebiet

Aktenzeichen  15 ZB 15.1632

Datum:
7.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 52292
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2
BauGB § 14 Abs. 1
BauNVO § 1 Abs. 5, Abs. 9, § 9 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Der Wirksamkeit einer Veränderungssperre zur Sicherung der Bauleitplanung (§ 14 BauGB) steht es nicht entgegen, wenn am Anfang der Planung die Lösung wesentlicher Abwägungsprobleme noch nicht feststeht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Planungsziel, bestimmte Gewerbebetriebe bauplanungsrechtlich auszuschließen, um einem Trading-Down-Effekt bzw. einer Verdrängung städtebaulich primär gewollter klassischer produzierender und weiterverarbeitender Gewerbebetriebe entgegenzuwirken, dürfte grundsätzlich ein sicherungsfähiges Planungsziel darstellen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Bauleitplanung mit dem Hauptzweck des Ausschlusses von Bordellen und bordellartigen Betrieben stellt nicht von vornherein eine als solche unzulässige sog. Negativplanung dar.  (redaktioneller Leitsatz)
4. Ziel des § 1 Abs. 9 BauNVO ist es, die allgemeinen Differenzierungsmöglichkeiten der Baugebietstypen nochmals einer “Feingliederung” unterwerfen zu können, falls sich hierfür besondere städtebauliche Gründe ergeben, um die Vielfalt der Nutzungsarten im Plangebiet zu mindern. Die Planungsfreiheit der Gemeinden ist lediglich dadurch begrenzt, dass sich die Differenzierungen auf bestimmte Anlagentypen beziehen müssen, die es in der sozialen und ökonomischen Realität bereits gibt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 14.637 2015-05-07 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Berufung wird zugelassen.
II.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 470.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweist. Die Beklagte hat zwar ausdrücklich nur die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils) und § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenzrüge) bezeichnet, den Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO allerdings unter Erfüllung der Darlegungsvoraussetzungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO (hierzu BayVGH, B.v. 20.4.2016 – 15 ZB 14.2686 u. a. – juris Rn. 22 ff. m. w. N.) implizit mit ihrem Vortrag zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124a Rn. 50). Ob die Berufung daneben auch wegen § 124 Abs. 2 Nr. 1 und /oder Nr. 4 VwGO zuzulassen wäre, kann dahingestellt bleiben.
1. Die Beklagte hat in der Zulassungsbegründung substanziiert unter Rekurs auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darauf abgestellt, dass Bordelle und bordellähnliche Betriebe bei typisierender Betrachtungsweise aufgrund der Tatsache, dass von diesen keine erheblichen Störungen ausgingen, grundsätzlich der Gebietskategorie des Gewerbegebiets (§ 8 BauNVO) und nicht des Industriegebiets (§ 9 BauNVO) zugewiesen seien. Die von einem Bordell ausgehenden Belästigungen erreichten die Schwelle der Erheblichkeit, welche darüber entscheide, ob der Gewerbebetrieb noch im Gewerbegebiet oder nur im Industriegebiet zulässig sei, nicht. Es sei daher auch mit Blick auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 25. November 1983 (4 C 21.83) nicht ausgeschlossen, dass Bordelle und bordellähnliche Betriebe grundsätzlich nicht mit der Zweckbestimmung eines Industriegebiets vereinbar seien.
Die Zulassungsbegründung der Beklagten wirft damit die (entscheidungsrelevante) – und von der Frage der Wirksamkeit der Veränderungssperre unabhängige – Frage auf, ob Bordelle o.ä. in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Industriegebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung überhaupt bzw. unter welchen (ggf. einschränkenden) Voraussetzungen zulässig und damit genehmigungsfähig sind. Deren Beantwortung bereitet in rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten.
