Aktenzeichen 8 W 2496/16
Leitsatz
1. Zu den Voraussetzungen eines von der Kommune betriebenen Aufgebotsverfahrens zur Ausschließung eines Eigentümers an einer Gehwegfläche entlang einer innerstädtischen Straße.
2 Mit der Glaubhaftmachung (§ 31 FamFG und § 294 ZPO) wird eine besondere Form der Beweisführung geregelt, welche im Vergleich zum Beweis insbesondere hinsichtlich des Grads richterlicher Überzeugung geringere und hinsichtlich der Verfügbarkeit des Erkenntnismittels teilweise strengere Anforderungen stellt. Für die Glaubhaftmachung ist nicht erforderlich, dass der Richter eine Überzeugung gewinnt, bei der keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen. Vielmehr ist ausreichend, dass das Vorliegen einer Tatsache objektiv überwiegend wahrscheinlich ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Nach § 927 Abs. 1 S. 3 BGB wird nicht die Glaubhaftmachung gefordert, dass etwaige Erben des eingetragenen Eigentümers unbekannt oder nicht feststellbar sind (ebenso OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2016, 114724 Rn. 20). (redaktioneller Leitsatz)
4 Nach § 443 FamFG, § 927 Abs. 1 S. 1 BGB kann nur derjenige das Aufgebot zum Ausschluss des Grundstückseigentümers beantragen, der das Grundstück seit dreißig Jahren im Eigenbesitz (§ 872 BGB) hat. Handelt es sich bei dem betroffenen Grundstück um eine öffentliche Verkehrsfläche in der Innenstadt, die dem alltäglichen Fußgängerverkehr entlang einer für den innerstädtischen und den überregionalen Verkehr bedeutsamen Straße tatsächlich zugänglich ist, ist der kommunale Eigenbesitzwille evident und es sind deshalb weitere Maßnahmen zur Glaubhaftmachung entbehrlich. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
58 UR II 34/15 2016-10-21 Bes AGFUERTH AG Fürth
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Fürth – Rechtspflegerin – vom 21.10.2016 aufgehoben.
Das Amtsgericht Fürth wird angewiesen, entsprechend dem Antrag des bevollmächtigten Notars F. B. mit Amtssitz in F. vom 21.12.2015 das Aufgebotsverfahren durchzuführen und das Aufgebot zu erlassen.
Gründe
I.
Mit Schriftsatz vom 21.12.2015 hat der Notar B. mit Amtssitz in F., als Bevollmächtigter der Stadt F., bei dem Amtsgericht Fürth beantragt, hinsichtlich einer Verkehrsfläche von 200 qm (Gehweg) auf dem Flurstück Nr. … „H.“ der Gemarkung F. (Grundbuch des AG Fürth Blatt …) ein Aufgebotsverfahren nach §§ 442 ff. FamFG zur Ausschließung des Eigentümers des Grundstücks nach § 927 BGB durchzuführen.
Zur Begründung wird angeführt, dass die zuletzt im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen Eheleute in Gütergemeinschaft H. am Tag der Antragstellung 157 Jahre bzw. 161 Jahre alt wären; Sterbenachweise hätten trotz jahrelanger Bemühungen der Stadt F. nicht beigebracht werden können; Eintragungen, die der Zustimmung des Eigentümers bedurften, seien in den letzten 30 Jahren nicht erfolgt und die Stadt F. habe seit mehr als 30 Jahren das fragliche Grundstück in Eigenbesitz, da es seit Beginn des 20. Jahrhunderts als öffentliche Verkehrsfläche in Form eines Gehwegs entlang der Straße genutzt werde.
Mit Beschluss vom 21.10.2016 hat das Amtsgericht Fürth, Rechtspflegerin, den Antrag zurückgewiesen. Die Stadt F. habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie länger als 30 Jahre die fragliche Gehwegfläche in Eigenbesitz habe.
Hiergegen wendet sich die antragstellende Kommune mit der Beschwerde, mit der sie ihr Ziel der Durchführung des Aufgebotsverfahrens unverändert weiterverfolgt.
Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens wird auf die eingereichten Schreiben der Stadt F. vom 23.11.2016, nebst Anlagen, und vom 02.02.2017 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 05.12.2016 hat das Ausgangsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Nürnberg als Beschwerdegericht vorgelegt.
II.
Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist statthaft (§ 58 Abs. 1 FamFG) und wurde in zulässiger Form und Frist erhoben.
