Aktenzeichen W 2 K 17.33334
Leitsatz
1 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein nachgeborenes Kind die asylrechtliche Situation seiner sorgeberechtigten Eltern teilt. Das Land, das den Eltern internationalen Schutz zuerkannt hat, ist grds. auch für den Asylantrag des Kindes zuständig. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Falle des Vorliegens von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen bezogen auf den eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat muss die Zuständigkeit für den Asylantrag des nachgeborenen Kindes entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO bei dem Mitgliedsstaat seiner Geburt verbleiben. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es gibt zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Bulgarien defizitär sind, das gilt jedoch nicht für Personen, die als Familieneinheit betrachtet vulnerabel sind. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bulgarien verfügt über kein ausdifferenziertes Sozialsystem, sondern ist durch eigenständiges Handeln des Einzelnen geprägt. Die Unterkunftssuche bleibt für anerkannte Flüchtlinge äußerst problembehaftet; ohne Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation bestehen Chancen auf dem Arbeitsmarkt allenfalls im Niedriglohnsektor. (Rn. 29 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. August 2017 (Gz. 6925559-475) wird – ausgenommen Ziffer 3 Satz 3 („Die Antragstellerin darf nicht nach Syrien abgeschoben werden.”) – aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Klägerin und Beklagte tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der die andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 22. November 2017 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 vor.
Zu gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist die Klage teilweise unzulässig und teilweise zulässig und begründet.
Unzulässig ist sie soweit sie auf die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes gerichtet ist. Die Klage ist insoweit nicht statthaft. Nimmt das Bundesamt – wie im Falle der Klägerin – keine sachliche Prüfung eines Schutzbegehrens vor, sondern lehnt das Schutzbegehren als unzulässig ab, ist allein die Anfechtungsklage die richtige Klageart, um das Rechtsschutzbegehren eines Asylantragstellers zu verwirklichen (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 -, juris; VG München, B.v. 3.5.2017 – M 2 K 17.34076 – juris m.w.N.). Ein gerichtliches „Durchentscheiden“ im Rahmen einer auf Zuerkennung eines bestimmten Schutzstatus gerichteten Verpflichtungsklage würde die europarechtlich vorgesehene Zweiteilung des Asylverfahrens negieren und dem Asylbewerber zudem eine Tatsacheninstanz nehmen. Hat die Anfechtungsklage Erfolg und wird die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig aufgehoben, so hat das Bundesamt kraft Gesetzes das Asylverfahren im nationalen Verfahren fortzuführen.
Zulässig und begründet ist jedoch die gegen den Bescheid vom 30. August 2017 gerichtete Anfechtungsklage, soweit sie nicht auf die Aufhebung von Ziffer 3 Satz 3 des Bescheides gerichtet ist.
Das in Ziffer 3 Satz 3 des Bescheides enthaltene Abschiebungsverbot bezüglich Syriens wirkt sich für die Klägerin lediglich begünstigend aus, so dass eine Anfechtung des Bescheides insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Ausgenommen Ziffer 3 Satz 3 ist der Bescheid vom 30. August 2017 jedoch rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Die Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig (Ziffer 1 des Bescheides) ist rechtswidrig. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig lässt sich im Fall der Klägerin nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 2 AsylG stützen.
Zwar erstreckt Art. 20 Abs. 3 S. 2 Dublin III-VO die zeitliche Reichweite der Zuständigkeitsakzessorietät für den Asylantrag eines nach Asylantragstellung der Eltern geborenen Kindes grundsätzlich auch auf deren Anerkennung als Flüchtlinge (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50110 – juris; VG Stuttgart, B.v. 28.12.2016, A 5 K 8144/16 – juris; VG Bayreuth, U.v. 22.3.2016 – B 3 K 15.30570; VG Meiningen, B.v. 4.12.2014 – 5 E 20238/14 Me; a.A. VG Lüneburg, U.v. 24.5.2016 – 5 A 194/14 – juris). Dies gilt jedoch gem. Art. 20 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. S. 1 Dublin III-VO nur, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch ein nachgeborenes Kind die asylrechtliche Situation seiner sorgeberechtigten Eltern teilt. In der Regel entspricht dieser auf die Wahrung der Familieneinheit gerichtete Grundsatz dem Wohl des Kindes. Grundsätzlich ist damit das Land, das den Eltern internationalen Schutz zuerkannt hatte, auch für den Asylantrag des nachgeborenen Kindes zuständig.
