Europarecht

“Abfassen in deutscher Sprache” als Rechtsbehelfsbelehrung im Asylverfahren

Aktenzeichen  M 7 K 16.50050

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 74
VwGO VwGO § 55, § 58 Abs. 2, § 60, § 84 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der in der Rechtsbehelfsbelehrung enthaltene Hinweis, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, stellt keine Unrichtigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO dar. (redaktioneller Leitsatz)
3 Mit dem in der Rechtsbehelfsbelehrung enthaltenen Hinweis, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, soll vermieden werden, dass ein Rechtsuchender seinen Rechtsbehelf bei dem zuständigen Gericht nur in seiner Landessprache und damit nicht fristwahrend einreicht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der in der Rechtsbehelfsbelehrung enthaltene Hinweis, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, ist nicht irreführend. Sie bedeutet nicht, dass der Betreffende selbst für die Schriftform zu sorgen hat und schließt die mündliche Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger wurde vorher gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO), die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses haben durch allgemeine Prozesserklärungen auf vorherige Anhörung verzichtet.
Die Klage ist unzulässig, da sie nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht eingegangen ist und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen.
Nach § 74 Abs. 1 AsylG in der zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 1. September 2015 gültigen Fassung muss die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt, wonach gegen die Überstellungsentscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage erhoben werden kann. Die Belehrung enthält u.a. den Passus „Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein.“.
Entgegen der Ansicht des Klägervertreters gilt vorliegend nicht die Jahresfrist aus § 58 Abs. 2 VwGO. Der in der Rechtsbehelfsbelehrung:enthaltene Hinweis, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, stellt nach Ansicht der Einzelrichterin keine Unrichtigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO dar und führt demgemäß auch nicht dazu, dass sich die Frist zur Erhebung der Klage auf ein Jahr verlängert (so auch VG Oldenburg, B.v. 20.10.2016 – 15 B 5090/16 – juris und VG Berlin, B.v. 15.12.2016 – 28 L 409.16 A – juris, jeweils mit Hinweis auf abweichende Rechtsprechung). Denn die gerügte Textstelle, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, ist nicht irreführend. Sie bedeutet nicht, dass der Betreffende selbst für die Schriftform zu sorgen hat und schließt die mündliche Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus.
Zweifelhaft ist schon, ob das Verb „abfassen“ zwangsläufig bedeutet, dass eine Äußerung verschriftlicht wird. So wird das Verb etwa in deutschen Gesetzestexten mit der Ergänzung „schriftlich“ gebraucht (z.B. in § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO), die überflüssig wäre, wenn das Verb bereits die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung hätte (vgl. zu weiteren Beispielen VG Berlin, B.v. 15.12.2016 – 28 L 409.16 A – juris Rn. 17). Selbst wenn dem Wort „abfassen“ eine solche Bedeutung zukäme, ließe sich der verwendeten Rechtsbehelfsbelehrung:jedenfalls nicht entnehmen, dass der Betreffende selbst für die Schriftform zu sorgen hat. Denn auch eine mündlich zur Niederschrift erhobene Klage wird von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (in deutscher Sprache) schriftlich abgefasst (vgl. VG Berlin, B.v. 15.12.2016 – 28 L 409.16 A – juris Rn. 17). Der Passus bezieht sich damit nicht auf eine bestimmte Form der Klageerhebung, stellt also keine Belehrung über die Möglichkeit dar, einen Rechtsbehelf wahlweise schriftlich oder mündlich zur Niederschrift anzubringen (vgl. § 81 VwGO), sondern soll lediglich verdeutlichen, dass die Klageerhebung in deutscher Sprache, die Gerichtssprache nach § 55 VwGO i.V.m. § 184 GVG ist, zu erfolgen hat (vgl. VG Oldenburg, B.v. 20.10.2016 – 15 B 5090/16 – juris Rn. 10). Dadurch soll vermieden werden, dass ein Rechtsuchender seinen Rechtsbehelf bei dem zuständigen Gericht nur in seiner Landessprache und damit nicht fristwahrend einreicht (vgl. VG Oldenburg, a.a.O. m.w.N.).
Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in einem von ihm entschiedenen Fall keine Bedenken gegen eine Rechtsbehelfsbelehrung:geäußerte, nach der eine Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.1990 – 9 B 506.89 – juris Leitsatz: Ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Ausländer handelt nicht ohne Verschulden, wenn er bewusst entgegen der von ihm verstandenen Rechtsmittelbelehrung, dass eine Klage in deutscher Sprache abgefasst sein müsse, bei Gericht eine Klageschrift in einer fremden (polnischen) Sprache einreicht.).
Demnach war die Klage gemäß der in der Rechtsbehelfsbelehrung:genannten zweiwöchigen Frist zu erheben. Die Frist begann mit der Zustellung des Bescheids – ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10. September 2015 – zu laufen (§ 74 AsylG; § 58 Abs. 1, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB) und war daher im Zeitpunkt der Klageerhebung am 29. Januar 2016 längst abgelaufen.
Die Zustellung erfolgte vorliegend nach § 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) mittels Postzustellungsurkunde durch die Post. Sie wurde ordnungsgemäß im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung gemäß § 3 VwZG i.V.m. § 181 ZPO durchgeführt. Danach kann eine Zustellung durch Niederlegung erfolgen, wenn eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 oder § 180 nicht ausführbar ist. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall ausweislich der Postzustellungsurkunde, der insoweit Beweiskraft zukommt (vgl. BayVGH, U.v. 14.9.2000 – 23 B 00.30313 – juris Rn. 14), erfüllt. Nach der von der Beklagten vorgelegten Postzustellungsurkunde wurde der streitgegenständliche Bescheid am 10. September 2015 durch Niederlegung bei einer hierfür bestimmten Stelle zugestellt, weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung und auch die Einlegung in einen Briefkasten nicht möglich war. Wie sich aus der Postzustellungsurkunde weiter ergibt, wurde eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen in üblicher Weise, nämlich in den Briefkasten, abgegeben. Ausweislich der Behördenakten wurde das niedergelegte Schriftstück nicht abgeholt und ist daher gemäß § 181 Abs. 2 ZPO nach drei Monaten an den Absender zurückgesendet worden.
Der Beweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen und damit der Zustellung ist nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässig. Ein derartiger Beweisantritt verlangt den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Hierzu muss ein geeignetes Vorbringen substantiiert dargelegt werden (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.1986 – 4 CB 8/86 – juris Rn. 3). Ein bloßes Bestreiten genügt nicht. Vielmehr müssen Umstände dargelegt werden, die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Postzustellungsurkunde zu belegen geeignet sind (vgl. BVerwG, a.a.O.). Ein solcher Gegenbeweis ist dem Kläger nicht gelungen.
Er trägt vor, den Bescheid nicht erhalten zu haben, obwohl er durchgehend in der ihm zugewiesenen Unterkunft gewohnt habe, deshalb müsse ein Zustellungsfehler der Antragsgegnerin vorliegen. Damit sind keine Umstände dargetan, die einen Fehler bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung belegen könnten. Seine Angabe, er habe von 1. September 2015 bis 2. November 2015 durchgehend in der zugewiesenen Unterkunft gewohnt, ist nicht geeignet, den Gegenbeweis der bezeugten Tatsachen zu führen. Der Kläger behauptet damit schon selbst nicht, sich konkret am Zustellungstag zum Zustellungszeitpunkt in der Unterkunft aufgehalten zu haben. Die Voraussetzungen für eine Niederlegung sind mithin als gegeben anzusehen.
Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Kein Verschulden liegt vor, wenn dem Säumigen nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen. Verschuldet ist die Versäumung einer Frist also dann, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 60 Rn. 6 m.w.N.). Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen.
Hier hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht (§ 294 ZPO), ohne Verschulden gehindert gewesen zu sein, die Klagefrist einzuhalten. Zur Begründung hat er unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung vorgetragen, er habe den Bescheid erst durch seinen Bevollmächtigten am 28. Januar 2016 erhalten. Wie oben ausgeführt, erfolgte die Zustellung laut Postzustellungsurkunde am 10. September 2015 im Wege der Niederlegung, sodass die Wirkung der Zustellung zu diesem Zeitpunkt eintrat. Der Kläger konnte den Beweis der Unrichtigkeit der Angaben auf der Postzustellungsurkunde nicht führen. Wenn er vom Bescheid erst am 28. Januar 2016 durch seinen Bevollmächtigten erfahren hat, so liegt dies in seinem Verantwortungsbereich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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