Europarecht

Abstands- oder Geschwindigkeitsmessung – Standardisiertes Messverfahren

Aktenzeichen  3 Ss OWi 284/18

Datum:
7.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6415
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, Abs. 2a S. 1
BKatV § 4 Abs. 2 S. 2
StVO § 4 Abs. 1 S. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 4
StPO § 249, § 267 Abs. 1, § 349 Abs. 2
OWiG § 71 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Bei Eichscheinen handelt es sich ebenso wie bei Konformitätsnachweisen, Messprotokollen, Schulungsnachweisen, Gerätestammkarten oder Videodistanzauswertungen um Urkunden und nicht um die Außenwelt unmittelbar wiedergebende Abbildungen, weshalb eine Bezugnahme gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ausscheidet (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 07.08.2017 – 3 Ss OWi 996/17 = BA 55 [2018], 78 und OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2017 – 4 RBs 152/17 [bei juris]). (Rn. 4)
2. Erfüllt die Abstands- oder Geschwindigkeitsmessung die Voraussetzungen eines ‚standardisierten‘ Messverfahrens und ergibt sich aus den Urteilsgründen zweifelsfrei, dass der Verkehrsverstoß unter Vornahme des gebotenen Toleranzabzugs ermittelt wurde, stellt es für sich genommen grundsätzlich keinen sachlich-rechtlichen Urteilsmangel dar, wenn sich die Verurteilung hinsichtlich des Messvorgangs auf die Mitteilung des Messverfahrens, die errechnete Geschwindigkeit und gegebenenfalls die Länge des vorwerfbaren Abstandes beschränkt. Denn diese Angaben bilden die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung, weshalb ein Beruhen des Urteils i.S.v. § 337 Abs. 1 StPO auf einer unzulässigen Bezugnahme auf Urkunden ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann. (Rn. 6)

