Aktenzeichen 4 K 711/16
BGB § 738
BewG § 11 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
Tenor
1. Der Schenkungsteuerbescheid vom 4. September 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 2016 wird dahingehend geändert, dass die Schenkungsteuer der Klägerin auf 0,- € herabgesetzt wird.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
4. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Gründe
1.) Die Klage richtet sich gegen den Schenkungsteuerbescheid vom 4. September 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 2016 und ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 40 Abs. 1 Alt. 1 FGO zulässig. Die Klage ist rechtzeitig binnen der Frist nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben.
2.) Die Anfechtungsklage ist auch begründet und die Klägerin durch den Schenkungsteuerbescheid vom 4. September 2015 in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
a) Bei zutreffender Anwendung der Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der auf den Streitfall geltenden Fassung (ErbStG) ergibt sich aufgrund des streitbefangenen Sachverhalts keine festzusetzende Schenkungsteuer.
aa) Der Schenkungsteuer unterliegen Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Als eine solche gilt u.a. jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendungen objektiv bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als subjektives Tatbestandsmerkmal setzt die freigebige Zuwendung den Willen des Zuwendenden zur Unentgeltlichkeit voraus, wobei dieser nicht auf die Bereicherung des Empfängers gerichtet sein muss (vgl. Bundesfinanzhof -BFH- Urteil vom 1. Juli 1992 II R 70/88, BFHE 168, 380, BStBl II 1992, 921). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht nach Vorschriften des ErbStG steuerbefreit ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Die Bereicherung wird im Ergebnis nach den Grundsätzen ermittelt, die gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG für die Bestimmung der Bereicherung im Fall des Erwerbes von Todes wegen gelten (vgl. Meincke ErbStG 16. Auflage 2012 § 10 Rdn. 20). Die Bewertung der schenkungsteuerrechtlichen Bereicherung des Erwerbers richtet sich gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG nach den Vorschriften des Ersten Teils des Bewertungsgesetzes (BewG), soweit nicht die Vorschriften in § 12 Abs. 2 bis 6 ErbStG etwas anderes bestimmen.
Unabhängig davon gilt gemäß § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG als Schenkung der auf dem Ausscheiden eines Gesellschafters beruhende Übergang des Anteiles oder des Teiles eines Anteiles eines Gesellschafters einer Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft auf die anderen Gesellschafter oder die Gesellschaft, soweit der Wert, der sich für seinen Anteil zur Zeit seines Ausscheidens nach § 12 ErbStG ergibt, den Abfindungsanspruch übersteigt. Es handelt sich bei diesem besonderen Besteuerungstatbestand um eine gesetzliche Fiktion einer Schenkung, die somit weder an dem bürgerlich-rechtlichen Begriff einer freigebigen Zuwendung als Oberbegriff der Schenkung anknüpft, noch ein subjektives Zuwendungsmerkmal erfordert (BFH Urteil vom 1. Juli 1992 II R 12/90, BFHE 168, 390, BStBl II 1992, 925). Der Übergang eines Anteiles an einer Personengesellschaft oder auch einer Kapitalgesellschaft unterliegt demnach nur dann dem besonderen Besteuerungstatbestand des § 7 Abs. 7 ErbStG, wenn der Anteilsübergang kraft Gesetzes bzw. kraft Gesellschaftsvertrages auf dem Ausscheiden eines Gesellschafters beruht. Dies ist typischerweise bei der Anwachsung eines Anteiles an einer Personengesellschaft nach § 738 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der Fall (BFH Urteil vom 1. Juli 1992 II R 70/88, BFHE 168, 380, BStBl II 1992, 921). Nach Ansicht der Literatur hat der Besteuerungstatbestand des § 7 Abs. 7 ErbStG sogar in erster Linie den nur bei Personengesellschaften auftretenden Sachverhalt der Anwachsung im Blick (vgl. Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz ErbStG 4. Auflage 2012, § 7 Rdn. 245; Fischer in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter ErbStG 5. Auflage 2014, § 7 Rdn. 544; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher ErbStG § 7 Rdn. 401; Meincke ErbStG 16. Auflage 2012, § 7 Rdn. 146). In der Konsequenz hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung rechtsgeschäftliche Übertragungen des Anteiles an einer Personengesellschaft durch Verfügung des Gesellschafters über seinen Gesellschaftsanteil nach anfänglichen Zweifeln (BFH Beschluss vom 24. Januar 1990 II B 132/89, BFH/NV 1990, 675) schließlich grundsätzlich vom Anwendungsbereich des § 7 Abs. 7 ErbStG ausgenommen (BFH Urteil vom 1. Juli 1992 II R 70/88, BFHE 168, 380, BStBl II 1992, 921). Da § 7 Abs. 7 ErbStG seinem Wortlaut nach auch den Übergang von Anteilen an Kapitalgesellschaften umfasst, ist jedenfalls davon auszugehen, dass – ungeachtet der Frage, welche gesellschaftsrechtlichen Vorgänge bei Kapitalgesellschaften diesen Besteuerungstatbestand erfüllen – die Vorschrift jedenfalls auf den derivativen Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch rechtsgeschäftliche Übertragung unanwendbar ist (vgl. BFH Urteil vom 20. Januar 2016 II R 40/14, BFHE 252, 453).
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich Folgendes:
Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten erfüllt die am 19. Juli 2011 notariell beurkundete Abtretung des GmbH-Geschäftsanteiles des Gesellschafters C an die Klägerin nicht den Besteuerungstatbestand des § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG. Bereits aus der Entstehungsgeschichte dieser Gesetzesvorschrift als legislative Reaktion auf die bundesgerichtliche sogenannte Wagnisrechtsprechung, die bei gesellschaftsvertraglichen Abfindungsbeschränkungen ausscheidender Gesellschafter den schuldrechtlichen Tatbestand einer Schenkung an die verbleibenden Gesellschafter verneint hat (vgl. Bundesgerichtshof -BGH- Urteil vom 22. November 1956 II ZR 222/55, BGHZ 22, 186; BFH Urteil vom 15. Mai 1953 III 65/51 S, BFHE 57, 518, BStBl III 1953, 199; vgl. Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte der Rechtsnorm bei Gebel in Troll/Gebel/Jülicher ErbStG § 7 Rdn. 396), wird deutlich, dass diese Vorschrift gerade nicht den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Gesellschaftsanteilen aufgrund von zwischen einzelnen Gesellschaftern vereinbarten Anteilsabtretungen zu regeln beabsichtigt. Rechtsgeschäftliche Übertragungen von Gesellschaftsanteilen an Kapitalgesellschaften – wie im Übrigen auch an Personengesellschaften – können schließlich bereits unter dem Gesichtspunkt einer freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf ihre schenkungsteuerrechtliche Relevanz geprüft werden. Mithin besteht der für § 7 Abs. 7 ErbStG – typischerweise für den Tatbestand der kraft Gesetzes bzw. kraft gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung eintretenden Anwachsung bei Personengesellschaften gemäß § 738 BGB – angenommene Regelungsbedarf in diesen Fällen gerade nicht.
Der Geschäftsanteil des C ist nicht als unmittelbare gesellschaftsrechtliche Rechtsfolge seiner Kündigung auf die verbliebenen Gesellschafter oder die Gesellschaft selbst im Sinne des § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG übergegangen, sondern durch das eigenständige Rechtsgeschäft der Anteilsabtretung auf die Klägerin übertragen worden. Dem Beklagten ist an dieser Stelle zwar einzuräumen, dass der Gesellschafter C gemäß der Satzungsbestimmungen der A GmbH aufgrund seiner zuvor erklärten Kündigung der Gesellschaft, die satzungsbedingt letztlich nur die Kündigung seiner Gesellschafterstellung zur Folge gehabt hat, zur Anteilsabtretung schuldrechtlich verpflichtet gewesen ist. Gleichwohl beruht der Erwerb des Geschäftsanteiles durch die Klägerin nicht unmittelbar auf dem Ausscheiden des bisherigen Mitgesellschafters C im Sinne der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 ErbStG. Der Erwerb des Geschäftsanteiles durch die Klägerin ist schließlich nicht die unmittelbare sachenrechtliche Rechtsfolge des Ausscheidens des Mitgesellschafters aus der A GmbH. Soweit die Finanzverwaltung den Besteuerungstatbestand des § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG auch auf Sachverhalte des freiwilligen Ausscheidens eines Gesellschafters anwendet (vgl. R E 7.9 ErbStR), ist daraus nicht zu schließen, dass hiervon auch rechtsgeschäftliche Anteilsabtretungen erfasst sein sollen. Abgesehen davon sieht § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG vor, dass der Gesellschaftsanteil des ausscheidenden Gesellschafters auf die – d.h. auf sämtliche – Gesellschafter oder wahlweise auf die Gesellschaft selbst übergehen muss; die Übertragung auf nur einen einzigen von mehreren Gesellschaftern erfüllt diese Voraussetzung gerade nicht. Auch wäre – zumindest nach der Regelung in § 8 der Satzung – die Übertragung des Geschäftsanteiles auf die Klägerin nicht zwingend gewesen, sondern hätte, je nach dem Willen der übrigen Gesellschafter der A GmbH auch durch die rechtsgeschäftliche Übertragung auf den weiteren Gesellschafter D ersetzt werden können. Auch hieraus wird ersichtlich, dass den in der notariellen Urkunde vom 19. Juli 2011 getroffenen Vereinbarungen die zwischen den verbleibenden Gesellschaftern der A GmbH wohl bedachten Interessensabwägungen zugrunde gelegen haben und nicht etwa ein gesellschaftsrechtlicher „Automatismus“ in Gestalt des Übergangs des Gesellschaftsanteils Platz gegriffen hat.
Der an die Klägerin mittels der notariellen Urkunde vom 19. Juli 2011 abgetretene Anteil an der A GmbH ist auch nicht Gegenstand einer freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gewesen. Eine solche setzt, wie oben ausgeführt, den Willen des Zuwendenden zur Unentgeltlichkeit voraus. Von einem freien Willen zur Unentgeltlichkeit einer Zuwendung kann aber dann nicht mehr die Rede sein, wenn der Zuwendende aufgrund bereits bestehender schuldrechtlicher Verpflichtungen unter vorab feststehenden vertraglichen Konditionen zu seiner Leistung gezwungen ist. Der Wille zur Unentgeltlichkeit liegt nur dann vor, wenn sich der Zuwendende der Unentgeltlichkeit der Zuwendung derart bewusst ist, dass er seine Leistung ohne Verpflichtung, und sei es auch nur in Bezug auf eine Naturalobligation, und ohne rechtlichen Zusammenhang mit einer Gegenleistung oder einem Gemeinschaftszweck erbringt (vgl. für viele: BFH Urteil vom 1. Juli 1992 II R 70/88, BFHE 168, 380, BStBl II 1992, 921). Erfüllt der Zuwendende dagegen eine bestehende Verpflichtung, so handelt er nicht freigebig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Im Streitfall ist der Gesellschafter C aufgrund der Regelung in § 8 der Satzung im Anschluss an seine Kündigung zur Rückgewähr seines Geschäftsanteiles zum Nennwert von 5.112,92 € verpflichtet gewesen. Die für den Gesellschafter C bindende Satzungsbestimmung hat ihm einen den Nennwert des Geschäftsanteiles übersteigenden Anspruch auf Vergütung des darin enthaltenen gemeinen Wertes verwehrt. Der ausscheidende Gesellschafter hat schließlich keine andere Wahl als die der Abtretung des Gesellschaftsanteiles zum Nennwert gehabt. Soweit die Klägerin als Folge der notariell beurkundeten Vereinbarung vom 19. Juli 2011 in Höhe des den Nennwert des Geschäftsanteiles übersteigenden gemeinen Wertes des Anteiles an der A GmbH nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG bereichert worden sein mag, wäre diese Bereicherung seitens des Zuwendenden jedenfalls nicht freigebig erfolgt.