Der auch von der Beklagten als tragend erachtete Grundsatz der Familieneinheit ist durch eine solche Zuständigkeitsakzessorietät jedoch ausnahmsweise dann verletzt, wenn der gemeinsamen Überstellung der Familie, also einschließlich des nachgeborenen Kindes, ein auf den für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat bezogenes Abschiebungshindernis gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen. Dann widerspricht eine solche Zuständigkeitszuweisung dem Kindeswohl. Denn in dieser Situation kann der von Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO bezweckte Gleichlauf der Asylzuständigkeit in der Praxis gerade nicht realisiert werden, so dass dem nachgeborenen Kind eine Prüfung seines Asylantrags mangels Überstellbarkeit in dem eigentlich gem. Art. 20 Abs. 3 Dublin IIII-VO zuständigen Mitgliedstaat genauso verwehrt wäre wie in dem Mitgliedstaat seiner Geburt bzw. seines dann nicht nur vorübergehenden Aufenthalts. Um eine effektive Durchführung des Asylverfahrens des nachgeborenen Kindes zu ermöglichen, muss die Zuständigkeit für den Asylantrag des nachgeborenen Kindes im Fall des Vorliegens von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen bezogen auf den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat, entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO vielmehr bei dem Mitgliedstaat seiner Geburt verbleiben.
Anders als bei den sorgeberechtigten Eltern und minderjährigen Geschwistern der Klägerin, denen bereits in Bulgarien internationaler Schutz zugesprochen wurde, steht bei der Klägerin einer Gewährung internationalen Schutzes auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht entgegen. In seiner solchen Fallkonstellation ist der Asylantrag des nachgeborenen Kindes nicht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1a, 2 AsylG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO unzulässig.
Dem steht auch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 17. August 2015 (11 B 15.50110 – juris) nicht entgegen. Denn im dort entschiedenen Fall lagen hinsichtlich des gem. Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaats gerade keine auf den dortigen Kläger und seine Eltern bezogenen Abschiebungshindernisse vor.
Für die Klägerin und ihre Familie, d.h. ihre Eltern und ihre drei 2007, 2009 und 2010 geborenen Geschwister, besteht jedoch bezüglich Bulgariens ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG.
Gem. § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Als Mitgliedstaat der Europäischen Union unterliegt Bulgarien deren Recht und ist den Grundsätzen einer gemeinsamen Asylpolitik sowie den Mindeststandards eines gemeinsamen Asylverfahrens verpflichtet, so dass im Sinne des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens, grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge den Erfordernissen der EU-Grundrechtscharta und der EMRK entsprechen. Den Wertungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO folgend ist diese Vermutung jedoch dann erschüttert und eine Abschiebung rechtlich unmöglich, wenn wesentliche Gründe für die Annahme bestehen, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien so ausgestaltet sind, dass sie typischerweise zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK führen.
Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Daraus folgen neben Unterlassungsauch staatliche Schutzpflichten. Eine Verletzung von Schutzpflichten kommt jedoch nur in Betracht, wenn sich die staatlich verantworteten Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigten in Bulgarien als unmenschlich oder erniedrigend darstellen (vgl. OVG NW, U.v. 19.5.2016 – 13 A 1490/13.A – juris). Eine staatliche Verantwortlichkeit aus Art. 3 EMRK kann ausnahmsweise dann begründet sein, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und mit einer behördlichen Gleichgültigkeit konfrontiert ist, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127). Demgegenüber ist Art. 3 EMRK nicht dahingehend auszulegen, dass diese Vorschrift die Vertragsparteien verpflichtet, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, U.v. 30.6.2015 – 39350/13 – juris; U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – juris). Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe bestehen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, unzureichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336). So sieht auch das Unionsrecht für die Ausgestaltung des rechtlichen Status von anerkannten Flüchtlingen lediglich eine Inländergleichbehandlung vor (vgl. Art. 26 ff. RL 2011/95/EU).
Unter Berücksichtigung dieser strengen Maßstäbe bestehen zur Überzeugung des Gerichts zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Bulgarien so defizitär sind, dass es für nicht vulnerable Personen, wie beispielsweise alleinstehende, gesunde junge Männer typischerweise zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK kommt. Dies gilt jedoch nicht für Personen wie die Klägerin und ihre Familie, die als Familieneinheit betrachtet vulnerabel sind. Zwar bestehen weder für die 1988 geborene Mutter noch für den 1983 geborenen Vater der Klägerin gesundheitliche Einschränkungen. Jedoch dürften sie selbst bei voller Leistungsfähigkeit und ganzem Arbeitseinsatz nicht in der Lage sein, für sich und die vier minderjährigen Kinder, inklusive der als Kleinkind besonders schutzbedürftigen Klägerin, sich – auch unter Berücksichtigung von Unterstützungsleistungen durch Hilfsorganisationen und der Zivilgesellschaft – Obdach und ein Auskommen am Rande des Existenzminimums zu sichern.
Die vorwiegend in Erkenntnisquellen aus dem Jahr 2015 geschilderten Missstände bei den Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte (vgl. insbesondere Auskunft des AA v. 23.7.2015 und Dr. phil. Ilareva, Gutachten v. 27.8.2015) bestehen zur Überzeugung des Gerichts – trotz einiger Verbesserungen – größtenteils immer noch fort. So kritisiert der UNHCR laut österreichischem Bundesamt (Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 27.11.2017) auch nach Erlass der im Juli 2017 neu beschlossenen Integrationsbestimmungen, dass die Probleme bezüglich Unterbringung für Schutzberechtigte dabei nicht thematisiert worden seien und dass die Flüchtlingsintegration weiterhin auf einem Integrationsvertrag des Flüchtlings mit seiner Wohnsitzgemeinde basiere. Schon unter dem in der zweiten Jahreshälfte 2016 beschlossenen National Programm for Integration of Refugees (NPRI) habe keine der 265 Gemeinden Geldmittel für den Integrationsprozess Schutzberechtigter beantragt. Auch die neuen Bestimmungen gewährten den Schutzberechtigten keinen Zugang zu Sozialwohnungen und Familienwohlfahrtsleistungen. Der UNHCR sehe dadurch ein Obdachlosigkeitsrisiko unter Schutzberechtigten. Bulgarien verfügt über kein ausdifferenziertes Sozialsystem, sondern ist durch eigenverantwortliches Handeln des Einzelnen geprägt. Daher muss der jeweilige Schutzberechtigte grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen (VG Düsseldorf, U.v. 14.11.2016 – 12 K 5984/16.A – juris; U.v. 6.4.2016 – 13 K 4468/15.A – juris; VG Magdeburg, U.v. 2.9.2015 – 9 A 399/14 – juris). International Schutzberechtigte sind im Rahmen der Durchsetzung der nach bulgarischem Recht bestehenden Ansprüche auf Unterstützungsleistungen mit erheblichen Hürden konfrontiert (hierzu umfassend OVG Saarl, U.v. 16.11.2016 – 2 A 89/16 – juris). Per Gesetz haben international Schutzberechtigte zwar das Anrecht auf Sozialhilfe unter denselben Bedingungen und nach demselben Verfahren wie bulgarische Staatsbürger. So haben Schutzberechtigte laut österreichischem Bundesamt (a.a.O.) die Möglichkeit, sich betreffend des Zugangs zu sozialer Unterstützung an das zuständige Social Assistance Directorate der Social Assistance Agency am Ort ihrer Wohnsitzgemeinde zu wenden. Hierfür ist jedoch nach wie vor der Eintrag ins Melderegister notwendig, der vom Bürgermeister der Wohnsitzgemeinde erst nach Vorlage eines schriftlichen Einverständnisses des Vermieters vorgenommen wird. Anerkannte Schutzberechtigte sind also immer noch auf eine Meldeadresse angewiesen (zu den Probleme bei der Beschaffung einer Meldeadresse vgl. Dr. phil. Ilareva, a.a.O.). Zugang zu Gemeindewohnungen besteht nur, wenn mindestens ein Familienmitglied bulgarischer Staatsbürger ist, weshalb Schutzberechtigte üblicherweise keinen Zugang zu diesen Wohnungen haben. Die Unterkunftssuche bleibt für anerkannte Flüchtlinge deshalb äußerst problembehaftet. Unterstützung bei der Wohnungssuche erhält nur ein verschwindend geringer Teil der anerkannten Schutzberechtigten (Auswärtiges AA, a.a.O.; Dr. phil. Ilareva, a.a.O.). Zwar nimmt der Bescheid vom 30. August 2017 zutreffend Bezug auf die temporäre Unterbringungsmöglichkeit in Erstunterkünften. Diese ist jedoch auf maximal drei Monate begrenzt. Auch die in Sofia betriebenen kommunalen „Krisenzentren“, die während der Wintermonate 170 temporäre Unterbringungsplätze für Bedürftige anbieten und damit u.a. auch Schutzberechtigten offenstehen, können das beachtliche Risiko nicht abfangen, dass vulnerable Personen wie die Klägerin und ihre Familie in absehbarer Zeit obdachlos bzw. unter Umständen untergebracht werden, die gerade für Kinder und Kleinkinder zu nachhaltigen Entwicklungsstörungen führen können und damit erniedrigend i.S.v. Art. 3 EMRK wären.