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des Mindest-abstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug (§§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO) zu einer Geldbuße von 300 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG angeordnet. Nach den Feststellungen steuerte der Betroffene am Nachmittag des 28.03.2017 einen Pkw auf einer Autobahn, wobei er in Höhe der Messstelle bei einer gefahrenen Ge-schwindigkeit von (mindestens) 158 km/h zum vorausfahrenden Fahrzeug statt des gebotenen Mindestabstandes von 79 m lediglich einen solchen von maximal 32 m und damit von weniger als 5/10 des halben Tachowertes (vgl. Nr. 12.7.1 Tab. 2 Anhang BKat) einhielt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
I.
In sachlich-rechtlicher Hinsicht beanstandet die Rechtsbeschwerde allerdings zu Recht, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft „wegen der Einzelheiten“ auf die bei den Akten befindlichen und jeweils das als .standardisiert’ anerkannte verfahrensgegen-ständliche Abstands- und Geschwindigkeitskontrollsystems .VKS 3.0′ betreffenden Eichscheine des Bayerischen Landesamts für Maß und Gewicht vom 24.01.2017 und des Landesamts für Mess- und Eichwesen Rheinland-Pfalz vom 17.11.2016 gemäß § 71 Abs. 1 i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen hat.
a) Denn bei den Eichscheinen handelt es sich ebenso wie bei Konformitätsnachweisen, Messprotokollen, Schulungsnachweisen, der sog. .Lebensakte’ bzw. Gerätstammkarte oder Videodistanzauswertungen um (regelmäßig zu verlesende) Urkunden im Sinne von § 249 StPO und gerade nicht um die Außenwelt unmittelbar wiedergebende Abbil-dungen i.S.v. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, weshalb eine Bezugnahme nach dieser Vor-schrift ausscheidet; der Tatrichter hat diese Beweismittel vielmehr im Urteil in einer aus sich heraus verständlichen Form zu würdigen (vgl. zuletzt OLG Bamberg, Beschluss vom 07.08.2017 – 3 Ss OWi 996/17 = BA 55 [2018], 78 und OLG Hamm, Beschluss vom II. 05.2017 – 4 RBs 152/17 [bei juris]; ferner schon OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.11.2004 – 1 Ss [OWi] 210 B/04 = DAR 2005, 97 = StraFo 2005, 120 = NStZ 2005, 413; OLG Hamm, Beschluss vom 07.01.2009 – 3 Ss OWi 948/08 = NStZ-RR 2009, 151 = NZV 2009, 303 [Ls.] sowie OLG Schleswig, Beschluss vom 06.01.2011 – 1 Ss OWi 209/10 = VA 2011, 64; siehe auch Göhler/Se/tZBauer OWiG 17. Aufl. [2017] § 71 Rn 42 ff. und Burhoff [Hrsg.]/G/eg HB OWi-Verfahren 5. Aufl. [2018] Rn. 144, jeweils m.w.N.).
b) Jedoch greift die Beanstandung der Rechtsbeschwerde hier deshalb nicht durch, weil ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf dem festgestellten Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Denn zur Erfüllung der gebotenen sachlich-rechtlichen Darstellungsanforderungen bedurfte es der Mitteilung der gedanklichen Inhalte der Eich-scheine oder gar einer Auseinandersetzung mit diesen im Urteil nicht.
aa) Erfüllt die Abstandsmessung – wie hier vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei festge-stellt – die Voraussetzungen eines als standardisiert’ anerkannten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (grundlegend BGHSt 39, 291/301 ff. = NJW 1993, 3081 = DAR 1993, 474 und BGHSt 43, 277, 282 ff. = NJW 1998, 321 = MDR 1998, 214 = DAR 1998, 110) und ergibt sich aus den Gründen des Bußgeldurteils zweifelsfrei, dass die dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeits-und Abstandswerte unter Vornahme des gebotenen Toleranzabzugs ermittelt wurden, stellt es für sich genommen grundsätzlich keinen sachlich-rechtlichen Mangel des Ur-teils i.S.v. § 71 Abs. 1 i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO dar, wenn sich die Verurteilung hin-sichtlich des Messvorgangs auf die Mitteilung des angewendeten Messverfahrens, die errechnete Geschwindigkeit des Betroffenen und die Länge des vorwerfbaren Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug beschränkt. Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert bilden somit die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung. Eine darüber hinausgehende ausdrückliche Erörterung weiterer tatsächlicher Voraussetzungen dieses vom Rechtsbeschwerdegericht anzulegenden Prüfungsmaßstabes im Urteil wäre daher überflüssig (vgl. neben BGH a.a.O. u.a. KG, Beschluss vom 12.11.2015 – 122 Ss 111/15 = NStZ-RR 2016, 27 = VRS 129 [2015], 155 = NZV 2016, 293 und v. 02.99.2015 – 3 Ws [B] 447/15 – 122 Ss 125/15 sowie zuletzt OLG Bamberg, Beschluss vom 19.07.2017 – 3 Ss OWi 836/17 [bei juris] m. Anm. Krenber-ger, jurisPR-VerkR 25/2017 Anm. 6), sofern nicht ausnahmsweise aufgrund der Art des Verkehrsverstoßes weitere Feststellungen, beim Abstandsverstoß mit Blick auf seine Vorwerfbarkeit und bei Vorliegen eines substantiierten Einwands etwa zur sog. .Be-obachtungsstrecke’ und etwaigen außergewöhnlichen Fahrmanövern und hierdurch dem Betroffenen nicht vorwerfbare Abstandsunterschreitungen (z.B. unerwarteter Spurwechsel mit Einscheren eines überholenden Fahrzeugs oder plötzliches Abbrem-sen des Vorausfahrenden), geboten sind (Burhoff [Hrsg.]/G/eg a.a.O. Rn. 156, 158 ff. m.w.N.).
bb) Diesen Mindestanforderungen wird das angegriffene Urteil gerecht, weshalb es sowohl bei der Errechnung der Geschwindigkeit des Betroffenen als auch bei der hie-raus abgeleiteten Bestimmung des Abstandes sogar keiner Mitteilung der Toleranzwer-te mehr bedurft hätte, da ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers vorgesehenen systemimmanenten Verkehrsfehlergrenzen bereits vom Rechenprogramm abgezogen und damit beim Er-gebnis berücksichtigt wurden (st.Rspr.; vgl. [für ViBrAM-BAMAS] OLG Stuttgart NStZ-RR 2007, 382 = DAR 2007, 657 = VRR 2007, 475 [Krumm]; [für Brückenabstands-messverfahren VAMA] OLG Bamberg ZfS 2013, 290 = VM 2013, Nr. 30 = VRR 2013, 111 [Deutscher]; vgl. auch OLG Brandenburg VRS 108, 121 = DAR 2005, 162 und NStZ 2005, 413 [jew. für Geschwindigkeitsermittlungen mittels VIDISTA-R]; OLG Karls-ruhe NZV 2007, 256; vgl. ferner schon BGHSt 39, 291/301 ff.; 43, 277/282 ff.; BayObLGSt 1993, 55/56 f sowie OLG Bamberg, Beschluss vom 19.7.2017 – 3 Ss OWi 836/17; OLG Bamberg NJW 2015, 1320 = NZV 2015, 309 = DAR 2015, 396 und OLG Bamberg, Beschluss vom 21.11.2016 – 3 Ss OWi 1394/16 = DAR 2017, 91; Burhoff[Hrsg.]/Gieg a.a.O. Rn. 152, 154 ff. m.w.N.; Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 4 StVO Rn 26; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke a.a.O. § 4 StVO Rn 7; Gutt/Krenberger ZfS 2015, 664, 666).
2. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern. Dies gilt insbesondere auch, soweit das Amtsgericht mit sorgfältiger und mit der ständigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts im Einklang befindlicher Begründung die Notwendigkeit des Fahrverbots aufgrund der spezifischen, eine auffällige Rückfallgeschwindigkeit aufwei-senden Vorahndungslage des Betroffenen mit einem beharrlichen Pflichtenverstoß gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 [2. Alt.] StVG außerhalb eines Regelfalls i.S.v. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV begründet (zu den Anforderungen für die Wertung eines Pflichtenversto-ßes als,beharrich’ sowie zum Begriff der inneren Zusammenhangs’ vgl. OLG Bamberg NJW 2007 3655 = ZfS 2007, 707 sowie OLGSt StVG § 25 Nr. 36 = VRR 2007, 318 Deutscher; ferner u.a. OLG Bamberg DAR 2010, 98 = OLGSt StVG § 25 Nr. 47; DAR 2011, 399; DAR 2012, 152 = OLGSt StVG § 25 Nr. 51; DAR 2013, 213 = VM 2013, Nr. 21 = ZfS 2013, 350 = OLGSt StVG § 25 Nr. 54; NStZ-RR 2014, 58; NZV 2014, 98 = OLGSt StVG § 25 Nr. 55; DAR 2014, 277 = ZfS 2014, 411; VM 2015, Nr. 15 = ZfS 2015, 231 = NStZ-RR 2015, 151 = DAR 2015, 394 = OLGSt StVG § 25 Nr. 58 = NZV 2016, 50 und VM 2015, Nr. 35 = DAR 2015, 392 = OLGSt StVG § 25 Nr. 59; vgl. ferner Hent-schel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. [2017] § 25 StVG Rn. 15; Bur-mann/Heß/Hühnermann/Jahnke Straßenverkehrsrecht 25. Aufl. [2018] § 25 StVG Rn. 10 ff. und Burhoff [Hrsg.]/Deutscher, HB OWi-Verfahren 5. Aufl. [2018], Rn. 1510, insbesondere Rn. 1521 ff., jeweils m.w.N) und keine Veranlassung gesehen hat, etwa mit Blick auf das rechtsstaatliche Übermaßverbot (zu den Anforderungen an die Aufklä-rungspflicht und Beweiswürdigung des Gerichts einerseits und die Substantiierungsob-liegenheiten des Betroffenen bzw. seiner Verteidigung andererseits vgl. neben OLG Bamberg, Beschluss vom 22.04.2013 – 2 Ss OWi 339/13 = OLGSt StVG § 25 Nr. 55 = NZV 2014, 98 = VRR 2013, 310 [Deutscher] u.a. OLG Koblenz, Beschluss vom 23.04.2014 – 2 SsBs 14/14 = BA 51 [2014], 353 und 26.06.2015 – 2 OWi 3 SsBs 32/15 [bei juris] sowie KG, Beschluss vom 12.03.2012 – 162 Ss 310/11 = VRS 123 [2012], 64, jeweils m.w.N.) von dem verwirkten Fahrverbot abzusehen.
Die zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft abgegebene Gegenerklärung des Verteidigers des Betroffenen lag dem Senat vor.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

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