Während in der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts die grundsätzliche Zulässigkeit von Bordellen und bordellartigen Betrieben in einem festgesetzten Industriegebiet ohne Weiteres vorausgesetzt wird (vgl. auch VG Freiburg/Breisgau, U. v. 24.10.2000 – 4 K 1178/99 – NVwZ 2001, 1442/1444), hat das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob ein Bordell, in dem die Prostituierten nicht wohnen, in einem Industriegebiet zulässig wäre, bislang nicht eindeutig beantwortet. Allerdings hat es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1983 ausgeführt, dass der den Industriegebieten zukommende Zweck, der Unterbringung vorwiegend solcher Gewerbebetriebe zu dienen, die in anderen Baugebieten unzulässig seien (§ 9 Abs. 1 BauNVO), dafür spreche, die Zulässigkeit solcher nicht erheblich belästigender Betriebe für das Industriegebiet anders zu beantworten als für ein Gewerbegebiet (BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 – BVerwGE 68, 213 ff. = juris Rn. 13; vgl. auch BayVGH, B.v. 13.2.1996 – 14 CS 95.3591 – juris Rn. 17; VGH BW, B.v. 30.7.2009 – 5 S 973/09 – juris Rn. 4). Der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sieht in einer aktuellen (rechtskräftig gewordenen) Entscheidung (BayVGH, U.v. 19.10.2015 – 1 B 15.886 – NVwZ 2016, 706 ff. = juris Rn. 19 ff.) Bordellbetriebe in Industriegebieten – ungeachtet der Frage, ob sie als „Gewerbebetriebe aller Art“ oder als „Vergnügungsstätten“ anzusehen sind – als grundsätzlich bauplanungsrechtlich unzulässig an. Wenn man Bordellbetriebe den Vergnügungsstätten zuordnete, wäre deren Betrieb im Industriegebiet von vornherein unzulässig‚ weil Vergnügungsstätten nach dem Nutzungskatalog des § 9 BauNVO weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig seien. Dasselbe gelte grundsätzlich, wenn man mit der wohl überwiegenden Meinung davon ausgehe‚ dass es sich bei Bordellbetrieben um „Gewerbebetriebe aller Art“ handele (so BVerwG, B.v. 2.11.2015 – 4 B 32.15 – NVwZ 2016, 151 f. = juris Rn. 4 f.). Denn auch dann seien Bordellbetriebe in einem Industriegebiet als gebietsunverträglich anzusehen. Zur Begründung führt der 1. Senat aus (BayVGH, U.v. 19.10.2015 a. a. O. juris Rn. 24 f.):
„Gemäß § 9 Abs. 1 BauNVO dienen Industriegebiete ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben‚ und zwar vorwiegend von erheblich belästigenden Betrieben‚ die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Bordellbetriebe jedenfalls der hier vorliegenden Art erreichen jedoch – anders als möglicherweise im Einzelfall erheblich belästigende Bordellbetriebe – trotz (abendlichen) Besucherverkehrs und milieubedingter Unruhe die Schwelle der erheblichen Belästigung nicht und können daher entsprechend ihren Anforderungen an das Baugebiet grundsätzlich in Gewerbegebieten untergebracht werden (BVerwG‚ U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 – BVerwGE 68‚ 213; Stock in König/Röser/Stock‚ a. a. O., § 8 Rn. 22). Sind derartige Bordellbetriebe aber nicht auf die Unterbringung in einem Industriegebiet angewiesen, so verträgt sich die Zulassung von Bordellbetrieben, die zudem gegen industriegebietstypische Störungen, wie beispielsweise Lärm oder andere Immissionen, empfindlich sein können, nicht mit der allgemeinen Zweckbestimmung von Industriegebieten, die für (erheblich störende) Betriebe‚ die in anderen Baugebieten unzulässig sind‚ offengehalten werden sollen (BVerwG, U. v. 25.11.1983 a. a. O. S. 217). Da Bordellbetriebe zumindest eine inhaltliche Nähe zu Vergnügungsstätten aufweisen, wird die Gebietsunverträglichkeit derartiger Betriebe zudem durch die Tatsache bestätigt, dass Vergnügungsstätten in Industriegebieten – anders als in Gewerbegebieten (s. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO) – nicht einmal ausnahmsweise zulässig sind.
Da auch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans ausscheidet, kommt es auf die Frage‚ ob § 15 Abs. 1 BauNVO der Bordellnutzung entgegensteht‚ im vorliegenden Fall nicht an. (….)“
Im Berufungsverfahren wird zu hinterfragen sein, ob der Rechtsprechung des 1. Senats zu folgen ist und ob und inwieweit die dort aufgestellten rechtlichen Schlüsse auf die hier einschlägige Fallkonstellation zu übertragen sind bzw. ob im vorliegenden Fall – worauf sich der Kläger im Zulassungsverfahren unter Hinweis auf die Größe und den Umfang des Vorhabens (Laufhaus mit 47 Einzelräumen) berufen hat – aufgrund eines erheblich belästigenden und daher „industriespezifischen“ Betriebs ggf. ausnahmsweise von der Zulässigkeit der beantragten Nutzung im Industriegebiet ausgegangen werden kann. Der Senat geht davon aus, dass die Parteien hierzu im Berufungsverfahren schriftsätzlich Stellung nehmen.