Das Amtsgericht hat nach Ablehnung einer Abhilfe die Sache zutreffend an das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht für die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 23a Abs. 2 Nr. 7, 119 Absatz 1 Nr. 1 b) GVG) abgegeben.
Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Da der Antrag auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens zur Ausschließung eines Grundstückeigentümers zulässig ist, hat das Amtsgericht das Aufgebot antragsgemäß zu erlassen.
1. (Verfahren) Nach § 927 BGB [Aufgebotsverfahren] gilt:
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann, wenn das Grundstück seit 30 Jahren im Eigenbesitz eines anderen ist, im Wege des Aufgebotsverfahrens mit seinem Recht ausgeschlossen werden. Die Besitzzeit wird in gleicher Weise berechnet wie die Frist für die Ersitzung einer beweglichen Sache. Ist der Eigentümer im Grundbuch eingetragen, so ist das Aufgebotsverfahren nur zulässig, wenn er gestorben oder verschollen ist und eine Eintragung in das Grundbuch, die der Zustimmung des Eigentümers bedurfte, seit 30 Jahren nicht erfolgt ist.
(2) Derjenige, welcher den Ausschließungsbeschluss erwirkt hat, erlangt das Eigentum dadurch, dass er sich als Eigentümer in das Grundbuch eintragen lässt.
(3) Ist vor dem Erlass des Ausschließungsbeschlusses ein Dritter als Eigentümer oder wegen des Eigentums eines Dritten ein Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuchs eingetragen worden, so wirkt der Ausschließungsbeschluss nicht gegen den Dritten.
§ 927 BGB sieht zur Aneignung eines im langjährigen Eigenbesitz stehenden Grundstückes ein zweistufiges Verfahren vor. Zunächst muss gemäß § 927 Abs. 1 BGB durch ein gerichtliches Aufgebotsverfahren, welches mit einem Ausschließungsbeschluss endet, der bisherige Eigentümer von seinem Recht ausgeschlossen werden, wodurch das Grundstück herrenlos wird. Durch den Ausschließungsbeschluss erlangt der Antragsteller gemäß § 927 Abs. 2 BGB nicht sogleich selbst das Eigentum an dem Grundstück, sondern vielmehr nur gemäß § 927 Abs. 2 BGB ein Aneignungsrecht. Das Eigentum erlangt der Antragsteller erst dadurch, dass er bei dem Grundbuchamt einen Eintragungsantrag stellt, mit welchem er seinen Aneignungswillen dokumentiert und sodann als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wird. Nach § 927 Abs. 2 BGB kann das Aneignungsrecht nur durch denjenigen ausgeübt werden, der den Ausschließungsbeschluss erwirkt hat, also nur durch den Antragsteller des Aufgebotsverfahrens (OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.12.2016 – 20 W 74/16 m. w. N., BeckRS 2016, 114724, beck-online).
Für die Durchführung dieses Aufgebotsverfahrens gelten die §§ 433, 442 ff. FamFG.
Ein Aufgebotsverfahren wird nur auf Antrag eingeleitet (§ 434 Abs. 1 FamFG).
Antragsberechtigt ist nach § 443 FamFG „derjenige, der das Grundstück seit der in § 927 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmten Zeit im Eigenbesitz hat“.
Nach § 444 Abs. 2 FamFG hat der Antragsteller „die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen vor der Einleitung des Verfahrens glaubhaft zu machen“.
Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist (§ 442 Abs. 2 FamFG).
Ist der Antrag zulässig, so hat das Gericht das Aufgebot zu erlassen (§ 434 Abs. 2 FamFG).
2. (Antragstatsachen) Demnach sind als Tatsachen für die Antragsbegründung erforderlich:
a) Der im Grundbuch eingetragene Eigentümer ist gestorben oder verschollen (§ 927 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 BGB).
b) Eine Eintragung in das Grundbuch, die der Zustimmung des Eigentümers bedurfte, ist seit 30 Jahren nicht erfolgt (§ 927 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BGB).
c) Das Grundstück ist seit 30 Jahren im Eigenbesitz eines anderen (des Antragstellers, § 927 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 443 FamFG).
3. (Glaubhaftmachung) Für die von § 444 Abs. 2 FamFG verlangte Glaubhaftmachung der Antragstatsachen ist von nachfolgenden Grundsätzen auszugehen:
Im Zivilprozessrecht ist die Glaubhaftmachung in § 294 ZPO geregelt. Hat eine Partei ihre Behauptung glaubhaft zu machen, so unterscheidet sich das Verfahren im wesentlichen in drei Punkten von den gemäß §§ 355 ff ZPO für Beweisverfahren allgemein geltenden Regeln: (1) Es ist allein Sache der Partei, der die Last der Glaubhaftmachung obliegt, die Beweismittel beizubringen; sie müssen in der mündlichen Verhandlung präsent sein. (2) Die Partei kann sich grundsätzlich aller Beweismittel bedienen, auch zur eidesstattlichen Versicherung zugelassen werden. (3) Es genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung; die Behauptung ist glaubhaft gemacht, sofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (BGH, Beschluss vom 11. September 2003 – IX ZB 37/03 -, BGHZ 156, 139-147, Rn. 8).
Für die Wahrscheinlichkeitsfeststellung gilt der Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens. Ein festes „Beweismaß“ wie beim Vollbeweis gibt es hier aber nicht. Die häufig verwendete Formel, es genüge „überwiegende Wahrscheinlichkeit“, ist unscharf, denn der Richter darf nicht in jedem Fall schon dann, wenn nur ein Quäntchen mehr für als gegen die Richtigkeit der Behauptung spricht, die mit ihr begehrte Entscheidung treffen. Zu fordern ist vielmehr ein den konkreten Umständen angepasstes Maß an Glaubhaftigkeit, das heißt die Sicherheit der Feststellung muss von den Folgen der zu treffenden Entscheidung abhängig gemacht werden (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 294 ZPO, Rn. 6 m. w. N.).
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, zur Glaubhaftmachung Angaben der Partei oder deren gesetzlichen Vertreters ausreichen zu lassen. Im Grundsatz ist auch eine Versicherung an Eides statt des Beweisführers selbst möglich (Zöller/Greger, a. a. O., Rn. 4), soweit dies nicht ausdrücklich für unzulässig erklärt wird (etwa in § 511 Abs. 3 ZPO). Die Bestimmung des § 294 ZPO lässt bei vorausgesetzter Präsenz alle übrigen für einen Vollbeweis zugelassenen Beweismittel unter Einschluss der Parteivernehmung nach § 448 ZPO zu. Zu diesen im Rahmen von § 286 Abs. 1 ZPO zur Führung des Vollbeweises zugelassenen Beweismitteln kann bei entsprechender Überzeugungskraft auch die bloße Parteierklärung vor dem Tatrichter gehören, selbst wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, dieser aber im konkreten Beweiswert um nichts nachsteht (BGH, Urteil vom 19. November 2014 – VIII ZR 79/14 -, Rn. 20, juris).
Im vorliegenden Aufgebotsverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt gemäß § 31 FamFG (der wortgleich mit § 294 ZPO ist) nichts Abweichendes.
Mit der Glaubhaftmachung wird eine besondere Form der Beweisführung geregelt, welche im Vergleich zum Beweis insbesondere hinsichtlich des Grads richterlicher Überzeugung geringere und hinsichtlich der Verfügbarkeit des Erkenntnismittels teilweise strengere Anforderungen stellt. Eine Glaubhaftmachung ist insbesondere in Antragsverfahren, etwa im Aufgebotsverfahren, vor allem im Zusammenhang mit der Prüfung von Fristen oder dem Vorliegen berechtigter Interessen, vorgesehen. Hierdurch sollen die betroffenen gerichtlichen Entscheidungen beschleunigt werden (Ulrici in: Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl. 2013, § 31 Rn. 1- 2).
Gegenstand der Glaubhaftmachung können nur Tatsachen sein. Erforderlich ist eine Glaubhaftmachung nur insoweit, als das Gesetz sie vorsieht und das Gericht sie in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für erforderlich hält. Keiner Glaubhaftmachung bedürfen vermutete, allgemeinkundige oder gerichtsbekannte Tatsachen. Regelmäßig kann zudem von einer Glaubhaftmachung abgesehen werden, wenn eine Tatsache unter den Beteiligten unstreitig ist und das Gericht keinen Zweifel an ihrem Vorliegen hegt. Bei der Ausübung seines Ermessens hat das Gericht maßgeblich zu berücksichtigen, inwieweit der Gesetzgeber bei Anordnung der Glaubhaftmachung deren Durchführung als Regelfall ansah. Insbesondere im Zusammenhang mit Umständen, die ausschließlich in der Sphäre eines Beteiligten liegen, wie etwa die Umstände einer Fristversäumung (vgl. § 18 Abs. 3 FamFG) oder die Umstände einer Kenntniserlangung (vgl. § 44 Abs. 2 FamFG), ist die Glaubhaftmachung der gesetzliche Regelfall. Im Übrigen wird die Ermessensausübung davon bestimmt, inwieweit die Glaubhaftmachung zum Schutz anderer Beteiligter notwendig ist (Ulrici, a. a. O., Rn. 5).
Für die Glaubhaftmachung genügt im Vergleich zum Beweis ein geringeres Maß an richterlicher Überzeugung. Es ist nicht erforderlich, dass der Richter eine Überzeugung gewinnt, bei der keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen. Vielmehr ist ausreichend, dass das Vorliegen einer Tatsache objektiv überwiegend wahrscheinlich ist. Es muss also mehr für das Vorliegen der Tatsache sprechen als gegen sie. Kann das Gericht diese Überzeugung auf der Grundlage der präsenten Glaubhaftmachungsmittel noch nicht gewinnen, muss es die Beteiligten hierauf hinweisen, um diesen eine ergänzende Glaubhaftmachung zu ermöglichen (Ulrici, a. a. O., Rn. 10).
Der Richter (entsprechend der funktionell zuständige Rechtspfleger) ist nach § 37 Abs. 1 FamFG in der Würdigung der vorgebrachten Glaubhaftmachungsmittel ebenso frei wie in seiner Beweiswürdigung. Er muss dabei kritisch prüfen, welches Maß an Richtigkeitsgewähr er einem Glaubhaftmachungsmittel beimisst. Gegenüber eidesstattlichen Versicherungen ist insoweit generell Zurückhaltung geboten. Aus der Sicht eines Beteiligten handelt es sich regelmäßig um eine bloße Bekräftigung seines bisherigen Vortrags. Allerdings existiert kein Erfahrungssatz, dass der Versicherung eines Beteiligten generell die Richtigkeitsgewähr fehlt. Das Gegenteil belegt bereits § 31 FamFG, indem er die Versicherung der Beteiligten zulässt. Gibt ein (unbeteiligter) Dritter eine Versicherung ab, besteht zwar tendenziell eine höhere Richtigkeitsgewähr. Zu bedenken ist aber, dass Dritte mitunter sorglos ihnen vorgelegte Erklärungen unterzeichnen. Eine nicht vorgefertigte, vom Versichernden selbst verfasste Erklärung ist daher in dieser Hinsicht der bloßen Übernahme eines vorgefertigten Textes vorzuziehen (Ulrici, a. a. O., Rn. 11).
4. (eingetragene Eigentümer) Im Grundbuch von F., Band … Blatt …, sind als Eigentümer für Flurstück-Nr. … (laut Bestandsverzeichnis zunächst „Ödung, künftige Straßenfläche“, danach „Die H.“, Größe: 2 a = 200 qm) eingetragen H. K. W., Bauunternehmer, N., und H. A. T., N., in Gütergemeinschaft. Diese waren bei Anlage der Grundbücher 1907 als Ersteigentümer eingetragen, später erfolgten jeweils Umschreibungen ohne Eigentümerwechsel (in den Jahren 1943, 1967 und zuletzt 1991).
Nach der schriftlichen Auskunft des Stadtarchivs der Stadt Nürnberg vom 27.10.2015 (Bl. 7 d. A.) sind die Eheleute H. 1858 (Ehemann) bzw. 1854 (Ehefrau) geboren, die Eheschließung erfolgte 1884 und eine Scheidung im Jahre 1908. Das Ehepaar hatte fünf gemeinsame Kinder, geboren in den Jahren 1885 bis 1893.
Sterbedaten und/oder Rechtsnachfolger konnten nicht ermittelt werden; nach Angaben der Stadt F. als Antragstellerin waren diesbezügliche Recherchen seit dem Jahre 2004 ohne Erfolg geblieben.
Nach § 927 Abs. 1 Satz 3 BGB wird nicht die Glaubhaftmachung gefordert, dass etwaige Erben des eingetragenen Eigentümers unbekannt oder nicht feststellbar sind (vgl. Heinemann, Das neue Aufgebotsverfahren nach dem FamFG, NotBZ 2009, 300/304; OLG Thüringen, Beschluss vom 27. Mai 2013 – 9 W 197/13 – dok. bei juris; Staudinger/Pfeiffer/Diehn, a. a. O., § 927 Rn. 11; Kanzleiter, MüKo BGB, 6. Aufl., § 927, Rn. 4 jeweils m. w. N. – zitiert nach: OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.12.2016 – 20 W 74/16, BeckRS 2016, 114724).
Nach den geschilderten Umständen ist überwiegend wahrscheinlich, dass die eingetragenen Eigentümer verstorben sind und dass die Person des Grundeigentümers unbekannt ist. Weitere Ermittlungen erscheinen nicht erfolgversprechend. Da die Eintragung der letzten Eigentümer schon über 110 Jahre zurückliegt und seitdem keine weiteren Eintragungen dazu beantragt wurden, erfordern die möglichen Folgen der Durchführung des Aufgebots auch kein besonders hohes Maß an Sicherheit dafür, dass die Identität des Berechtigten nicht zu klären ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 20.11.2012, 34 Wx 364/12, FGPrax 2013, 41, zum Fall einer 114 Jahre zurück liegenden Eintragung eines Grundpfandrechtsgläubigers).
Somit ist festzustellen: Der im Grundbuch eingetragene Eigentümer ist gestorben (§ 927 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 BGB).
5. (Eintragungsfreiheit Grundbuch) Aus den bei den Akten befindlichen Grundbuchunterlagen ist ersichtlich, dass außer den mehrfachen Umschreibungsvermerken keinerlei Eintragungen aus der länger zurückliegenden Vergangenheit, auch nicht solche, die der Zustimmung des Eigentümers bedurften, vorhanden sind. Die in der Zweiten Abteilung am 06.12.2010 vorgenommene Eintragung („Ein Sanierungsverfahren (SG „Oststadt“) wird durchgeführt“) beruht auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften und bedurfte keiner Mitwirkung des Grundeigentümers.
Somit ist festzustellen: Eine Eintragung in das Grundbuch, die der Zustimmung des Eigentümers bedurfte, ist seit 30 Jahren nicht erfolgt (§ 927 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BGB).
6. (Eigenbesitz Antragstellerin) Nach § 443 FamFG, § 927 Abs. 1 Satz 1 BGB kann nur derjenige das Aufgebot zum Ausschluss des Grundstückseigentümers beantragen, der das Grundstück seit dreißig Jahren im Eigenbesitz hat. Eigenbesitzer ist nach § § 872 BGB, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt. Das Merkmal, das den Besitz zum Eigenbesitz macht, ist mithin der Wille, die Sache wie ein Eigentümer zu beherrschen; sein Ausdruck im Rechtsverkehr ist die Eigentumsbehauptung, der Anspruch, die Sache selbstständig und andere Personen ausschließend zu besitzen (BGH 14.06.2012, V ZB 38/12, BeckRS 2012, 15557).
Das heißt, der Eigenbesitzer muss die tatsächliche Gewalt über die Sache mit dem Willen ausüben, sie wie eine ihm gehörige Sache zu beherrschen, wenn auch kein guter Glaube an das Eigentumsrecht erforderlich ist (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. April 2012 – 6 Wx 3/11 -, Rn. 25, juris). Es genügt, dass der Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft so ausüben will wie ein Eigentümer für sich selbst unter Ausschluss anderer Personen, selbst wenn er weiß, dass er dazu nicht berechtigt ist (OLG Naumburg, Beschluss vom 26.2.2016 – 12 Wx 30/15, FGPrax 2016, 258).
Der Erwerb des Eigenbesitzes ist ein rein tatsächlicher Vorgang, der sich in der Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache in Verbindung mit dem bezeichneten Willen erschöpft, wobei dieser Wille, um rechtlich wirksam zu sein, nach allgemeinen Grundsätzen ausdrücklich oder stillschweigend kundgegeben sein muss. Die Kundgebung des Eigenbesitzwillens kann auch dem Besitzerwerb nachfolgen. Dass jemand auf diese Weise trotz des bereits bestehenden Eigenbesitzes eines Dritten nicht nur auf einer anderen, sondern sogar auf derselben Besitzstufe (z. B. bei Mitbesitz) auch noch Eigenbesitz für sich begründen kann, liegt auf der Hand. Einem solchen Erwerb stehen im Übrigen gerade bei vorangegangenem oder nachfolgendem Eigenbesitzerwerb einer anderen Person durch Erbschaft – der ausnahmsweise ohne einen hierauf gerichteten Willen eintritt – oft deshalb keine tatsächlichen Hindernisse im Wege, weil die in § 857 BGB geregelte Besitzerwerbung nicht den Übergang der Sachherrschaft auf den Erben, sondern lediglich dessen Nachfolge in die an die Sachherrschaft des Erblassers geknüpfte Besitzstellung bedeutet, die dieser zur Zeit des Erbfalls innehatte. Der Besitzerwerb des Erben hat in dessen Person keine weitere als eben nur die rein begriffliche, jeder sachlichen Beziehung zur Sache bare Voraussetzung, dass er Erbe geworden ist. Dass die Erben des früheren Eigentümers und Besitzers der Grundstücke kraft Gesetzes deren Eigenbesitzer sind, steht also der Feststellung, der Antragsteller sei seit 30 Jahren Eigenbesitzer desselben Flurstücks gewesen, keineswegs entgegen. Die Vorschrift des § 927 BGB macht den Ausschluss des Eigentümers zudem auch nicht etwa davon abhängig, dass dieser nicht mehr Eigenbesitzer ist. Bei deren Schaffung war gerade an den Fall gedacht, dass jemand als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, aber seit Jahren verstorben und dass die Verwirklichung eines Anspruchs des Besitzers auf Auflassung gegen die unbekannten oder nicht auffindbaren Erben sehr schwierig sei (OLG Bamberg 14.02.1966, 1 W 6/65 m. w. N., NJW 1966, 1413).
Der Besitzer muss die Sache als ihm gehörend besitzen (animus domini). Gemeint ist damit nur eine subjektive Willensrichtung; darauf, wem das Eigentum zusteht, kommt es nicht an. Die Bestimmung ist insofern fehlgefasst, als sie zu dem Missverständnis führen kann, der Besitzer müsse sich für den Eigentümer halten. Dies ist jedoch nicht erforderlich. Es genügt, dass der Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft so ausüben will wie ein Eigentümer, dh. für sich selbst unter Ausschluss anderer Personen (vgl. § 903 BGB), selbst wenn er weiß, dass er dazu nicht berechtigt ist (arg. § 937 Abs. 2 aE). Eigenbesitzer sind danach auch der Dieb und der Hehler, ferner derjenige, der sich das Eigentum von einem Nichtberechtigten in Kenntnis der Nichtberechtigung übertragen lässt. Der Eigenbesitzwille ist kein rechtsgeschäftlicher, sondern ein natürlicher Wille. Er bedarf daher keiner besonderen Erklärung, falls es sich nicht um eine Willensänderung handelt. Da Eigenbesitz eine bestimmte Willensrichtung nicht nur als möglich, sondern als vorhanden voraussetzt, liegt er nicht vor, solange der Besitzer sich nicht entschlossen hat, die Sache wie ein Eigentümer zu besitzen (MüKoBGB/Joost, BGB, § 872 Rn. 3-4).
Für den 30-jährigen Eigenbesitzzeitpunkt reicht die eidesstattliche Versicherung des Antragsberechtigten zur Glaubhaftmachung nicht aus. Erforderlich sind vielmehr eidesstattliche Versicherungen Unbeteiligter oder sonstige Beweismittel, wie beispielsweise eine Besitzbescheinigung der Gemeinde oder der Nachweis über die Tragung öffentlicher Lasten. An die Glaubhaftmachung sind im Hinblick auf die einschneidenden Rechtsfolgen bei Erlass des Aufgebots strenge Anforderungen zu stellen. Die bloße Angabe der Ausübung des Eigenbesitzes genügt hierfür nicht. Es ist vielmehr ein substantiierter Vortrag dahin erforderlich, wie der Eigenbesitz an dem Grundstück in den letzten 30 Jahren konkret ausgeübt worden ist. Diesen Anforderungen muss auch eine Bescheinigung der beteiligten Ortsgemeinde über die Ausübung des Eigenbesitzes genügen. Darüber hinaus muss die Bescheinigung die Angabe enthalten, worauf die Kenntnis des Unterzeichners der Bescheinigung über die Ausübung des Eigenbesitzes beruht (OLG Naumburg Beschluss vom 18.3.2015 – 12 Wx 74/14, BeckRS 2016, 2722).
Indiz für Eigenbesitz ist die Zahlung der Grundsteuer; beim Eigenbesitz der Gemeinde die Nichtzahlung von Grundsteuer gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG (vgl. Staudinger/Pfeifer/Diehn (2017) BGB § 927, Rn. 9 juris).
Nicht antragsberechtigt ist dagegen derjenige, der lediglich Träger der Straßenbaulast ist, selbst wenn sich dieser wie ein Eigentümer geriert (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt v. 31.07.2013 – 12 Wx 36/13 – juris Rn. 5).
Die Antragstellerin hat hier behauptet, dass sie das Grundstück seit mindestens 30 Jahren tatsächlich nutzt, und zwar „seit Beginn des 20. Jahrhunderts“ als öffentlichen Gehweg (Bürgersteig) entlang der in der Innenstadt gelegenen Straße „H.“. Nach der mit Schreiben des Liegenschaftsamts der Stadt F. vom 23.11.2016 (Bl. 73 d. A.) vorgelegten Auskunft des städtischen Tiefbauamtes (IBl. 75 d. A.) war die H. (d. h. das Straßengrundstück Fl.-Nr. … der Gemarkung F.) im Zuge der Erstanlegung des Bestandsverzeichnisses als Orts Straße gewidmet, später wurde dann die Bundesstraße 8 verlegt und diese führt nunmehr an den Anwesen H. 31-35 vorbei, da allerdings – das hier streitgegenständliche – Grundstück Fl.-Nr. … Gem. F. kein städtisches Grundstück sei, sei dieses auch nicht von der Widmung zur Bundesstraße erfasst (§ 2 Abs. 2 FStrG) worden.
Die in diesem Zusammenhang im notariell beurkundeten Antrag unter Ziffer III. enthaltene eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit der unter Ziffer I. gemachten Angaben ist erkennbar ohne Aussagekraft – denn sie stammt von einem Verwaltungsoberinspektor der Stadt F. mit Geburtsjahrgang 1970, ohne dass erkennbar wäre, welche Eigenwahrnehmungen diese Person auf welcher Grundlage wann gewonnen hat.
Historisch betrachtet ergeben die von der Antragstellerin vorgelegten Dokumente (bzw. deren Kopien) im Ausgangspunkt zunächst, dass man im Jahre 1908 entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin nicht von einem städtischen Eigenbesitz der Gehwegfläche ausgegangen ist. Im Gegenteil: Die mit Schreiben vom 23.11.2016 vorgelegten Urkunden des Magistrats der Stadt F. belegen, dass der Privateigentümer der Gehsteigfläche aufgefordert wurde, bestimmte Befestigungsmaßnahmen vorzunehmen. So heißt es in dem an den Grundeigentümer adressierten Schreiben des Magistrats vom 18. Mai 1908 (Bl. 77 d. A.) unmissverständlich unter dem Betreff „Befestigung der Fussgängersteige“ „Im Hinblick auf die ortspolizeiliche Vorschrift vom 21. Mai 1896 und magistratischen Sitzungsbeschluss vom 23. April 1908 werden Sie hiermit polizeilich aufgefordert, das städtische Bauamt innerhalb einer Woche unter Vorlage des beiliegenden, von Ihnen zu unterzeichnenden Formulars mit der Randsteinlegung u. Klinkerung vor Ihrem Grundstück Pl..Nr. … u. … in der H. auf Ihre Kosten zu beauftragen“.
Es werden sodann in Rechnung gestellt „33,00 laufende Meter Randstein“ und „34,32 qm gewöhnliche Klinkerung“.
Damit korrespondiert das vom Grundeigentümer (L. H. in Vollmacht für C.W.H.) unterschriebene Auftragsformular vom 13. August 1908 (Bl. 76 d. A.).
Aus diesem Vorgang erhellt, dass zumindest zum damaligen Zeitpunkt auf Seiten der Stadt F. bekannt war, dass Privateigentum an der Gehwegfläche bestand. Ein Eigenbesitzwille der Stadt kann daraus wohl schwerlich hergeleitet werden.
Weiterhin hat die Antragstellerin vorgelegt eine Reproduktion einer „Abnahmeniederschrift“ vom „24.11.“ (wohl 1982), aus welcher Mängelrügen aus Anlass der Baumaßnahme „Ausbau der östl. H. …“ ersichtlich sind, die sich unter anderem auch auf folgende Beanstandung beziehen:
„- Die mangelhaft ausgeführten Fugen bei großen Teilen des Gehwegbelages (Herauslösung des Fugenmörtels) sind zu reinigen und neu auszufugen.“
Dem ausführenden Bauunternehmen wurde vom Tiefbauamt der Stadt F. eine Mängelbeseitigungsfrist bis „zum 31.03.1983“ gesetzt.
Dieser Vorgang belegt nun erstmals einen nach außen erkennbar in Erscheinung getretenen Eigenbesitzwillen der Stadt.
Eine lebensnahe Betrachtung unter Einbeziehung der noch feststellbaren Einzelfallumstände führen zu dem Ergebnis, dass der von der antragstellenden Kommune gehaltene Vortrag und die entsprechende Glaubhaftmachung ausreichen, um den Nachweis des Eigenbesitzes gemäß §§ 927, 872 BGB zu führen. Für einen Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB, der eine Einigung mit dem bisherigen Besitzer voraussetzt, fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Gemäß § 854 Abs. 1 BGB wird der Besitz einer Sache durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über diese erworben. Die Erfordernisse des Besitzerwerbs nach § 854 Abs. 1 BGB richten sich bei Grundstücken nach der Art der Bewirtschaftung, wobei eine Bewirtschaftungshandlung erforderlich ist, die den Beginn einer auf Dauer angelegten Sachherrschaft kennzeichnen muss (OLG Frankfurt Beschluss vom 25.1.2011 – 20 W 137/10, BeckRS 2011, 18928).
Hier hat die Antragstellerin vorgetragen, dass im Jahre 1982 im Rahmen des U-Bahnbaus die gesamte H. einschließlich des streitgegenständlichen Grundstücks um- und ausgebaut worden sei. Kosten seien nicht auf Anlieger umgelegt worden. Auch werde die gesamte H. (einschließlich Gehwegen) von der Stadt F. selbst gereinigt und in den Winterdienst einbezogen, andere Anlieger und/oder Grundeigentümer würden hierfür nicht in die Pflicht genommen.
Eine von einem Dritten abgeleitete Nutzungsberechtigung, die grundsätzlich einem Eigenbesitzwillen entgegenstehen würde (BeckOK BGB/Fritzsche, Stand 01.11.2016, BGB § 872 Rn. 5), wird hier von der Stadt F. nicht beansprucht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Wenn man noch dazu berücksichtigt, dass es sich bei dem betroffenen Grundstück um eine öffentliche Verkehrsfläche in der Innenstadt handelt, die dem alltäglichen Fußgängerverkehr entlang einer für den innerstädtischen und den überregionalen Verkehr (Teilstück gehört zur Bundesstraße 8) bedeutsamen Straße tatsächlich zugänglich ist, ist der kommunale Eigenbesitzwille evident und es sind deshalb weitere Maßnahmen zur Glaubhaftmachung entbehrlich. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, auf welche Art und Weise die antragstellende Kommune ihren Eigenbesitzwillen an der Gehwegfläche noch stärker als geschehen sollte nachweisen können.
Die Eröffnung des freien öffentlichen Fußgängerverkehrs für jedermann auf der streitgegenständlichen Fläche transportiert den Eigenbesitzwillen, durch den gleichzeitig der wahre Bucheigentümer von der Ausübung seiner privaten Eigentumsrechte an diesem Flurstück ausgeschlossen wird – er kann die Fremdnutzung seines Grundstücks nicht hindern.
Für die Glaubhaftmachung genügt im Vergleich zum Beweis ein geringeres Maß an richterlicher Überzeugung. Es ist nicht erforderlich, dass der Richter eine Überzeugung gewinnt, bei der keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen. Vielmehr ist ausreichend, dass das Vorliegen einer Tatsache objektiv überwiegend wahrscheinlich ist. Es muss also mehr für das Vorliegen der Tatsache sprechen als gegen sie. In diesem Sinne ist der erkennende Senat davon überzeugt, dass der Eigenbesitz der Stadt Fürth an der fraglichen Gehwegfläche seit mindestens 30 Jahren gegeben ist.
Somit ist festzustellen: Das Grundstück ist seit 30 Jahren im Eigenbesitz der Antragstellerin (§ 927 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 443 FamFG).
7. Als Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass der Antrag auf Durchführung eines Aufgebotsverfahrens zulässig ist – auf die Beschwerde der Antragstellerin ist deshalb das zuständige Amtsgericht zur antragsgemäßen Durchführung des Aufgebotsverfahrens zu verpflichten.
Da die Beschwerde begründet ist, ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst (vgl. § 84 FamFG).