Erbrecht

Wirkung der Anfechtung eines wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung

Aktenzeichen  60 VI 13107/09

Datum:
5.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 125378
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 2079, § 2270 Abs. 2, Abs. 3, § 2271 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine Schlusserbeneinsetzung gemeinsamer Söhne in einem gemeinschaftlichen Testament durch den einen Ehegatten ist zur Alleinerbeneinsetzung dieses Ehegatten durch den anderen Ehegatten wechselbezüglich. (Rn. 15) (red. LS Andrea Laube)
2. Die wirksame Anfechtung einer wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung hat zur Folge, dass auch die wechselbezügliche Einsetzung des anfechtenden Ehegatten als Alleinerbe unwirksam ist. (Rn. 15) (red. LS Andrea Laube)
3. Die Anfechtung der Anfechtung einer wechselbezüglichen Verfügung kann nicht wegen eines Irrtums über die rechtlichen Folgen dieser Anfechtung erfolgen, weil es sich insoweit nur um einen nicht beachtlichen Rechtsfolgenirrtum handelt. (Rn. 17) (red. LS Andrea Laube)
4. Die Anfechtung einer wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung beseitigt nicht das Testament insgesamt, sondern lediglich die wechselseitigen Verfügungen. (Rn. 19) (red. LS Andrea Laube)

Tenor

Der Antrag des Beteiligten zu 1) auf Einziehung des Erbscheins vom 04.04.2016 und Feststellung, dass er Alleinerbe geworden sei, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1.) Am 14.10.2009 verstarb G. B. geb. H. geb. … zuletzt wohnhaft in …
Die Verstorbene war deutsche Staatsangehörige.
Sie hatte keine nichtehelichen Kinder und niemanden als Kind angenommen.
Die Verstorbene war in einziger Ehe verheiratet mit dem Beteiligten zu 1). Aus der Ehe gingen nur die Beteiligten zu 2) und 3) hervor.
Der Beteiligte zu 1) begründete am 23.12.2015 eine eingetragene Lebenspartnerschaft.
2.) Die Erblasserin und der Beteiligte zu 1) errichteten am 08.06.1999 ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten.
Am 22.06.2009 errichteten sie ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und die Beteiligten zu 2) und 3) zu ihren Schlusserben bestimmten.
Mit notarieller Urkunde vom 08.01.2016 erklärte der Beteiligte zu 1) die Anfechtung der im Testament vom 22.06.2009 enthaltenen Schlusserbeinsetzung der Beteiligten zu 2) und 3) wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten. Die Erklärung ging am 15.01.2016 bei Gericht ein.
Am 04.04.2016 beantragten die Beteiligten zu 2) und 3) die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der den Beteiligten zu 1) als Miterben zu 1/2 und sie als Miterben zu je 1/4 ausweist. Der Erbschein wurde am gleichen Tag erteilt.
3.) Mit Schreiben vom 04.05.2016, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, erklärte der Beteiligte zu 1) die Anfechtung der Anfechtung, da er sich über die Folge der Anfechtung, nämlich den Wegfall seiner Alleinerbeinsetzung zusätzlich zum Wegfall der Schlusserbeinsetzung, geirrt habe. Mit Schreiben vom 09.05.2016 beantragte er die Einziehung des Erbscheins vom 04.04.2016 und die Feststellung seiner Alleinerbenstellung. Er ist der Ansicht, durch die Anfechtung der Anfechtung sei das gemeinschaftliche Testament vom 22.06.2009 wieder wirksam, so dass er Alleinerbe geworden sei. Jedenfalls sei er aber aufgrund des mit Schreiben vom 09.05.2016 abgelieferten Testaments vom 08.06.1999 Alleinerbe, das bei Unwirksamkeit des Testaments vom 22.06.2009 wieder auflebe.
Die Beteiligten zu 2) und 3) sind dem Antrag entgegen getreten. Sie sind der Auffassung, die Anfechtung der Anfechtung sei nicht wirksam, da der Notar den Beteiligten zu 1) ausweislich der Urkund vom 08.01.2016 über die Rechtsfolgen der Anfechtung belehrt habe. Durch die wirksame Anfechtung vom 08.01.2016 sei die gegenseitige Alleinerbeinsetzung auch des früheren gemeinschaftlichen Testaments entfallen.
4.) Hinsichtlich der Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Im Übrigen wird auf die Testamente, die notarielle Urkunde vom 08.01.2016 (Bl. 15/15 c), die Niederschrift vom 04.04.2016 (Bl. 35/38) und den Erbschein vom 04.04.2016 (Bl. 40) Bezug genommen.
II.
Der Einziehungsantrag war zurückzuweisen, weil der Erbschein vom 04.04.2016 nicht unrichtig ist.
Die Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Söhne im Testament vom 22.06.2009 durch die Erblasserin war nicht nur zur Schlusserbeinsetzung durch den Beteiligten zu 1), sondern auch zu dessen Alleinerbeinsetzung durch die Erblasserin wechselbezüglich. Das Testament enthält dazu zwar keine ausdrückliche Erklärung, es entspricht aber der Lebenserfahrung, die auch der Auslegungsregel des § 2270 II BGB zugrunde liegt, dass ein Ehegatte den anderen deshalb zum Alleinerben einsetzt und damit die Kinder von der Teilhabe an seinem Nachlass ausschließt, weil er darauf vertraut, dass die Kinder nach dem Tod des Zweitversterbenden infolge der Schlusserbeinsetzung (auch) an seinem Nachlass partizipieren. Gemäß § 2271 II BGB war diese wechselbezügliche Schlusserbeinsetzung nach dem Tod der Erblasserin daher einseitig nicht mehr änderbar, der Beteiligte zu 1) hatte das Erbe auch ausdrücklich angenommen (Bl. 8).
Der Beteiligte zu 1) hat jedoch mit der Erklärung vom 08.01.2016 seine letztwillige wechselbezügliche Verfügung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2079 BGB wirksam angefochten. Damit sind zugleich die wechselbezüglichen Verfügungen der Erblasserin unwirksam geworden, so dass auch seine Alleinerbeinsetzung entfallen ist, es ist gesetzliche Erbfolge eingetreten.
Die Anfechtung der Anfechtung vom 04.05.2016 entfaltet keine Wirkung, da zum einen der Notar in der Anfechtungsurkunde vom 08.01.2016 unter § 3 Nr. 2 ausdrücklich auf die Rechtsfolgen der Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen hingewiesen hat, zum anderen auch nur allenfalls ein nicht zur Anfechtung berechtigender unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum vorläge.
Das Testament vom 08.06.1999 entfaltet ebenfalls keine Wirkung mehr. Das gemeinschaftliche Testament vom 22.06.2009 enthält über die Erbeinsetzungen hinaus auch einen stillschweigenden Widerruf früherer Testamente. Aus der Erweiterung der testamentarischen Erbeinsetzungen um die Schlusserbeinsetzung der Söhne ergibt sich, dass im Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vom 22.06.2009 gerade nicht mehr die bedingungslose gegenseitige Alleinerbeinsetzung der Ehegatten gewollt war, sondern diese Erbeinsetzung durch die Schlusserbeinsetzung und die damit verbundene Absicherung der Kinder eingeschränkt sein sollte. Durch das Testament vom 22.06.2009 ist daher das Testament vom 08.06.1999 widerrufen.
Dieser Widerruf entfällt auch nicht durch die Anfechtung vom 08.01.2016. Die wirksame Anfechtung beseitigt nicht das Testament vom 22.06.2009 insgesamt, sondern lediglich die wechselbezüglichen Verfügungen. Der Widerruf früherer Testamente wird hiervon nicht erfasst, § 2270 III BGB.
Damit bleibt die gesetzliche Erbfolge maßgeblich, der Erbschein vom 04.04.2016 ist nicht unrichtig und damit auch nicht einzuziehen.
Eine Kostenentscheidung gemäß § 81 FamFG ist nicht veranlasst.

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