2. Der Senat weist darauf hin, dass auch die weiteren aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen, die die an die Wirksamkeit einer Veränderungssperre zu stellenden Anforderungen betreffen, nicht völlig einfach zu beantworten sind. Zwar sind grundsätzliche Fragen hierzu auch nach Maßgabe der in der angefochtenen Entscheidung zitierten Rechtsprechung weitgehend einer Klärung zugeführt worden. Es ist aber im Berufungsverfahren zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht die diesbezüglichen Grundsätze zum Recht der Veränderungssperre richtig auf den Fall umgesetzt hat.
Die gesetzliche Voraussetzung des § 14 Abs. 1 BauGB, dass eine Veränderungssperre „zur Sicherung der Planung“ erforderlich sein muss, ist nur gegeben, wenn die mit dem Aufstellungsbeschluss eingeleitete Planung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Veränderungssperre ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll, und wenn diese Planung nicht an schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens erkennbaren, nicht behebbaren Mängeln – insbesondere (z. B. als sog. als sog. Negativ- bzw. Verhinderungsplanung) wegen eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB – leidet (zusammenfassend BayVGH, B.v. 15.6.2016 – 15 N 15.1583 – juris Rn. 15; König, Baurecht Bayern, 5. Auflage 2015, Rn. 333 m. w. N.).
a) Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist für das zur fordernde „Mindestmaß an Konkretisierung“ noch nicht notwendig. Da es Zweck der Veränderungssperre ist, eine bestimmte Bauleitplanung zu sichern, darf sie zwar nicht eingesetzt werden, wenn das Planungskonzept erst im Planungsverfahren entwickelt werden soll. Es ist hingegen grundsätzlich ausreichend, wenn die Kommune im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre Vorstellungen über die Art der zukünftigen Nutzung besitzt, d. h. die Richtung der Planung erkennbar ist. Eine Veränderungssperre soll der planenden Kommune einen Zeitgewinn verschaffen, um der Gefahr vorzubeugen, dass während des Planungsvorgangs – also während des Prozesses der Ermittlung, Bewertung und Abwägung der einzelnen Belange, der erst schrittweise einem Planungsergebnis zugeführt werden soll – das Planungsziel durch zwischenzeitlich genehmigte Bauprojekte vereitelt wird. Es ist typisch für jede Planung, dass das am Anfang stehende Konzept erst stufenweise einer Konkretisierung zugeführt wird. Der Wirksamkeit einer Veränderungssperre zur Sicherung der Bauleitplanung steht es mithin nicht entgegen, wenn am Anfang der Planung die Lösung wesentlicher Abwägungsprobleme noch nicht feststeht. Die Frage, ob die für die Planungsziele sprechenden Gründe in der – späteren – Abwägung mit anderen Faktoren am Ende der Planung ausreichend Gewicht haben werden, um die Planung zu tragen, oder ob es noch weiterer „Feinsteuerungen“ bedarf, ist erst im Bebauungsplanverfahren abschließend zu entscheiden (vgl. z. B. BVerwG, B.v. 21.12.1993 – 4 NB 40.93 – NVwZ 1994, 685 f. = juris Rn. 2; U. v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138 ff. = juris Rn. 31). Für eine hinreichend konkretisierte Positivplanung i. S. von § 14 Abs. 1 BauGB müssen zudem die diesbezüglichen Vorstellungen nicht notwendig im Aufstellungsbeschluss selbst zum Ausdruck kommen; es genügt, wenn sich diese z. B. aus Niederschriften über Gemeinderatssitzungen oder aus sonstigen Unterlagen und Umständen oder sogar aus einer bekannten Vorgeschichte ergeben (BVerwG, B.v. 1.10.2009 – 4 BN 34.09 – NVwZ 2010, 42 ff. = juris Rn. 9).
Insofern wäre im Berufungsverfahren zu hinterfragen, ob für die Prüfung des „Mindestmaßes an Konkretisierung“ überhaupt auf das noch – wohl für das gesamte Stadtgebiet der Beklagten – zu erarbeitende „Bordell-Strukturkonzept“ (vgl. Beschlussvorlage 14/01511, Seite 5 der Beschlussvorlage 14/01502 und Seite 5 der Beschlussvorlage 14/01503 – jeweils v. 10.2.2014) abzustellen ist. Die Erwägungen jeweils unter „III. Ziele der Änderungsplanungen“ auf Seiten 6 f. der Beschlussvorlage 14/01502 sowie Seiten 6 f. der Beschlussvorlage 14/01503 könnten dafür sprechen, dass es der vorliegenden Planung für das zu überplanende Gebiet bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre konkret um einen Nutzungsausschluss ging, um einem infolge zunehmender Ansiedlung von Bordellbetrieben bereits beginnenden Verfall (trading down) des vorhandenen, überwiegend von produzierenden und verarbeitenden Betrieben geprägten Industriegebiets vorzubeugen (vgl. zur Abgrenzung BayVGH, U.v. BayVGH, U.v. 26.5.2009 – 1 N 08.2636 – BayVBl. 2010, 562 ff. = juris Rn. 48). Das Planungsziel, bestimmte Gewerbebetriebe bauplanungsrechtlich auszuschließen, um einem Trading-Down-Effekt bzw. einer Verdrängung städtebaulich primär gewollter klassischer produzierender und weiterverarbeitende Gewerbebetriebe entgegenzuwirken (s. hier auch Seiten 3 f. und Seite 6 der Beschlussvorlage 14/01502; Seite 4 der Beschlussvorlage 14/01503), dürfte grundsätzlich ein sicherungsfähiges Planungsziel darstellen (speziell für die Sicherung einer Planung zum Ausschluss von Bordellbetrieben: BayVGH, B.v. 31.3.2009 – 14 ZB 08.2705 – juris Rn. 8 f.; HessVGH, U.v. 5.2.2004 – 4 N 360/03 – BauR 2005, 1126 ff. = juris Rn. 27; VGH BW, B.v. 24.4.2013 – 3 S 2404/12 – BauR 2013, 1635 ff. = juris Rn. 13; VG Hamburg, B.v. 19.1.2010 – 11 E 3453/09 – juris Rn. 22 ff.; vgl. auch BVerwG, B.v. 4.9.2008 – 4 BN 9.08 – BauR 2009, 76 = juris Rn. 7 f.).
b) Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2013 – 15 N 12.1020 – juris Rn. 19 ff. klargestellt, dass eine Planung mit dem Hauptzweck des Ausschlusses von Bordellen und bordellartigen Betrieben (dort in einem Gewerbegebiet i. S. von § 8 BauNVO) nicht von vornherein eine sog. Negativplanung darstellt und deshalb gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verstößt:
„Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB sind nur solche Bebauungspläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind. Davon ist u. a. auszugehen, wenn eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken. Ein solcher Fall ist aber nicht schon dann gegeben, wenn der Hauptzweck der Festsetzungen in der Verhinderung bestimmter städtebaulich relevanter Nutzungen besteht (BVerwG, B.v. 15.3.2012 – 4 BN 9/12 – BauR 2012, 1067). Insbesondere gibt es kein generelles Verbot negativer Festsetzungen. Positive Planungsziele können nicht nur durch positive, sondern auch durch negative Beschreibungen, etwa zur Abgrenzung und zur genaueren Beschreibung des Gewollten, festgesetzt werden. Der Gemeinde ist es auch nicht verwehrt, auf Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, der ihnen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. Auch eine zunächst nur auf die Verhinderung einer – aus der Sicht der Gemeinde – Fehlentwicklung gerichtete Planung kann einen Inhalt haben, der rechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerwG, B.v. 18.12.1990 – 4 NB 8/90 – BayVBl 1991, 280).
So liegt es hier. Ausweislich der Begründung zum Aufstellungsbeschluss vom 1. März 2012 ist im Plangebiet durch die Aufgabe verschiedener Gewerbebetriebe und dem damit einhergehenden Leerstand verstärkt ein Besatz mit Bordellen und Spielhallen festzustellen. Mit der Ansiedlung weiterer Bordelle und Vergnügungsstätten sei eine städtebauliche Fehlentwicklung im Sinn eines Trading-Down-Effekts nicht mehr abzuwenden; dem gelte es, steuernd entgegenzutreten. Die sukzessive Erweiterung von Bordell- und Vergnügungsbetrieben führe zu einer schleichenden Gebietsveränderung und teilweise nicht steuerbaren Veränderung der Nutzungsart sowie einer Verdrängung der bestehenden gewerblichen Nutzungen. Nach den Planvorstellungen der Antragsgegnerin ließen sich die Ziele, den eintretenden Qualitätsverlust des Areals aufzuhalten und eine massive Konzentration des Rotlichtmilieus einzudämmen, ohne die am 25. Oktober 2012 beschlossene Erweiterung des räumlichen Geltungsbereichs auch auf die Flächen östlich der Raiffeisenstraße nicht sicherstellen.
