Europarecht

Abschiebungsandrohung gegen Drittausländer wegen Fristüberschreitung für Kurzaufenthalt im Schengen-Raum

Aktenzeichen  B 4 K 16.43

Datum:
3.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 50 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 58 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1, § 59 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 5 S. 1
SDÜ Art. 1, Art. 5 Abs. 1 lit. a, c, d, e, Art. 20 Abs. 1
AufenthV AufenthV § 15
VO (EG) Nr. 562/2006 Art. 11 Abs. 1 S. 1, Art. 12 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4
StPO StPO § 456a Abs. 1

 

Leitsatz

1. Es obliegt dem Drittausländer, die rechtzeitige Ausreise aus dem Schengen-Raum nach Ablauf der zulässigen Dauer eines visumfreien Kurzaufenthalts durch die Grenzbehörden dokumentieren zu lassen.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Läuft eine neben einer Abschiebungsandrohung festgesetzte Ausreisefrist während des Verfahrens ab, wird diese nur dann gegenstandslos, wenn der Ausländer endgültig das Bundesgebiet verlassen hat, um in seine Heimat zurückzukehren, er sonst seine Ausreisepflicht erfüllt, ihm ein Aufenthaltsrecht eingeräumt oder eine neue Ausreisefrist gesetzt wird. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
II.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20.01.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Beklagte hat dem Kläger zu Recht die Abschiebung nach Mazedonien angedroht (Ziffer 2 des Bescheides).
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Ist die Ausreisepflicht vollziehbar, die gewährte Ausreisefrist abgelaufen und eine Überwachung der Ausreise erforderlich, weil der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft befindet, ist der Ausländer abzuschieben (§ 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 AufenthG). Die Abschiebung ist ihm unter Bestimmung einer angemessenen Frist für die freiwillige Ausreise anzudrohen (§ 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).
Der gerichtlichen Beurteilung einer Abschiebungsandrohung ist jedenfalls dann, wenn der Ausländer aufgrund der Androhung noch nicht abgeschoben wurde oder noch nicht freiwillig ausgereist ist, die Sach- und Rechtlage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zugrunde zu legen (BVerwG, U. 22.03.2012 – 1 C 3/11 – BVerwGE 142,179/183f. = InfAuslR 2012, 261/ 262 jew. Rn.13).
a) Der Kläger ist ausreisepflichtig, weil er den für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt.
Für die Einreise und für den Aufenthalt im Bundesgebiet ist ein Aufenthaltstitel erforderlich, sofern nicht u.a. durch Recht der Europäischen Union etwas anderes bestimmt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Nach Art. 20 Abs. 1 des Schengener Durchführungsabkommens (SDÜ), das als Recht der Europäischen Union gemäß § 15 AufenthV die Befreiung vom Erfordernis eines deutschen Aufenthaltstitels bei Kurzaufenthalten gemeinschaftsrechtlich regelt, können sichtvermerkfreie Drittausländer sich im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten frei bewegen, höchstens jedoch 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen und soweit sie die in Art. 5 Abs. 1 Buchstaben a), c), d) und e) aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Drittausländer ist gemäß Art. 1 SDÜ eine Person, die nicht Staatsangehöriger eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist. Von diesen Drittausländern sind gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 EG-VisaVO die Staatsangehörigen der in der Liste in Anhang II aufgeführten Drittländer für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, sichtvermerkfrei.
Der Kläger ist als Staatsangehöriger der in dieser Liste genannten ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien von der Sichtvermerkpflicht befreit, jedoch nur für. Kurzaufenthalte von 90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen (Art. 20 Abs. 1 SDÜ).
Wie der Nachweis geführt werden kann, dass die Gesamtaufenthaltsdauer von 90 Tagen im Bezugszeitraum eingehalten ist, ist in Art. 12 Abs. 1 und Abs. 4 Schengener Grenzkodex (SGK) geregelt. Danach können die zuständigen nationalen Behörden annehmen, dass der Inhaber eines Reisedokuments die Voraussetzungen hinsichtlich der Aufenthaltsdauer nicht oder nicht mehr erfüllt, wenn sein Reisedokument nicht mit einem Einreise- und Ausreisestempel versehen ist. Diese Vermutung kann der Drittstaatsangehörige durch jedweden glaubhaften Nachweis widerlegen, insbesondere durch Nachweise über seine Anwesenheit außerhalb des Hoheitsgebietes der Schengen-Staaten, aus denen hervorgeht, dass er die Voraussetzungen hinsichtlich der Dauer eines kurzfristigen Aufenthalts eingehalten hat (Art. 12 Abs. 2 SGK).
