Europarecht

Ablauf der Überstellungsfrist

Aktenzeichen  AN 11 S 16.50301

Datum:
19.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 20 Abs. 5, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Nach Ablauf der Überstellungsfrist kann sich der Antragsteller auf die Zuständigkeit der Antragsgegnerin berufen, wenn nicht positiv feststeht, dass Bulgarien weiterhin zur Übernahme bereit ist. (redaktioneller Leitsatz)
Die Übernahmefrist verlängert sich nicht auf 18 Monate, wenn nicht geklärt ist, ob der Antragsteller tatsächlich flüchtig ist. (redaktioneller Leitsatz)
Zentrales Anliegen des Dublin-Systems ist es, effektiven Zugang zum Verfahren und zügige Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz zu gewährleisten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.08.2016, Az. …439, wird angeordnet.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

I.
Der Antragsteller, geboren am …1980 besitzt die iranische Staatsangehörigkeit.
Eine Eurodac-Anfrage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Bulgarien. Danach hat der Antragsteller in Bulgarien am 6. November 2015 einen Asylantrag gestellt. Auf Anfrage des Bundesamtes vom 13. Januar 2016 antwortete Bulgarien mit Schreiben vom 21. Januar 2016, dass es zur Rücknahme des Antragstellers bereit sei. Mit Schreiben vom 22. Februar 2016 teilte das Bundesamt Bulgarien mit, dass eine Überstellung des Antragstellers derzeit nicht möglich sei, weil dieser flüchtig sei.
Mit Schreiben vom 22. April 2016, beim Bundesamt eingegangen am 25. April 2016, zeigte der klägerische Anwalt des Antragstellers gegenüber dem Bundesamt seine Vertretung an.
Mit Schreiben vom 28. April 2016 wurden dem Anwalt für seinen Mandanten zwei Fragebögen zur Prüfung des Asylantrags sowie zur Prüfung von Abschiebungshindernissen im Dublin-Verfahren übersandt.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2016 bat das Bundesamt Bulgarien um Übernahme des Asylverfahrens.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2016 wurde der Antragsteller vom Bundesamt zum persönlichen Gespräch im Dublin-Verfahren geladen.
Mit Bescheid vom 17. August 2016, dem Antragsteller zugestellt am 23. August 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Zur Begründung ist ausgeführt, dass das Bundesamt 13. Januar 2016 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-Verordnung an Bulgarien gerichtet habe und die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 19. Januar 2016 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 20 Abs. 5 Dublin-III Verordnung erklärt hätten. Der Asylantrag sei daher gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Bulgarien gemäß Art. 3 Dublin III-Verordnung für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Auf den Bescheid wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 30. August 2016, bei Gericht per Telefax eingegangen am gleichen Tag, ließ der Kläger Klage erheben gegen den Bescheid des Bundesamtes und beantragen:
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. August 2016, Az. …-439, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, das Asylverfahren fortzusetzen.
Gleichzeitig wurde beantragt:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. August 2016, Az. …-439, wird angeordnet.
Zur Begründung führt der Antragsteller aus, dass die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung sechs Monate betrage und mit der Annahme des Aufnahmeersuchens des anderen Mitgliedstaates beginne. Bulgarien habe mit Schreiben vom 19. Januar 2016 die Annahme des Aufnahmeersuchens erklärt. Somit sei die Überstellungsfrist bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheides bereits abgelaufen gewesen. Werde die Überstellung nicht innerhalb der Frist von 6 Monaten durchgeführt, gehe die Zuständigkeit gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Da die Überstellungsfrist am 29. Juli 2016 abgelaufen sei, sei somit die Beklagte zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Mit Schriftsatz vom 5. September 2016 beantragte die Beklagte und Antragsgegnerin,
die Klage abzuweisen und
einen nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag abzulehnen.
Auf Nachfrage des Gerichts vom 6. September 2016, weshalb die Antragsgegnerin davon ausgegangen sei, dass der Antragsteller flüchtig gewesen sei, antwortete die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 7. September 2016, dass sich keine Anhaltspunkte für das Flüchtigsein aus der Akte ergäben, auch nicht aus der Sichtung der Hilfsakte und der DUAO- Mappe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Dem Antrag war stattzugeben, da bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Bescheids und damit der Abschiebungsanordnung bestehen, da einiges dafür spricht, dass die Antragsgegnerin im Zeitpunkt des Bescheidserlasses wegen Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig war und im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weiterhin ist.
Nach Auffassung des Gerichts ist die Überstellungsfrist abgelaufen und die Zuständigkeit damit auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung beträgt die Überstellungsfrist grundsätzlich sechs Monate, die nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-Verordnung mit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs beginnt. Diese Frist kann gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-Verordnung auf höchstens 18 Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
Vorliegend ist die Überstellungsfrist am 19. Juli 2016 abgelaufen, da die bulgarischen Behörden am 19. Januar 2016 ihre Bereitschaft zur Rücknahme des Klägers erklärt haben. Eine Verlängerung der Frist auf 18 Monate wegen Flüchtigseins des Antragstellers liegt nicht vor. Einziger Anhaltspunkt für ein Flüchtigsein bildet die in der Behördenakte befindliche Information an die bulgarischen Behörden vom 22. Februar 2016, dass eine Überstellung derzeit nicht möglich ist, weil der Antragsteller flüchtig sei. Aus dem Schreiben geht zudem hervor, dass dies dem Bundesamt seit dem 22. Februar 2016 bekannt ist (S. 14 der Behördenakte). Wie das Bundesamt zu der Annahme gelangte, dass der Antragsteller flüchtig sei, konnte dem Gericht auch auf ausdrückliche Nachfrage nicht erklärt werden. Allein der Hinweis in der Akte ohne weitere Erläuterung oder Nachweis, weshalb ein Flüchtigsein angenommen wurde, genügt dem Gericht nicht, um ein Flüchtigsein und damit eine Verlängerung der Überstellungsfrist anzunehmen.
Der Antragsteller kann sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist und damit auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin auch berufen, jedenfalls dann, wenn – wie hier – nicht positiv feststeht, dass Bulgarien auch nach Ablauf der Überstellungsfrist zur Übernahme des Antragstellers weiterhin bereit ist. Dies begründet sich daraus, dass sich ein Schutzsuchender zwar den zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung seines Schutzbegehrens nicht aussuchen kann, er jedoch einen Anspruch darauf hat, dass ein von ihm innerhalb der EU gestellter Antrag auf internationalen Schutz innerhalb der EU auch geprüft wird. Könnte sich der Schutzsuchende auch bei fehlender Wiederaufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaates nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen, entstünde die Situation, dass sich kein Mitgliedstaat für die sachliche Prüfung des Asylantrags als zuständig ansieht. Dies würde dem zentralen Anliegen des Dublin-Systems zuwiderlaufen, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden, vgl. Erwägungsgrund 5 der Dublin III-Verordnung; BVerwG, Urteil vom 27.4.2016 – 1 C 24/15.
Demnach kann sich der Antragsteller vorliegend wohl auf die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides berufen, weshalb seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Abschiebungsanordnung stattzugeben ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.

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