Baurecht

Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung an den Nachbarn

Aktenzeichen  9 ZB 17.2005

Datum:
14.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6033
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 66 Abs. 1 S. 6

 

Leitsatz

Der Nachbar kann sich nicht auf eine fehlende oder fehlerhafte Nachbarbeteiligung berufen. Eine unterlassene Nachbarbeteiligung hat allein zur Folge, dass der Baugenehmigungsbescheid dem Nachbarn zuzustellen ist, wobei die Zustellung den Fristlauf für eine Klageerhebung auslöst (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 486 Rn. 3 mwN). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 16.307 2017-07-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die ihm unter dem 20. Februar 2016 zugestellte Ausfertigung der Baugenehmigung des Landratsamts W. vom 18. Februar 2016 zum Neubau eines Lebensmittelmarktes an die Beigeladene. Seine Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Juli 2017 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wegen Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche ernstlichen Zweifel hier nicht.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 6.6.1997 – 4 B 167.96 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 13). Es hat eine derartige Verletzung nachbarschützender Vorschriften verneint und dabei auf die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 18. Februar 2016 abgestellt, was sowohl dem Antrag im Klageschriftsatz vom 21. März 2016 als auch dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 27. Juli 2017 gestellten Antrag des Klägers entspricht.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist mit der Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung vom 18. Februar 2016 durch Postzustellungsurkunde am 20. Februar 2016 dem Kläger gegenüber kein eigenständiger, weiterer Verwaltungsakt erlassen worden. Die Ausfertigung stellt eine amtliche Abschrift der Urschrift dar, die im Rechtsverkehr die Urschrift vertritt und in besonderer Form erteilt wird (vgl. BGH, U.v. 4.6.1981 – III ZR 51/80 – juris Rn. 17; Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, Stand Juli 2018, § 4 Rn. 10, 12, § 5 Rn. 33), d.h. sie ist eine zweite Reinschrift, die im Rechtsverkehr die selben Wirkungen entfaltet wie das Original (Linhart, Der Bescheid, Rn. 14). Bei der Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung handelt es sich damit nur um eine besondere Form der Bekanntgabe dieser (einen) Baugenehmigung – hier vom 18. Februar 2016 – nach Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand Okt. 2018, Art. 68 Rn. 533). Die Zustellung dieser Ausfertigung der Baugenehmigung an den Kläger wird auch nicht deswegen zu einem eigenständigen, selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt, wenn hierfür die Voraussetzungen des Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO nicht vorliegen sollten. Unabhängig davon, dass eine Zustellung an den Nachbarn auch nach Art. 1 Abs. 5 VwZVG aufgrund behördlicher Anordnung ergehen könnte, führt die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts an Dritte nicht zu einem weiteren Verwaltungsakt; Gegenstand und einziger Verwaltungsakt bleibt hier die Baugenehmigung vom 18. Februar 2016. Diese richtet sich naturgemäß auch nicht an den Nachbarn, sondern an den Antragsteller (Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO) bzw. Bauherrn (vgl. Art. 50 Abs. 1 Satz 2 BayBO). Die Zustellung gegenüber dem Nachbarn hat lediglich den Zweck, den Nachweis des genauen Zeitpunkts und der Art des Zugangs im Hinblick auf den Lauf der Rechtsbehelfsfrist sicherzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2018 – 9 C 17.88 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Die Bekanntgabe des Baugenehmigungsbescheids gegenüber dem Nachbarn erfordert – entgegen der Ansicht des Klägers – auch nicht die Beifügung der genehmigten Bauvorlagen (vgl. Edenharter in Spannowsky/Manssen, BeckOK-BayBO, Stand 30.11.2018, Art. 66 Rn. 69; Lechner in Simon/Busse, a.a.O., Art. 68 Rn. 555). Dies ergibt sich schon aus Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO, der die Beifügung einer Ausfertigung der mit einem Genehmigungsvermerk zu versehenden Bauvorlagen nur an den Antragsteller sowie an die Gemeinde, wenn diese dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hat, vorsieht. Die dem Kläger zugestellte Baugenehmigung vom 18. Februar 2016 entspricht damit den gesetzlichen Anforderungen an die Bekanntgabe gem. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG und ist – unabhängig davon, dass sich der Kläger von den Bauvorlagen oder weiteren Anlagen gegebenenfalls erst noch Kenntnis verschaffen muss – ihm gegenüber wirksam geworden (Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG). Weitere Bestimmtheitsmängel i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG sind weder dargelegt noch ersichtlich. Aus den gleichen Gründen ist die Baugenehmigung insoweit auch nicht nichtig i.S.d. Art. 44 BayVwVfG.
2. Die Rechtssache ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Erforderlich ist die Formulierung einer konkreten Tatsachen- oder Rechtsfrage und das Aufzeigen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, sowie weshalb dieser Frage eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 9 ZB 16.2323 – juris Rn. 24 m.w.N.). Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen, „ob es sich bei der Zustellung der Ausfertigung des Baugenehmigungsbescheids an den Nachbarn um einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt“, „falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage dieser Verwaltungsakt beruht“ und „welche verfahrensrechtliche Bedeutung der Ausfertigung des inhaltlich an den Bauherrn gerichteten Baugenehmigungsbescheids für den Nachbarn zukommt“, sind danach nicht klärungsbedürftig.
Es ist höchstrichterlich geklärt, dass es sich bei der Baugenehmigung um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handelt und Gegenstand der Anfechtungsklage die Rechtsbehauptung des Klägers ist, ein bestimmter, von ihm angefochtener Verwaltungsakt – hier die Baugenehmigung vom 18. Februar 2016 – sei rechtswidrig und greife in seine Rechtssphäre ein (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.1997 – 4 B 167.96 – juris Rn. 7 f.). Es ist auch geklärt, dass sich der Nachbar nicht auf eine fehlende oder fehlerhafte Nachbarbeteiligung berufen kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2018 – 9 CS 18.1415 – juris Rn. 31 m.w.N.). Eine unterlassene Nachbarbeteiligung hat allein zur Folge, dass der Baugenehmigungsbescheid dem Nachbarn zuzustellen ist, wobei die Zustellung den Fristlauf für eine Klageerhebung auslöst (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2018 – 9 C 17.88 – juris Rn. 3 m.w.N.). Die Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung nach Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO setzt nicht voraus, dass der Nachbar im Baugenehmigungsverfahren tatsächlich beteiligt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2018 – 9 CS 18.1415 – juris Rn. 32 m.w.N.); sie ist vielmehr in allen Fällen erforderlich, in denen keine vorbehaltlose Nachbarunterschrift angenommen werden kann. Dies gilt unabhängig vom Grund der Nichtzustimmung, der auch in der Nichtvorlage der Unterlagen (Lageplan und Bauzeichnungen gem. Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO) an den Nachbarn bestehen kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2018 a.a.O. Rn. 29).
Die mit Schriftsatz vom 11. Januar 2018 weiter aufgeworfenen Fragen führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Abgesehen davon, dass diese Fragen außerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgetragen wurden, ist der Schriftsatz vom 11. Januar 2018 – wie im Übrigen alle Schriftsätze des neuen Klägerbevollmächtigen – nicht von einem nach § 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO hierfür befähigten Prozessbevollmächtigten unterzeichnet. Die Unterschrift des Klägers persönlich sowie die Namensangabe des Klägerbevollmächtigten mit einer nicht von diesem stammenden Unterschrift unter Beifügung des Zusatzes „i.A.“ genügen den gesetzlichen Anforderungen hier nicht (vgl. BGH, U.v. 27.2.2018 – XI ZR 452/16 – juris Rn. 16).
3. Die Berufung ist nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21/16 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 9 ZB 16.2323 – juris Rn. 26). Eine derartige Divergenz liegt hier aber nicht vor.
Soweit der Kläger eine Abweichung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der Entscheidung des Großen Senats beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geltend macht, weil dieser das Verfahren der Nachbarbeteiligung als ein formalisiertes, gesetzlich geregeltes Verfahren bezeichnet habe (BayVGH, B.v. 3.11.2005 – 2 BV 04.1756 – juris Rn. 14), das nach Ansicht des Klägers hier nicht eingehalten worden sei, liegt keine Divergenz vor. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts setzt sich bereits nicht in Widerspruch hierzu, sondern knüpft vielmehr an die Folgen der Nichteinhaltung dieses Verfahrens an. Hierzu verhält sich die Entscheidung des Großen Senats aber nicht, denn sie erging zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Nachbarunterschrift widerrufen werden kann und setzt damit voraus, dass eine Nachbarbeteiligung, die zu einer Unterzeichnung der Bauvorlagen geführt hat, tatsächlich stattgefunden hat. Eine solche Fallkonstellation liegt hier aber gerade nicht vor; eine Aussage zu den Folgen fehlerhafter oder fehlender Nachbarbeteiligung ist der Entscheidung des Großen Senats nicht zu entnehmen.
Auch die gerügte Abweichung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu unvollständigen und unbestimmten Bauvorlagen liegt nicht vor. Die vom Kläger genannten Entscheidungen (BayVGH, U.v. 20.5.1996 – 2 B 94.1513, B.v. 104.2006 – 1 ZB 04.3506 und U.v. 10.12.2007 – 1 BV 04.843) stellen sämtlich auf eine fehlende Bestimmtheit der Baugenehmigung nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ab. Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung konnten jeweils wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen nicht eindeutig festgestellt werden, was auch für die Feststellung der Betroffenheit und den Rechtsschutz des Nachbarn maßgeblich ist (vgl. auch BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 13). Derartige Bestimmtheitsmängel sind hier aber weder dargelegt noch ersichtlich. Dass dem Kläger entsprechend Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO nur eine Ausfertigung des Baugenehmigungsbescheids und nicht auch die genehmigten Bauvorlagen zugestellt wurden und er sich gegebenenfalls erst Kenntnis hiervon verschaffen muss, macht die Baugenehmigung vom 18. Februar 2016 nicht unbestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
4. Die erhobene Verfahrensrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) greift nicht durch.
Die mit Schriftsatz vom 17. Juli 2018 erstmals erhobene Rüge von Verfahrensmängeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) führt nicht zur Zulassung der Berufung. Das Zulassungsvorbringen zeigt bereits keinen konkreten Verfahrensmangel des Verwaltungsgerichts auf. Darüber hinaus wurde die Rüge außerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sowie nicht durch einen hierfür befähigten Prozessbevollmächtigten gem. § 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO erhoben (s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene einen wesentlichen Beitrag im Zulassungsverfahren geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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