Aktenzeichen M 9 K 16.50439
AsylG AsylG § 77 Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1 u. 2 S. 1 u. 2
Leitsatz
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für … vom 14. Juni 2016 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten damit individuell einverstanden erklärt haben (die Klägerseite) bzw. ein entsprechendes generelles Einverständnis vorliegt (auf Beklagtenseite sowie von der Vertretung des öffentlichen Interesses), § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Anfechtungsklage auf Aufhebung des Bescheids vom 14. Juni 2016 ist zulässig und begründet.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben (§ 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG).
Die Klage ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung ist die sog. Überstellungsfrist bereits abgelaufen.
Unabhängig davon, dass zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet werden durfte, ist die Beklagte inzwischen durch Zeitablauf für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO) durchgeführt wird. Dieser Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern, wie bereits ohne weiteres aus dem Wortlaut von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO folgt, eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist. Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht zeitgemäß durchführt, die Folgen tragen muss (BayVGH, B.v.11.05.2015 – 13a ZB 15.50006 – juris Rn. 4f.).
Im vorliegenden Fall ist die Überstellung des Klägers nach Bulgarien nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt; vielmehr ist sie überhaupt nicht erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO grundsätzlich mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat. Vor Ablauf der Überstellungsfrist hat der Kläger aber Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Den Antrag hat das Gericht mit Beschluss vom 11. Juli 2016 abgelehnt und diesen Beschluss dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und dem Bundesamt mit Empfangsbekenntnis zugestellt und zwar dem Prozessbevollmächtigten am 18. Juli 2016 und dem Bundesamt am 19. Juli 2016. Dies hatte den neuen Beginn der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zur Folge, denn die Überstellungsfrist wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch den vor ihrem Ablauf gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung unterbrochen und mit einer ablehnenden Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes neu in Lauf gesetzt (vgl. BVerwG, U.v.27.04.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 18; Vorlagebeschluss v. 27.04.2016 – 1 C 22.15 – juris Rn. 18ff; vgl. auch SächsOVG, B.v.05.10.2015 – 5 B 259/15.A – juris Rn. 8ff.; OVG NRW, U.v.07.07.2016 – 13 A 2302/15.A – juris Rn. 22 – 24). Damit endete die Überstellungsfrist hier spätestens mit Ablauf des 19. Januar 2017, ohne dass aber die Überstellung durchgeführt wurde, wie die Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde Oberbayern ergeben hat.
Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO lagen nicht vor und wurden von der Beklagten auch nicht geltend gemacht, obwohl sie herzu Gelegenheit hatte. Die sechsmonatige Frist ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung bereits abgelaufen.
Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers ist damit auf die Beklagte übergegangen.
Es liegt neben der soeben aufgezeigten, durch den Ablauf der Überstellungsfrist eingetretenen objektiven Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids auch eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers vor. Der Kläger kann sich nämlich auf die mittlerweile eingetretene Zuständigkeit der Beklagten berufen. Er hat nach materiellem Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO zuständige Beklagte das Asylverfahren durchführt. Dem Kläger kann auch nicht eine etwaige fortdauernde Aufnahmebereitschaft Bulgariens entgegengehalten werden. Denn das Bundesamt hat bereits nicht vorgetragen, dass Bulgarien den Kläger trotz Ablaufs der Überstellungsfrist aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird – die Behörde der Beklagten hat es vielmehr vorgezogen, sich trotz mehrerer Anfragen des Gerichts gar nicht zu äußern – und auch davon abgesehen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür (vgl. hierzu OVG NRW, B.v.11.11.2015 – 13 A 1692/15.A – juris Rn. 6ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).