Aktenzeichen W 4 K 16.1271
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die zulässige Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist unbegründet, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Ob eine konkrete Norm Drittschutz vermittelt, wird im Wesentlichen nach den Grundsätzen der sog. Schutznormtheorie bestimmt (st. Rspr. BVerwG v. 17.6.1993, BVerwGE 92, 313; BVerwG v. 15.7.1987, BVerwGE 78, 40; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017; vgl. auch Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 116. EL, Juli 2014, Art. 76 BayBO Rn. 487 – 502 m.w.N.). Die betreffende Norm muss mithin ein Privatinteresse derart schützen, dass der Träger des Individualinteresses die Einhaltung des Rechtssatzes verlangen können soll (vgl. BVerwG v. 17.6.1993, BVerwGE 92, 313 m.w.N. vgl. auch Decker, in: Simon/Busse, BayBO, 116. EL, Juli 2014, Art. 76 BayBO Rn. 487 – 502).
Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden.
Eine solche Verletzung drittschützender Normen kann die Kammer vorliegend allerdings nicht erkennen.
Soweit der Klägervertreter rügt, vorliegend verstoße der streitgegenständliche Genehmigungsbescheid gegen den rechtsverbindlichen Bebauungsplan „… Teil II“, kann dem seitens der Kammer nicht gefolgt werden.
Es gibt in dem vom Klägervertreter genannten Bebauungsplan keine planungsrechtliche Vorschrift, die es verbietet, dass das Vorhaben an der Grenze errichtet wird. Zu Recht weist das Landratsamt A. in seiner Stellungnahme vom 11. Mai 2016 insoweit darauf hin, dass die im betreffenden Bebauungsplan enthaltene Festsetzung „Abstandsregelungen nach Art. 6 und 7 BayBO“ lediglich als Hinweis zu verstehen ist, dass sich die Abstandsflächen nach den Vorschriften der bayerischen Bauordnung richten und der Bebauungsplan insoweit keine eigenständige Regelung treffen will. Eine solche Bestimmung wird regelmäßig lediglich als Hinweis in einen Bebauungsplan aufgenommen (vgl. VGH Bad.-Württ. v. 10.1.2006 – 5 S 2335/05 – juris). Eine entsprechende bauplanerische Festsetzung wäre im übrigen, auch wenn sie im Wege einer statischen, nicht dynamischen Verweisung auf die bei Erlass des Bebauungsplans geltenden bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften erfolgte, unwirksam, denn der Sache nach handelt es sich um eine variable, von den Maßen des jeweiligen Vorhabens abhängige Regelung der überbaubaren Grundstücksfläche. Diese kann aber im Bebauungsplan nur durch Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen festgesetzt werden (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 BauNVO) (OVG Rheinland-Pfalz v. 30.10.1985 – 10 C 44.84 – DÖV 1986, 577).
Soweit der Klägervertreter desweiteren ausführt, jedenfalls sei das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, ist dem ebenso nicht zu folgen.
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m.w.N.). Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Im vorliegenden Fall stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben gegenüber der Klägerin nicht als unzumutbar und damit rücksichtslos dar.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, – juris Rn. 15: Drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 9.2.2015 – 2 CS 15.17 n.v.). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.). Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 09.02.2015 – 2 CS 15.17 n.v.).
Wie insbesondere der am 17. Januar 2017 durchgeführte Augenschein im Verfahren W 4 K 16.436, der einen Vorbescheid des Landratsamts A. zum Gegenstand hatte, deutlich gezeigt hat, kann von einer solchen erdrückenden Wirkung, wie sie die obergerichtliche Rechtsprechung fordert und wie sie von der Klägerin behauptet wird, vorliegend keine Rede sein. Die geplante zweigeschossige Bebauung entspricht dem Bebauungsplan und der gesamten Umgebungsbebauung. Dass der Klägerin kein Licht mehr zugeführt werden soll, wie der Klägervertreter meint, konnte die Kammer im Rahmen des Augenscheins ebenso nicht erkennen. Abgesehen davon sind über eine Sichtbeeinträchtigung und mögliche Verschattung hinaus mit dem Bauvorhaben jedenfalls keine Beeinträchtigungen verbunden, wie sie regelmäßig mit baulichen Anlagen und der Nutzung einhergehen (BayVGH, B.v. 3.5.2011 – 15 ZB 11.286 – juris Rn. 13). Die örtliche Situation mag daher für die Klägerin unbefriedigend sein, eingemauert oder erdrückt wird sie von dem Vorhaben des Beigeladenen jedoch offensichtlich nicht.
Die vom Klägervertreter weiterhin aufgeworfene Frage, ob durch das geplante Bauvorhaben Abstandsflächenvorschriften und insbesondere Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO verletzt werden, ist für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht entscheidungserheblich. Nach der neueren Rechtsprechung des BayVGH kommt eine Verletzung von Nachbarrechten, insbesondere eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch die angefochtene Baugenehmigung nur insoweit in Betracht, als die gerügte Rechtsverletzung auch Gegenstand des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahrens ist (BayVGH v. 20.12.2016, 9 CS 16.2088 – juris Rn. 15).
Wird also die angefochtene Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilt, ist die Feststellungswirkung der Baugenehmigung auf die in Art. 59 Satz 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt. Die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 BayBO ist darin nicht vorgesehen. Die Frage nach einer Abweichung wurde nicht gestellt, eine Abweichung wurde insoweit auch nicht erteilt. Eine Verletzung von Nachbarrechten der Klägerin durch den angefochtenen Genehmigungsbescheid wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen kommt deshalb nicht Betracht (vgl. auch BayVGH v. 8.8.2016 – 9 ZB 14.2808 – juris Rn. 9).
Dies gilt auch, soweit der Klägervertreter auf eine Prüfung der Abstandsflächen im Rahmen des Rücksichtnahmegebots abstellt. Denn es kann nach der neueren Rechtsprechung des BayVGH (a.a.O.) nicht davon ausgegangen werden, dass alleine eine – unterstellte – Verletzung der Abstandsflächenvorschriften eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots indizieren würde (vgl. BayVGH v. 23.3.2016 – 9 ZB 13.1877 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Soweit der Klägervertreter schließlich geltend macht, die Situierung der Stellplätze im Vorgarten direkt an der Grundstücksgrenze führe dazu, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt werde, vermag er auch damit nicht durchzudringen, da nicht erkennbar ist, inwieweit die Klägerin dadurch in eigenen Rechten verletzt sein soll. Die Situierung der Stellplätze auf dem Baugrundstück ist grundsätzlich nicht nachbarschützend. Sie wird erst dann nachbarschutzrelevant, wenn die Nutzung des eigenen Grundstücks hierdurch unzumutbar beeinträchtigt wird. Anhaltspunkte hierfür sind, dies wurde auch im Rahmen des Augenscheins offensichtlich, allerdings nicht erkennbar. Allein die von der Klägerin geltend gemachte Verringerung des Ein- und Ausfahrtsradius stellt jedenfalls keine unzumutbare Beeinträchtigung im oben genannten Sinne dar.
Die Klage war nach alldem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Klägerin hat auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen, da dieser einen Antrag gestellt hat und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.