Aktenzeichen M 10 S 16.3383
BGS/EWS BGS/EWS § 5 Abs. 4
BayKAG BayKAG Art. 13 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Für den Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 BayKAG, §§ 169 ff. AO ist die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters von den den Erlass des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen maßgeblich. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 549,03 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Herstellungsbeitragsbescheid zur Entwässerungseinrichtung.
Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Flur-Nr. … der Gemarkung … im Gemeindegebiet der Beklagten; er hat die Immobilie im Juni 2004 erworben. Die Beklagte betreibt eine Entwässerungseinrichtung. Erstmalig war das streitgegenständliche Anwesen 1999 veranlagt worden. Das Dachgeschoss ist ausgebaut und war dies nach übereinstimmendem Parteivortrag bereits bei Erwerb durch den Antragsteller. Wann genau das Dachgeschoss ausgebaut wurde, ist unklar. Seit dem 1. Mai 2009 vermietet der Antragsteller das Dachgeschoss an seine Schwester, welche ihren Hauptwohnsitz bei der Meldebehörde der Antragsgegnerin für diese Wohnung angemeldet hat.
2016 erlangte der zuständige Sachbearbeiter der Antragsgegnerin Kenntnis, dass das Dachgeschoss des streitgegenständlichen Hauses ausgebaut ist.
Mit Bescheid vom 22. März 2016 forderte die Antragsgegnerin vom Antragsteller Herstellungsbeiträge zur Entwässerungsanlage in Höhe von 2.196,11 Euro wegen des weiteren Dachgeschossausbaus.
Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 18. April 2016 Widerspruch, welchem die Antragsgegnerin nicht abhalf, wie sie mit Schreiben vom 10. Mai 2016 dem Antragsteller mitteilte. Das Landratsamt … als Widerspruchsbehörde teilte mit Schreiben vom 19. Juli 2016 mit, dass es die Auffassung der Antragsgegnerin teile.
Unter dem 22. Juni 2016 sandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Mahnung und kündigte in den Schreiben vom 7. Juli 2016 und 27. Juli 2016 die Zwangsvollstreckung an.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat am 29. Juli 2016 per Telefax beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und einer nachfolgenden Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt: Das Dachgeschoss sei bereits ausgebaut gewesen, als der Antragsteller es erworben habe, bauliche Änderungen habe er daran selbst nicht vorgenommen. Es sei Festsetzungsverjährung eingetreten, da die Antragsgegnerin durch die Wohnsitzmeldung der Mieterin 2009 bereits gewusst habe, dass das Dachgeschoss bewohnbar und damit ausgebaut war. Diese Kenntnis müssten sich die Sachbearbeiter der Finanzverwaltung der Antragsgegnerin zurechnen lassen. Zudem habe bereits der vorherige Eigentümer nach Wissen des Antragstellers das Dachgeschoss vermietet gehabt, was eine Wohnsitzmeldung und daraus folgende Kenntnis der Antragsgegnerin vermuten lasse. Zudem sei die Antragsgegnerin bezüglich der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts 2004 informiert worden und es sei davon auszugehen, dass man sich bei der Prüfung des Vorkaufsrechts mit dem Objekt befasst haben müsse.
Der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 16. August 2016, bei Gericht am 17. August 2016 eingegangen, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 13. September 2016 ausgeführt, die Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten, da es auf die Kenntnis des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Amtswalters ankomme.
Mit Schreiben vom 10. August 2016 teilte das Landratsamt … mit, dass nach Rücksprache mit der Antragsgegnerin bis auf weiteres von Beitreibungsmaßnahmen abgesehen werde.
Der Widerspruchsbescheid vom 22. August 2016 weist den Widerspruch zurück. Zur Begründung wird ausgeführt: Durch den Dachgeschossausbau sei eine Geschossflächenvermehrung eingetreten. Schuldner des damit nachzuerhebenden Beitrags sei, wem das Grundstück in dem Zeitpunkt gehöre, zu dem die Beitragspflicht erstmalig entstehe. Voraussetzung für das Entstehen sei auch eine gültige Satzung und diese Voraussetzung habe erst 2010 vorgelegen. Zu diesem Zeitpunkt sei schon der Antragsteller Eigentümer gewesen und daher der rechtmäßige Beitragsschuldner. Zuvor sei die BGS/EWS nichtig gewesen. Die Antragsgegnerin habe erst 2016 von dem Dachgeschossausbau Kenntnis erlangt und daher sei noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
Mit Telefax vom 23. September 2016 bekräftigte der Klägerbevollmächtigte, es sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, da nicht positive Kenntnis erforderlich sei, sondern nur, dass die Antragsgegnerin den Sachverhalt ohne besondere Schwierigkeiten feststellen könne. Dies sei bereits bei der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts 2004 der Fall gewesen.
Eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 22. März 2016 erhob der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten am 5. September 2016 per Telefax, sie ist unter dem Aktenzeichen M 10 K 16.3994 anhängig.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Interessenabwägung anzustellen (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 80 Rn. 68). Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage einzubeziehen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos blieben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse der Antragstellerin, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Nur wenn die Vollziehung einen erheblichen, nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriff darstellt, mithin vollendete Tatsachen schafft, könnte auch in diesem Fall das private Interesse der Antragstellerin überwiegen (vgl. Schmidt in Eyermann, a.a.O. Rn. 76).