Das Reisedokument des Klägers enthält keine Stempel, aus denen sich eine Ausreise aus dem oder eine Einreise in das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten seit seiner Einreise in den Schengen-Raum Ende August 2014 ergibt. Die Verantwortung dafür, dass die rechtzeitige Ausreise aus dem Schengen-Raum nach Ablauf der zulässigen Dauer eines visumfreien Kurzaufenthalts dokumentiert wird, trifft den Kläger, der schon im Eigeninteresse auf Abstemplung seines Reisedokuments durch die Grenzbehörden zu drängen hat, die gemäß Art. 11 Abs. 1 Satz 1 SGK dazu verpflichtet sind (vgl. dazu Zeitler in HTK-AuslR, Stand Dez. 2016, Art. 20 SDÜ, § 15 AufenthV Ziff. 5.3). Der Kläger, der lediglich behauptet, die Abstemplungen seien auf seiner Reise unterblieben, ohne eine konkrete Begründung dafür zu nennen, kann sich deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, die ungarischen Grenzbehörden hätten es versäumt, sein Reisedokument bei der von ihm behaupteten Ausreise und Wiedereinreise abzustempeln.
Die sich aus dem Fehlen der Stempel ergebende Vermutung, er habe die zulässige Höchstaufenthaltsdauer für einen Kurzaufenthalt im Schengen-Raum überschritten, hat der Kläger durch die von ihm vorgelegten Bescheinigungen nicht widerlegt. Denn selbst wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, die Nachweise seien echt und belegten einen Aufenthalt in seinem Geburtsort und in G … am 08.01.2016, ist damit lediglich glaubhaft gemacht, dass er sich an diesem Tag und ggf. zusätzlich an einem oder mehreren Anreise- und Rückreisetagen in Mazedonien aufgehalten hat. Den erforderlichen darüberhinausgehenden Nachweis, er habe sich in den 180 Tagen vor dem 20.01.2016, als er von der Polizei aufgegriffen wurde und der Bescheid erlassen wurde, insgesamt nicht mehr als 90 Tage im Schengen-Raum aufgehalten, hat er mit den Bescheinigungen, die nur ein kurzfristiges Verlassen belegen, nicht erbracht.
Darüber hinaus wurde der Zeitraum des sichtvermerkfreien Aufenthalts von 90 Tagen bereits dadurch überschritten, dass sich der Kläger seit seinem polizeilichen Aufgriff am 20.01.2016 bis heute mehr als 90 Tage im Bundesgebiet aufhält.
Damit hält sich der Kläger über die Dauer eines zulässigen Kurzaufenthalts hinaus und damit widerrechtlich im Bundesgebiet auf, so dass er kraft Gesetzes ausreisepflichtig ist.
b) Da er die erstmalige Erteilung der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis nicht beantragt hat, ist die Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch vollziehbar.
c) Dem Erlass der Abschiebungsandrohung steht schließlich nicht entgegen, dass jedenfalls im Falle einer Verurteilung des Klägers im Strafverfahren nicht feststeht, wann eine Abschiebung durchgeführt werden kann, weil zuvor erst die Staatsanwaltschaft als Strafvoll-streckungsbehörde gemäß § 456 a Abs. 1 StPO von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe abzusehen hat (vgl. dazu Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 59 AufenthG Rn. 7).
2. Auch die gesetzte Ausreisefrist (Ziffer 1 des Bescheides) begegnet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keinen rechtlichen Bedenken.
Gemäß § 50 Abs. 2 AufenthG hat der Ausländer das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen. Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist (§ 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Befindet sich der Ausländer auf richterliche Anordnung in Haft, bedarf es keiner Fristsetzung (§ 59 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).
a) Die auf die uneingeschränkte Anfechtungsklage des Klägers gesondert zu überprüfende Ausreisefrist, die von der Abschiebungsandrohung rechtlich zu trennen ist (VGH BW, U. v. 29.04.2003 – 11 S 1188/02 – InfAuslR 2003, 341/346f.; Bauer, a.a.O. § 59 AufenthG Rn. 24), ist zwar inzwischen abgelaufen, wurde dadurch aber nicht gegenstandslos. Denn das ist nur der Fall, wenn der Ausländer, anders als hier, endgültig das Bundesgebiet verlassen hat, um in seine Heimat zurückzukehren, wenn er sonst seine Ausreisepflicht erfüllt, wenn ihm ein Aufenthaltsrecht eingeräumt wurde oder eine neue Frist gesetzt wird, die die bisherige ausdrücklich oder stillschweigend ersetzt (Bauer, a.a.O. § 59 AufenthG Rn. 23).
b) Offen bleiben kann, ob die Ausreisefrist von vier Tagen angemessen war. Denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet sich der Kläger auf richterliche Anordnung in Haft, so dass eine Fristsetzung gemäß § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG überhaupt entbehrlich ist.
III.
Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es angesichts der, wenn überhaupt anfallenden, dann allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht.

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