Für den Verzicht auf die Vergütung des Nennwertes des Geschäftsanteiles in Höhe von 5.112,92 € gilt dies jedoch nicht. Der Verzicht auf die Vergütung stellt eine freigebige Zuwendung des ausgeschiedenen Gesellschafters C an die Klägerin im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar. Ausweislich der vorgelegten Urkunden und unter Berücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten hat dem ausgeschiedenen Gesellschafter C aufgrund der Regelung in § 8 der Satzung der A GmbH ein Anspruch auf Vergütung des Nennwertes des Geschäftsanteiles in Höhe von 5.112,92 € zugestanden. Selbst wenn ihm bei Gründung der A GmbH im Jahre 1987 die Bezahlung des entsprechenden Stammkapitals erlassen bzw. diese Verpflichtung vom Hauptgesellschafter B übernommen worden sein sollte, worauf der Wortlaut des § 2 der notariellen Urkunde vom 19. Juli 2011 hinweisen könnte, so schlösse dies seinen Vergütungsanspruch in Höhe des Nennwertes des Geschäftsanteiles nicht aus. Der Umstand, dass der Hauptgesellschafter seinerzeit möglicherweise auf die Geltendmachung der Einlageverpflichtung gegenüber dem Mitgesellschafter verzichtet hätte, verpflichtete letzteren im Gegenzug 24 Jahre später nicht zu einer Gegenschenkung in Gestalt des Verzichts auf seinen Abfindungsanspruch. Weder dem Gesellschaftsvertrag noch den Satzungsbestimmungen sind Anhaltspunkte für eine derartige Verpflichtung des ausgeschiedenen Gesellschafters zu diesem Verzicht ersichtlich. Im Ergebnis ergibt sich aus dem Besteuerungstatbestand jedoch keine festzusetzende Schenkungsteuer, weil der Wert der Zuwendung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) den im Streitfall für die Steuerklasse III (§ 15 Abs. 1 ErbStG) geltenden persönlichen Freibetrag in Höhe von 20.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG) nicht übersteigt.
cc) Da bereits aus den dargestellten Gründen gegen die Klägerin keine positive Schenkungsteuer festzusetzen gewesen ist, kann die weitere Rechtsfrage, ob im Streitfall gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten Poolvereinbarung nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG die Voraussetzungen für die Anwendung der Verschonungsregelung für Betriebsvermögen vorgelegen haben, dahin gestellt bleiben.
b) Da sich ungeachtet des Ausgangs des beim Finanzamt X anhängigen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Bescheid vom 18. Juni 2015 über die gesonderte Feststellung des Wertes des übertragenen Geschäftsanteiles an der A GmbH im Streitfall keine festzusetzende Schenkungsteuer ergibt, war das Klageverfahren nicht vom Ausgang des Rechtsstreites über die Besteuerungsgrundlagen abhängig. Die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO war demnach nicht angezeigt.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1, Abs. 3 FGO in Verbindung mit der sinngemäß anzuwendenden Vorschrift des § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung.
5.) Die Revision wird zugelassen, weil zu der Frage der Unanwendbarkeit der Vorschrift des § 7 Abs. 7 ErbStG auf rechtsgeschäftliche Übertragungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften bislang keine bundesgerichtliche Rechtsprechung besteht (§ 115 Abs. 1 und 2 Nr. 1 und 2 FGO).