Im vorliegenden Fall wird die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben. Unter Zugrundelegung der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist der angegriffene Herstellungsbeitragsbescheid rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn der Bescheid stützt sich auf eine wirksame Rechtsgrundlage, deren Voraussetzungen vorliegen (dazu unter a.), der Antragsteller ist Beitragsschuldner (dazu unter b.) und der Anspruch der Antragsgegnerin war zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids noch nicht verjährt (dazu unter c.).
a. Die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt … (BGS/EWS) vom 16. März 2010, zuletzt geändert mit Satzung vom 14. Dezember 2015 ist eine wirksame Rechtsgrundlage für die Nacherhebung des Herstellungsbeitrags. Zweifel an ihrer Rechtswirksamkeit bestehen ebensowenig wie an der Rechtswirksamkeit der Entwässerungssatzung der Stadt … (EWS) vom 16. März 2010, auf welche sie sich bezieht. Ermächtigungsgrundlage ist § 5 Abs. 4 BGS/EWS, wonach ein zusätzlicher Beitrag entsteht mit der nachträglichen Änderung der für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände, soweit sich dadurch der Vorteil erhöht. Eine Beitragspflicht entsteht nach der Satzung insbesondere im Fall der Geschossflächenvergrößerung. Es ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass das Dachgeschoss des streitgegenständlichen Grundstücks erst nachträglich ausgebaut wurde und das Gebäude nicht bereits mit einem ausgebauten Dachgeschoss errichtet wurde. Denn nach Aktenlage enthielt der ursprüngliche Bauantrag für das Dachgeschoss den Hinweis „vorerst nicht ausgebaut“. Selbst wenn einer der Rechtsvorgänger des Antragstellers das Haus bereits mit ausgebautem Dachgeschoss gebaut haben sollte, wäre die Antragsgegnerin nach der BGS/EWS berechtigt, den damals nicht erhobenen Beitrag nachzuerheben, so dass es nicht entscheidungserheblich ist, wann genau der Dachgeschossausbau vor dem Erwerb durch den Antragsteller erfolgte.
b. Der Antragsteller ist richtiger Beitragsschuldner nach § 4 BGS/EWS. Denn er war 2010 Eigentümer des Grundstücks. Zu diesem Zeitpunkt ist die Beitragsschuld entstanden. Die Beitragsschuld entsteht erst, wenn eine wirksame Satzung vorliegt. Die erste wirksame BGS/EWS war diejenige vom 16. März 2010. Die vorherige BGS/EWS war unwirksam, so dass die Beitragspflicht noch nicht entstanden war, als der Antragsteller das streitgegenständliche Grundstück 2004 erworben hat. Denn die BGS/EWS vom 11. Dezember 1997 bezog sich damals auf die EWS vom 13. Juni 2003. Diese war jedoch teilnichtig. Denn nach § 5 Abs. 5 EWS 2003 besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang im Umfang des Benutzungsrechts. Das Anschluss- und Benutzungsrecht nach § 4 EWS 2003 unterscheidet aber das Abwasser nicht danach, ob die Versickerung auf dem Grundstück möglich ist. Damit ist die EWS 2003 wegen eines Verstoßes gegen das Rechtstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) insoweit nichtig (vgl. BayVerfGH, 10.11.2008 – Vf. 4-VII-06 – juris). Der Fehler der EWS führt auch zur Unwirksamkeit der BGS/EWS; auf Grund des Fehlens wirksamer Benutzungsregelungen bezüglich der Niederschlagswasserbeseitigung kommt die Erhebung eines Herstellungsbeitrags für die Grundstücksfläche, welche den Vorteil auch für die Niederschlagswasserbeseitigung abgelten soll, nicht in Betracht (vgl. BayVGH, U.v. 29.4.2010 – 20 BV 09.2010 – juris Rn. 56 f.).
c. Eine Festsetzungsverjährung ist noch nicht eingetreten. Die Festsetzungsverjährung tritt gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 KAG, §§ 169 ff. AO nach vier Jahren ein. Maßgeblich für den Fristbeginn ist die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters. Denn Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b cc 1. Spiegelstrich KAG legt fest, dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist. Nach der Rechtsprechung erlangt eine Behörde positive Kenntnis von Tatsachen, die den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass berufene Beamte oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung berufener Amtswalter die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen feststellt (BayVGH, B.v. 17.8.2001 – 23 ZB 01.1553 – juris m.w.N.; BayVGH U.v. 10.12.2007 – 23 B 07.1974 – juris; VG München, U.v. 4.3.2011 – M 10 K 09.5883 – juris). Damit ist die Festsetzungsverjährung im vorliegenden Fall unabhängig davon nicht eingetreten, ob positive Kenntnis erforderlich ist oder – wie der Klägerbevollmächtigte meint – fahrlässige Unkenntnis genügt. Denn es ist jedenfalls auf den zuständigen Amtswalter abzustellen. Die Anmeldung des Wohnsitzes durch die Mieterin des Antragstellers bei der Meldebehörde führt mithin ebenso wenig zur Festsetzungsverjährung wie das Vorkaufsrecht der Antragsgegnerin. Denn beides ist jedenfalls nicht in der Zuständigkeit des konkreten Amtswalters, der für die Erhebung des Herstellungsbeitrags zuständig ist.
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs.