Aktenzeichen 31 O 1173/18
Leitsatz
1. Für den Inhalt und den Zweck von Grundbucheintragungen ist auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt. Umstände außerhalb der Eintragung können nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann – nicht nur die an der Bestellung des dinglichen Rechts Beteiligten – ohne weiteres erkennbar sind. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Dienstbarkeit erlischt, wenn die Ausübung dauernd ausgeschlossen ist oder der Vorteil für das herrschende Grundstück durch die Dienstbarkeit infolge grundlegender Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der rechtlichen Grundlage objektiv und endgültig wegfällt. Nur aus einem einstweiligen Nichtgebrauch der aus dinglichem Recht folgenden Befugnisse kann nicht auf den dauerhaften Fortfall des durch die Grunddienstbarkeit gesicherten Fortfalls geschlossen werden. (Rn. 51 – 64) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 400.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Weder Berichtigungsansprüche noch Beseitigungsansprüche bestehen, da die streitgegenständlichen Dienstbarkeiten nicht weggefallen sind.
1. Ein Anspruch auf Bewilligung der Löschung von Dienstbarkeiten besteht nach § 894 BGB gegen den Eigentümer des herrschenden Grundstücks unter dem Gesichtspunkt der Grundbuchberichtigung, wenn die Dienstbarkeiten erloschen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erlischt eine Dienstbarkeit, wenn die Ausübung dauernd ausgeschlossen ist oder der Vorteil für das herrschende Grundstück durch die Dienstbarkeit (§ 1019 BGB) infolge grundlegender Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der rechtlichen Grundlage objektiv und endgültig wegfällt. (BGH, Urteil vom 15. Januar 1999 – V ZR 163/96 -; BGH, Urteil vom 24.02.1984 – V ZR 177/82, jeweils zitiert nach juris).
Die Darlegungs- und Beweislast trägt die Klägerin, die sich auf den Wegfall beruft. Die Beurteilung, ob der Vorteil objektiv und endgültig nicht mehr besteht, obliegt in erster Linie dem Tatrichter.
Das Gericht ist nicht überzeugt, dass der Vorteil der Beklagten durch die Grunddienstbarkeit objektiv und dauerhaft weggefallen ist.
Für den Inhalt und den Zweck von Grundbucheintragungen ist nach ständiger Rechtsprechungauf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt. Umstände außerhalb der Eintragung können nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann – nicht nur die an der Bestellung des dinglichen Rechts Beteiligten – ohne weiteres erkennbar sind.
Irrelevant ist daher, ob bei Bestellung der Grundschuld die Beklagte davon ausging, dass ihr eine quasi eigentümerähnliche Stellung übertragen werden sollte, denn aus dem Grundbuch ist hierfür nichts ersichtlich.
Aus unbefangener Sicht verpflichteten sich die Grundstückseigentümer der klägerischen Grundstücke, einen Kartoffelkeller mit Erdaufschüttung und unterirdischem Schwemmkanal auf ihrem Grundstück zu dulden. Dabei ist aus Sicht eines unbefangenen Betrachters davon auszugehen, dass der Kartoffelkeller in jeder zulässigen Weise genutzt werden darf.
Für die Annahme des objektiven und dauerhaften Vorteilwegfalls reicht es nicht aus, dass die Beklagte die Anlage bereits seit längerem nicht mehr für das Schwemmen und einlagern von Kartoffeln nutzt.
Berechtigt die Dienstbarkeit zum Halten einer Anlage (§ 1020 S. 2 BGB), ist für den Begriff des haltens zwar auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Das Halten endet, wenn der Berechtigte die Nutzung nach außen hin erkennbar aufgibt. Da der Dienstbarkeitsberechtigte nicht verpflichtet ist, von der eingetragenen Nutzungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, kann eine Grunddienstbarkeit auch im Hinblick auf mögliche tatsächliche Veränderungen vorgehalten werden, wenn der Berechtigte von den aus dinglichem Recht folgenden Befugnissen einstweilen keinen Gebrauch macht. Aus dem einstweiligen Nichtgebrauch kann nicht auf den dauerhaften Fortfall des durch die Grunddienstbarkeit gesicherten Fortfalls geschlossen werden (BGH, Urteil vom 17.12.2010 – V ZR 125/10 -, zitiert nach juris).
Bei der Beklagten besteht insoweit die Besonderheit, dass sie als Genossenschaft, deren Gegenstand zunächst die Branntweinbrennerei war, ursprünglich einen klaren Unternehmensgegenstand hatte, der wegen Wegfall des Branntweinmonopolgesetzes unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Insoweit obliegt es den Mitgliedern, für die Zukunft der Genossenschaft oder deren Auflösung und die Verwertung ihres Vermögens eine mehrheitsfähige Lösung zu finden. Dieser Prozess scheint noch nicht abgeschlossen.
Ob die Destillerie D., an die die Anlage derzeit vermietet ist, den Kartoffelkeller zu Brennzwecken benutzen möchte, ist nicht entscheidend, da bereits die Möglichkeit der Nutzung des Kartoffelkellers durch einen späteren Mieter oder Eigentümer einen Vorteil für die Beklagte begründet.
Die streitgegenständliche Dienstbarkeit ist zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks bestellt. Im Rahmen der Verwertung des Vermögens der Genossenschaft ist auch die schuldrechtliche Überlassung der Nutzung des Kartoffelkellers durch den herrschenden Eigentümer beispielsweise an einen Mieter oder Pächter zulässig. Im Zweifel berechtigt die Dienstbarkeit den herrschenden Eigentümer zur Übertragung der Nutzungsbefugnis an Besucher oder Mieter (vgl.Palandt-Herrler, BGB, 77. Auflage, § 1018 BGB, Rdnr. 34 m.w.N.).
Derzeit kommt in Betracht, dass die Beklagte oder ein Dritter, an den sie das Grundstück veräußert, später auf dem Grundstück wieder eine Branntweinbrennerei betreibt oder das Grundstück beispielsweise als entsprechendes Museum nutzt. Rechtlich schließt die Abfindung der alten Brennrechte nicht aus, dass die Beklagte oder ein Dritter, der das Grundstück der Beklagten später wieder zum Herstellen von Branntwein nutzt. Unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist dies zwar nicht sinnvoll. Die Rahmenbedingungen können sich jedoch wieder ändern. Denkbar erscheint es auch, den Kartoffelkeller unabhängig von der Branntweinherstellung für das Ausschwemmen und Lagern von Kartoffeln oder anderen Wurzelgemüsen zu nutzen. Eine Nutzungsänderung der Baugenehmigung ist nicht erforderlich, wenn die geänderte Nutzung nicht anderen oder weitgehenderen Anforderungen bauordnungs- oder bauplanungsrechtlicher Art unterworfen ist, als die Nutzung als Kartoffelkeller.
Unzweifelhaft bestehen würde der Anspruch auf Löschung hingegen beispielsweise, wenn die Beklagte oder ein späterer Grundstückseigentümer sich entschließen würde, die Branntweinbrennerei abzureißen und statt dessen eine Wohnbebauung vorzunehmen.
Die Angst der Kläger, auf den Kosten der Beseitigung des Kartoffelkellers „sitzen zu bleiben“ ist für den objektiven Wegfall des Vorteils ohne Belang und erscheint zudem unbegründet. Das Grundstück Flurnummer 51 erscheint in einer Region wie München werthaltig genug, um die Kosten der Beseitigung der für die Beseitigung der baulichen Anlagen entstehenden Kosten zu finanzieren. Wird das Grundstück von der Beklagten veräußert, entsteht der Anspruch aus § 1004 BGB auf Beseitigung der baulichen Anlage bei Wegfall des Vorteils gegen denjenigen, der dann Eigentümer des Grundstücks ist. Die Kläger haben zudem nach § 1020 S. 2 BGB einen Anspruch gegen die Beklagte, die Anlage in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten, soweit ihr Interesse dies erfordert.
2. Ein Anspruch auf Beseitigung des Kartoffelkellers nebst Erdaufschüttung und Schwemmkanal sowie Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Grundstücke der Kläger besteht nicht. Insbesondere ergibt sich ein derartiger Anspruch nicht aus § 1004 Abs. 1 BGB. Solange die Dienstbarkeiten bestehen sind die Kläger als Grundstückseigentümer zur Duldung der baulichen Anlagen verpflichtet, § 1004 Abs. 2 BGB.
II.
1. Die Kostenentscheidung entspricht §§ 91, 100 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 709 ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung entspricht § 48 GKG, §§ 3 ff. ZPO. Der Streitwert wurde für beide Kläger jeweils auf 200.000 € geschätzt.