Diese Erwägungen lassen erkennen, dass die Planung der Antragstellerin im Hinblick auf die damit verbundenen Rechtseinwirkungen in Einklang mit den gesetzlich zulässigen Planungszielen steht und auf diese Weise grundsätzlich zu rechtfertigen ist (vgl. BVerwG, U.v.27.3.2013 – 4 CN 6/11 – BauR 2013, 1402 m. w. N.). Insbesondere rechtfertigt der städtebauliche Erfahrungssatz vom Trading-Down-Effekt (vgl. BVerwG, B.v. 4.9.2008 – 4 BN 9/08 – BauR 2009, 76) hier die Besorgnis, dass vorhandene, von der Antragstellerin als „klassisch“ bezeichnete Gewerbenutzungen, die die nähere Umgebung in Richtung eines Gewerbegebiets prägen, angesichts des vermehrten Hinzukommens von Bordellen und Vergnügungsstätten abzuwandern oder verdrängt zu werden drohen. Die Verhinderung dieses Trading-Down-Effekts durch Nutzungen, die sich negativ auf ihre Umgebung auswirken, stellt einen städtebaulichen Grund dar, der den Ausschluss solcher Nutzungen rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, B.v. 4.9.2008 a. a. O.).“
Mit Blick auf diese Entscheidung wäre im Berufungsverfahren die Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege eine nicht erforderliche und daher gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verstoßende Negativplanung vor, kritisch zu hinterfragen (vgl. auch OVG Bremen, B.v. 9.1.2013 – 1 B 258/12 – BauR 2013, 1096 = juris Rn. 35 f.; VGH BW, B.v. 24.4.2013 – 3 S 2404/12 – BauR 2013, 1635 ff. = juris Rn. 14).
c) Hinsichtlich der Frage, ob sonstige, schlechterdings nicht behebbare Mängel der Planung vorliegen, die bereits auf die Wirksamkeit der Veränderungssperre durchschlagen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass § 1 Abs. 9 BauNVO – über § 1 Abs. 5 BauNVO hinausgehend – gestattet, einzelne Unterarten von Nutzungen, welche die Baunutzungsverordnung selbst nicht angeführt hat, mit planerischen Festsetzungen zu erfassen. Während bereits nach § 1 Abs. 5 BauNVO einzelne der unter einer Nummer einer Baugebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung zusammengefassten Nutzungen im Bebauungsplan ausgeschlossen werden können, können nach § 1 Abs. 9 BauNVO weitergehende Differenzierungen vorgenommen werden. Ziel des § 1 Abs. 9 BauNVO ist es mithin, die allgemeinen Differenzierungsmöglichkeiten der Baugebietstypen nochmals einer „Feingliederung“ unterwerfen zu können, falls sich hierfür besondere städtebauliche Gründe ergeben, um die Vielfalt der Nutzungsarten im Plangebiet zu mindern. Die Planungsfreiheit der Gemeinden ist lediglich dadurch begrenzt, dass sich die Differenzierungen auf bestimmte Anlagentypen beziehen müssen, die es in der sozialen und ökonomischen Realität bereits gibt (BVerwG, B.v. 5.6.2014 – 4 BN 8.14 – ZfBR 2014, 574 = juris Rn. 10; VGH BW, U.v. 27.10.2015 – 8 S 2207/13 – juris Rn. 72). Für den Anwendungsbereich des § 8 BauNVO hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Bordelle oder bordellähnliche Betriebe – als in der sozialen und ökonomischen Realität vorkommende Nutzungen – eine Unterart eines Gewerbebetriebes i. S.v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO darstellen und diese deshalb dort über § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i. V. m. § 1 Abs. 9 BauNVO ausgeschlossen werden können (BVerwG, B.v. 5.6.2014 a. a. O. juris Rn. 10 m. w. N., jedenfalls für den Fall, dass die Prostituierten in dem Bordell nicht wohnen).
Sollte der vorliegend vom Kläger beabsichtigte Bordellbetrieb als „Gewerbebetrieb aller Art“ entgegen der Ansicht des 1. Senats des Verwaltungsgerichtshofs (s.o. 1.) grundsätzlich der Regelzulässigkeit § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO unterfallen, dürfte der Ausschließbarkeit einer Bordellnutzung im Industriegebiet daher grundsätzlich nichts im Wege stehen. Ob – wie das Verwaltungsgerichts meint – bei einem Industriegebiet (§ 9 BauNVO) aufgrund eines Auffangcharakters gesteigerte Anforderungen an die Bejahung „besonderer städtebaulicher Gründe“ i. S. von § 1 Abs. 9 BauNVO anzulegen sind, ob ggf. solche (gesteigerten?) besonderen städtebauliche Gründe im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre vorlagen und schließlich ob diese Anforderungen des § 1 Abs. 9 BauNVO schon für die Frage der Wirksamkeit der Veränderungssperre relevant sind, wäre – soweit es darauf ankommt (s.o. 1.) – im Berufungsverfahren zu klären.
3. Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG. Sie folgt der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.

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