Auch das vom Bundesamt herangezogene Engagement von zivilgesellschaftlichen Hilfsorganisationen kann vulnerablen Personen, wie es Familien mit kleinen Kindern typischerweise sind, keinen effektiven Schutz vor einer existenziellen Notlage bieten. So unterstützt zwar das Rote Kreuz Personen mit einem Schutzstatus in Bulgarien in Form von Begleitung, Beratung und Übersetzung beim Besuch von Ämtern, Krankenhäusern, bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, durch Rechts- und Sozialberatung, Sprachkurse sowie finanzieller Hilfe oder durch die Abgabe von Kleidung, Nahrung und Medikamenten (vgl. http://en.redcross.bg/activities/activities8/rms1.html – Abruf v. 9.5.2017). Auch der Leiter des Caritas Integrationszentrums in Sofia geht dabei von einer meist prekären Lage anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien aus, weist jedoch darauf hin, dass sich die Lage in Bulgarien aufgrund der gesunkenen Flüchtlingszahlen normalisiert habe. Die Caritas werde von Seiten des Staates unterstützt und als positives Beispiel anerkannt. Die Caritas könne jedoch nur einen kleinen Teil dessen abdecken, was wirklich gebraucht werde (vgl. Caritas Steiermark, Flüchtlinge in Bulgarien: „Die Lebensbedingungen sind prekär“ – Interview mit Ivan Cheressharov/Leiter des St. Anna-Integrationszentrums in Sofia, 22.3.2017). Jedoch ist es zur Überzeugung des Gerichts für vulnerable Personen, wie es Familien mit Kleinkindern sind, nicht zumutbar, zur Durchsetzung ihrer Rechte auf die nur punktuell vorhandene Unterstützung von Flüchtlingsorganisationen oder eines kostenpflichtigen Rechtsbeistands verwiesen zu werden.
Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet die fehlende Unterstützung des bulgarischen Staates beim Erwerb der bulgarischen Sprache (Dr. phil. I., a.a.O.). Auch unter dem neuen Integrationsplan sieht der UNHCR Defizite beim Sprachtaining (vgl. östr. Bundesamt, a.a.O.), so dass der rechtlich unbeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt für anerkannte Schutzberechtigte in der Praxis nur bedingt geeignet ist, das Risiko vor existenzieller Verelendung zu verringern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die fünfköpfige Familie ohne Betreuungsmöglichkeit für die Klägerin als Kleinkind de facto auf die Einkommenserwartungen nur eines Elternteils angewiesen wäre. Mangels Sprachkenntnisse und unter Berücksichtigung der sozio-ökonomischen Lage Bulgariens ist zudem nicht davon auszugehen, dass berufliche Vorqualifikationen die Chancen der Eltern der Klägerin auf dem Arbeitsmarkt steigern würden. Sie wären damit auf den Niedriglohnsektor für nicht qualifizierte Arbeitskräfte beschränkt. Da eine Arbeitsvermittlung und Qualifizierung über die bulgarischen Arbeitsämter wiederum eine eingetragene Meldeadresse voraussetzt, ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die Familie sich aus eigener Kraft die wirtschaftlichen Mittel zur Sicherung einer Existenz auch nur am Rande des Minimums wird erwirtschaften können. Es besteht mithin für die Klägerin und ihre Familie als vulnerable Personen ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Damit steht einer Zuständigkeitszuweisung für den Asylantrag der Klägerin an Bulgarien entsprechend Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO das Kindeswohl der Klägerin entgegen.
Da andere Rechtsgrundlagen für die Ablehnungsentscheidung nicht ersichtlich sind, ist die Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheides rechtswidrig.
Dies gilt – unabhängig von der Anwendbarkeit von Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO aus den dargestellten Gründen jedenfalls auch für Ziffer 2 des Bescheides, in dem festgestellt wird, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
Ziffer 3 und 4 fußen auf Ziffern 1 und 2 und teilen mithin – von Ziffer 3 Satz 3 abgesehen – ebenfalls deren Rechtswidrigkeit.
Der Klage war somit in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.